5. KAPITEL

„Also, wie ist der Abend gelaufen?“

Als Blossom am nächsten Morgen zum Frühstück herunter kam – ziemlich spät, weil sie bis zum Morgengrauen wach gelegen hatte –, saß Melissa allein am Küchentisch.

„Greg ist mit den Kindern im Park“, erklärte ihre Schwester und schenkte ihr einen Becher Kaffee ein. „Wir sind also ganz unter uns.“

Blossom musste lächeln. Schon als Kind hatte sie Melissa immer durchschaut. Deshalb hegte Blossom keinerlei Zweifel daran, dass Melissa Greg und die Kinder ganz bewusst fortgeschickt hatte, damit sie alles über den Abend mit Zak erfahren konnte. Andererseits musste sie sowieso jemandem ihr Herz ausschütten, und wer war da besser geeignet als ihre Zwillingsschwester, die sie liebte und nur das Beste für sie wollte?

Dennoch trank Blossom erst einmal einen Schluck heißen Kaffee, ehe sie antwortete: „Das hängt davon ab, wie du es betrachtest.“

„Oh, nein.“ Melissas große braune Augen verengten sich. „Ich wusste es. Er gefällt dir, richtig?“

„Nein. Ja. Ich meine …“ Blossom verstummte. Was meinte sie denn eigentlich? Sie wäre wirklich froh gewesen, wenn sie das gewusst hätte. „Das Essen war fantastisch, er war fantastisch, und er wollte mich wiedersehen“, erklärte sie nüchtern. „Darauf habe ich geantwortet, dass das keinesfalls infrage käme, und wir sind unter … etwas schwierigen Umständen auseinandergegangen.“

„Schwierig?“ Melissa steckte zwei Scheiben Brot in den Toaster und wandte ihre Aufmerksamkeit dann wieder voll und ganz ihrer Schwester zu. „Schwierig wie peinlich, unangenehm oder eher wie handfester Streit?“

„Nein, nein, kein Streit.“ Blossom schob sich müde die Haare aus der Stirn. Sie hatte nur drei Stunden Schlaf gehabt und war fix und fertig. „Aber unangenehm, ja. Für mich jedenfalls.“

Die Brotscheiben sprangen nach oben. Melissa butterte den Toast und schob Blossom den Teller zusammen mit drei Gläsern Marmelade hin. Natürlich alle selbst gemacht. „Iss erst mal, und dann reden wir weiter. Du siehst furchtbar aus.“

An diesem Tag wäre Blossom ohne die unverblümte Offenheit ihrer Schwester ausgekommen. Den Toast aß sie betont langsam, doch irgendwann konnte sie das Gespräch nicht länger aufschieben. Melissa wurde bereits ungeduldig.

Als Blossom gerade den letzten Bissen in den Mund schob, nahm ihre Schwester gleich den Teller fort und beugte sich vor. „Also los, erzähl schon.“

Und das tat sie. Blossom erzählte alles, inklusive ihrer Gedanken und Gefühle.

Als sie geendet hatte, saßen sie sich einen Moment lang schweigend gegenüber, dann meinte Melissa: „Oh, Blossom. Ich wünschte nur, es wäre ein etwas … normalerer Mann, der das in dir auslöst. Denn das ist Zak nicht, stimmt’s? Er ist kein ganz gewöhnlicher Durchschnittsmann.“

„Nein, das ist er nicht“, gab Blossom wehmütig zu.

„Und selbst wenn du darüber nachdenken würdest, ihn wiederzusehen – was du natürlich nicht tust –, es würde nicht funktionieren, nicht wahr?“

„Nein, das würde es nicht.“

„Ich bin keine große Hilfe, oder?“, fragte Melissa traurig.

„Nein.“ Einen Moment lang schauten sie sich mit hilflosen Mienen an.

„Aber immerhin hat das Ganze auch etwas Gutes“, sagte Blossom dann. „Es hat mir einmal mehr bestätigt, dass ich auf jeden Fall Single bleiben möchte.“

„Hat es das?“, fragte Melissa enttäuscht. „Oh, bitte sag das nicht.“

Blossom lächelte. Sie konnte nicht anders. Natürlich wusste sie ganz genau, dass ihre Schwester sich nichts Schöneres vorstellen konnte als Tante zu werden. „Ich will keinen Mann in meinem Leben. Ich bin vollkommen zufrieden allein.“ Ihr Blick hielt dem von Melissa stand. „Okay? Aber da ist eine Sache. Und die ist mir wirklich wichtig.“

„Was?“

„Ich möchte, dass du und Greg mir versprecht, dass ihr nichts über Dean erzählt, sollte Zak fragen. Ich meine, ich glaube nicht, dass er es tun wird“, fügte sie hastig hinzu. „Nur, falls doch. Es ist besser, wenn er mich für eine Karrierefrau mit Leib und Seele hält. Was ich ja auch bin“, setzte sie noch rasch hinzu. „Du weißt das besser als jede andere.“

„Natürlich bist du das“, stimmte Melissa zerstreut zu. „Aber was, wenn Greg etwas herausrutscht? Du weißt doch, wie er ist.“

„Sieh zu, dass das nicht passiert“, erwiderte Blossom grimmig. „Ich meine es ernst. Hämmere es ihm ein, bevor er wieder zur Arbeit geht.“

Melissa nickte wenig überzeugend.

