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»Die Waffe ist immer noch nicht aufgetaucht.«

»Weshalb sie keinen Fall haben«, sagte Greg am Telefon.

»Glaubst du wirklich, die guten Menschen von San Jacinto County scheren sich um die Bedingungen für einen Indizienprozess?«, fragte Darren und kippte den Rest der Big-Red-Limonade hinunter, die er sich bei Kay’s Kountry Kitchen gegenüber vom Bezirksgericht geholt hatte, wobei er heute den diskriminierenden Gebrauch des Buchstaben K ignorierte – ein offenkundiger Akt von Mikroaggression, wie er für Texas typisch war –, denn das Café hatte geöffnet und war in der Nähe, und er musste sich um seine Hand kümmern. Während er trank, achtete er darauf, das Eis im Glas zu lassen und kippte die schmelzenden rosa Klümpchen in ein Stofftaschentuch, das er im Handschuhfach gefunden hatte. Er verknotete die Ränder des Taschentuchs und drückte den selbst gemachten Eisbeutel auf die wunden Knöchel seiner linken Hand. »Ach zum Teufel, die Hälfte von denen wünscht sich wahrscheinlich, sie hätte ihn selbst erschossen. Ronnie Malvo ist das, was man Güteklasse A von weißem Abschaum nennt, und der Hass auf jemanden wie ihn ist so ziemlich das Einzige, was in dieser ach so politisch korrekten Welt noch gesellschaftsfähig ist …«

»Vielleicht werden sie McMillan ja wie einen Helden behandeln – und ihm eine Anklage ersparen.«

»Von den Leuten hier, die Mack für einen Mörder halten, ist nichts Gutes zu erwarten«, sagte Darren, während er mit dem Rücken an der Fahrertür seines Chevys lehnte. »Für ihn gelten nicht dieselben Regeln, und das weißt du, Greg«, sagte er und sah zu dem kleinen Gemeindeplatz von Coldspring hinüber. Es gab nur eine einzelne Blinkleuchte an der einzigen Kreuzung, in deren Umgebung sich Antiquitätengeschäfte und Kommissionsläden befanden, die alles Mögliche führten, von alten Waffen über gebrauchte Kinderbetten bis hin zu rostigen Lone Star-Blechschildern, die auf Holzveranden standen. Ins San Jacinto County kam nie etwas Neues. Die Wirtschaft dort beruhte auf Resteverwertung.

»Die Feds versuchen lediglich, ihre Ermittlungen zu schützen«, sagte Darren.

Agent Greg Heglund, derzeit bei der Außenstelle der Criminal Investigation Division des FBI in Houston stationiert, seufzte in gespielter Verärgerung. Sie hatten sich vor Jahren in ebendieser Stadt kennengelernt, nachdem Darrens Onkel Clayton ihm einen Platz in einer privaten Highschool in Houston verschafft hatte, weil er, was seinen Neffen betraf, nichts in San Jacinto County für gut genug befand. Lisa und Greg waren die ersten Freunde gewesen, die Darren an der Schule gefunden hatte, wo er später auch seinen Abschluss machte. Alle drei hatten sie einen Beruf ergriffen, der mit der Justiz zu tun hatte, und er und Greg waren all die Jahre in Kontakt geblieben.

Greg war ein Weißer, der die meiste Zeit seines Lebens mit Schwarzen verbracht hatte – mit ihnen Basketball gespielt und schwarze Mädchen gedatet hatte, Step Shows anstelle des Two-Step bevorzugte, das ganze Paket. All das hörte natürlich in dem Moment auf, als er beim FBI anfing und seine Jordans gegen Johnston & Murphys eintauschte. Doch Darren machte ihm keinen Vorwurf daraus. Wenn auch nur durch Osmose, hatte er Greg in der Kunst des Code-Switching unterwiesen. Für Darren war das ein netter Zeitvertreib, in dem jeder Schwarze geschult sein sollte. Neben Basketball war das ihr eigentlicher Trumpf. Bei geselligen Zusammenkünften der Ranger hatte Darren eine Liebe zu Vince Gill oder Kenny Chesney vorgegeben, die er nicht empfand, und hatte sich mit Lisa dazu auf der Tanzfläche gedreht. Er konnte Johnny Cash und Hank Williams ertragen, die klassische Countrymusik, mit der er großgeworden war – am liebsten war ihm Charley Pride –, doch Blues war das wahre Erbe eines schwarzen Texaners. Er hatte Greg Sachen von Clarence »Gatemouth« Brown und Freddie King vorgespielt, lange bevor einer von ihnen von Jay Z oder Sean Combs gehört hatte. Entscheidend war, dass sich Darren vor Greg nicht verstellen musste, nie. Und so hielten sie es auch seit jeher.

