19

Keith holte sie auf der Landstraße ein, seine Frau und den Nigger, nur ein paar Meilen von dem Haus entfernt, für das Keith jeden Monat die Miete zahlte. Später sagte Missy immer wieder, dass er sie nur nach Hause fahren wollte, dass Keith das in den falschen Hals gekriegt hätte; sie hätten sich bloß unterhalten. Doch in dem Augenblick kümmerte Keith das nicht. Er ließ die Reifen in der roten Erde durchdrehen und fuhr dem dunklen Wagen frontal entgegen. Michael Wright musste eine Vollbremsung machen, um nicht in Keiths Truck zu knallen. Der Nigger hob die Hand, um seine Augen vor dem gleißenden weißen Licht zu schützen, das in seinen Wagen schien. Er wirkte ehrlich bestürzt über das, was passierte, und das heizte Keiths Wut nur noch mehr an – dass der Mann nicht einmal wusste, dass er einen Fehler beging, nicht aus der Gegend kam und nicht wusste, dass man so was hier einfach nicht machte. Im Scheinwerferlicht von Keiths Ford waren Nummernschilder aus Illinois zu erkennen, die Plakette auf der Motorhaube in dem klassischen Blauweiß, der Nigger zu blöd, um zu wissen, dass er die Lieblingsmarke des Führers fuhr. Wie findest du denn die Zierleisten? Keith war selbst nie weiter als bis Oklahoma gekommen und glaubte, dass die Welt außerhalb von Texas ein Sündenpfuhl gemischter Rassen war und ein Irrtum darüber herrschte, wer dieses Land aufgebaut hatte, während Schwarze und Latinos die Hand ausstreckten und um alles Mögliche bettelten, keinen einzigen Tag in ihrem Leben anständig gearbeitet hatten und trotzdem die Jobs der rechtmäßigen Einwohner des Landes wollten und ihre Frauen und Töchter obendrein. Und jetzt passierte es sogar im ollen kleinen Lark. Und ihm schon zum zweiten Mal.

Missy stolperte als Erste aus dem Wagen. Sie hatte ein weißes T-Shirt und einen Rock mit Blumenmuster an den Seiten an, und er stellte sich vor, wie leicht man mit der Hand an ihrem Oberschenkel hinaufgleiten konnte. Er sah auf einmal das Gesicht seines Sohns vor sich und musste es sich verkneifen, aufs Gas zu steigen und die beiden über den Haufen zu fahren, sie wie Bowlingkegel umzuwerfen. Er hatte sie hier draußen schon ein paar Mal erwischt, einmal nur ein paar Monate vor Juniors Geburt. Er wusste um die Möglichkeit, dass das Baby nicht seins war, bevor es violett und nass herauskam und die Welt anschrie. Er hätte Lil’ Joe selbst erschossen, wenn dessen Frau, diese dürre, kleine Niggerschlampe, es nicht getan hätte. Ob schwarz oder nicht, er zollte ihr Respekt für ihre Entschlossenheit, mit der sie die Sache durchgezogen hatte. Doch seine Zuneigung zu dem Mädchen und zu seinem Sohn hatte ihn daran gehindert. Das mit ihm und Missy war eine Highschool-Liebelei gewesen. Er hatte sie zu seinem Abschlussball mitgenommen und war im ersten Jahr extra vom Angelina College gekommen, um an ihrem teilzunehmen. Sie mochten dieselbe Musik, Jagen und Fischen. Sie war ein Mädchen vom Lande, süß, aber stark. In der ersten Jagdsaison, in der sie zusammen waren, war er mit ihr und ihrem Dad am Eröffnungstag losgezogen und sprachlos gewesen, als sie in der ersten Stunde von ihrem Stand aus einen Bock erlegt hatte. Und, gütiger Gott, sie war hübsch, grüne Augen und blondes Haar, ein praller Hintern und eine Taille, die er mit einem Arm umfassen konnte. Sie war erst das zweite Mädchen gewesen, mit dem er zusammen war. Ein Kuss und es war um ihn geschehen. Er heiratete sie so schnell wie möglich und fand ein Häuschen zur Miete. Sie wollten Babys, viele Babys. Dann wurde er wegen Drogenhandels eingesperrt, sechsundzwanzig Monate Knast, und schon in der ersten Stunde, als er wieder zu Hause war, wusste er, dass er sie verloren hatte. Es war die Art, wie sie den Kopf zur Seite drehte, wenn er sie küssen wollte. Seine Lippen landeten auf ihrer Wange, da wusste er, sie war fertig mit ihm.

Sie hielt die Hände vor sich hoch und die Scheinwerfer bildeten dunkle Schatten unter ihren Augen, während Wolken roter Erde um ihre Füße wirbelten. »Nein, Keith«, sagte sie. Der zunehmende Mond war zu schwach, um Licht durch die dichten Reihen von Kiefern und Pappeln hindurchzulassen, die Dunkelheit jenseits des Lichtkreises um die beiden Fahrzeuge herum war absolut. »Es ist nicht, was du denkst«, sagte sie.

