Die verbreitete Deutung des völkischen Nationalismus vom Antisemitismus her zieht beinahe automatisch eine weitere Gleichung nach sich. Wenn „ein antisemitischer Standpunkt […] praktisch eine anti-emanzipatorische Position und Widerstand gegen die unterschiedlichen Bekundungen des modernen sozialen und politischen Freiheitsringens“ bedeutet1, liegt der Schluß nahe, daß dort, wo Antisemitismus das Denken und Handeln so nachdrücklich bestimmt wie bei den Völkischen, auch eine Emanzipationsverweigerung gegenüber anderen Gruppen vorliegen muß, allen voran gegenüber den Frauen, mit denen der Emanzipationsbegriff am engsten verbunden ist. Dem Antisemitismus als unmittelbarer Reaktion auf die Emanzipation des Judentums würde von hier aus gesehen ein „Antifeminismus“ im Sinne einer „institutionalisierten Opposition“ (Planert) zu den Emanzipationsforderungen der Frauenbewegung korrespondieren, wie die zweite Seite einer Medaille.2
Gesetzt, die Voraussetzung träfe zu (woran es, wie in den ersten Abschnitten dieses Buches gezeigt, begründete Zweifel gibt), so ließen sich unschwer zahlreiche Belege anführen, die die These vom Antifeminismus der Völkischen stützen. Dabei muß man nicht einmal an die von pathologischem Frauenhaß durchzogenen Tiraden eines Lanz von Liebenfels denken, die dem „freien Weib“ alles Unheil der Weltgeschichte anlasten, oder an die nicht weniger extremen, tief in die sexuelle Selbstbestimmung einschneidenden Züchtungsphantasien eines Willibald Hentschel.3 Auch der konventionellen Moralvorstellungen verhaftete Mainstream hat in den von der zeitgenössischen Frauenbewegung erhobenen Forderungen nach rechtlicher Gleichstellung und Inklusion in bis dahin exklusiv männliche Lebens- und Arbeitsbereiche nicht viel anderes gesehen als ein Anzeichen für die allgemeine Entartung, die mit dem „jüdischen“ Liberalismus über die Welt gekommen sei. Schon Otto Glagau sieht in der Frauenemanzipation nichts anderes als die Abschaffung der Ehe und die Zerstörung der Familie4; noch weiter gehen andere, die eine Revolution bis in die Anthropologie hinein befürchten. Der Heimdall prophezeit für den „Fall allgemeiner Vermännlichung weiblicher Betätigungs-Felder“ das „Ersterben der Fortpflanzungs-Fähigkeit des Weibes“ und eine Assimilation an den Mann „auch in den Körper-Formen und im Gesichts-Ausdrucke“5; der Hammer die „Entmannung der Männer und Entweibung der Weiber“, den Verfall der Ehe und den Absturz in die verkehrte Welt der aufgelösten Geschlechtergrenzen.6 Philipp Stauff macht diese Auflösung und damit die Frauenbewegung für den Geburtenrückgang verantwortlich7, der sich seit der Jahrhundertwende zu einer zunehmend bedrohlicher empfundenen Vorstellung entwickelt, und selbst der zunächst der Frauenbewegung durchaus aufgeschlossen gegenüberstehende Volkserzieher Wilhelm Schwaners schwenkt ab 1908 / 09 auf die wachsende Misogynie ein.8 Daß man nicht unbedingt ein Mann sein muß, um Ansichten dieser Art zu vertreten, zeigt das Beispiel von Emma Witte, die die „Zukunftsaufgaben der völkischen Frau“ in der Verschiebung des Schwerpunktes ihres Schaffens „hinweg vom öffentlichen Leben […] zu ihren ureigensten Gebieten, zu Familie, Ehe, Mutterschaft“ verortet. Nur die „Aufrechterhaltung der Grenzlinie zwischen Mann und Weib, die Steigerung der einem jeden von ihnen eignenden besonderen Anlagen“ ermögliche die „Aufwärtsentwicklung des Volksganzen und der Rasse“.9 Ein „Feminismus unter nationaler Flagge“10 ist aus dieser Perspektive ein Unding, jegliches Frauenrechtlertum Verrat und Zersetzung, weil es die Frau ihrem Wesen entfremdet.11 „Antifeminismus“, so das Resümee Ute Planerts, „gehörte als integraler Bestandteil zur deutschvölkischen Weltanschauung.“12
