18. November Kleider haben doch Beine. Denn sie wandern ja auch ganz automatisch frisch gewaschen und ordentlich zusammengelegt wieder von oben nach unten. Ich lerne nie aus, stelle ich schmunzelnd fest. Während ich die Wäsche runtertrage, denke ich an die eben erhaltene Mail des Büros der Integrationsbeauftragten. Dies teilt mir mit, dass sie aufgrund der Vorgaben der Vergabestelle nun leider keine grundsätzliche Förderung aussprechen können, auch nehmen sie Abstand von weiteren Standorten, aber sie würden je zwei Vorstellungen in den aktuellen Orten sponsern und die Integrationsbeauftragte käme dann zu einer Vorstellung vorbei. Und so wurde von der ursprünglichen Summe eine Null gestrichen und es bleiben maximal siebenhundert Euro übrig. Sehr schlau gedacht, das ist kostengünstiger und fürs Foto reicht es. Tja, das hat man nun davon, wenn man nein zur Flüchtlingsgala sagt. Was muss ich auch immer so sozial angehaucht sein?
Als ich in die Küche komme, sagt Franz entschlossen: »Wir machen die Reise.« Ich nicke – heute so, morgen so. »Jetzt fahr erst einmal mit deinem Auto«, antworte ich. Aber heute hat er einen Plan: keine Großstädte, nur kleine Orte. Die mautfreie Strecke. Und natürlich nicht an der Küste entlang. Querfeldein bis hoch ins Baskenland. Auf den Spuren Hemingways.
Auch das ist mir recht und ich meine zu wissen, warum er das vorschlägt. Denn er hasst Großstadtverkehr und Parkplatzsuche. Schon bei unserer ersten, noch kinderlosen Reise konnten wir Porto nicht besuchen, weil er keinen Parkplatz fand. Also schaute ich nur beim Vorbeifahren sehnsüchtig auf die Küstenstadt. Das ist bei den kleinen Orten anders. Sehenswürdigkeit ist die Kirche am Marktplatz. Punkt. Mehr gibt’s dort nicht. Sicher auch lustig.
Paula lädt ein zu Apfelkuchen und Wanderung. Ihr Häuschen liegt hoch oben in den Bergen. »Es ist wie ein anderer Kontinent hier«, meint Franz, während er in den kleinen wilden Garten schaut. Ich lasse ihn träumen, wie wohl sein Leben als Dichter verlaufen wäre, wenn es uns statt an die Küste in die Berge verschlagen hätte. Nach fünf Stück herrlichem Apfelkuchen wandern wir los. Franz kündigt gleich zu Beginn an, dass er nicht weit gehen wird. Sein Knie. Ich weiß aber jetzt schon, dass er diesem einmaligen Weg bis zum Schluss folgen wird. Das Grün des Waldes hat etwas Verzauberndes. Der Boden ist weich und der kleine Pfad ist mit Steinen eingefasst. Man geht fünfundvierzig Minuten gemächlich aufwärts und dann öffnet sich plötzlich das »Tor zur Welt«. Die Landschaft ändert sich von einem Moment zum anderen. Zur Linken steht groß und mächtig der Montaña Negra, der Vulkan, der vor dreihundert Jahren Garachico verschüttet hat und aus der mächtigsten Hafenstadt der Insel ein Örtchen machte. Und gleich daneben, nach hinten versetzt, der gigantische Teide. Der Boden ist schwarz wie die Nacht und der Himmel dunkelblau darüber. Dazwischen stehen vereinzelt ein paar Pinien als grüne Farbtupfer. Es ist atemberaubend.
Wir wandern wieder bergab. Zehn Kilometer. Sein Rekord. Er findet es zwar schrecklich, wenn man ihn ständig fragt: »Geht’s noch, schaffst du’s noch?« Das erinnere ihn ans Alter und das hat etwas Diskriminierendes. Verstehe ich. Andererseits spielt er mehrfach auf meine Rundungen an. Somit werde auch ich täglich ans Alter erinnert. Da findet er es aber eher lustig. Ich nicht.
Wir beenden den Ausflug in einem wunderlichen Restaurant. Die Einrichtung wirkt wie eine Kulisse. Ein schreckliches Wandgemälde von Bauern mit gelber Ernte, dazu schwere Tische mit gepolsterten Stühlen, die Uhr, die Schilder, die Vorhänge und die Fässer an der Wand – nichts passt zusammen. Wir sind die einzigen Gäste. Es wird für uns aufgekocht und Akkordeonmusik aufgelegt. Es war ein besonderer Tag und darauf stoßen wir an. »Nach dem zweiten Glas schmeckt der Wein«, meint Paula. Und dem ist auch so.