19. November Nur in Notfällen wende ich sie an, dann, wenn ich loslassen muss: die Strichmännchen-Technik. Psychohygiene pur. Ich gehe in die Küche. »Santi hat angerufen und lässt fragen, ob außer deinem Namen noch was auf die Rechnung soll.« Franz macht eine Pause. »Wie teuer?« Sein Gesicht schaut verbittert aus. Ich schlucke. »Ich hab nicht nachgefragt und halte mich da raus, ihr regelt das schon«, flöte ich. »Das kann Streit bedeuten«, sprach der alte Häuptling und ich als Squaw bekomme das Flattern. Wenn Häuptling böse, dann richtig böse. Okay, dann muss eben das Ritual her. Ich male mich als Strichmännchen auf ein Papier, dann Franz, male um jeden von uns einen Sonnenkreis, wünsche jeweils »das Beste möge geschehen, was auch immer es sein möge«, dann um uns beide, verbinde die sieben Chakren durch Striche, schnappe mir eine Schere und durchtrenne – schnipp, schnapp – die Linien mit »danke, das war’s und ist erledigt«. Gleiches Prozedere mache ich mit Santi und gleich noch mal mit der Reise. Dann schnappe ich mir einen alten Blumentopf, Zündhölzer und verbrenne die Zettelchen auf meiner Terrasse. Eins ums andere. Ich schaue in die Flammen und mich erreicht nun innere Ruhe. Jedes Mal, wenn ich das Ritual mache, passiert etwas Besonderes. Wahrscheinlich einfach deshalb, weil ich den Fuß vom Gas nehme und abwarte.
»Ich bin fertig, wir können gehen«, ruft Franz von unten. Zusammentreffen der beiden Männer in der Werkstatt. High Noon. Ich warte, ob einer den Colt zieht. Aber nein, freundlich geben sie sich die Hand. Santi zeigt alle Teile, die er ersetzt, und erzählt, was er alles gemacht hat, ich übersetze und F. X. nickt. Dann holt Santi die Rechnung. Alles hat er einzeln aufgelistet. Endsumme dreitausend Euro. »Santi, Franz zahlt dir die Summe«, sage ich. Ob er das Geld cash haben kann, denn offiziell ist er eben nicht gemeldet und das Konto ist das seiner Mutter … während Santi stottert, beginnt Franz zu lachen, herzlich und verständnisvoll, und meint beruhigend, er gehe jetzt runter und hole das Geld. Also gehen wir, ein kleiner Whisky für F. X. und dann wieder zurück. Alles gut, Friedenspfeife.
Wir steigen in den Mercedes ein und Franz fährt los. Seine Gesichtszüge tanzen vor Freude. »Ich bin jetzt glücklich wie ein Kind«, sagt er am Steuer. Er genießt es sichtlich. Ich halte seine Begeisterung per Video fest und schicke es unseren Kindern: »Das ist euer Papa am Steuer!« All seine Ängste sind verflogen. Wir fahren zum Leuchtturm nach Buenavista. »Davon hab ich immer geträumt.« Happy, happy, happy. Der Wagen wird ausprobiert, rassig die Kurven genommen und die PS geben ihm seine Männlichkeit zurück – jedenfalls scheint es so. Nach diesem Triumph stellt sich nicht mehr die Frage, ob wir die Reise machen, nur das Wann. Demnächst also. Wir fahren quasi den ganzen Tag Auto. Und enden, wie könnte es anders sein, im Einkaufstempel. »Vielleicht kann ich dir heute etwas kaufen?«, fragt er zögernd. Oh ja, heute wünsche ich mir einen Handkoffer, ultraleicht und praktisch. Und er kauft sich ein Jackett, das ihm hervorragend steht.
Frisch gerüstet machen wir uns auf in den neuen Lebensabschnitt. Jedes Mal, wenn ich die Insel verlasse, komme ich als eine andere wieder – und umgekehrt. Teneriffa prägt.
»Du hast mich wieder ins Leben zurückgeholt. Ich habe ganz vergessen, verzweifelt zu sein«, sagt Franz zu mir. Ein schöneres Kompliment kann man nicht bekommen. Mission possible!