Wie die Theorie, so die Praxis. Zwar bedarf es in Deutschland bis zum Reichsvereinsgesetz von 1908 keiner aufwendigen Begründungen, um Frauen aus dem öffentlichen Leben fernzuhalten, sondern lediglich des Hinweises auf die geltenden Gesetze, die eben dies garantieren. Als diese Schranken jedoch fallen, macht man in den völkischen Verbänden keine Anstalten, sich neu zu justieren. Der Deutschbund, dessen Gründer mit scheinheiligem Bedauern 1894 den Ausschluß von Frauen mit dem Hinweis auf das Vereinsrecht begründet hat, kennt auch später noch lediglich „liebe Brüder und Freunde“ und löst das Partizipationsproblem mit der Gründung eines Deutschen Frauenbundes (1909), dessen Mitglieder nicht zugleich dem Deutschbund angehören, der aber seinerseits Deutschbündler als außerordentliche Mitglieder akzeptieren muß.13 Ebensowenig vermag sich der Reichs-Hammerbund dazu durchzuringen, den Frauen die „volle Stimmberechtigung“ in den einzelnen Hammergemeinden oder gar der Reichsorganisation zu gewähren. Wohl sei „die Mitwirkung der Frau bei der Ausbreitung unserer Bestrebungen“ zu begrüßen, doch äußere sich diese am besten in der Teilnahme an Vortragsveranstaltungen.14 Im Hammer kommen während der gesamten 38 Jahre seines Bestehens gerade 16 Frauen zu Wort, in der Regel zu Themen geschlechtsspezifischer Art wie dem Frauenstimmrecht, der Frauenerwerbstätigkeit oder dem Frauenstudium.15 Weibliche Filialvereine, wie sie das Verbandswesen des liberalen und des alten Nationalismus überreichlich kennt, sucht man damals bei den Völkischen vergeblich16, so daß es zutreffend ist, wenn Uwe Puschner vom „männerbündischen Charakter der völkischen Bewegung“ spricht.17 Es verwundert deshalb nicht, daß Mitglieder dieser Bewegung einen hohen Anteil an jenem Verband stellen, der sich die aktive Verteidigung des maskulinen Charakters von Politik und Gesellschaft zum obersten Ziel gesetzt hat: dem 1912 gegründeten Bund zur Bekämpfung der Frauenemanzipation.18
Über Fakten dieser Art muß nicht diskutiert werden. Sie sind unbestreitbar. Diskutiert werden muß jedoch über die Frage, ob damit über das Thema „Die Völkischen und die Frauen“ schon alles gesagt ist. Denn das ist mitnichten der Fall. Antifeminismus, dies gilt es als erstes festzuhalten, kommt bei den Völkischen vor, bestimmt vermutlich auch das Denken der Mehrheit, ist aber ebensowenig ein exklusives und damit für differentialanalytische Zwecke taugliches Merkmal wie der Antisemitismus. Die meisten Aussagen, die in völkischen Texten über Frauen- und Männerbilder stehen, lassen sich auch in den Diskursen finden, wie sie zu diesem Thema im Kontext des alten Nationalismus oder sogar des Liberalnationalismus geführt werden; nicht einmal die ‚rassenideologische Aufladung des Frauenbildes‘ eignet sich zur Markierung spezifisch völkischer Versionen, da der Bezug auf Rasse in dieser Zeit quer durch das politische Feld Usus ist, wenn auch zum linken Pol hin abnehmend. Auch das verschiedentlich angeführte Argument, der völkische Antifeminismus relativiere die bürgerlich-liberale Trennung von privat und öffentlich durch die Hypostasierung der Nation19, eignet sich nur zur Abgrenzung zwischen nationalistischen und nichtnationalistischen Positionen, nicht jedoch zur Klärung der Frage, mit welcher Art von Nationalismus man es zu tun hat. Antifeminismus, ob nationalistisch legitimiert oder nicht, ist eine viel zu weit verbreitete Erscheinung, als daß man sie speziell den Völkischen zuschreiben könnte. Der Bund zur Bekämpfung der Frauenemanzipation besteht denn auch keineswegs nur aus völkischen Nationalisten, sondern weist zahlreiche Namen aus dem gesamten rechten Spektrum auf, von alten Nationalisten wie Dietrich Schäfer über ästhetische Fundamentalisten wie Henry Thode bis hin zu Rassenhygienikern wie Max von Gruber.20
