25. Eintrag Heute allein hier; die Ex bringt die Studienrätin zum Flughafen und ich muss nicht mit, darf hierbleiben. Ein Haus, in dem man gelebt, geliebt und gelitten hat, ein Haus auch, in dem man versagt hat, anders kann man es doch nicht nennen: wenn die Frau nichts anderes im Sinn hat, als diese Ehe abzuschütteln wie eine Krankheit, einen falschen Film … Und man ist da, man kann sich nicht in Luft auflösen.

Bin ungern allein in dem „fremden“ Haus. Muss raus!

Beschlossen, ich geh heute einen „gefährlichen Weg“: an den Lavafelsen kleben die kleinen, dünnen Steige, weiter hinten beginnen die verbarrikadierten Bananenfelder derer, denen die ganze Gegend gehört. „Gehört“ durch Raub und Diebstahl von den Guanchen, aber das ist schon lang her. So wie die katholische Kirche hier ein üppiges Dasein führt, lebt auch der Feudalismus prächtig weiter.

Ein längerer Spaziergang beginnt mit der Frage: mit oder ohne Ibuprofen 600? Nimms mit, es kann nicht schaden und beruhigt dich. Mit oder ohne Handy? Nimms mit, es kann nicht schaden.

Der „gefährliche Weg“ gehört zu den Wegen, die man früher, als man noch laufen konnte, ohne auch nur eine Sekunde nachzudenken, gegangen ist, vollgekifft, angesoffen, mit zwei Hunden und drei Kindern, wobei man das Jüngste tragen musste. Ein Weg, läppisch einfach für einen gesunden Mann mit zwei gesunden Beinen. Aber jetzt? Die Deklination von geschwundenem Selbstvertrauen, das bis zur Selbstverachtung reicht: „Es kann ja was passieren, pass auf, hilfloser alter Mann, du bist bald 77 (schöne Schnapszahl) und wenns dich einmal hinhaut auf ein spitzes Lavasteinchen mit dem Knie, kann sein, du kommst nicht mehr hoch wie eine umgedrehte Schildkröte und brauchst zumindest ein Handy, um die Ex anzurufen. Sie weiß ja immer Hilfe, auch wenn die mit dem „da siehst du mal, wenn du mich nicht hättest“ beschwert ist.

Nicht nur ich, auch der Weg ist alt geworden, ich find ihn kaum noch; nicht nur mich braucht niemand mehr, den Weg auch nicht. Er ist nur noch für geübte Augen erkennbar, er ist zugewildert und verdreckt, man verwendet ihn wohl auch als Müllkippe. Wie wir uns ähneln!

Rechts steil rauf und links steil zum Meer runter, wenigstens schwindelfrei muss man sein, auch eine Disziplin, die selbstverständlich war. Aber ich schaff die „kritischen“ zwei, drei Kilometer, ohne einmal danebenzutreten und – ja! – ohne einmal Angst zu haben.

Ich fühle mich wie ein Vogel, frei und glücklich, als hätte ich den Nanga Parbat bestiegen, allein und ohne Sauerstoff. Nicht mal ein Fischer ist mir begegnet. Da überholt mich einer, der diesen ganzen Weg gejoggt ist; schnell und leichtfüßig und vermutlich ohne Ibuprofen, Handy und Nachdenken. Ein gesunder Mensch eben!

Ich bleib stehen und lass ihn vorbei, er grüßt sogar noch und ich schau ihm nach: dass ich nie wieder ein gesunder Mensch sein werde, dass nichts besser, aber alles schlechter wird, raubt mir das grade entstandene Vogelfreigefühl und ich denke, wenn schon Vogel, dann sollte ich vielleicht den Steilhang „runterfliegen“ und das Elend hätte ein Ende …

Ich bin besiegt, schon wieder besiegt. Die Ex kommt heim und fragt, wie es mir geht: Wunderbar, und dir?