Greg gehörte nicht zu der Einheit, die die Arische Bruderschaft von Texas unter die Lupe nahm und deren Aktivitäten innerhalb und außerhalb der staatlichen Justizvollzugsanstalten genau überwachte – einschließlich des Verkaufs von Methamphetamin und automatischen Handfeuerwaffen, der zahlreichen Morde und Verabredungen zu Straftaten –, doch er war über die Ermittlungen im Bilde. Ronnie Malvo war vor ein paar Monaten als Kronzeuge aufgetreten, um seiner eigenen Verurteilung zu entgehen, indem er zu gegebener Zeit aussagen würde. Er hielt in seinen tätowierten Händen genügend Beweise, um mehrere Captains der ABT ans Messer zu liefern. Falls irgendjemand innerhalb der Bruderschaft Wind von seinen Plänen bekommen hatte, war Ronnie Malvo schon so gut wie tot gewesen, auf die eine oder andere Weise. Diese Einschätzung hatte Darren in den letzten Wochen schon öfter geäußert. »Die Sache stinkt gewaltig nach ABT.«

Greg argumentierte dagegen. »Zwei saubere Schusswunden und kein Gemetzel? Das ist nicht gerade ihr Markenzeichen.« Er mahnte Darren, sich nicht in etwas zu verrennen, daran zu denken, was es ihn kosten könnte, sich hinter Mack zu stellen.

»Das ist so unsinnig wie die Vorstellung, dass Mack es getan hat, nur weil er eine 38er besitzt.«

»Eine 38er, die verschwunden ist.«

»Er hat diese Waffe als gestohlen gemeldet.« Darren wusste, dass das keinen guten Eindruck machte.

»Er hat es am Tag, bevor Malvos Leiche gefunden wurde, gemeldet. Du weißt, dass wir diesem Zufall nicht die geringste Bedeutung beimessen«, sagte Greg und zog dabei scherzhaft jeden einzelnen Vokal lang. »Glauben die noch immer, dass du was damit zu tun hast?«

»Keiner hat die Eier, es mir ins Gesicht zu sagen«, stellte Darren fest. »Für’s Protokoll: Sie behaupten lediglich, dass ich wegen meiner Freundschaft mit Mack an dem Abend nicht in dienstlicher Funktion hätte hinfahren sollen. Oder ich hätte Mack allein lassen und Malvo verfolgen sollen. Aber die Suspendierung ist natürlich ein bequemer Weg, um mich aus der Sondereinheit rauszukicken, weil meine Hautfarbe an der Front Probleme verursacht. Sie bringt mich weg von der ABT.«

»Du bist bestimmt nicht der erste Ranger, der sich mit ihm angelegt hat.«

»Soll ich mich deswegen jetzt besser fühlen?«

Das Getuschel hatte begonnen, kurz nachdem Darren Mitglied der Sondereinheit geworden war. Sein Lieutenant, Ranger Fred Wilson, hatte zuerst gezögert, aus Gründen, die er nicht nennen wollte oder konnte, ohne die eine Sache zu erwähnen, über die Ranger eisern schwiegen: Rassenzugehörigkeit. Sie waren in erster Linie Ranger – und erst in zweiter Männer oder Frauen, weiß, braun oder schwarz. Doch Darren begriff nicht, wie die Feds mit Hilfe der Texas Ranger gegen eine Organisation namens Arische Bruderschaft von Texas ermitteln konnten, ohne Rassenzugehörigkeit zu erwähnen. Die Feds wollten, dass die ABT wegen Drogenmissbrauchs und Verabredungen zu Verbrechen angeklagt wurde, und Lieutenant Wilson wollte, dass Darren das begriff, wenn er ihn in die Ranger-Einheit aufnahm, die die Feds von Houston aus unterstützte. »Das ist hier nicht so’n Deal wie in In der Hitze der Nacht , Mathews«, sagte er. »Diese Typen betreiben ein ernst zu nehmendes und ausgeklügeltes kriminelles Unternehmen und machen Millionen mit ihren illegalen Aktivitäten überall in diesem Staat.« Wohl wahr. Doch zu versuchen, die Bruderschaft zur Strecke zu bringen, ohne sich ebenfalls um den tief sitzenden Rassenhass zu kümmern, war, als wollte man im Fluss baden, ohne sich nass zu machen.