Zweitens: Die Fixierung auf den zweifellos vorhandenen Antifeminismus bringt es mit sich, daß die in die entgegengesetzte Richtung weisenden Ansätze unterbelichtet werden, die auch bei den Völkischen erkennbar sind. So hat etwa eine Prüfung der von Frauen verfaßten Texte im Hammer eine deutliche Diskrepanz zu den von Männern vertretenen Vorstellungen ergeben, die sich vor allem auf zwei Feldern bemerkbar macht: in der Befürwortung der Frauen- und Mädchenbildung und der Frauenerwerbstätigkeit.21 Auch wenn sie dies gleich wieder relativieren, indem sie die für Frauen vorzusehenden Berufsfelder in enger Anlehnung an die häusliche Sphäre gestalten und die Berufstätigkeit nur für die Phase bis zur Eheschließung zulassen wollen, gehen Autorinnen wie Emma Wehr, Käthe Rohmeder und Ingeborg Andresen doch deutlich über das hinaus, was in diesen Kreisen sonst üblich ist und setzen damit einen Prozeß in Gang, der sehr bald eine Eigendynamik gewinnt.22 Ähnliches gilt für das seit der Jahrhundertwende regelmäßig im Türmer publizierende Vorstandsmitglied des Bundes zur Bekämpfung der Frauenemanzipation, Marie Diers (1867 – 1949), die bei allem Mutterkult nicht nur für Mädchenarbeit eintritt, sondern auch für die „Aufbesserung der weiblichen Arbeitslöhne“ und der Bildungschancen der Mädchen und Frauen.23 In der Weimarer Republik engagiert sie sich zunächst in der DNVP, wechselt aber 1922 zur Deutschvölkischen Freiheitspartei und später zur Deutschvölkischen Freiheitsbewegung, in deren erweiterte Reichsleitung sie im Februar 1925 gewählt wird.24 Ihr Plädoyer für einen (wie immer auch bescheidenen) Ausbau des Einflusses, „den die Frau auf die Gestaltung der Politik, das heißt das Schicksal ihres Landes und somit der ganzen Zukunft ihrer Kinder hat“25, veranlaßt 1926 den Reichsvertretertag dieser Partei, ihr die Ermächtigung, zu erteilen, „nach ihrem Ermessen die Frauen der völkischen Bewegung zusammenzuschließen und zur Mitarbeit heranzuziehen“.26
Zu einer Bewegung eigener Art haben sich diese Vorstellungen am Rande der evangelischen Frauenbewegung ausgeformt, in der von der Lehrerin Guida Diehl (1868 – 1961) ins Leben gerufenen Neulandbewegung. Diese entsteht im Herbst 1916 aus der Leserschaft der zu Beginn desselben Jahres gegründeten „Zeitschrift für die gebildete weibliche Jugend“, die unter dem Titel Neuland eine Art geistigmoralischer Mobilmachung der jungen Frauen, nicht nur, aber vornehmlich aus dem protestantischen Spektrum anstrebt. Aus dessen Argumentationsarsenal stammt die zur Begründung des Engagements herangezogene Volksnomostheologie, in der man mit Klaus Scholder und anderen „die Antwort des deutschen Protestantismus auf die völkische Bewegung“ sehen kann27, stammt der kulturreformerische Impuls, der auf eine „Neugeburt Deutschlands“ durch eine „innere Revolution geistiger Art“ zielt28, stammt nicht zuletzt auch ein ausgeprägter Antisemitismus, dessen Wurzeln bei Guida Diehl bis in die Kindheit zurückreichen, gehörte ihr Vater doch zur Anhängerschaft Adolf Stoeckers in Frankfurt.29 Stehen am Anfang noch christlich-soziale Motive neben solchen eher jugendbewegter Art im Vordergrund, so treten diese etwa seit Mitte der 20er Jahre zurück und weichen einem Aktivismus, der die Nähe zum völkischen Lager sucht und in dieses einen frauenpolitischen Akzent hineinbringt.
Ein erstes Indiz dafür ist im Herbst 1926 die von Guida Diehl initiierte Gründung des Deutschen Frauenkampfbundes gegen die Entartung im Volksleben (DFK). Während Neuland nach einer überraschend starken Anfangsmobilisierung eine rückläufige Tendenz aufweist – die Leserschaft geht von etwa 10 000 um 1920 bis 1933 auf 2500 zurück –, zählt der DFK schon zwei Jahre nach seiner Gründung rund 1400 Einzelmitglieder und 180 000 korporative Mitglieder, die sich teils aus dem rechten Flügel des Bundes Deutscher Frauenvereine (BDF), teils aus völkischen Verbänden wie dem Deutschbund oder dem Deutschen Frauenorden rekrutieren.30 Typisch völkisch sind die Attacken gegen Materialismus und Mammonismus, gegen Schmutz und Schund, „Negertänze, Jazzbandlärm, Apachenmaskenbälle, sogar am Totensonntag vorgeführte Entkleidungsrevuen, Rauschgifte, kurz sinnenverwirrendes, erschlaffendes ‚Amusement‘ und ‚Sensationen‘ aller Art“, als deren baldige Folge „Unnatürlichkeit, Entnervung, Krankheit, Entmütterlichung, Geburtenrückgang und Volkstod“ prognostiziert werden.31 In dieselbe Richtung weisen die Allianzen, mit denen man dieser Gefahr zu begegnen versucht. Nach einem Bericht des Berliner