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Er sagte zu Randie, dass er einen Anruf machen müsse und murmelte etwas von seinem Lieutenant, irgendwas, das ihm ein paar Minuten verschaffte, um den Bericht des Gerichtsmediziners zu lesen. Das konnte er nicht in Randies Anwesenheit tun. Er würde ihr nur das Nötigste mitteilen, mehr nicht. Er ging hinaus, als in der Jukebox ein Stück von John Lee Hooker begann, und Randie ließ sich unter der Gitarre in die Nische sinken und blickte zu der Les Paul hinauf. Bluebird, Bluebird, take this letter down South for me , sang der Boogie Man, als Darren die Eingangstür des Cafés öffnete und die Glocke hinter ihm klingelte. Ihm brach der Schweiß aus, er brannte auf der Haut. Er setzte sich in die Fahrerkabine seines Trucks, in der es von der Mittagssonne warm war. Die Datei kam zusammen mit einer E-Mail, in der stand, dass die Obduktion von Missy Dale in der Gerichtsmedizin von Dallas noch nicht abgeschlossen sei.

Darren öffnete den Bericht über Michael Wright.

Die Bilder kamen als Erstes. Die Haut war von einem wächsernen, leicht violetten Grau, der Körper so aufgedunsen, dass er kaum mehr einem menschlichen Wesen glich. Die zwei Tage, die Michael im Wasser gelegten hatte – bevor er von einem weißen Farmer auf der anderen Seite des Bayous entdeckt worden war –, hatten sowohl den Körper als auch Beweisspuren zerstört, wie auf der ersten Seite des Berichts vermerkt war. Doch an Michaels linker Kopfhälfte war bei der gerichtsmedizinischen Untersuchung noch immer eine Verletzung sichtbar gewesen, die Haut an seinem Auge aufgeplatzt und verfärbt und über dem Ohr ein tiefer Schnitt. Er war so schwer verprügelt worden, dass er eine doppelte Schädelfraktur hatte, vermutlich verursacht durch einen Gegenstand mit dem Durchmesser eines Baseballschlägers, aber mit scharfen Kanten, die in seine Haut geschnitten hatten. Die Gerichtsmedizinerin namens Aimee Kwon hatte angemerkt, dass um die Verletzung herum zwei Fasern so tief in das Gewebe eingedrungen waren, dass, obwohl die Leiche mehrere Tage im Wasser gelegen hatte, eine Pinzette erforderlich gewesen war, um sie zu entfernen. Die Fasern hatten Ähnlichkeit mit dem Holzschliff unbehandelter Kiefern, würden jedoch noch näher untersucht werden müssen, um sicher zu sein. Wegen der begonnenen Verwesung in der Schädelhöhle konnte sich die Gerichtsmedizinerin nicht sicher sein, ob der Schlag auf Michaels Schädel ihn sofort außer Gefecht gesetzt hatte oder ob er noch aus eigener Kraft zum Ufer des Bayous hatte gehen können. Sein Blutalkoholspiegel lag bei 0,2 Promille, was bedeutete, dass er höchstens einen Drink gehabt hatte. Darren glaubte nicht, dass Alkohol eine Rolle gespielt hatte und die Gerichtsmedizinerin auch nicht. Sie hatte es ausgeschlossen. Das Ba- youwasser in Michaels Lunge legte nahe, dass er ertrunken war. Doch ob er in den Bayou hineingefallen oder bewusstlos ins Wasser gezogen worden war, konnte die Obduktion nicht beantworten. Ohne weitere Informationen aus den Ermittlungen des Shelby Countys galt die Todesursache als ungeklärt. Es war offiziell weder ein Unfall noch Mord. Darren, der in dem flachen, schlammigen Bayou gestanden hatte, glaubte, dass jemand Michaels schlaffen, am Boden liegenden Körper ins Wasser gezogen hatte. Und mehr denn je glaubte er zu wissen, wer derjenige war.

