10. November Meterhohe Wellen. »Das ist gut, das Meer reinigt sich«, sagt der Fischer zu mir. Ich will wissen, wie es zu dem aufgewühlten Ozean kommt, durch den Vollmond? »Na«, winkt er ab und kaut auf einem Stöckchen herum, »das hat nichts mit dem Mond zu tun. Das ist der Wind. Die Stürme peitschen das Meer auf.« Es ist total windstill. Erst mit den Nachrichten realisiere ich, dass vor Florida ein Hurrikan tobt. Die Kanaren liegen auf demselben Breitengrad, der Atlantik zwischen uns.

Mein Kranker ist wirklich krank. Franz schläft viel. Er wirkt total erschöpft. Ich gehe zu Santi, um nach den Fortschritten zu fragen. Der empfängt mich diesmal freudig, denn, so der Anschein, ein Ende der Reparaturarbeiten ist in Sicht. Er zeigt, was er alles am Auto gemacht hat, und erzählt, wie schwierig es war, Ersatzteile für den Mercedes aufzutreiben. Ich halte die Evolution in Bildern fest. Am Freitag wollen wir zum ITV fahren. Franz möchte nicht mal die Fotos sehen. Er rotzt und hustet vor sich hin.

Auch bei mir bleibt irgendwie die Zeit stehen. Deutschland rückt in die Ferne. Ich telefoniere mit der Sekretärin der Münchner Bürgermeisterin. Es geht ums »Kino Frauen aller Kulturen«. Am Tag zuvor hatte ich ein weiteres Videomeeting mit dem Team der Integrationsbeauftragten. Was ich von neuen Standorten halten würde? Geld wäre vorhanden. Allerdings müsste es noch in diesem Jahr ausgegeben werden. Vielleicht könnte man eine Gala-Abendveranstaltung machen? Ich versuche zu erklären, dass Gala und mein Sozialprojekt einfach nicht kompatibel sind, und gebe Beispiele, wie man das Geld sinnvoll investieren könnte. Man melde sich, da müsse erst mit der Finanzstelle gesprochen werden.

Nun, am Telefon mit dem Bürgermeisterbüro, höre ich, dass die Stadt München so gar keine Mittel hat, mein Inklusionsprojekt zu unterstützen, aber Frau Bürgermeisterin würde gerne zu einer Vorstellung kommen. Auf die Gala vielleicht und zusammen mit der Integrationsbeauftragten? Das wäre doch ein schönes Foto. Wie schwierig es ist, ehrenamtliches Engagement aufrechtzuerhalten, davon können sich die da oben keinen Begriff machen. Steuergelder werden zum Jahresende noch schnell aufgebraucht, sonst gibt es im nächsten Jahr nix. Wir reden hier nicht von hohen Summen. Aber ob ich fünftausend Euro in eine Gala stecke oder für die gleiche Summe zwei Jahre lang einmal monatlich Müttern und Kindern einen kostenfreien Kinobesuch ermögliche, macht für mich einen Unterschied.

Am Nachmittag kommt meine Freundin Paula zu Besuch. Sie bringt wunderbare Äpfel und Tomaten mit. Ich gebe ihr eine volle Tüte mit Kleidern und alte Holzpaletten zum Einheizen mit. Wir machen einen langen Spaziergang und beobachten die wilden Wellen mit teils meterhohen Fontänen.

Als wir zurückkommen, sitzt Franz an der Schreibmaschine und tippt. »Ach, das ist ja schön«, sagt Paula, »eine echte Schreibmaschine.« Ihre Begeisterung wird durch sein »du redest Scheiße« umgehend gestoppt. Mir ist das peinlich. Gut, der große Dichter wurde gerade in der Zeremonie des Schreibens gestört, aber muss man deshalb einem anderen Menschen gleich mit dem Arsch übers Gesicht fahren? Die Kroetz’sche Sprache ist rau. Ich schiebe Paula Richtung Küche und raus aus der Peinlichkeitszone. Sie hat es ihm nicht übel genommen. Ich erinnere mich an früher, als meine beste Freundin mich nicht besuchen durfte, wenn er schrieb. Also traf ich sie immer auf der Plaza vor dem Haus.

Beim Verabschieden lädt ihn Paula zu sich in die Berge ein. Franz ist wie ausgewechselt, freundlich und nimmt die Einladung gerne an. Mir fällt ein Stein vom Herzen. Es scheint ihm besser zu gehen. Er trinkt ein Glas Whiskey und ein Glas Wein. Die Medizin, auf die er vertraut.

Ich gehe schon um neun Uhr ins Bett und nehme ein Mondbad. Sein Licht erfüllt den Raum. Es hat etwas Geheimnisvolles. Mein ganzer Körper fährt runter und ich schlafe viel – um die elf Stunden pro Nacht. Die Ruhe vor dem Sturm? Das Meer schlägt unermüdlich an die Felsen und wühlt mit einem tiefen Grollen den Meeresboden auf. »Wo verstecken sich eigentlich Fische?«