26. Eintrag Das Alter macht das „Ich“ so porös, kaum belastet man es ein bisschen, schon bricht es ab.

Und es wächst nix mehr nach, das ist der entscheidende Punkt, wenn man jung ist, erleidet man Niederlagen, vielleicht mehr als im Alter, wenn man sie sowieso schon vermeidet, aber sie kleben sich nicht an einem fest, sie werden vergessen, verdrängt, verwunden, bis sie verschwinden und was Neues wächst. Du siehst heute verdammt scheiße aus, sagt der Spiegel einem jungen Menschen und der sagt: Okay, mag ja sein, aber gestern sah ich toll aus und morgen werde ich wieder toll aussehen; alten Menschen (zumindest mir) wächst nach der Niederlage nichts Positives mehr nach, im Gegenteil, der Verfall rückt weiter vor und wenn er dein Zentrum erreicht hat, bist du tot? Schön wärs!

Ich hab doch heuer im Frühling und Sommer, als ich beim Schreiben nur blutige Niederlagen erlitten habe, das Leben als Konsequenz eingestellt: keine Freunde mehr, kein Kino, kein Theater, keine Kollegen, kein Konzert, nicht mal spazieren gehen, nur noch dasitzen und vor mich hinstarren. Die Ex sagt: Das war die schlimmste Zeit mit dir, als wir noch verheiratet waren, wenn du nur noch dagesessen bist und vor dich hingestarrt hast! Das gab es also auch schon früher, als ich noch jung war, na ja, jünger? Na klar, seit ich dich kenne, sitzt du rum und starrst vor dich hin, hast du mal darüber nachgedacht, was das für eine junge Frau bedeutet; ihre Stimme wird laut: UND ICH WAR EINE JUNGE FRAU mit einem alten Mann, der vor meinen Augen verfault ist, und trotzdem geliebt werden wollte, je mehr er verfault ist, umso mehr wollte er geliebt werden, und ich habe dich geliebt, bis ich nicht mehr konnte, bis ich der flüchtenden Liebe nicht mehr hinterhergekommen bin. Es gibt einen Punkt, wo man nicht mehr kann, kapiert, alter Mann? NICHT MEHR KANN, ich hab nicht mehr gekonnt, schreit sie und dann schweigt sie übergangslos und mein Kollege August Strindberg hätte seine helle Freude an uns.

Ob der auch Schreibblockaden hatte und verfault ist bei lebendigem Leib? Was hat der gelitten, bis er sein ‚Plädoyer eines Irren‘ (dieses Buch liebe ich!) rauskotzen konnte, mit der ja heute noch unmöglichen öffentlichen Anklage, dass seine Siri von Essen durch einen schlecht genähten Dammriss bei der Geburt eines der drei gemeinsamen Kinder sexuell „beschädigt“ wurde …

Schriftsteller sind Irre, ich gehöre sicher auch dazu, und das arme Auto wartet immer noch auf der Hebebühne und rostet vor sich hin. Die Ex meint, vielleicht warten wir so lange, bis ihm Flügel gewachsen sind, und dann fliegen wir damit weg …