Polizeipräsidenten ist der DFK bereits 1928 zum „völkisch-nationalen Block“ übergetreten; wenig später schließt er sich dem von den Nationalsozialisten gegründeten Kampfbund für deutsche Kultur an und gibt der Politik des nationalsozialistischen Innen- und Volksbildungsministers in Thüringen, Wilhelm Frick, die nötige Schützenhilfe.32 Im August 1930 tritt Guida Diehl der NSDAP bei, da nur diese Partei in ihren Augen den Kampf gegen den „Kulturbolschewismus“ mit der nötigen Rigorosität führt. Im November 1931 übernimmt sie gar das Amt einer Kulturreferentin in der Reichsfrauenleitung der NSDAP und läßt in der Folgezeit nichts unversucht, die Anerkennung der Neulandbewegung als „weibliche Parallelbewegung zum Nationalsozialismus“ und deren Gleichstellung mit der NS-Frauenschaft zu erreichen.33
Welche Lösung Diehl für die Frauenfrage vorschwebt, läßt sich am besten ihren beiden Büchern Deutscher Frauenwille und Die deutsche Frau und der Nationalsozialismus entnehmen.34 Auf der Linie des herkömmlichen, nicht nur völkischen Antifeminismus liegt die Forderung nach einem generellen Verbot der Berufsarbeit für verheiratete Frauen, die entsprechend harsche Kritik von Seiten des BDF auf sich gezogen hat. Schon weniger eindeutig stellt sich die Lage für die unverheirateten Frauen dar, denen Berufsarbeit zugestanden wird, allerdings nur in vermeintlich weiblichen Tätigkeitsfeldern im „haus-, garten- und landwirtschaftlichen, pflegerischen, erzieherischen, lehrenden, heilenden, künstlerischen und kunstgewerblichen Bereich“, was dann in der Summe doch gar nicht wenig ist.35 Nimmt man hinzu, daß Diehl für diese Felder eine Art Selbstverwaltung der Frauen verlangt und die Schaffung einer rein weiblichen Sphäre von der Mädchenschule bis hin zu Frauenuniversitäten mit ausschließlich weiblichen Lehrkräften für erforderlich hält, darüber hinaus auch noch die Einrichtung besonderer Ständekammern (Frauenkörperschaften) ins Auge faßt, dann wird deutlich, daß es sich in frauenpolitischer Hinsicht bei der Differenz zur bürgerlich-demokratischen Frauenbewegung um eine difference in degree, not in kind handelt. Diehl steht denn auch nicht an, das „Hinaustreten der Frau in die Mitarbeit an den öffentlichen Aufgaben und am gesamten Volksleben“ als die „größte(n) Umwälzung in der Menschheitsgeschichte“ zu bezeichnen, „die seit Jahrtausenden geschah“, und im Anhang ihres Buches die „Grundsätze der NS-Frauenschaften“ abzudrucken, in denen es explizit heißt:
„Wir erkennen den großen Verwandlungsprozeß des Frauenlebens der letzten 50 Jahre als eine Notwendigkeit an, die das Maschinenzeitalter mit sich brachte, und bejahen die Ausbildung und Eingliederung aller Frauenkräfte zum Besten der Nation, soweit sie nicht in Ehe, Familie und Mutterschaft ihren nächstliegenden Dienst am Volksganzen leisten können. Wir erstreben eine neue, wahre Lösung der Frauenfrage.“36
Die von Neuland angestrebte limitierte Inklusion dürfte für die Zielsetzungen der meisten der in völkischen Verbänden beziehungsweise Verbänden mit völkischen Flügeln organisierten Mädchen und Frauen repräsentativ sein. Schon im letzten Kriegsjahr bemüht sich die auf eine Sammlung der gesamten Rechten hinarbeitende Deutsche Vaterlandspartei verstärkt um die Gewinnung von Frauen und ist dabei immerhin so erfolgreich, daß sie im Anteil der weiblichen Mitgliedschaft selbst die SPD übertrifft.37 Graf Reventlow, vor dem Krieg einer der Wortführer des Antifeminismus, schwenkt 1921 um und freut sich über die „intensive und ausgedehnte Mitarbeit der Frau in den nationalen Lagern“.38 Einen Schritt weiter gehen nach Kriegsende die aus dem Deutschen Mädchen Wanderbund überlieferten Äußerungen, die das Gefüge von Mädchenschulen, Frauenuniversitäten und spezifisch weiblichen Berufen durch eine zu gründende ‚Frauenpartei‘ krönen wollen39, oder die Kommentare, mit denen die Frauen der Adler und Falken und des Bundes deutscher Pfadfinderinnen ihre Position zwischen der bürgerlichen Frauenbewegung einerseits und dem Maskulinismus der Rosenberg und Hans F. K. Günther andererseits zu bestimmen versuchen.40 Die Frauenorganisation des Jungdeutschen Ordens, der freilich nur in seiner Anfangszeit (und auch dann nur partiell) der völkischen Bewegung zugerechnet werden kann, setzt sich für die Einrichtung einer Frauenkammer ein, die in allen Fragen, die „das ureigenste Gebiet der Frau“ betreffen – „Altersfürsorge, Kindesfürsorge, Mutterschutz“ – ein Mitentscheidungsrecht besitzen soll.41
