46. Eintrag Jetzt ist Disziplin angesagt, denn die Handschrift fordert vom Gedanken Reife. Wir sind seit fünf Stunden auf dem Schiff, und ich hab meine gute, alte Schreibmaschine auf der Insel gelassen und schreibe mit der Hand. Ich lass mich überraschen, wie lange ichs lesen kann und ob ichs überhaupt lesen kann. Zwei Nächte und ein Tag, achtzehnhundert Kilometer liegen vor uns. Ich bin glücklich!
Mit der Ex eine geräumige Kabine, zwei getrennte Betten, es ist 22:30 Uhr. Und sie schnarcht noch nicht.
Ich hab eine Flasche Whisky dabei. Schreiben und Whisky trinken und sich – keine falsche Scham! – wie Hemingway fühlen. (Hemingway war am längsten mein bewunderter Schreibgott, damals, als ich Bananen verpackt hab, Bauerntheater gespielt hab, Hilfsarbeiter auf dem Bau war und als Firmenbote durch München gerast bin und klar war, ich muss den Dichter träumen, denn ich werde nie einer.)
Ohne die Ex hätte ich nicht mal die Kabine gefunden und die Tür aufmachen könnte ich auch nicht. Man kriegt einen Code auf sein Handy, dann hält man dieses an das Türschloss; wenn man Glück hat, geht sie auf, wenn ich es versuche, bleibt sie zu. Aber ich verlass mich voll auf die Ex, so wie früher.
Ich bin irgendwie in den Eherhythmus gerutscht, die Lady mit dem Dekolleté, das hauptsächlich aus Fett und Falten besteht, ist wieder meine Frau und alles erinnert an glückliche Tage: Unsere Reisen waren unsere glücklichsten Zeiten. Für mich.
Ob es für sie auch glückliche Zeiten waren, weiß ich nicht. Sie musste ja fast alles tun und ich war dabei und hab gejammert, dass ich nicht schreiben kann, oder ich hab geschrieben und mich erst recht um nichts gekümmert. (Was ich zu viel an Selbstkritik hab, hat sie zu wenig – passt doch ganz gut!)
Ich hab die Flasche aufgemacht und mir ein Glas eingeschenkt in einen Plastikzahnbecher. Ich will ihr auch ein Gläschen anbieten, aber sie ist schon eingeschlafen. Ich proste ihr zu, lächle sie an und schau sie an, wie sie so daliegt, und denke, nicht ohne Wehmut, aber auch nicht verzweifelt, an die wunderbare „Frau von früher“. Und jetzt schnarcht sie.