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Er setzte Randie so behutsam wie möglich in Kenntnis, ohne ihr die Bilder und die Details des Berichts zu zeigen. Es überraschte ihn, dass sie ihm offenbar so sehr vertraute, dass sie nicht darauf bestand. Sie war stiller denn je. Sie lauschte seinen Worten, den auswendig zitierten Passagen der Obduktionsergebnisse. Sie nickte, stellte jedoch kaum Fragen. Irgendwann legte sie den Kopf an das Beifahrerfenster und weinte. Sie sagte nur, dass sie sich übergeben müsse, doch als sie die Tür öffnete und den Kopf über den grauen Asphalt beugte, kam nichts. Es gab keine Linderung, sie lehnte sich auf dem Sitz zurück und wischte sich einen Speichelfaden von der Unterlippe. Sie stützte ihre schwarzen Stiefeletten auf den Sitz, nachdem sie ihre Knie so fest angezogen hatte, dass sie sie umschlingen konnte, was ihren Körper zu einer Zuflucht gegen den Schmerz machte, der sie regelrecht schüttelte. Darren sagte leise ihren Namen. Er wollte sie an der Schulter berühren, tat es aber nicht. »Überlassen Sie den Rest mir, okay? Sie brauchen sich nicht damit zu quälen. Bringen Sie Ihren Mann nach Hause und begraben Sie ihn. Ich verspreche Ihnen, ich finde denjenigen, der Michael das angetan hat.«

Sie ließ abrupt ihre Knie los und setzte sich kerzengerade hin. »Ich gehe nirgendwohin.«

»Randie, lassen Sie mich meinen Job machen.«

»Ich gehe erst, wenn der Täter verhaftet wurde. Ich lasse ihn nicht im Stich«, sagte sie, als würde Michaels Seele für immer in Lark bleiben, wenn sie nicht bis zum Ende durchhielt. Sie hatte sich erneut verhärtet, und ihre Wut half ihr, sich zu fassen; das Zittern hörte auf.

»Na schön. Aber es gibt ein paar Dinge, die ich allein tun muss«, sagte Darren. Randie blickte ihn mit hochgezogenen Brauen an. »Ich gehe noch einmal in dieses Eishaus«, sagte er. »Und Sie können da nicht einfach reinspazieren.«

»Sie aber auch nicht.«

»Ich sagte nicht, dass ich hineingehen werde.«

Weil ihr Mietwagen am Motel stand, überließ er ihr seinen Truck mit der strikten Anweisung, ihn abzuholen, wenn sie entweder eine Textnachricht von ihm erhielt oder eine Stunde vergangen war. Sie setzte ihn an der FM 19 ab, an dem schmalen Waldstück zwischen Landstraße und Eishaus. Nachdem er aus dem Chevy gesprungen war, ging er zwischen dicht stehenden Kiefern und Eichen hindurch bis zu einer Lichtung auf der Rückseite des Eishauses. Countrymusik drang aus der Kneipe. Waylon Jennings sang darüber, in Luckenbach, Texas neu anfangen zu wollen. Außer dem schwächer werdenden Motorengeräusch seines Trucks und der plärrenden Musik war nichts zu hören. Er wartete, bis er glaubte, dass Randie verschwunden war.

Es gab einen Propangastank und einen Generator hinter dem Eishaus, außerdem einen Räucherofen, der mit Kiefernnadeln bedeckt war und schon vor Jahren Rost angesetzt hatte. Neben einem Plastikgartenstuhl war ein umgedrehter Farbeimer, auf dem ein angeschlagener Glasaschenbecher stand. So nah am Wald war der Kieferngeruch sehr intensiv, kam jedoch gegen den Gestank nach Müll und Bierresten in Flaschen, die sich in einer schwarzen Mülltonne stapelten, auf deren Deckel tote Fliegen klebten, nicht an. Darren steckte eine einzelne Zigarette in seine Hemdtasche und wartete. Es war fast drei Uhr nachmittags, und die Sonne war auf die andere Seite des Highways gewandert. Hinter Jeff’s Juice House wehte ein leichter Wind und wirbelte ein paar Kassenbelege auf, die zwischen Grasbüscheln lagen. Kleine Plastikbeutel waren über den Boden verstreut, ein paar davon alt und halb in der Erde vergraben und so klein, dass man darin Knöpfe oder Wechselgeld oder Crystal Meth aufbewahren konnte. Wo die Arische Bruderschaft war, waren normalerweise auch Drogen. Darren beugte sich hinunter, hob einen mit seinem Taschentuch auf und steckte ihn als mögliches Beweismaterial ein. Er behielt den Hintereingang im Auge und wartete.

