13. November Mir geht’s nicht gut. Unangenehm der kalte Schweiß und die Kurzatmigkeit. Ich putze trotz Unwohlsein mein Schlafzimmer, so als würde ich die Viren wegschrubben wollen. Santi ruft an. Das Auto würde gut fahren, nur erhitzt sich die Benzinpumpe und die muss ersetzt werden. Ich atme tief durch und sage ihm, dass ich mit Franz reden werde. Oh Mann, ist mir das alles unangenehm. Franz steht in der Tür und schaut aufs Meer. »Aber natürlich soll er das ersetzen. Irgendwie bin ich Santi richtig dankbar, dass wir so lange aufs Auto warten mussten, es waren fünf wunderbare Wochen hier!«

Da soll sich einer auskennen. Gestern hatte er eine Abneigung gegen den Typen, »der ist mir zu fett mit seiner Autostory«, heute ist er ihm dankbar. Ich krieche den Berg hoch Richtung Werkstatt und bekomme kaum Luft. Santi zeigt mir alle Fortschritte am Auto. Ich stehe darunter und mache brav die Ahs und Ohs, schließlich ist auch er ein Macho, der gelobt werden will. »Um die Benzinpumpe kaufen zu können, brauche ich die fünfhundert Euro. Ich hab kein Geld mehr auf dem Konto.« Fuck, daher weht der Wind. Also krieche ich wieder den Berg runter, diesmal, um Franz zu einer Überweisung zu bewegen. Ich fühle mich in meine Hausfrauenzeiten zurückversetzt, als jeder Cent diskutiert wurde und seine Berechtigung brauchte. Aber ich hab Glück, Franz ist nach wie vor gut drauf, versteht und überweist das Geld. Erleichterung. Ich koche und wische in der Küche, die Stühle auf dem Tisch.

Während ich die Hausarbeit erledige, steht er wild-romantisch in der Tür und denkt nach. Der große Dichter. »Ein Künstler, auch wenn er nichts tut, tut etwas.« Dieses Zitat von Jan Hoet wurde uns zum Leitmotto, ich habe es sogar in eine Salatschüssel gravieren lassen, zum ewigen Gedenken.

Wir gehen kurz an den Strand, ich brauche Salzwasser in der Nase. »Du zwingst mich zum Baden und jedes Mal ist es wunderschön«, sagt er. Heute hat er seinen positiven Tag. Ich schwimme im Meer, aber mein Körper signalisiert mir, dass das zu viel ist. Ich komme schwer über die Leiter aus dem Wasser und bin kurzatmig, mir ist schwindlig. Wir fahren heim. Ich trage die Tasche ins Haus, da sitzt er im Patio und trinkt ein Schlückchen Wein. Ach so, in der Küche waren noch die Stühle vom Rauswischen auf dem Tisch, deswegen der Ortswechsel! Ich muss lachen und sag’s ihm auch. Ertappt. Er lacht zurück und meint (liebevoll) »Arschloch«. Ich bin gar kein Fan von Liebkosungen dieser Art.

Ich koche, wir essen. Gespräche. Die Vergangenheit klopft an. Franz will wissen, wann der Untergang meiner Mutter begann. Mit dem Verkauf ihres Hauses in Heberthal 1990. Ihre manische Depression wurde mit Geld gefüttert. Es folgte der Selbstmordversuch 1991. Danach ging es dank Behandlung ein knappes Jahr aufwärts, bis 1992 meine Tante Immy starb. Da nahm sie die Krankheit wieder in Beschlag und nach dem Tod meiner Großmutter ging ein Licht nach dem anderen bei ihr aus: Neun Jahre war sie bettlägerig, sechzehn kleine Schlaganfälle.

Franz wusste nicht, dass meine Mutter und mein Onkel meine Tante Immy zwangen, sich den Künstlernamen »Editha Nordberg« zuzulegen, denn »zwei berühmte Schells sind in der Familie genug«. Ähnlich wie sie bei mir sagten, ich solle die »Goldene Kamera« nicht annehmen, meine Leistung sei nicht dementsprechend gewesen. Die Gespräche hangeln sich von einem Verblichenen zum nächsten. Als es um meinen Papa geht und ich eigentlich von meiner kindlichen Qual erzählen will, bricht der Dialog ab, aus irgendeinem banalen Grund. Ich muss auch nicht viel darüber reden. Es ist vorbei und trotzdem da. Ich sehe mich im Kindesalter, das erste Mal im Alter von drei Jahren, nackt vor meinem Vater stehen, der mich malte. »Akt stehen« hieß die Parole und ich sollte sein »Model« sein. »Das ist Kunst«, höre ich meine Mutter sagen, »freue dich, dass du von einem großen Künstler festgehalten wirst.« Mir war kalt, mein kleiner Körper zitterte und war dermaßen angespannt, dass ich meinen großen Zeh aufstellte. Das fand mein Vater neckisch und hielt auch diesen auf Papier fest, als er »Dutti« und »Pflaumi« zeichnete. »On ne naît pas femme: on le devient.«

Gehe heute schon um halb sieben Uhr schlafen. Die Krankheit hat mich im Griff.