„Und falls – was ich wie gesagt nicht erwarte – Zak meine Telefonnummer oder dergleichen haben will, soll Greg irgendeine Entschuldigung vorbringen. Nein, noch besser – er kann sagen, dass er mir versprochen hat, sie nicht herauszugeben.“

„Also gut.“ Melissa seufzte schwer und blickte Blossom in die Augen. „Ich hätte nie geglaubt, dass ich jemanden so sehr hassen kann, wie ich Dean hasse. Du weißt, dass ich ihn nie gemocht habe, aber jetzt hasse ich ihn richtig.“

„Verschwende nicht deine Energie. Er ist es nicht wert.“ Zum ersten Mal seit der Scheidung stellte Blossom fest, dass sie jedes Wort so meinte. Dean war abgehakt.

Fünf Tage später kehrte Blossom in ihr Londoner Apartment zurück, und in dieser Zeit hatte sie nichts mehr von Zak Hamilton gesehen oder gehört. Was gut war. Genau das, was sie wollte. Jedenfalls redete sie sich das mehrmals am Tag ein.

Außerdem zählte sie sich auf, dass es eine ganze Menge Dinge gab, für die sie dankbar sein musste. Ihre Arbeit als Fotografin war gefragter denn je, sie hatte keinerlei finanzielle Sorgen, sie war jung und gesund und eigenständig. Sie musste niemandem Rechenschaft ablegen, und das war ein großer Vorteil.

Sie konnte tun und lassen, was sie wollte: Jobs annehmen, die ihr gefielen, und andere ablehnen. Reisen oder zu Hause bleiben. Im Morgengrauen aufstehen oder den ganzen Tag im Bett verbringen. Die Liste war endlos.

Nach einer Woche wiederholte sie sich die Liste nicht mehr jeden Morgen vor dem Aufstehen. Nach zwei Wochen ging sie sie kaum noch durch, und als ein Monat vergangen war, da war sie wieder ganz die Alte.

Beinahe. Zu ihrer Verärgerung musste sie feststellen, dass sie tagsüber noch so stark und engagiert sein konnte – ihre Träume nachts führten ein Eigenleben, sie waren angefüllt mit dunklen Schatten und vagen Gefühlen. Ständig schien sie nach etwas Unerreichbarem zu suchen.

Mitte August setzte eine wahre Hitzewelle ein. Zur Mittagszeit und an den warmen Abenden waren die Londoner Parks voller Menschen, die das ungewöhnlich heiße Wetter genossen. Es war jetzt fünf Wochen her, dass Blossom in die Hauptstadt zurückgekehrt war. Seitdem hatte sie jeden Tag bis zum Umfallen gearbeitet, einschließlich der Wochenenden.

Sie sagte sich, dass sie ihren anregenden Job eben liebte, außerdem konnte sie es sich in ihrer Branche nicht erlauben, sich auf ihren Lorbeeren auszuruhen. Und das stimmte auch. Aber Blossom war nicht bereit, näher zu ergründen, warum sie jeden Augenblick des Tages mit Arbeit ausfüllte – sie wollte sich lieber nicht ihren Dämonen stellen.

An einem Freitagabend legte sie gerade die letzten Meter von der U-Bahn zu ihrer Wohnung in einem viktorianischen Reihenhaus in Mayfair zurück. Sie gestand sich ein, wie froh sie darüber war, dass das lange Wochenende vor ihr lag, an dem sie nichts anderes tun musste als essen und schlafen.

Beides hatte sie in letzter Zeit zu sehr vernachlässigt, was jedoch auch seine Vorteile hatte: Immerhin hatte sie den kleinen Rettungsring verloren, den sie seit Weihnachten um die Taille getragen hatte.

„Hallo, Blossom.“ Die männliche Stimme klang sehr tief, und der leichte Akzent verlieh ihr den rauen Unterton, an den sie sich so gut erinnerte.

Sie drehte sich ganz langsam zu Zak um – sie schien nicht in der Lage, denken zu können.

Sein Gesicht wirkte vollkommen ausdruckslos, während er weiterhin an der Wand des Nachbarhauses lehnte. Sie musste direkt an ihm vorbeigelaufen sein.