Ein paar Wochen, nachdem er seine ersten Befragungen im Auftrag der Einheit durchgeführt hatte, hatte Mack angerufen, um ihm mitzuteilen, dass in den Familiensitz in Camilla, das Farmhaus, wo Darren aufgewachsen war, eingebrochen worden sei. Hundekot – und der von Menschen, wie Mack vermutete – war innen und außen an die Wände geschmiert worden und zwei Handfeuerwaffen waren verschwunden, darunter ein dreißig Jahre alter Revolver mit Perlmuttgriff, der Onkel William gehört hatte. Das fraß besonders an Darren. Es gab nur noch wenige Dinge, die er von seinem Onkel besaß. Das meiste, einschließlich seiner Dienstmarke und des Stetsons, mit dem er seine Pensionierung angetreten hatte, waren an Williams Sohn Aaron gegangen, einen State Trooper, der es Darren furchtbar übelnahm, dass er die Beziehungen der Familie Mathews zu den Texas Rangern genutzt hatte, bevor er es hatte tun können. Darren wollte gern glauben, dass sein Diplom aus Princeton und die zwei Jahre an der juristischen Fakultät ihn zu jemandem machten, der es aus eigener Kraft geschafft hatte, doch er wusste, dass Aaron nicht ganz unrecht hatte. Wenn er nicht William Mathews’ Neffe gewesen wäre, hätte man ihn wahrscheinlich schon vor Wochen wegen dieser Sache mit Mack gefeuert. In gewisser Weise hielt sein Onkel noch immer seine Hand über ihn.

Über den Vorfall war ein Bericht geschrieben und vom System erfasst worden, aber allem Anschein nach passte er nicht in das Gewaltprofil der Bruderschaft, die viel stärker auf den Überraschungsmoment setzte, viel mehr Blut vergoss und keine leeren Drohungen ausstieß. Darrens Name war allerdings auf ein paar ABT-Webseiten und im Sumpf der sozialen Medien aufgetaucht, wo weiße Nationalisten wie Pilze aus dem Boden schossen, eine Tatsache, die Greg jetzt herunterspielte. »Die Berichte über deinen bevorstehenden Tod sind ziemlich übertrieben«, sagte er, um die Situation ein wenig zu entschärfen, was nicht funktionierte. »Das ist Gewäsch – Gerüchte, mehr nicht, wirklich. Wenn da mehr dran wäre, das verspreche ich dir, hätte man uns eingeschaltet. Du bist völlig sicher.«

»Erzähl das meiner Frau.«

Lisa hatte sich nie mit seiner Berufswahl und der Tatsache abgefunden, dass sie sich in der Hochzeitsnacht mit einem zukünftigen Anwalt ins Bett gelegt und Jahre später mit einem Cop aufgewacht war. Seine kultivierte Frau, die jeden Tag Strickwaren von St. John trug und ihren Lexus im privaten Parkhaus der Anwaltskanzlei abstellte, bei der sie arbeitete, verstand nicht den Drang, sich dem Irrsinn da draußen zu stellen – von der Anziehungskraft der Texas Ranger und des fünfzackigen Sterns, den er trug, ganz zu schweigen. Was ist bloß an diesem Abzeichen dran? Es kann dich nicht beschützen, sagte sie, weil das nie so vorgesehen war. Jedenfalls nicht für dich . Sie würde ihm niemals verzeihen, sagte sie, wenn er getötet würde.