Auch in der DNVP, die sich nolens volens um die Stimmen der Arbeiter und der Frauen bemüht, ohne ihnen allzu große Konzessionen zu machen42, findet sich die Ansicht, daß zwar der Begriff „Frauenrechte“ die „Metapher für ein überwundenes und vor allem falsches Anliegen der Frauen“ sei43, dies aber keine Rückkehr zur Exklusion bedeute. Statt der Rechte seien die Pflichten gegenüber der Volksgemeinschaft zu betonen, die für die Geschlechter andersartige, aber gleichwertige Aufgaben implizierten. Die Skala der Angebote, die in eigens dafür eingerichteten Institutionen und Medien wie dem Reichsfrauenausschuß, der Deutschnationalen Frau oder der Frauenkorrespondenz für nationale Zeitungen entwickelt werden44, reicht dabei von einem „mütterlichen Modell“, das den Platz der Frau vornehmlich in der Sphäre des Hauses und den dieser nahestehenden politischen Feldern wie Erziehung, Jugendpflege und dergleichen sieht, bis zu einem ‚kameradschaftlichen Modell‘, das eine ‚organische‘ Arbeitsteilung der Geschlechter postuliert und daraus neue Rollendefinitionen für die Frau als Mitstreiterin oder Kameradin gewinnt.45
Vom Kameradschaftsmodell ist es freilich nur ein kleiner Schritt bis zu geschlechteregalitären Vorstellungen, wie sie besonders pronciert in dem 1920 gegründeten Ring nationaler Frauen vertreten werden, einer am rechten Rand der DNVP angesiedelten Vereinigung, die auf die Zusammenfassung aller rechten Frauenverbände in expliziter Konkurrenz zum liberal dominierten Bund deutscher Frauenvereine zielt.46 Zu den Wortführerinnen dieses, über korporative Beitritte bald über 200 000 Mitglieder starken Verbandes gehören Käthe Schirmacher (1865 – 1930), die die DNVP in der Nationalversammlung vertritt, sich im Völkischen Reichsausschuß der Partei engagiert und – ausgerechnet – im Hammer eine Lanze für den Kampf der alten Frauenrechtlerinnen gegen die „einseitige Vorherrschaft des einen Geschlechts“ bricht47; die Philosophin und Publizistin Lenore Kühn (1878 – 1955), Mitglied der Fichte-Gesellschaft, des Reichsfrauenausschusses der DNVP, Beiratsmitglied im Vorstand des Bundes Deutscher Frauenvereine und eine der produktivsten Autorinnen des Flaggschiffs der bürgerlichen Frauenbewegung, Die Frau, die sich in zahlreichen Schriften kritisch mit den zeitgenössischen Männerbundideologien auseinandersetzt und für eine gleichrangige Beteiligung von Frauen an den politischen Führungspositionen eintritt, zum Teil sogar bereits mit Forderungen nach einer Quotenregelung48; und last, but not least die beiden Schriftleiterinnen des 1922 gegründeten Verbandsorgans Die Deutsche Frau, das über die für eine Frauenzeitschrift mit politischen Ambitionen ungewöhnlich hohe Auflagenzahl von 10 000 Exemplaren verfügt: Ilse Hamel (1874 – 1943) und Beda Prilipp (1875 – 1971).49 Im Schrifttum dieser Frauen hat Christiane Streubel mit Recht eine „Koinzidenz radikalnationalistischer und feministischer Anschauungen“ ausgemacht und die letzteren präzise definiert als ein „Ideensystem […], das innerhalb einer distinkten Gemeinschaft für die Aufhebung von Geschlechterhierarchien plädiert“.50 Angesichts der Nähe dieser Frauen zum völkischen Reichsausschuß der DNVP wie auch ihres späteren Eintretens für den Hugenberg-Flügel würde ich freilich nicht von „neuem Nationalismus“ sprechen, sondern von einer Strömung, die sich in der Interferenzzone von altem und völkischem Nationalismus plaziert.51