„Hallo“, sagte sie schließlich.

„Du bist nicht gerade leicht zu finden.“ Er streckte sich und schob die Hände in die Taschen.

„Wie bitte?“

„Ich konnte Greg nicht dazu überreden, mir deine Nummer zu geben, und du stehst nicht im Telefonbuch. Aber das weißt du ja.“

Sie starrte ihn an. „Greg hat genau das getan, worum ich ihn gebeten habe“, erklärte sie ruhig.

„Ich weiß.“ Er lächelte. „Seine Loyalität beeindruckt mich.“

Blossom schluckte schwer. „Warum bist du hier, Zak?“

Er hob eine Augenbraue. „Du weißt, warum ich hier bin, Blossom.“

„Wirklich?“ Sie konnte nur hoffen, dass sie kühl und souverän wirkte, aber sie spürte, wie sehr ihre Wangen brannten, und bezweifelte es. Bevor sie Zak kennengelernt hatte, war sie nie errötet.

„Oh, ja.“ Er nickte, und in seinen Augen funkelte es amüsiert, was einmal mehr bewies, dass er seine Gefühle gut unter Kontrolle hatte. „Wir sind noch nicht fertig miteinander, meinst du nicht auch?“

„Nein, das meine ich nicht. Soweit ich mich erinnere, sind wir mehr als fertig.“

„Wenn du willst, kannst du ganz schön abschreckend sein“, bemerkte er interessiert. „Kommt er ganz von alleine oder übst du diesen hochmütigen Blick jeden Tag vor dem Spiegel?“

Allein seine Größe und die Breite seiner Schultern erzeugten Schmetterlinge in ihrem Bauch, doch sie wäre eher gestorben als das zuzugeben. „Sei nicht albern“, sagte sie kalt.

„Du bringst mich dazu. Du bringst mich dazu, dass ich am liebsten etwas ganz Unverschämtes sagen würde, etwas Schockierendes, um hinter diese Maske schauen zu können, die du der Welt präsentierst.“

Ihre Augen weiteten sich kurz. „Es gibt keine Maske.“

„Oh, doch, es gibt sie, und sie ist aus Stahl. Ich hätte dich wirklich gern vor fünf Jahren kennengelernt, ehe sie an ihrem Platz war. Um die Frau zu sehen, die du damals warst.“

Es dauerte einen Moment, bis sie die volle Bedeutung seiner Worte begriff. „Wie hast du es herausgefunden?“, fragte sie eisig. Er wusste offensichtlich von Dean.

„Nicht von deiner Schwester oder von Greg, falls du das denkst. Aus beiden habe ich kein Sterbenswörtchen herausbekommen.“

Er hielt den Blick unverwandt auf sie gerichtet, ganz so, als fürchte er, sie würde andernfalls flüchten. Vielleicht lag er mit dieser Annahme gar nicht mal so falsch.

„Glücklicherweise kann man mit Geld und Entschlossenheit in dieser Welt beinahe alles bekommen. Ich verfüge über beides, und ich nutze es, wenn es nicht anders geht.“

„Na, bravo!“ Ein schwacher Kommentar, doch es war das Einzige, was ihr einfiel. „Dann weißt du es jetzt also.“ Sie wich seinem Blick nicht aus, obwohl sie spürte, wie sie innerlich immer kleiner wurde. „Dass du es weißt, ist mir egal. Es ändert gar nichts.“

„Vielleicht nicht, aber es bestätigt mir, dass du nur das gesagt hast, was ich glauben sollte. Nur der Grund für deine Doppelzüngigkeit war mir nicht klar.“

Blossom hatte das Gefühl, eine Ohrfeige erhalten zu haben. „Ich habe dich nicht angelogen. Meine Karriere ist das Wichtigste in meinem Leben.“

„Sagen wir mal, du bist mit der Wahrheit sehr sparsam umgegangen.“

„Wie kannst du es wagen?“ Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal so wütend gewesen war. „Ich bin nicht verpflichtet, dir irgendetwas zu erzählen.“

„Das stimmt.“ Er bewegte sich ganz schnell und ergriff ihre Hände, damit sie sich nicht abwenden konnte. „Du bist zu nichts verpflichtet.“

Die Kraft seiner Arme, seine Männlichkeit, war erregend und bedrohlich zugleich. „Lass mich los“, forderte sie gepresst. Sie kämpfte nicht, denn das wäre sinnlos gewesen. „Lass mich sofort los!“

„Nur wenn du mir versprichst, mit mir zu reden.“

Obwohl er das sagte, ließ er sie los. Das Gefühl seiner Hände, die sich um ihre schlossen, wirkte jedoch noch eine ganze Weile nach, und es dauerte ein paar Sekunden, bis sie ihre Emotionen so weit unter Kontrolle hatte, dass sie antworten konnte.