Als Nächstes stieg der Nigger aus dem Wagen.

»Ich bring die Lady nur nach Hause«, sagte er.

Er hatte keine Angst, noch nicht, und das machte Keith nur noch wütender.

Er sprang aus der Fahrerkabine und stürzte sich auf den Nigger, packte ihn am Kragen und stieß ihn gegen den glänzenden schwarzen Wagen, der mehr wert war als Keith in den letzten beiden Jahren verdient hatte. Der Mann schlug mit dem Kopf gegen den Dachrand, und da sah Keith, dass der andere es nun endlich mit der Angst zu tun bekam, allein auf einer Landstraße mit zwei Weißen, und er, Keith, hatte den Typen an der Gurgel gepackt. Die Panik in seinem Gesicht animierte Keith erst recht, ihm wehzutun, und er schlug dem Mann mitten ins Gesicht. Missy schrie ihn an, er solle aufhören. Sie kam von der anderen Wagenseite herübergerannt und trommelte ihm mit den Fäusten auf den Rücken. Keith schlug den Mann noch einmal, mit roher Gewalt. Doch der Nigger war noch nicht ausgeknockt. Bevor er zu Boden ging, veränderte sich etwas in seiner Körperspannung, ein Adrenalinschub hatte auf der Kampf-oder-Flucht-Waage das Gewicht auf die Kampfseite verschoben. Er schwang die Faust, als er hochkam, und Keith musste zugeben, dass der Nigger ihm ein paar ordentliche Kopfschläge verpasste, nicht kräftig genug, um ihm eine Platzwunde zuzufügen, doch genug, um sich nicht von den Klamotten des Mannes und seinen weichen Lederslippern täuschen zu lassen. Der Nigger konnte kämpfen, würde Keith sogar besiegen, wenn er es zuließ.

Keith beugte sich hinunter, nahm eine Handvoll Erde und schleuderte sie ihm in die Augen. Es war ein fieser Trick, doch solange Missy die einzige Zeugin war, war Keith das egal.

Es genügte, um die Oberhand zu gewinnen. Er ging mit beiden Fäusten auf den Mann los, bearbeitete ihn von allen Seiten und schlug so lange zu, bis die Haut aufplatzte, bis er Knochen spürte, bis er im Licht der Truckscheinwerfer Blut auf seinen Fingerknöcheln sehen konnte.

»Hör auf, Keith!«, schrie Missy, weil der Nigger nicht länger für sich selbst sprechen konnte. Keith befahl seiner Frau, augenblicklich ihren niggerverliebten Hintern in den Truck zu befördern. Er trat ein paar Schritte zurück, und sowohl Missy als auch der Nigger verstanden das falsch, weil sie dachten, er würde sich zurückziehen. Sie sah nicht, wie Keith zur Rückseite des Fords ging, bekam nicht mit, dass er ein Kantholz von der Ladefläche nahm, bis er sich über sie und den Mann am Boden beugte und zu Missy sagte: »Geh aus dem Weg.«

Er hob das massive Stück Holz und befahl dem Nigger, die Augen zu öffnen. Er wollte, dass er ihn anblickte, als er sagte: »Lass deine dreckigen Pfoten von meiner Frau.«

»Verdammt, Keith, wag es nicht.«

Der Nigger spuckte Blut auf die Erde. Er hob abwehrend eine Hand. »Ich wollte sie nur nach Hause fahren, Mann«, krächzte er. »Das war alles.«

Keith war kurz davor, dem Mann das Kantholz auf den Schädel zu schlagen, als Missy dazwischenging. »Wenn du das tust, musst du mich ebenfalls umbringen. Du kannst vielleicht einen Toten erklären, aber ich weiß, dass du nicht schlau genug bist, um mit zweien davonzukommen. Denn ich werd’s melden – bild dir bloß nicht ein, dass ich das nicht tue.« Die Scheinwerfer hinter ihm bildeten einen Lichthof um seinen Kopf herum, Missy konnte also seine Augen, die im Schatten lagen, nicht erkennen. »Hier geht es nicht um Junior«, sagte sie. »Das hat nichts damit zu tun.« Und als Keith das Holz noch immer nicht fallen ließ, sagte sie: »Du bist gerade erst rausgekommen, Keith.«

Die Erwähnung des Knasts ernüchterte ihn schlagartig.