Daß diesem „Feminismus von rechts“ (Streubel) in der DNVP mehr Mitsprachemöglichkeiten eingeräumt werden als in den rein völkischen Verbänden und Parteien, ist sicherlich richtig: die DVFP weigert sich, Kandidatinnen für die Parlamentswahlen aufzustellen und will von Frauenausschüssen in der Partei nichts wissen; die NSDAP schließt schon 1921 Frauen von führenden Parteiämtern aus.52 In der Publizistik ist jedoch auch ein gegenläufiger Trend zu beobachten. Während in der deutschnationalen und alldeutschen Deutschen Zeitung die kurzzeitige Konjunktur für Leitartikel aus weiblicher Feder schon 1923 wieder endet und die Frauenbeilage 1926 in „Frau und Heim“ umbenannt wird53, tritt im Flaggschiff der Deutschvölkischen, dem Deutschen Tageblatt und seinen Kopfblättern, ab 1928 anstelle der überwiegend von Männern geschriebenen Beilage „Die Frauenwarte“ eine neue Beilage, „Der Wächterruf“, die von Pia Sophie Rogge-Börner (1878 – 1955) redigiert wird. Die für den Lehrerberuf ausgebildete, aber in ihm nicht tätige Publizistin engagiert sich 1919 zunächst in der DNVP und schreibt für die Deutsche Zeitung, schließt sich aber bereits 1921 Wulle und seinem Deutschen Tageblatt an.54 Nach dem Hitler-Ludendorff-Putsch betätigt sie sich im Völkisch-sozialen Block im Unterwesergebiet sowie der Nationalsozialistischen Freiheitsbewegung, um danach bei der Deutschvölkischen Freiheitsbewegung und im Bartels-Bund politisch und publizistisch aktiv zu werden.55 Im Reichswart, dessen Herausgeber im Kaiserreich zu den prominentesten Antifeministen gehört hat, löst sie mit ihrem Artikel „Hat die völkische Frau staatspolitische Aufgaben?“ eine sich über fünf Monate ziehende Debatte aus, eine weitere im März 1927 über die Ansichten Maria Groeners, die bis zum Juni des gleichen Jahres anhält.56 Im Januar 1929 gründet sie den Ring völkischer Frauen und wird kurz darauf als dessen Führerin von Wulle in die Reichsführerschaft der DVFB berufen.57 Im Deutschen Tageblatt kann sie ihre Ansichten nicht nur in der Frauenbeilage, sondern auch außerhalb derselben, des öfteren sogar in Leitartikeln publizieren.58
In ihren Aufsätzen und Büchern wendet sie sich nicht nur gegen die beiden Erzfeinde der Völkischen, „Judenbibel und Römerrecht“59, sondern auch gegen alle als „pseudovölkisch“ qualifizierten Bestrebungen, die darauf hinauslaufen, die nordisch-germanische Frau in dem durch diese Erzfeinde verursachten Zustand der Abhängigkeit und Unterordnung zu belassen. Das richtet sich gegen die Alldeutschen, die im zukünftigen Staat das Frauenstimmrecht wieder beseitigen wollen60, gegen die Schopenhauerianerinnen in der völkischen Bewegung, wie Maria Groener oder Ilse Tanzmann, die willentlich oder unwillentlich den Vorstellungen von der Minderwertigkeit der Frau zuarbeiten61, gegen die mystischen Schwärmereien vom „Muttergeist“ im Stile Ernst Bergmanns62, aber auch gegen die unter rassistischen Neoaristokraten verbreitete Vorstellung vom Geschlechterdimorphismus, in dem Rogge-Börner, harmoniesüchtig wie alle Völkischen, ein zu korrigierendes Degenerations- und Entartungsprodukt sieht:
„Gefühlswerte und Verstandes- und Willens- und Tatkräfte konnten sich einst in beiden Geschlechtern der nordischen Rasse uneingeengt, frei entfalten, bestimmten daher auch beider Schicksalsablauf. Wie gut stände es um uns heute, wenn auch im Manne noch Kraft der Liebe und des Glaubens, Wärme und Tiefe des Gemüts zur Entwickelung kämen, wenn auch die Verstandesfähigkeiten der Frau und ihre kämpferisch bewußten Willenskräfte wieder ihre Pflege und freie Entfaltung fänden, mit einem Worte: wenn die Harmonie im nordisch bedingten Menschen wiederhergestellt wäre! Denn er war einmal eine harmonische Ganzheit an Gefühl, Verstand und Leiblichkeit. Daß wir das Weib in die Ausschließlichkeit der Gefühlszone, den Mann in die Ausschließlichkeit der kalten Zweckmäßigkeitsantriebe zwangen, hat beide, Mann und Weib, halbiert und damit gleichzeitig ihre Einheit als Schöpfungsbild zerbrochen.“63