Um die Zeit totzuschlagen, nahm er das Telefon heraus und suchte nach Joe Sweet, dessen Name inzwischen mehrmals erwähnt worden war. Joe »Petey Pie« Sweet war laut Wikipedia 1939 als Joseph Sweet auf einer Farm außerhalb von Fayette, Mississippi geboren worden und eines von elf Kindern. Sein älterer Bruder Nathan hatte ihm das Gitarrespielen beigebracht, und im Alter von zwölf spielte er in Schwarzenkneipen, in denen er selbst nichts trinken durfte. In den späten Fünfzigern verließ er mit zwei seiner Brüder Mississippi und ließ sich zuerst in Gary, Indiana und anschließend in Chicago nieder, dem Mekka des Delta-Blues, den die Bewohner von dort in den Norden gebracht hatten. Joe schloss sich bald Muddy Waters und dem jungen Buddy Guy an, spielte in einer Band mit Little Walter und regelmäßig bei Sessions der Chess Brothers. Er tourte ein bisschen mit Bobby »Blue« Bland, probierte aber nichts Eigenes. In den späten Sechzigern hörte er auf zu touren und Platten einzuspielen und wurde 2010 bei einem Raubüberfall in Lark, Texas im Alter von einundsiebzig Jahren getötet. Von 1968 bis zu seinem Tod war er mit Geneva Sweet verheiratet gewesen. Gemeinsam hatten sie einen Sohn, Joe Sweet Jr., der 2013 gestorben war.

Aus Neugier klickte Darren noch ein paar andere Seiten an und fand Bilder eines Schwarzen mit tiefdunkler Hautfarbe, der schmale Krawatten und einen kurz geschorenen Afro trug. Darren musste immer wieder an eine Sache denken: Sowas hatten wir hier nicht mehr, seit Joe gestorben ist . Gefolgt von Tims provozierender Frage: Welchen von beiden meinst du?

Sie waren tot – Genevas Ehemann und ihr Sohn, Faiths Vater.

Ihre beiden Joes, beide gestorben.

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Die Hintertür des Eishauses ging plötzlich auf und als Darren aufblickte, sah er, wie die Barkeeperin von gestern Abend herauskam und sich eine Zigarette anzündete, bevor sie ebenfalls aufblickte und Darren sah. Sie ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, sondern blies den Rauch durch die Nase aus und sagte: »Sie sollten sich hier lieber nicht mehr blicken lassen. Wenn Brady sieht, dass Sie hier rumschnüffeln, kriegen Sie Ärger und ich gleich mit dazu.«

»Ist das Ihr Boss?«

»Wally ist der Boss«, sagte sie. »Brady ist nur der Geschäftsführer.«

»Weiß er, was für Leute seine Bar frequentieren?«

»Ich weiß nur, dass er Sie dort nicht sehen will.«

»Ich rede von der Bruderschaft, Ma’am«, sagte er und dachte, dass eine Frau wie sie – heute trug sie ein Netz-Shirt über einem schmuddeligen weißen Trägerhemd, und an ihrem Hals waren noch mehr entzündete Stellen und Eiterpickel zu sehen – das Wort Ma’am nicht oft hörte und ein wenig Respekt nicht schaden konnte. »Ich rede von den Kerlen mit den ABT-Tattoos, von dem Dicken, der uns gestern Abend vom Grundstück gejagt hat.«

»Das ist Brady«, sagte sie.