Sie holte einmal tief Luft und schaute ihn betont kühl an. „Ich denke nicht, dass wir uns irgendetwas zu sagen haben.“

„Falsch.“ Seine Stimme klang sanft. „Wir haben eine ganze Menge zu bereden.“

Jetzt, wo er hier war, würde er nicht so schnell verschwinden, das stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. „Du bist wirklich der nervtötendste Mann, den man sich vorstellen kann“, beklagte sie sich viel schwächer, als ihr lieb war.

„Ich weiß.“ Es war beinahe so, als hätte sie ihm damit ein Kompliment gemacht.

„Würdest du einen Mann genauso tyrannisieren wie mich?“, fauchte sie, denn seine Selbstzufriedenheit ging ihr gehörig auf die Nerven.

„Natürlich.“ Sein Blick war belustigt, auch wenn sein Mund vollkommen ernst wirkte. „Allerdings habe ich noch nie einen Mann bedrängt, mit mir auszugehen – und auch keine Frau, wenn ich recht darüber nachdenke.“

Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „Im Gegensatz zu dir halte ich nichts von Chauvinismus. Du hattest seit deiner Scheidung kein Date mehr. Du besitzt einen Kreis enger Freunde, doch keiner davon ist männlich, und du stehst in dem Ruf, jeden Mann zu vergraulen, der sich dir nähert. Was auch immer zwischen dir und deinem Ehemann vorgefallen ist – meine Quellen haben mich darüber informiert, dass er ein wahrer Mistkerl gewesen sein muss.“

Seine ruhige Stimme hatte sich bei diesen Worten merklich verhärtet. „Mittlerweile beurteilst du alle Männer wie ihn. Richtig?“ Er hob eine Augenbraue. „Und runzle nicht so die Stirn, das gibt Falten.“

Blossom starrte ihn wütend an. „Du weißt überhaupt nichts von mir.“ Das stimmte nicht ganz, dachte sie bereits in dem Moment, in dem sie die Worte aussprach. Unglücklicherweise schien er nämlich eine ganze Menge über sie herausgefunden zu haben.

„Du willst also leugnen, dass du die komplette männliche Spezies als nicht vertrauenswürdig einstufst?“

Da kannst du drauf wetten, dass ich das tue! „Natürlich leugne ich das.“ Sie wünschte, ihr Ton würde noch verächtlicher klingen. „Wahrscheinlich rührt deine Annahme daher, dass ich mich geweigert habe, dich wiederzusehen. Meiner Erfahrung nach brauchen Männer nämlich eine Entschuldigung, wenn ihr Ego angegriffen wurde.“

„Wirklich?“ Zak lächelte völlig unbekümmert. „Das kann ich nicht beurteilen, denn ein solch harsches Schicksal habe ich noch nicht erlitten. Es klingt allerdings recht … schmerzhaft.“

Blossom gab es auf. „Ich habe keine Lust, das weiter auf der Straße zu diskutieren. Möchtest du auf einen Kaffee hereinkommen?“, fragte sie in einem Tonfall, der deutlich machte, dass das Angebot nicht ganz freiwillig erfolgte.

„Ja, das würde ich sehr gern, Blossom“, antwortete er verdächtig mild. „Wie freundlich von dir.“

Sie warf den Kopf herum, wandte sich ab und ging die zwei Stufen zur Eingangstür hinauf, die sie rasch aufschloss. Sie schaute nicht einmal nach, ob er ihr folgte. Eine Treppe führte zu den oberen Wohnungen, doch ihr Apartment befand sich im Erdgeschoss. Als sie die Tür geöffnet hatte, sagte sie steif: „Komm bitte herein.“ Sie beobachtete, wie er sich neugierig umschaute.

„Du hast eine sehr hübsche Wohnung. Gemütlich, hier kann man sich bestimmt gut erholen.“ Er nickte beifällig.

„Danke.“ Sie erläuterte nicht, dass das genau die Atmosphäre war, die sie mit der Einrichtung beabsichtigt hatte.

Von der Eingangstür gelangte man direkt in das große Wohnzimmer, auf dessen hellem Holzfußboden dicke cremefarbene Teppiche lagen. Denselben Farbton hatten die Vorhänge an den großen Fenstern.

Nach der schmerzhaften Erfahrung mit Dean hatte sie das Apartment komplett umgestaltet. Dabei war es ihr wichtig gewesen, einen Eindruck von Licht, Wärme und Frieden in den begrenzten Räumlichkeiten zu schaffen. Ein paar wunderschöne französische Antiquitäten, die sie von ihren Eltern geerbt hatte, zierten den Wohnbereich.