»Wenn sie Mack anklagen, können sie ihre Geschichte als rassistisch motiviertes Verbrechen verkaufen, eine unbedeutende Sache, die nun wirklich nichts Neues ist«, sagte Darren. »Wenn es sich herumspricht, dass Ronnie Malvo angeblich einem Mord zum Opfer gefallen ist, wird das die Bruderschaft warnen, und vielleicht ändert sie ihre Gewohnheiten oder beendet ganze Operationen, was die Ermittlungen der Feds zurückwerfen würde. Ich finde nicht, dass Mack mit seinem Leben dafür bezahlen sollte, damit sie ihren Fall retten.«

»Hast du’s getan?«, fragte Greg schließlich. »Hast du Mack mit der Waffe geholfen?«

»Herrgott, nicht du auch noch.«

»Ich weiß doch, was du Mack gegenüber empfindest … und einem Typen wie Malvo auch.«

»Ich bin zuallererst ein Cop.« Doch nicht einmal, als er es aussprach, war er sich dessen ganz sicher. Heute Morgen war er einem Meineid ziemlich nahegekommen, jedoch nicht nah genug, um in Handschellen abgeführt zu werden. Er fand einfach, dass ein Schwarzer dafür, dass er eine Waffe auf einen Typen wie Malvo gerichtet hatte, nicht ins Gefängnis wandern sollte. Und irgendwo tief in seinem Innern dachte er vielleicht sogar, dass auch niemand dafür ins Gefängnis wandern sollte, einen Typen wie Malvo zu erschießen.

»Sie werden dich nämlich drankriegen, Darren. Und ich spreche nicht nur vom Job. Sie werden dich anklagen, wenn sie glauben, dass du Beweismittel unterschlägst.«

»Denkst du, ich weiß das nicht?« fragte er. »Ich habe nichts getan. Und Mack auch nicht.«

»Bist du sicher? Nachdem sich der Typ bei seiner Enkelin so danebenbenommen hat. Wenn es andersrum gewesen wäre, wäre Mack in früheren Zeiten allein dafür aufgeknüpft worden. Vielleicht hat der alte Mann nur selbst für ein wenig Gerechtigkeit gesorgt, wenn auch auf die knallharte Tour.«

»Jetzt klingst du wie Lisa.«

»Ich werde mich da nicht reinhängen«, sagte Greg. »Und deswegen habe ich dich auch nicht angerufen.«

Darren schüttelte das hellblaue Taschentuch aus und sah dabei zu, wie Eisstückchen auf den Boden fielen. Auf dem Bürgersteig vor seinem Wagen starrte ein etwa fünfjähriger Junge Darren mit offenem Mund an, bis seine Mutter ihn wegzog und sagte: »Komm jetzt.« Darren, der sich daran erinnerte, welche Ehrfurcht ein waschechter Texas Ranger in einem Kind wecken konnte, tippte sich lächelnd an den Hut.

»Hast du von dem Ärger oben in Lark gehört?«, fragte Greg.

»Ich hab noch nie was von Lark gehört.«

»Shelby County, direkt hinter der westlichen Grenze, winziger Ort. Ich glaube nicht, dass er mehr als zweihundert Einwohner hat.«

»Ja«, sagte Darren, der sich an ein kleines Café am Highway erinnerte, wo er einmal eine Cola getrunken hatte. »Ich bin mal durchgefahren.«

»Man hat innerhalb von sechs Tagen zwei Leichen gefunden. Die eine von einem Schwarzen aus Chicago, ein wenig jünger als wir, fünfunddreißig, glaube ich. War anscheinend nur auf der Durchreise. Zwei Tage später hat jemand seine Leiche aus dem Attoyac Bayou gezogen.«

»Herrje.«

»Und heute Morgen ist noch eine aufgetaucht«, sagte Greg. »Ein weißes Mädchen aus dem Ort, zwanzig Jahre alt.« Durch das Telefon hörte Darren Papierrascheln auf dem Schreibtisch in Gregs Arbeitsnische. Er war erst seit ein paar Jahren beim FBI und hatte bisher keinen großen Fall gelöst, nichts, was ihm einen Karrieresprung verschafft hätte. »Melissa Dale.«

»Haben sie miteinander zu tun?«

»Das wüsste ich gern. In Lark hat es seit Jahren keinen Mord gegeben, und jetzt haben sie zwei in einer Woche.«

»Kein Zufall, was?«, sagte Darren.