Sie blickte über die Schulter.

Die Hintertür stand einen Spaltbreit offen, festgehalten von einem Stein.

Darren konnte Geschirrgeklapper aus der Küche hören.

»Und Wally weiß das?«, fragte er und fand selbst, dass er ziemlich naiv klang.

»Wally gehört nicht gerade zu denen, die beim Marsch nach Washington dabei waren«, sagte sie, und er fragte sich, wie alt sie sein mochte. Wenn die Falten in ihrem Gesicht vom Meth stammten, war das schwer zu sagen; die Droge hinterließ ihre Spuren. Er beobachtete, wie sie einen Zug von ihrer Zigarette nahm und ausgiebig seine Dienstmarke beäugte. Offensichtlich machte sie ihr Angst – vielleicht mehr als Brady.

»Wenn Sie mich was fragen wollen, tun Sie das lieber gleich, bevor meine Pause zu Ende ist.« Sie blickte noch zweimal zur Tür, während sie alle zwei Sekunden von einem Bein aufs andere trat und mal mit der einen und dann wieder mit der anderen Hand an ihren Haaren zupfte oder an ihrem Daumennagel knabberte. Sie trug Slipper von Keds, die vom Schmutz graubraun waren, und die Haut an ihren Beinen war trocken und blass.

»Keith Dale«, sagte Darren. »Ist er in der Bruderschaft?«

»Ich bin nicht die Clubsekretärin.«

Darren schenkte ihr einen wissenden Blick und stemmte seine Absätze in den Boden, um zu signalisieren, dass er nicht vorhatte zu gehen. »Er hängt hier ab«, räumte sie ein und drückte nach einem tiefen Zug und einem Husten ihre Zigarette aus. Dann zuckte sie mit den Achseln. »Eine Menge Leute kommen in die Kneipe. Ist ’n ganz netter Laden. Keith ist nichts Besonderes.«

»War er Mittwochabend hier?«

»Ich habe ihn nicht gesehen«, sagte sie und blickte über seinen Kopf hinweg zu den Kiefernwipfeln. Darren spürte, dass da mehr war, direkt unter der Oberfläche. Doch weil sie offenbar nichts mehr zum Rauchen hatte, wandte sie sich zum Gehen.

Er bot ihr die einzelne Zigarette in seiner Tasche an, wie Zuckerbrot und Peitsche. »Dealt Brady hier draußen mit Crystal?«, fragte er. »Van Horn mag darüber hinwegsehen, aber als Ranger kann ich das nicht. Nicht mit den Feds im Nacken, die dauernd Informationen von uns haben wollen. Vielleicht haben Sie ja gerade welches bei sich«, sagte er und unterstrich die Drohung, indem er mit seinen Blicken nach irgendwelchen Ausbuchtungen in ihren engen Jeans suchte. Sie wurde blass, schüttelte den Kopf und streckte, Darrens Camel zwischen den Fingern, abwehrend die Hände aus. Er beugte sich vor, um die Zigarette anzuzünden und sah ihr in die haselnussbraunen Augen, während sie vom Rauch, den sie ausstieß, eingehüllt wurde. Er hatte sie aus der Fassung gebracht. Er spürte, wie sie überlegte. Auf der anderen Seite des Bayous räucherte jemand Wildfleisch, zwei Wochen vor der Jagdsaison. Darren bemerkte den süßlichen Geruch von Pekanholz. »Sie riskieren eine Anklage, wenn sie denen dabei helfen, irgendwelche Drogen zu verstecken.«

»Ich weiß davon nichts«, sagte sie bestimmt. Mit einer Hand fuhr sie sich über ihr dünnes, fettiges Haar und seufzte resigniert. »Also, Keith kam normalerweise rechtzeitig vom Sägewerk, um sich ein Bier zu genehmigen und dann mit Missy nach Hause zu fahren, wenn ihre Schicht zu Ende war. Aber wenn es im Sägewerk später wurde, lief sie nach Hause. Das Häuschen ist direkt an der FM 19, die auf der anderen Seite der Bäume entlangführt«, sagte sie und zeigte zu dem Waldstück, durch das Darren gerade gekommen war. »Ganz ehrlich, ich schwör’s bei meinen Kindern, ich habe Keith Dale an dem Abend nicht gesehen.«

»Und wer hat den Fremden bedient?«

»Wen?«

Doch sie wusste, wen er meinte.

