Greifswald, 5. Oktober 2021

Vernehmung des KK Ernst Pfahls, Polizeiinspektion Anklam, Polizeihauptrevier Greifswald, in der Ermittlungssache Talvi Caster (KOK), Aktenzeichen 9 Js 451/21

»Das hatte ich so nicht erwartet. Ich glaube, wir haben Frau Caster alle unterschätzt. Mich hat sie auf jeden Fall sehr überrascht.

Sie war noch nicht lange bei uns in Greifswald, und ich werde auch nicht mehr lange da sein. Zwei Wochen, um genau zu sein. Ich könnte Ihnen auch sagen, wie viele Stunden noch. Das werden Sie in Ihrem Alter wohl nicht nachvollziehen können, Sie haben ja alles noch vor sich. Die Soko Fischerfest würde meine letzte sein, das war allen klar. Ganz ehrlich, diesen Fall hätte ich nicht mehr gebraucht, eigentlich hatte ich schon alles gesehen. Aber es kommt, wie es kommt. In der Landwirtschaft sagt man, das Wetter ist der Chef, bei der Polizei sind es die anderen.

Die Soko Fischerfest war aber ganz klar etwas für die jungen Kollegen. Daher hab ich mich zurückgenommen und den anderen den Rücken freigehalten. Auch dieser Fall war anders, wie jeder Fall, den ich mitgemacht habe.

Frau Caster hatte beste Voraussetzungen, als sie bei uns startete. Da war viel theoretisches Wissen und echte Begeisterung für die Praxis. Ich mochte sie und habe sie unterstützt, wo ich konnte. Sie hat eine ganz andere Art zu arbeiten mitgebracht, das war nach meinen Jahrzehnten in der Routine eine Herausforderung. Aber sie hat es uns leicht gemacht, ihr zu folgen.

Uns als Team hatte sie gut im Griff, denke ich. Sie wusste einfach, wie sie mit jedem umgehen musste. Ob sie bei der Bergmann-Nachfolge dabei war, ob sie sich beworben hatte und eine Chance hatte, das weiß ich nicht. Ehrlich gesagt haben Frauen hier wohl einen eher schlechten Stand. KHK Bergmann ist mit der Staatsanwaltschaft häufig aneinandergerasselt, sie war nicht einfach. Aber erfolgreich. Das ist so im Leben, das kann ein alter Mann bestätigen.

Nein, ihr Aussehen hat mich nicht gestört. Klar, an ihrem ersten Tag habe ich mich wohl genauso erschreckt wie alle anderen. Wir waren ja nicht darauf vorbereitet worden. Ich habe mich furchtbar blamiert, denke ich, und habe noch am gleichen Tag mit ihr gesprochen, wollte nicht, dass etwas für meine letzten Wochen zwischen uns steht. Sie hat ganz lieb reagiert, und seitdem war alles gut zwischen uns. Sie könnte ja fast meine Enkelin sein, vom Alter her.

Nein, eine Vaterfigur bin ich nicht gewesen, hoffe ich. Sie hat auch nie etwas Privates erzählt, nichts von sich oder ihrer Familie. Auch nicht, wie es zu ihrer Verletzung kam. Ich weiß nur, dass es bei einem Fall passiert ist und dass sie lange außer Dienst war.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie das alles bald abschließen können, auch wenn das sicher noch länger dauert als meine zwei Wochen. Das ist bei internen Ermittlungen so, das war früher auch so, auch vor der Wende. Da war ich auch schon dabei, bei der K, so sagte man damals. Ein Buchstabe reichte, um sich Respekt zu verschaffen. Heute kann es gar nicht ausführlich genug sein. Wir hatten keine PCs und kein Handy, erst recht kein Smartphone oder WhatsApp. Wir haben uns mit den Menschen beschäftigt und versucht, die Menschen zu verstehen. Heute kommen die Menschen zu kurz, Bürokratie und Papierkram gehen vor, keiner traut sich mehr, ein Bauchgefühl zu haben. Das ist nicht mehr meine Welt. Ich freue mich auf den Schrebergarten.«