Zak ging zu ihrem Lieblingsstück hinüber, einem filigranen Spiegel, der über dem Originalkamin hing, den der Besitzer des Hauses Gott sei Dank bei der Umwandlung in Apartments erhalten hatte.

„Der ist ja fantastisch.“ Mit einem Finger strich er über den reich verzierten Goldrahmen. „Er sieht echt aus.“

„Das ist er auch.“ Es war lächerlich, wie sehr sie sich über seine Bemerkung freute. „Er gehörte meinen Eltern, zusammen mit einigen anderen Stücken.“

„Und der Garten?“ Er schaute durch die großen Flügeltüren in den kleinen begrünten Innenhof, dessen Ziegelmauern mit Lampen und Pflanzenkübeln geschmückt waren. In der Mitte des Rasens stand ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen. „Wird er gemeinsam benutzt?“

„Nein, er gehört mir allein. Die anderen beiden Apartments haben jeweils einen Balkon. Der Garten ist klein, aber ich liebe ihn. Vom Frühling bis Herbst esse ich immer draußen.“ Ganz plötzlich verstummte sie. Sie gab zu viel von sich preis. Er wusste bereits viel zu viel über sie. „Ich mache den Kaffee, oder möchtest du lieber etwas Kaltes trinken oder ein Glas Wein?“, fragte sie mit einstudierter Höflichkeit.

Zak zuckte die Achseln. „Ich nehme das, was du nimmst.“

Sie konnte kaum glauben, dass er tatsächlich in ihrer Wohnung stand. Zum ersten Mal seit fünf Wochen fühlte sie sich wieder richtig lebendig. Dieser Gedanke kam ihr im selben Moment, in dem die innere Stimme flüsterte: Er ist gefährlich. Vergiss das nicht.

„Wie wäre es mit einem Weißwein? Ich habe eine Flasche im Kühlschrank“, sagte sie in Anbetracht der Umstände mit bewundernswerter Ruhe.

„Großartig. Darf ich die öffnen?“ Er deutete auf die Flügeltüren. „Der Garten sieht so einladend aus.“

„Nur zu.“

Blossom flüchtete in die Küche und öffnete die Flasche mit zitternden Fingern. Als sie ins Wohnzimmer zurückkehrte, saß Zak draußen am Gartentisch, die Beine übereinandergeschlagen, den Kopf in den Nacken gelegt, um die letzten Sonnenstrahlen des Tages zu genießen.

Als sie ihm das Glas reichte, nahm er einen großen Schluck. Blossom stellte außerdem eine Schale mit Erdnüssen und mit Oliven auf dem Tisch ab, ehe sie sich setzte.

„Zak, ich will nicht unhöflich sein“, begann sie sofort, „aber mittlerweile müsstest du wissen, dass ich ein hoffnungsloser Fall bin.“ Sie lächelte, während sie sprach. Ihre Stimme klang ganz leicht und unbeschwert. In der Küche hatte sie nämlich beschlossen, dass das die Taktik war, die sie anwenden würde – beiläufig, amüsiert, nonchalant zu klingen.

Doch Zak ging darauf gar nicht ein, stattdessen fragte er: „Was tust du, um zu entspannen, Blossom – in den wenigen Augenblicken, in denen du nicht arbeitest?“

„Entspannen?“ Er hatte sie überrumpelt. Sein Sarkasmus behagte ihr ganz und gar nicht.

„Du entspannst doch hin und wieder mal, oder?“, fragte er spöttisch.

„Natürlich tue ich das. Oft.“ Hastig trank sie einen Schluck Wein.

„Wann?“ Er schaute sie unverwandt an. „Wann genau?“

„An jedem Abend, den Wochenenden …“ Noch ein Schluck Wein. Sie brauchte irgendetwas, woran sie sich festhalten konnte. Der kleine Garten war von seiner Männlichkeit erfüllt. „Es sind dieselben Gelegenheiten, an denen wohl auch die Mehrheit der anderen Menschen entspannt. Ich bin ganz normal, egal, was du denken magst.“

Er ignorierte den kleinen Stich. „Und was tust du, um zu relaxen?“

Jetzt reichte es ihr. Sie hatte genug von diesem Verhör. An den Fingern zählte sie auf: „Klettern, Gleitschirmfliegen, Kanufahren, Judo, Höhlenforschung.“ Sie verengte die Augen, so als müsse sie nachdenken. „Ach ja, und natürlich darf ich nicht vergessen Yoga, Töpfern, Malen, Häkeln …“

„Nein, tut mir leid, beim Häkeln kann ich mir dich wirklich nicht vorstellen“, unterbrach Zak sie breit lächelnd. „Was allerdings das Klettern und Gleitschirmfliegen anbelangt …“

Gegen ihren Willen musste Blossom auch lächeln. „Na, was meinst du denn, was ich tue?“, fragte sie irritiert. „Ich lese, gehe ins Kino, ins Theater, ins Fitnessstudio …“

„Ganz allein?“

„Daran ist nichts Verwerfliches. Außerdem habe ich Freunde, eine ganze Menge. Natürlich gehe ich hin und wieder mit ihnen aus.“

„Das ist schön.“ Er warf ihr einen Blick über den Rand seines Glases hinweg zu.