»Wie heißen Sie, Ma’am?«, fragte Darren. Er war direkt, aber nicht unhöflich. Doch sie sollte auf keinen Fall vergessen, dass er ein Gesetzeshüter war. »Ich habe nach Ihrem Namen gefragt.«

»Lynn.«

»Sagen Sie mir, Lynn, wer den Schwarzen bedient hat.«

Sie seufzte und spuckte es schließlich aus: »Missy.«

Sie betrachtete ihre Zigarette, als hätte das Nikotin es ihr verraten. Eineinhalb Zigarettenlängen bedeuteten, dass ihre Pause endgültig vorbei war. »Hör’n Sie, ich muss wieder rein. Das ist nicht böse gemeint, aber ich krieg echt Ärger, wenn ich mit ’nem Cop rede.«

»Haben Sie schon mit dem Sheriff darüber gesprochen?«

»Er hat erst Fragen über den schwarzen Typen gestellt, nachdem Missy tot war«, sagte sie und drückte die zweite Zigarette aus. »Er war heute Morgen hier.«

Deshalb ist er also zu spät bei Wally aufgetaucht, dachte Darren; er hatte versucht, seinen Rückstand aufzuholen und so getan, als hätte er die ganze Zeit am Mord von Michael Wright gearbeitet. »Und was haben Sie ihm erzählt?«, fragte er.

»Was ich Ihnen erzählt habe – dass sie ihn bedient hat.«

»Den Schwarzen? Michael?«, fragte er zur Sicherheit.

Sie nickte. »N’ Haufen Leuten hat’s überhaupt nicht gepasst, die beiden miteinander reden zu sehen.«

»Reden?« Das hatte van Horn ebenfalls gesagt.

»Mindestens eine Stunde. Missy saß sogar eine Weile an seinem Tisch. Ich musste ihr sagen, dass sie gehen soll. Es war schon zwanzig Minuten nach Schichtende und sie hatte noch nicht Schluss gemacht.«

»Ist sie allein gegangen?«, fragte Darren.

Michael hatte das Gästezimmer in Genevas Trailer gemietet, war aber nie zurückgekommen.

»Das war nicht meine Sache«, sagte sie ausweichend.

»Sagen Sie es mir, Lynn.«

Sie kratzte an einem Pickel am Kinn. »Ja, ich hab gesehen, wie sie mit ihm rausgegangen ist.«

»Sind Sie sicher?«

Sie nickte.

Darren schüttelte nachdenklich den Kopf. Er wünschte, es stimmte nicht, konnte sich kaum vorstellen, dass ein Mann, der mit Randie zusammen war, mit einer College-Abbrecherin aus einem winzigen Kaff in Texas herummachte. Und ganz bestimmt wollte er nicht derjenige sein, der diesen Teil der Geschichte der trauernden Witwe erzählte.

»Und was ist mit Keith?«, fragte er. »Sie haben gesagt, er wäre nicht in der Bar gewesen.«

»Nein. Ich habe gesagt, ich hätte ihn nicht gesehen. Aber vielleicht hat er ja den Kopf reingestreckt. Wenn sie nicht mehr da war, sammelte er sie manchmal auf der Landstraße auf, wenn sie zu Fuß auf dem Weg nach Hause war. Bestimmt hätte er sie gesucht«, sagte sie, bevor sie die letzten Worte geradezu ausspie: »Manche Leute lernen’s nie.«

Darren verstand nicht gleich, was sie meinte. Doch er hatte jetzt eine Vorstellung, eine Theorie. Keith war vielleicht seiner Frau zusammen mit einem Fremden, einem Schwarzen, auf der Landstraße begegnet. Das war die engste Verbindung, die Darren zwischen Keith Dale und Michael Wright herstellen konnte. Doch er brauchte etwas Konkretes von ihr – am besten schriftlich –, wenn er Wilson dazu überreden wollte, weiter Druck zu machen, Keith Dale als Person von besonderem polizeilichen Interesse einzustufen.

