17. November Tusch und Trommelwirbel: Es ist geschafft! In der Früh schreibe ich eine Mail an Santi mit meinen ergoogelten Weisheiten, ohne Vorwurf, gebe aber deutlich meinen Unmut zu verstehen. Sein Anruf folgt prompt. Ui, was für ein Gewitter geht über mir nieder – ich bin ihm mit meinen Recherchen eindeutig an seine Ehre gegangen. Ich nehme den Hörer vom Ohr, und als er seine Predigt vollendet hat, sage ich nur, »melde dich, wenn wir zum ITV fahren«.

Nachdem die Kreativität durch Streitigkeiten verpufft ist und meine »Oma to go« noch warten muss, will ich kurz nach Garachico auf die Post und zum Einkaufen. Wie es mir gelingt, Franz bereits am frühen Morgen, also um zwölf Uhr, aus dem Haus zu locken, weiß ich nicht, aber er setzt sich gut aufgelegt ins Auto. Ein kleiner Spaziergang, nein, bitte nicht die gleiche Runde. »Lass uns über San Pedro gehen.« Er ist einverstanden. Wir gehen den Berg hoch, den die Kamele mit den Heiligen Drei Königen am 5. Januar runterkommen. Das ist immer ein theatralisches Spektakel mit Komparsen, Musik, Trommelwirbeln, Fackeln und vor allem glänzenden Kinderaugen. Diese Tradition ist so schön, dass bei unseren Kindern das Christkind weichen musste, und selbst meine Enkeltochter rennt, seit sie laufen kann, den Kamelen hinterher.

San Pedro ist ein verschlafener Ortsteil, dessen Häuser am Felsen kleben. Es ist heiß, der Himmel blau, Bilderbuchwetter. Die kleine Kirche ist offen. »Lass uns da reinschauen«, sage ich zu Franz. Als wir die Kirche betreten, sitzt dort wie eine kleine Heilige – Candelaria. Candelaria war die Lehrerin unserer Kinder in der kleinen Schule neben unserem Haus. Sie unterrichtete die Vorschulkinder, die erste und die zweite Klasse in einem Raum, jede Klasse hatte eine eigene Tafel. Es gab keine Bücher, die Kinder mussten alles selbst schreiben und malen. Candelaria hat lange, glatte und ganz akkurat geschnittene Haare und ein zierliches Gesicht. Sie wirkt so gar nicht autoritär, hatte aber ihre Zwerge durch Liebe im Griff. Ihre Art hat meine zwei Kinder so sehr geprägt, dass sich beide für den Lehrerberuf entschieden haben.

Ich setze mich in die Bank von Candelaria. Ihre Freude ist groß, als sie mich erkennt. Ich winke Franz herbei. Auch er freut sich übers Wiedersehen. Ein großes Stück bunter Vergangenheit ist bei uns allen präsent.

Wir ziehen weiter und Candelaria bleibt noch lange in unseren Gedanken. Vorbei an einer herrschaftlichen Finca, die ein Bordell gewesen sein soll und nun dem Verfall überlassen wurde. Ich bin ein paar Mal in diesem Haus gewesen, es war immer ein klein wenig unheimlich, aber ein wunderbares Anwesen, in dem die Zeit stehen geblieben ist. Ein Mann kommt uns entgegen, er wirkt, als sei er aus einem Bild der Sechzigerjahre gepurzelt: Die pomadisierten Haare zur Seite gekämmt, das weiß-braune Kurzarmhemd frisch gebügelt, dazu eine hellbraune Hose mit Gürtel und braune Lederschuhe. Der Mann passt so gar nicht in unsere Zeit und ich frage mich: Wo kommst du her, wo willst du hin? Er grüßt und geht eiligen Schrittes davon.

Wir wandern weiter und kommen nach anderthalb Stunden wieder ins Örtchen zurück. Ein Bier auf der Plaza, Kurzeinkauf und es geht heim. Santi ruft an. »Fährst du jetzt mit zum ITV?« Ich zögere kurz. »Du hast gesagt, du zahlst Sprit und Abnahme«, sagt er in meine Pause hinein. »Ja, ich bin in fünf Minuten bei der Werkstatt.« »Du bist mir aber nicht böse, wenn ich nicht mitkomme?«, fragt Franz zögerlich. Nein, bin ich nicht. Immerhin ist ihm heute bewusst, dass ich seine Autostory im Alleingang mache.

Ich steige in den Mercedes, Santi fährt los. Wir fangen wieder an zu diskutieren, über den Rost im Tank und die vielen Unannehmlichkeiten. Der Wagen fährt einwandfrei und liegt gut in den Kurven. Ich bin anhand seines flotten Fahrstils leicht angespannt. »Santi, wir wollen doch alle Frieden.« Und das will er auch. Das Gespräch entspannt sich.

Beim TÜV angekommen, halten wir beide die Daumen, dass keine Mängel auftauchen. Eine kurze Zitterpartie wegen der Abgase, aber dann, hurra! erhalten wir die Plakette. Ich rufe Franz an, er freut sich und ich lade Santi zum Essen ein.

Als ich heimkomme, versuche ich Franz doch noch zur Reise zu überreden. Nein, es war nie sein Traum, die Reise mit dem Auto. Außerdem ist Spanien zwar schön, aber doch nicht so, dass man das alles noch mal sehen müsste. »Mit dem Auto würdest du mitkommen. Aber fliegen würdest du nicht?«, fragt er mit großen Augen. Ich bejahe Ersteres und verneine Letzteres. Irgendwie süß, er will einfach nicht alleine reisen.