»Da ist was im Busch.«

Darren spürte, wie bei der Erwähnung eines rassistisch motivierten Mordes im Staat sein Puls beschleunigte, eine Reaktion, gegen die er nichts machen konnte. »Woher weißt du das?«

»Ich hab meine Spitzel«, sagte Greg.

»Wie heißt sie?«

Greg lachte leise, denn er genoss seinen Ruf als Mann mit einem Schlag bei den Frauen, vor allem bei denen, die leicht zu erobern waren, was Darren nicht sonderlich beeindruckte. »Sagen wir, ich habe einen Anruf von jemandem aus der Rechtsmedizin im Dallas County bekommen. Shelby County hat sie damit beauftragt, die Autopsie des Mannes durchzuführen.« Noch mehr Papierrascheln, dann nannte Greg den Namen: »Michael Wright. Sobald sie den Leichensack geöffnet und einen gründlichen Blick auf ihn geworfen hatten, hatten sie eine Menge Fragen an den Sheriff.«

»Wieso?«

»Hat was mit dem Zustand der Leiche zu tun. Das ist alles, was man mir am Telefon verraten hat.«

»Was ist die Todesursache?«

»Ertrinken«, sagte Greg. »Doch das heißt nur, dass er noch geatmet hat, als er im Wasser gelandet ist. Der Sheriff hält zweifellos an Ertrinken fest und schließt jede andere Möglichkeit aus. Niemand will ein zweites Jasper.«

Die Erwähnung von Jasper, Texas, traf bei Darren einen Nerv, wie Greg wusste. Darren war 1998 ein dreiundzwanzigjähriger Jurastudent im zweiten Jahr gewesen, der noch immer den überraschenden Tod seines Onkels William betrauerte. Er war in einem Aufenthaltsraum für Studenten, um sich zwischen den Seminaren ein Sandwich zu holen, als die Berichte über den zu Tode geschleiften James Byrd Jr. über die Fernsehbildschirme flimmerten. Darren verpasste das nächste Seminar. Er blieb dort und sah sich stundenlang die Berichterstattung auf CNN an. Die Wut, die er angesichts der Tatsache verspürte, dass jemand einen Schwarzen mit einem Pick-up durch einen Ort geschleift hatte, bis es ihm buchstäblich den Kopf abriss, war schwer in Worte zu fassen. Er schämte sich für sein Land und er schämte sich für seinen Heimatstaat.

Doch er verspürte auch einen brennenden Zorn auf die Studenten und Professoren um ihn herum, von denen die meisten weiße Nordstaatler waren, die mit der Zunge schnalzten und auf eine Art und Weise Texas flüsterten, die sowohl Mitleid als auch Verachtung für einen Staat ausdrückte, den Darren liebte, einen Staat, der aus ihm gleichermaßen einen Gentleman und Kämpfer gemacht hatte. Es war schwer, das überhaupt in Worte zu fassen. Also versuchte er es gar nicht erst. Er verließ einfach die Fakultät. Am Ende des Sommers hatte er sich beim Texas Department of Public Safety beworben, um State Trooper zu werden, der erste Schritt in dem fast ein Jahrzehnt dauernden Bemühen, Mitglied der ehrwürdigen Strafverfolgungsbehörde, bekannt als Texas Rangers, zu werden, die antrat, wenn die lokalen Behörden ein Verbrechen nicht aufklären konnten oder wollten . Darren hatte das aufgrund des einzigen Gesetzes entschieden, das damals für ihn gültig war: Beide Beine fest auf dem Boden, eine Marke und ein Colt Kaliber 45. Seine innere Werteskala ähnelte der von Onkel William, und daran war nicht zu rütteln. Als Clayton, der Anwalt, erfuhr, dass sein Neffe das Jurastudium abgebrochen hatte, sagte er lediglich: »Ich bin zutiefst enttäuscht von dir, mein Sohn.«

»Wurde er als Erster getötet?«, fragte Darren Greg.