»Hat Brady irgendwo einen Dienstplan?«, fragte er. »Ich meine, ich muss nicht wissen, was sonst noch in seinem Büro ist«, sagte er und deutete damit ganz beiläufig eine mögliche Durchsuchung wegen Drogen an, »aber ich brauche diesen Dienstplan, Lynn. Speziell den für Mittwochabend. Es ist sehr wichtig.« Er erwähnte nicht, dass sie eine eidesstattliche Erklärung abgeben müsste, damit das, was sie gerade erzählt hatte, als Beweis gelten würde. Und sie nickte, als sie wieder hineinging, weshalb er sie nicht drängte. Er schrieb Randie, dass sie ihn abholen könnte. Falls sie beim Geneva’s wartete, wie er sie gebeten hatte, wäre sie gleich hier.

Die Hintertür des Eishauses ging erneut auf.

Zu schnell, dachte er. Viel zu schnell .

Noch bevor er aufblickte, wusste er, dass es Ärger geben würde, und statt Lynns nikotingelben Fingern, die ihm ein Beweisstück reichten, sah er Bradys Faust, die mit der Geschwindigkeit eines Fastballs auf ihn zukam. Ich hätte wissen müssen, dass es nicht so einfach ist . Der Gedanke explodierte wie ein Feuerwerkskörper in seinem Kopf, als ihn die Faust am Kinn traf.

Er wurde zurückgeschleudert und riss bei seinem Sturz die Mülltonne um. Er schnippte die Lasche an seinem Holster auf und hatte seinen Colt in der Hand, noch bevor er wieder auf den Füßen war. Doch Brady hatte bereits seine 357er auf ihn gerichtet. Und er war nicht allein. Darren brauchte einen Moment, um den Weißen mit seiner verschwitzten Baseballmütze, der neben Brady stand, zu erkennen. Es war Keith Dale. Brady bot ihm den tödlichen Schuss mit einer solchen Kälte an, dass Darren das Adrenalin wie brennende Säure durch die Adern schoss. »Das ist deine Trophäe, wenn du willst, Keith«, sagte Brady, ein schiefes und unheimlich selbstbewusstes Grinsen im Gesicht. »Damit kann ich dich reinbringen.«

Darren blieb vor Panik die Luft weg, als er den typischen Jargon der Bruderschaft erkannte. Brady blickte Beifall heischend in Keiths Richtung, damit sein Schützling die Bedeutung dieses Augenblicks begriff, das Geschenk, das ihm Brady machte. Keith stieß ein kurzes Triumphgeheul aus. Brady wurde ernst und sagte: »Tu es für Ronnie Malvo.«

Der Name hallte in Darrens Kopf wider.

Ronnie »Redrum« Malvo, der Mann, der letzten Monat unerlaubt Macks Grundstück betreten hatte und zwei Tage später tot aufgefunden worden war. Durch irgendwelche Seiten in den sozialen Medien, Facebook und Reddit-Foren, musste sich Darrens flüchtige Verbindung mit Malvos Tod bis nach Shelby County herumgesprochen haben. Darren war offiziell zur Zielscheibe geworden und würde gleich sein Leben verlieren, wenn er nicht sofort handelte.

Er kickte Brady die 357er aus der Hand, die in hohem Bogen nach links flog. Brady machte eine Bewegung in ihre Richtung, doch Darren hatte innerhalb von Millisekunden den Colt auf seinen Kopf gerichtet. Die Marke gab ihm das Recht zu schießen. Aber es konnte das Ende seiner Karriere bedeuten, wenn er auf einen unbewaffneten Mann schoss. Er war in einer Pattsituation mit sich selbst. Sein Zögern war ihm peinlich und machte ihn wütend.