Er ließ das Kantholz fallen, gab dem Nigger einen abschließenden Tritt in den Unterleib und spuckte ihm auf den Kopf. Dann packte er Missy und zerrte sie zum Truck. Die Scheinwerfer des BMW waren noch immer an. Sie bezeugten, wie Keith mit dem Truck zurückstieß, damit er wenden und um die Kurve in Richtung seines Häuschens weiter oben an der Straße fahren konnte. Der Nigger atmete noch. »Ich schwör’s.«

»Er lügt«, sagte van Horn. »Wie er zuerst wegen Missy gelogen hat. Er hätte da drin beinahe gestanden.« Er hatte die oberen Knöpfe seines Hemds geöffnet, und Darren konnte sehen, wie gerötet seine Haut war. Van Horn zog ein Taschentuch aus seiner Hosentasche und wischte sich die Stirn ab.

»Er hat nur den Mord an Missy zugegeben«, sagte Darren.

Sie standen vor dem Befragungsraum in einem schmalen Flur, der die gleichen abgeschlagenen Linoleumfliesen und die gleichen zu hellen Neonröhren hatte. Van Horn sah sowohl niedergeschlagen als auch erleichtert aus, als er Darren mitteilte, den Staatsanwalt bitten zu wollen, Anklage gegen Keith Dale zu erheben.

»Er hat sie umgebracht, um den anderen Mord zu vertuschen«, sagte van Horn. »Dann hat er ihre Leiche hinter Genevas Café gelegt, weil er wusste, dass ich einen ihrer Leute verdächtigen würde. Hab ihn gar nicht für so schlau gehalten.«

Darren konnte nicht glauben, was van Horn da von sich gab.

»Ich glaube nicht, dass er es getan hat«, sagte er. »Jedenfalls nicht allein.«

Van Horn winkte ab. »Er hat das Mädchen kaltblütig ermordet.«

»Missy ja. Aber nicht Michael.«

»Sie glauben dieser Ratte?«

»Da gibt es noch jemanden.« Es konnte nicht anders sein . Brady fiel ihm ein. Etwas an ihrem Zusammenstoß hinterm Eishaus kam Darren komisch vor.

»Warten Sie mal«, sagte van Horn. »Seit Sie die Countygrenze überschritten haben, behaupten Sie, dass Keith Dale dafür infrage kommt.«

»Und wo ist der Wagen?«

»Was weiß ich? Vielleicht hat er ihn ja in den Trinity River gefahren. Aber es ist völlig ausgeschlossen, dass er den Kerl an dem Abend nicht kaltgemacht hat.«

»Außer, er war nicht allein.«

Van Horn schüttelte den Kopf und schritt mit den klackenden Absätzen seiner Stiefel den Flur entlang, was Darren zwang, ihm in sein Büro im vorderen Gebäudeteil zu folgen. Wie der Raum, in dem Darren gesessen und die Einzelheiten von Missys Obduktion gelesen hatte, war er ganz mit Holz verkleidet. Nur dass es mit militärisch grauem Teppich ausgelegt war, der sich mit den billigen Paneelen biss. Van Horns riesiger Schreibtisch war aus heller Eiche, und bis auf das Telefon, einen Messingbriefbeschwerer, eine Getränkedose und das angebissene Sandwich, das er gerade essen wollte, als Darren mit Keith Dale in Handschellen in die Station gekommen war, leer. Es war selbstgemacht – Schinkenpastete zwischen zwei dicken Scheiben Weißbrot, aus dem hauchdünne Tomatenscheiben und rote Zwiebeln herausschauten. Darren ertappte sich dabei, wie er sich nach Familienfotos umsah und an van Horns linker Hand nach einem Ring suchte. Als er beides nicht finden konnte, sah er plötzlich den Sheriff vor sich, wie er frühmorgens in Shorts am Küchentresen stand und seinen Lunch zubereitete, und es irritierte ihn auf eine Weise, die er nicht so recht begriff. Er konnte es sich nicht leisten, hinter der Sheriffmarke einen Menschen aus Fleisch und Blut zu sehen. Van Horn schloss die Tür hinter Darren.

Als die beiden Männer allein waren, sagte der Sheriff: »Hören Sie, das hier können Sie sich auf die Fahne schreiben: Sie haben ihn hergebracht, das wird man Ihnen nicht vergessen.«

»Brady«, begann Darren.