Ihren typisch völkischen Harmoniekult stützt Rogge-Börner durch häufige Bezugnahme auf das prähistorische Vermutungswissen ab, das Germanenforscher und Mythomanen wie Bernhard Kummer (1897 – 1962) und Herman Wirth (1885 – 1981) in ihren seit 1927 / 28 erscheinenden Werken ausbreiten.64 Während Kummer, gern gesehener Gastautor in Rogge-Börners Beilage wie auch in Reventlows Reichswart oder den Blättern Ludendorffs65, einen Zusammenhang zwischen Rassereinheit, altheidnischer Religion und hoher Stellung der germanischen Frau konstruiert66, der mit zunehmender Rassenmischung und vor allem dem Aufkommen des Christentums zerbrochen sei, holt Wirth noch weiter aus, indem er eine vorgeschichtliche, in Atlantis beheimatete Urkultur postuliert, welche mutterrechtlich organisiert gewesen sei und einer rein monotheistischen Urreligion gehuldigt habe, „der die ewige Wiederkehr im kosmischen Wandel, das Werden und Vergehen als das große, sittliche Gesetz des Weltalls, als die Offenbarung Gottes des Weltgeistes durch seinen Sohn in Zeit und Raum galt.“67 Ein Ableger dieser Urkultur, die „Tuatha“, habe in einem heute in der Nordsee versunkenen Festlandgebiet (Doggerbank) gesiedelt und anschließend Nord- und Nordwesteuropa erschlossen; dort sei es dann, und zwar schon zur Zeit der historischen Germanen, zur Rassenmischung, zur Einführung des orientalisch-römischen Vaterrechts, zum Verschwinden der ursprünglichen gesellschaftlichen „Gleichheit und Gleichberechtigung“ sowie zur Ersetzung der Laien- durch eine Priesterreligion gekommen, kurzum: zum „Sich-selbst-Verlieren des Nordens, des alten Tuatha-Volkes, an die Macht- und Habgier des Südens“.68 Dem in der völkischen Bewegung grassierenden Germanenkult versetzt Wirth einen gehörigen Dämpfer, indem er darauf besteht, „daß es das germanische Anheimfallen an den Alberichfluch war, das selber seine Hüterinnen der heiligsten Werte, die ‚Volksmütter‘, entrechtete“.69 Nicht weniger provozierend ist seine Behauptung, daß die deutsche Erneuerung nicht allein vom Mann vollbracht werden könne, ja streng genommen überhaupt nicht von ihm: „Ohne die Selbstbesinnung der deutschen Frau, ohne die Wiedererlangung ihrer Gottesmutterschaft, ihrer Volksmutterschaft, wird jede männliche Arbeit ergebnislos bleiben. Die ‚deutsche‘ Erneuerung geht über die ‚deutsche‘ Frau.“70 Man begreift von hier aus die Begeisterung, mit der der völkische „Feminismus“71 das Werk Herman Wirths aufgenommen und jedes Buch und jeden Vortrag kommentiert hat72 – im Fall Rogge-Börners freilich nicht ohne den Hinweis auf die Eigenständigkeit und sogar zeitliche Priorität der eigenen Arbeit:
„Seit einem Jahrzehnt bemühe ich mich, meinen Deutschen den tieftragischen Irrweg, den unser Blut ging, sichtbar zu machen, damit sie sich vielleicht doch noch herausfinden auf einen uns artgemäßen Weg. Und da ist es mir wirklich ein Erlebnis gewesen, daß nun Professor Herm. Wirth mit einer völlig neuartigen Forschungsmethode auftritt und aus der Kultsymbolik der älteren und jüngeren Steinzeit abliest, daß in jener Epoche, als der Nordische Mensch noch unberührt von Fremdeinflüssen war, die Frau, nicht der Mann im Vordergrund des Gemeinsamkeitslebens gestanden habe, als Priesterin, Aerztin, Richterin usw. Ich möchte überhaupt hier einmal aussprechen, wie es mich mit tiefer Freude erfüllt und mit Dankbarkeit gegen die Blutskraft, die mir das ermöglichte, daß ich als Erste in Deutschland die sogen. Frauenfrage in unmittelbare Beziehung zum Rassegedanken gebracht und schon vor dem Erscheinen Kummers und Wirths in der Oeffentlichkeit die germanische Geschlechterauffassung und die Stellung der frühgermanischen Frau so herausgearbeitet habe, wie diese beiden Forscher das jetzt im einzelnen belegen und bestätigen.“73