»Hättest den Kerl erschießen sollen, als du die Gelegenheit dazu hattest«, raunzte Brady Keith an. Doch jetzt hatte Darren die Oberhand und hielt beide Männer mit dem Colt in Schach. Er betrachtete Keith von der Mütze bis zu seinen Arbeitsschuhen. Seine Fingerknöchel waren zerschrammt, und sowohl auf dem Handrücken als auch auf der Wange direkt unterm linken Auge hatte er eine Prellung. Sie hatte sich zu einem gelblichen Grün verfärbt, mit verblassenden Spuren von Violett in der Mitte. Ein paar Tage alt . »Woher haben Sie diese Prellungen, Keith?«

Keith blickte Darren verächtlich an und spuckte ihm vor die Füße. »Fick dich.«

»Du sagst kein weiteres Wort«, sagte Brady. »Van Horn kümmert sich darum.«

Da hörte Darren die Sirenen.

In ein paar hundert Metern Entfernung vielleicht, und sie kamen näher.

Darrens Handy, das umgedreht auf dem Boden lag, klingelte. Randie wartete auf der anderen Seite der Bäume auf ihn. Zumindest hoffte er, dass sie es war.

Aber nein: Sie war hier. Sie war nicht zum Geneva’s gefahren, sondern hatte stattdessen neben dem Parkplatz vom Eishaus gestanden und auf ihn gewartet. Und jetzt kam sie mit seinem Truck um die Ecke des flachen Gebäudes und hatte Mühe, das riesige Ding über den holprigen Grund zu lenken. Sie trat so fest auf die Bremse, dass sie roten Staub aufwirbelte. Darren konnte kaum ihr Gesicht über dem Lenkrad erkennen.

Als sie die Waffen sah, schrie Randie.

Ihre Panik machte Brady nervös. Er starrte auf die Pistole zu seinen Füßen. Das könnte ins Auge gehen, wie Darren augenblicklich erkannte, und er wollte nicht, dass Randie ins Kreuzfeuer geriet. Er musste sofort von hier verschwinden. Während er nach seinem Telefon griff und zum Truck eilte, hielt Darren mit seiner Waffe die beiden Männer in Schach. Die Sirenen kamen näher, als er neben Randie in den Wagen stieg. Als Brady nach seiner 357er griff, brüllte Darren: »Fahren Sie!« Randie starrte ihn panisch an. Um den Chevy wenden zu können, musste sie zuerst in Richtung Eishaus zurücksetzen. Für einen kurzen Moment befanden sie sich Auge in Auge mit Brady, der vor dem Chevy stand und den Lauf seiner Waffe direkt auf sie richtete. Randie sah ihn durch die Windschutzscheibe und erstarrte inmitten ihres Wendemanövers. »Nehmen Sie den Fuß von der Bremse, Randie«, befahl ihr Darren, während er am Lenkrad kurbelte, um die Vorderreifen in Richtung Highway auszurichten. »Los jetzt«, sagte er. »Fahren Sie!« Sie drückte aufs Gaspedal und Darren stützte sich am Armaturenbrett ab, als sie vorwärts schossen. Tief übers Lenkrad gebeugt, steuerte sie den breiten Truck zwischen der baumbestandenen Wiese und der Seitenwand des Eishauses hindurch.

Darren hörte, wie es hinter ihnen zweimal unverkennbar knallte.

Ein Schuss traf den Außenspiegel auf Darrens Seite.

Der andere einen der Hinterreifen. Nachdem sie den Parkplatz überquert hatten, fuhren sie an van Horn vorbei, der vom Highway kam und den Blick auf Darren geheftet hatte. Beim Anblick eines Cops zögerte Randie, doch Darren befahl ihr weiterzufahren, bevor Bradys nächster Schuss traf, bevor er sie beide tötete.