Am liebsten hätte sie mit dem Fuß aufgestampft. Stattdessen trank sie einen weiteren Schluck Wein, ehe sie sagte: „Ich bin absolut zufrieden mit meinem Leben, so wie es ist. Ich bin gerne für mich.“

„Melissa macht sich Sorgen um dich, weißt du das?“

Im ersten Moment konnte sie nicht glauben, dass er das gesagt hatte. Plötzlich setzte sie sich aufrechter hin, und ihre Stimme klang geradezu eisig. „Ich glaube nicht eine Sekunde lang, dass meine Schwester mit dir über mich redet.

Das würde Melissa nie tun.“ „Du hast recht, das hat sie auch nicht. Es war etwas, was Greg herausgerutscht ist.“

„Greg? Ha!“ Sie starrte ihn an. „Tut mir leid, wenn ich das sage, aber Greg mag ja bei der Arbeit ein wahres Genie sein – ich bin sogar sicher, dass er das ist –, aber sich mit der menschlichen Psyche auseinanderzusetzen ist absolut nicht sein Ding. Alles, was nicht entfernt mit Elektronik zu tun hat, vergisst er innerhalb von fünf Minuten. Melissa muss ihm praktisch die Schuhe zubinden.“

„Was nur beweist, wie groß die Sorge deiner Schwester sein muss, wenn sogar er es mitbekommt, meinst du nicht?“

Der Mann hatte auch auf alles eine Antwort. Blossom leider nicht. Im Moment konnte sie ihn nur sprachlos anstarren.

Zak beugte sich über den Tisch und berührte sanft ihre Wange. „Ich versuche hier nicht, das letzte Wort zu haben“, murmelte er. „Ganz im Gegenteil. Aber genau wie Melissa bin ich der Ansicht, dass du dich wieder dem wahren Leben zuwenden musst. Niemand kann auf Dauer in einer Seifenblase leben, Blossom. Ich habe das selbst eine Zeit lang probiert, deshalb weiß ich, wovon ich rede.“

Bitte tu das nicht. Sei nicht zärtlich und warm. Mit sarkastisch und streitsüchtig kann ich umgehen, aber nicht damit. Diese andere Seite an ihm war mehr als beunruhigend. Und gefährlich sexy. Um ihre Schwäche zu überspielen, höhnte sie: „Jetzt sag bloß nicht, du bist der Mann, der mir dabei helfen kann, mich wieder dem wahren Leben zuzuwenden!“

Im ersten Moment herrschte Schweigen. Er ließ seine Hand sinken. Dann, ganz langsam, erwiderte er: „Mir ist vollkommen klar, wie du mich siehst, Blossom. In deinen Augen bin ich ein egoistischer Macho, richtig? Ein Mann, der so sehr von sich überzeugt ist, dass er mit einer Frau nach der anderen ausgeht. Oberflächlich, ohne moralische Grundsätze.“

Blossom wusste nicht, wie sie darauf reagieren sollte. Es lag nicht in ihrer Natur, jemanden bewusst zu verletzen, doch wenn sie ganz ehrlich war, konnte sie seine Aussage nicht bestreiten. Sie traute ihm keinen Zoll über den Weg. Egal, was er behauptete.

„Deshalb ist es an mir, dir zu beweisen, dass du dich täuschst“, erklärte er ruhig.

Abrupt riss sie den Kopf hoch und begegnete seinem kühlen Blick. Es lief ganz und gar nicht so, wie sie sich das vorgestellt hatte.

„Ich habe Frauen gehabt, das bestreite ich nicht, aber bei Weitem nicht so viele, wie es die Gerüchteküche behauptet. Mein Gott, wenn ich derart aktiv gewesen wäre, dann wäre ich jetzt nur noch ein Schatten meiner selbst.“

Endlos lange schaute er ihr in die Augen, ohne jede Spur von Belustigung.

„Das ist nicht witzig, Zak“, sagte sie schließlich mit einiger Mühe.

„Absolut richtig, das ist es nicht.“

Er stand auf, und im ersten Moment dachte sie, er würde gehen. Stattdessen zog er sie in seine Arme und küsste sie ausgiebig. Sie wusste, dass sie sich wehren müsste. Es war völlig verrückt, es nicht zu tun. Also, warum tat sie es nicht – weil es gut war, sich wieder als Frau zu fühlen?