»Wer?«

»Der Geschäftsführer vom Eishaus. Er hat Keith vorgeschlagen, jemanden zu töten. Nämlich mich. Er hat mich vorgeschlagen.« Darren spürte, wie ihm bei der Erinnerung das Blut in den Kopf stieg. Es war sein Tiefpunkt als Ranger und Mann gewesen, dem man beigebracht hatte, sich zu behaupten. »Als Initiation für die Bruderschaft.«

»Hören Sie, ich weiß, dass Sie einen Brass auf die Bruderschaft haben«, sagte van Horn, um ihn zum Schweigen zu bringen. »Ich weiß, dass man Sie aus der Sondereinheit rausgeworfen hat …«

»Stimmt nicht.«

»Das hier ist ein Streit unter Eheleuten, der eskaliert ist, das ist alles. Keith Dale ist der Kragen geplatzt, weil er sein Mädchen zum zweiten Mal mit einem …«, er hielt gerade noch rechtzeitig inne, bevor ihm ein bestimmtes Wort entschlüpfte, »Schwarzen erwischt hat, er ist ausgetickt, hat ihn verprügelt und umgebracht, und dann hatte er Angst, dass Missy es jemandem erzählen würde, und hat auch sie umgebracht, um das zu verhindern. Hier geht es um einen Mann, der seine Frau nicht kontrollieren konnte, aber unbedingt das letzte Wort haben wollte.«

»Aber wenn er Michael Wright getötet hätte, wieso sollte ihm Brady dann Tage später vorschlagen, mich zu erledigen, um dem ABT beitreten zu dürfen? Er hätte seine Initiation bereits hinter sich gehabt.«

»Sie hören nicht zu, mein Sohn«, sagte van Horn. Er stand hinter seinem Schreibtisch, betrachtete sein zur Hälfte gegessenes Sandwich und warf es in den Papierkorb. Durch die jähe Bewegung breitete sich ein Schwall Zwiebelgeruch im Raum aus. »Keith Dale hat viel zu viel Schiss, um Mitglied in der Bruderschaft zu werden.« Er sagte das, als hätte Keith es nicht geschafft, sich für den aktiven Dienst bei den Marines zu qualifizieren, als wäre eine Mitgliedschaft in der Arischen Bruderschaft von Texas eine Art Auszeichnung.

»Hören Sie, ich bin noch immer mit den Ermittlungen beauftragt«, sagte Darren.

»Das waren Sie nie.«

»Die Ranger haben mich hierhergeschickt, um den Mord an Michael Wright zu untersuchen, und ich bin ihnen und dem Staat gegenüber verpflichtet, den wahren Mörder zu finden.«

»Und ich habe vor, Keith sowohl für den Mord an Wright als auch an Missy zu verhaften.«

»Wenn Sie Keith verhaften, dann sage ich dem Staatsanwalt, dass der Fall eine Farce ist. Wenn die Sache vor Gericht geht, und Sie verlieren, wird es im besten Fall so aussehen, als wären Sie inkompetent – und im schlechtesten, als wollten Sie das Ganze eiligst Keith anhängen, um eine Verbindung zur ABT zu vertuschen. Und dann ist das FBI im Handumdrehen hier im County, darauf können Sie Gift nehmen.«

Er wusste, dass ihn das überzeugen würde. Irgendwie schien jede Bemerkung darüber, dass die Arische Bruderschaft von Texas in Shelby County aktiv sei, van Horn in Angst und Schrecken zu versetzen.

»Sie wollen den Jungen hier rausmarschieren lassen?«

»Behalten Sie ihn wegen der Körperverletzung beim Sägewerk hier. Geben Sie mir ein bisschen Zeit, um überzeugendere Beweise zu finden. Wenn es Keith war, okay. Aber wenn noch jemand die Finger im Spiel hat, dann geben Sie mir Zeit, ihn zu finden.«

»Wenn ich ihn wegen Körperverletzung festhalte, bedeutet das, dass Geneva Sweet als Einzige wegen des Mordes an Missy hier ist«, sagte van Horn, »und sie bleibt in der Arrestzelle.«

Er stellte sich vor, wie Geneva eine Nacht lang – allein, wenn sie Glück hatte – in einer rostigen Zelle verbrachte, mit einer Pritsche, die an einer Zementwand festgemacht war, der Fußboden rissig und fleckig von weiß Gott was, Gitterstangen, die zu dicht standen, um die Faust hindurchzustecken. Sie war bereits einige Stunden dort, doch es fühlte sich anders an, wenn die Sonne unterging, wenn jedes Geräusch einen unheimlichen Klang annahm. Ihm war nicht wohl bei dem Gedanken, dass sie die Nacht dort verbrachte. Er versuchte sich daran zu erinnern, was sie anhatte. Waren die Sachen warm genug, wenn die Temperaturen nachts sanken?

»Dann verhaften Sie Keith wegen Missy«, sagte er. »Ich bin damit einverstanden.«

»Kommt nicht infrage. Sie haben mich doch dazu gebracht, alles in Frage zu stellen«, sagte van Horn mit einem verschlagenen Grinsen. Er spielte seine Karte gnadenlos aus. »Geneva Sweet bleibt im Gefängnis. Ich habe achtundvierzig Stunden, bis ich sie einem Richter vorführen muss.« Er hob die Dose mit Diätlimo und kippte ihren Inhalt hinunter. Er stieß ein lautes Rülpsen aus und sagte: »Sie haben zwei Tage, Ranger.«