Im Unterschied zu Wirth, der in seinen politischen Stellungnahmen bereits die Karrieremöglichkeiten in einem zukünftigen nationalsozialistischen Staat im Auge hat, schreckt Rogge-Börner nicht davor zurück, ihren Anti-Androkratismus auch auf prominente Repräsentanten der NSDAP auszudehnen. Während der Vorschlag Hitlers, zwischen Bürgern und Staatsangehörigen zu unterscheiden und die Frauen pauschal den letzteren zuzuweisen, noch ohne Namensnennung als ‚ungermanische Verstiegenheit‘ abgekanzelt wird74, muß sich der Leiter des Agrarpolitischen Apparats der NSDAP, Richard Walther Darré, eine ebenso ausführliche wie vernichtende Kritik seines Buches über Das Bauerntum als Lebensquell der nordischen Rasse (1929) gefallen lassen, die dem Verfasser aufgrund seiner Züchtungsideen eine „unbewußte, aber völlige Gebanntheit in Orientalismus und rassefremdes Denken“ bescheinigt.75 Nicht viel besser kommen die Vertreter der „männerbündischen Staatsauffassung“ weg, unter denen sich immerhin kein Geringerer als Alfred Rosenberg befindet.76 Der Gedanke der „Eingeschlechterherrschaft“ sei ‚widervölkisch‘, nicht bloß, weil er gegen das nordische Ideal der „zweigeschlechtlichen Führung“ verstoße, sondern auch, weil er gegen Ehe und Familie gerichtet sei und daher auf eine „Ideologie des Sterbens, der Atomisierung unsrer Rasse“ hinauslaufe.77 Gegenüber solchen Einseitigkeiten erscheint die Frauenbewegung, auch und gerade in ihrer bürgerlichen Gestalt, nachgerade als eigentliche Vorkämpferin des „völkischen Sozialismus“, habe sie doch von Anfang an „das Erbwissen von der Würde und der hohen ethischen Verantwortlichkeit nordrassigen Menschentums“ bewahrt.78
Ideen dieser Art hat Rogge-Börner auch nach der Machtübernahme der NSDAP öffentlich vertreten, zum einen in der von ihr herausgegebenen Monatsschrift Die deutsche Kämpferin – Stimmen zur Gestaltung einer wahrhaftigen Volksgemeinschaft, die immerhin bis 1937 erscheint79; zum andern in einer Denkschrift an die neue politische Führung, die 1933 zusammen mit Beiträgen von Lenore Kühn, Irmgard Reichenau, Sophie Philipps, Yella Erdmann und Margarethe Kurlbaum-Sieber sowie posthumen „Worten“ von Käthe Schirmacher in einem von Irmgard Reichenau herausgegebenen Band publiziert wird. Die „deutschen Frauen völkisch-nationaler Lebensrichtung“, heißt es dort in einer Sprache, deren Kühnheit mit Blick auf die Machtverhältnisse erstaunt, hätten angesichts der nunmehr langsam einsetzenden Neuordnung des Staates die Pflicht, „die führenden Männer mit größtem Ernst darauf aufmerksam zu machen, daß der Staat nicht noch einmal wieder als Staat des Mannes geordnet werden darf, sondern als Lebensraum des ganzen deutschen Menschen, der aus Mann und Frau besteht, eingerichtet werden muß.“ Zwar denke niemand daran, „die Masse der Frauen in die Öffentlichkeit zu drängen; sie werden ihre Lebenserfüllung wie bisher im Hausfrau- und Mutterberuf finden, wie die Masse der Männer in der Arbeit ums Brot und in der Vaterschaft.“ Für die überdurchschnittlichen Begabungen des weiblichen Geschlechts seien jedoch die Führungspositionen genauso zu öffnen wie für diejenigen des männlichen: „Das Volk hat ein unveräußerliches Recht auf Führung durch die besten Deutschen beider Geschlechter […] Die besten Männer und die besten Frauen haben sich in die Führung der Nation zu teilen. An jeglichem Führeramt müssen Mann und Frau beteiligt sein.“ Das gelte nicht nur für alle ständischen, gesetzgebenden, politischen Körperschaften, sondern auch für das Wehrwesen, denn: „Von der Pflicht und der Ehre, die Nation zu schützen in Kriegsnot und das Leben für sie einzusetzen, werden die deutschen Frauen als Gesamtheit sich nicht mehr ausschließen lassen! Fast alle unsere Grenznachbarn bewaffnen nicht nur ihre Männer-Armeen bis an die Zähne, sondern bilden jetzt auch die leistungsfähigen Frauen zum Kriegsdienst aus. Nur wir zehnfach gefährdeten Deutschen versacken immer tiefer in pazifistischen Ideologien und berauschen uns an einer spießbürgerlichen ‚Weiblichkeit‘, für die das wahrhaftige Leben dieser alle kämpferischen Kräfte herausfordernden Zeitalterwende überhaupt keine Verwendung hat.“80 Rogge-Börner mag den Begriff Feminismus als Synonym für einen auf die Spitze getriebenen Weibchen-Kultus abgelehnt haben.81 Es besteht jedoch kein Grund, ihr in dieser eigenwilligen Auslegung zu folgen. Zum völkischen Denken gehört auch ein feministischer Strang.