Ein übermächtiges Verlangen ergriff sie, sich an ihn zu pressen, die Hände unter sein Hemd zu schieben und die festen Muskeln seines Oberkörpers zu erforschen. Am liebsten wollte sie mit ihm verschmelzen.

Ob er ihre Panik spürte oder nicht, jedenfalls schob er sie im nächsten Augenblick ein Stück von sich fort und schaute sie eindringlich an.

„Behaupte jetzt bloß nicht, das hätte nicht die richtigen Saiten in dir angerührt, denn ich weiß ganz genau, dass es das hat“, sagte er sanft. „Wir müssen uns nur berühren, und schon stehen wir in Flammen. Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber mir gefällt das. Immerhin ist es das, was die Welt bewegt.“

Sie zuckte nur die Achseln. Mehr brachte sie nicht zustande.

„Ich bin achtunddreißig, Blossom. Ich habe vor langer Zeit aufgehört, Spielchen zu spielen. Dazu fehlt mir die Geduld. Ich mag dich. Ich will dich häufiger sehen. Viel häufiger.“

Obwohl es warm war, zitterte sie.

„Zwischen uns ist etwas, ob dir das nun passt oder nicht. Akzeptierst du das?“, fragte er und schaute sie unverwandt an. „Dumme Frage. Du kannst es nicht leugnen.“

Sie zögerte, dann erwiderte sie hilflos: „Ich bin nicht dein Typ.“

„Ach ja? Was ist denn mein Typ? Klär mich auf!“

Sie hatte einen wunden Punkt getroffen, das erkannte sie an der Art und Weise, wie er die Lippen zusammenpresste. „Frauen, die kein Problem damit haben, eine unverbindliche Affäre einzugehen, nach deren Ablauf man einfach wieder getrennte Wege geht.“ Schöne, elegante, aufregende Frauen mit dem gewissen Etwas.

Er nickte unverbindlich, ehe er entgegnete: „Und was ist dein Typ?“

„Ich habe keinen Typ“, versetzte sie rasch. Es empörte sie, dass er ihr das zutraute. „Ich betrachte Menschen nicht auf diese Weise.“

„Aber ich tue es, ja?“ Er lächelte, doch nicht mit den Augen. „Da ist er wieder – dein hässlicher weiblicher Chauvinismus. Doch zu deiner Information, Blossom: Die einzige Erwartung, die ich an eine Frau stelle, ist die, dass sie echt ist. Authentisch. Von der anderen Sorte gibt es viel zu viele in der Welt, in der ich lebe.“

Er schaute sie durchdringend an. „Gib mir eine Frau, die offen und direkt ist, die sagt, was sie denkt, egal ob mir das nun gefällt oder nicht, die sich nicht um mein Bankkonto schert oder um die Tatsache, dass ihre Aktien steigen, wenn sie an meinem Arm gesehen wird. Du erfüllst alle Punkte, besonders die Tatsache, dass du sagst, was du denkst“, fügte er trocken hinzu.

Sollte sie ihm glauben? Würde ein Mann wie er tatsächlich die blonde Sexbombe stehen lassen und sich dem ehrlichen Mädchen von nebenan zuwenden?

„Natürlich bietest du zudem noch den Vorteil, eine schöne, sinnliche, intelligente Frau zu sein, die all die Qualitäten besitzt, die ich zuvor erwähnt habe.“

Für einen Moment war sie beinahe geneigt, ihm zu glauben. Wärme durchströmte sie, und sie leckte sich über die plötzlich trockenen Lippen. Wenn das ein Anmachspruch war, dann war er echt gut. Aber schließlich war Zak in allem gut.

„Was ich damit sagen will, Blossom, ist, dass ich mir wünsche, dass wir uns näher kennenlernen, okay?“ Wieder zog er sie in seine Arme, doch diesmal hielt er sie leicht an den Ellbogen, sodass sie jederzeit von ihm abrücken konnte, wenn sie das wollte. „Wir können es ganz langsam angehen. Schließlich sind wir beide reife Erwachsene und haben keine Eile. Ich akzeptiere, dass du nach deiner Scheidung vorsichtig geworden bist, was Männer angeht. Das ist in Ordnung. Ich schlage nicht vor, dass wir hier und jetzt ins Bett springen. Das Körperliche kann warten, bis du dazu bereit bist.“

Oh, was sollte sie bloß tun? Was sollte sie sagen? Alles in ihr war in Aufruhr, sie war so verwirrt, dass sie am liebsten in Tränen ausgebrochen wäre. „Ich … ich möchte mich setzen.“ Sie musste sich von ihm distanzieren. Sie konnte einfach nicht klar denken, wenn er sie in seinen Armen hielt. Auch wenn seine Berührung noch so leicht war.