»Man hat ihn am Freitag aus dem Bayou gezogen, vor drei Tagen also. Das Mädchen erst später, eine Viertelmeile stromabwärts, heute Morgen.«

Seltsam, dachte Darren.

Die Geschichten aus dem Süden wurden normalerweise in umgekehrter Reihenfolge erzählt: auf eine weiße Frau, die getötet worden war oder anderweitig Schaden genommen hatte, tatsächlich oder eingebildet, folgte, wie der Mond der Sonne, der Tod eines Schwarzen. »Was ist bei ihr die Todesursache?«, fragte er.

»Es gibt noch keine Autopsie. Man weiß nur, dass sie unter ganz ähnlichen Umständen gefunden wurde wie die erste Leiche. Ich dachte, dass vielleicht Gerüchte wegen sexuellem Missbrauch die Runde machen.«

»Wieso schickst du keinen Ermittler rauf?«

»Der Sheriff hat keinen angefordert und auch sonst um keine Hilfe von außerhalb gebeten, abgesehen davon bin ich nicht autorisiert, so etwas zu entscheiden.«

»Was soll ich also tun?«

»Fahr rauf und hör dich um, mal sehen, ob da mehr dran ist, als der Sheriff zugeben will. Irgendwas mit dem Klan oder Schlimmeres. Wie hast du es noch bezeichnet … irgend so ein Rassending, wie es das schon ewig gibt? Ich finde, in der Sache sollte ermittelt werden. Und ich weiß, dass du dich wegen solcher Fälle für die Marke entschieden hast.«

»Ich bin suspendiert, Greg. Also keine Marke.«

Doch als er an sich hinunterblickte, wurde ihm bewusst, dass er wegen seines Auftritts bei Gericht den fünfzackigen Stern noch immer trug, und seine Uniform ebenfalls. »Und was versprichst du dir davon?«

»Du meinst, abgesehen von Gerechtigkeit?«

»Ich meine, sei ehrlich zu mir.«

»Wenn da etwas dran ist, wenn das was Größeres ist, als der Sheriff zugibt, irgend so ein Rassending, das sie da draußen verbergen wollen, und ich derjenige bin, der das rausfindet, könnte mich das aus diesem winzigen Kabuff hier befreien, wie du weißt.«

»Komm schon, Greg«, sagte Darren, der den unverhohlenen Ehrgeiz seines Freundes sowohl missbilligte als auch verstand. Greg war unglücklich an seinem Schreibtisch in Houston, wo er hauptsächlich an Fällen von Korruption und Wirtschaftskriminalität arbeitete. Als Gesetzeshüter wurde er, Darren, erst dann so richtig munter, wenn er das wahre Dasein eines Texas Rangers führte, im Außeneinsatz nämlich. Der Sondereinheit beizutreten hatte sein Leben verändert, doch es hatte seine Ehe schwer belastet. Die Zeit, die er auf der Straße verbrachte, hasste Lisa an dem Job am meisten.

»Die Sache da draußen stinkt, Darren, und du weißt das.«

Er hatte keinen blassen Schimmer.

Allerdings passierte es nicht oft, dass die Leiche eines Schwarzen in einem Fluss auftauchte.

»Widme der Sache ein, zwei Tage«, sagte Greg. »Wenn dir bis dahin nichts komisch vorkommt, fahr wieder nach Hause.«

Doch Darren war sich im Augenblick nicht mehr sicher, wo zu Hause war.

»Ich mach’s«, sagte er.

Er hatte bereits gewusst, dass er hinfahren würde, hatte es in dem Moment gewusst, als Greg ihm den Vorfall in Lark geschildert hatte. Sowohl seine Verärgerung über die Grand Jury und Mack als auch seine Verbitterung gegenüber den Rangern, die ihm Steine in den Weg legten, trieben ihn dazu.

»Und lass dich nicht aus der Reserve locken. In Shelby County gibt es ebenfalls ABT.« Als müsste Greg ihm das extra mitteilen. Er nickte grimmig, als er in die Kabine seines Trucks stieg und seine wunde Hand um das Lenkrad legte.