Sobald sie saß, nahm auch Zak Platz.

Sein Blick ruhte unverwandt auf ihrem Gesicht. „Ich denke, es ist nur fair, dir zu sagen, dass ich nicht vorhabe, aufzugeben, egal, was du mir antwortest“, erklärte er ruhig. „Eine so starke Anziehungskraft wie die zwischen uns ist sehr selten, und ich wäre der größte Narr, wenn ich dich ohne Kampf gehen lassen würde. Ich will dich kennenlernen – ich will, dass du mich kennenlernst. Auf diese Weise können wir eine reife Entscheidung für die Zukunft treffen.“

„Das klingt ganz schön kaltblütig und abgeklärt“, versetzte Blossom schwach.

„Kaltblütig? Überhaupt nicht. Meine Quellen haben mir verraten, dass du deinen Ehemann schon ein paar Wochen nach eurem Kennenlernen geheiratet hast, und ich nehme mal an, dass du das im Nachhinein bereust?“

Sie nickte. Reue war noch ein viel zu mildes Wort.

„Was ich vorschlage, sollte insofern viel … beruhigender sein. Ein langsames Werben. Ist das nicht ein wunderbar altmodisches Wort – werben? Es beschwört Bilder von Mädchen in Strohhüten und jungen Männern herauf, die mit einem Strauß Blumen auf der Türschwelle stehen. Eine vergangene Zeit.“

Seine Stimme klang tief und beruhigend, und als Blossom ihn anschaute, wusste sie, dass es ihm darum ging, ihre Ängste zu vertreiben und eine sichere Atmosphäre zu schaffen. Er hatte gesagt, dass er nicht ohne Kampf gehen würde, und sie besaß nicht mehr die Kraft, ihm standzuhalten.

Seit sie ihm begegnet war, kreisten ihre Gedanken ständig um ihn, egal ob tagsüber oder nachts. Vielleicht wäre es besser, ihn eine Weile zu treffen – um ihn aus ihrem Kopf herauszubekommen?

Er hatte ja recht, die körperliche Anziehung zwischen ihnen war stark, aber das war immerhin nur ein Teil einer Beziehung. Wenn sie ihn näher kennenlernte, würde sie ihn vielleicht richtig verabscheuen, und das würde die Dinge dann leichter machen.

„Wenn wir uns hin und wieder sehen würden, dann würde absolute Ehrlichkeit zwischen uns herrschen?“, fragte sie misstrauisch.

„Natürlich. Ich habe dir doch gesagt, dass ich schon vor langer Zeit aufgehört habe, Spielchen zu spielen. Genauso wenig entschuldige ich mich für den Mann, der ich bin, oder für mein Verhalten.“ Sein Blick schwankte keine Sekunde. „Wenn den Leuten das nicht behagt …“ Er zuckte die Schultern und lehnte sich entspannt in seinem Stuhl zurück.

Er war arrogant. Sie mochte keine Arroganz. Da war schon mal der erste Punkt auf der Liste. Ein Anfang. „Also gut.“

„Also gut?“ Jetzt schien Zak misstrauisch zu sein. „Was genau heißt das …?“

„Wir könnten hin und wieder zum Dinner gehen, nach der Arbeit etwas zusammen trinken, solche Sachen.“ Blossom war stolz darauf, wie lässig sie klang.

„Das klingt gut.“ Zak stand auf. „Ich hole dich um acht ab, okay?“ Er lächelte sie träge an.

„Was? Ich habe nicht von heute Abend gesprochen.“

„Warum nicht? Hast du schon etwas vor?“, fragte er vollkommen entspannt.

Mit ausdruckslosem Gesicht murmelte Blossom: „Gleitschirmfliegen. Oder war heute Abend mein Kletterkurs? Mist, ich kann mich nicht erinnern.“

„Ich glaube nicht, dass sie hier Kurse im Klettern anbieten. Wahrscheinlich hast du an deine Höhlenforschung gedacht.“

„Genau, das war es!“ Sie leerte ihr Glas Wein.

„Punkt acht Uhr, okay?“

Er ging an ihr vorbei ins Haus und ignorierte sie völlig.

„Hey, warte mal eine Minute, ich habe nicht zugestimmt …“ Blossom hörte, wie die Haustür zufiel. „… mit dir auszugehen“, beendete sie den Satz für sich allein.

Anmaßend. Herrisch. Ungehobelt. Drei weitere Punkte auf der Liste, und sie hatte sich nicht mal anstrengen müssen. In null Komma nichts würde sie ihre Liste voll haben.