20

Die Treppe des Bezirksgerichts war glitschig vom Regen und die Wolken hatten beschlossen, keine Sonne durchzulassen und den Himmel mit Grau zu überziehen. Osttexas gab dem Herbst an diesem Nachmittag eine Chance, auch die Luft hatte sich spürbar abgekühlt. Zum ersten Mal, seit er in Shelby County war, hatte Darren den Eindruck, ein Sakko oder gar die Windjacke zu brauchen, die er in seinem Truck hatte. Er spürte, wie der Wind durch die dünne Baumwolle seines Hemds drang.

Er hatte versucht, Geneva noch einmal zu sehen, um sein Versprechen, sie dort rauszuholen, zu erneuern; er bräuchte nur ein wenig Zeit. Doch van Horn hatte Darrens Besuchsrecht aufgehoben, und ohne das kam er an den Deputys im dritten Stock nicht vorbei. Er beeilte sich, zu seinem Truck zu kommen und nach Lark zurückzufahren, als er den Reporter der Tribune , Chris Wozniak, und Randie aus dem Wagen von Wozniak steigen sah, der nur wenige Plätze von Darrens Pick-up entfernt auf dem Parkplatz des Bezirksgerichts stand. Als sie ihn sah, rannte sie praktisch von der Beifahrerseite des Buick zu ihm hinüber. »Darren, was ist los?« Sie nickte in Richtung Wozniak und sagte: »Er behauptet, Geneva sei verhaftet worden. Wegen Missy. Aber dann hat man Keith Dale hierhergebracht. Heißt das, er wurde wegen Michael verhaftet?« Sie zitterte, entweder wegen des Temperaturabfalls oder der Wendung der Ereignisse, die sie offensichtlich sowohl freuten als auch verwirrten. Sie trug wieder den Kaschmirmantel. Nach ein paar Tagen in Osttexas war er an den Schultern schmutzig.

»Ich habe Keith verhaftet«, sagte Darren. »Aber ein paar Dinge sind noch immer ungeklärt. Wir haben noch nicht alle Fakten beisammen.« Es war ihm unangenehm, mit ihr in der Sprache einer vorläufigen Presseerklärung zu sprechen. Darren hatte ihr versichert, dass Keith Dale die Antwort auf die Frage sei, was mit ihrem Mann passiert war. Keith war derjenige, den Darren seiner gerechten Strafe zuführen wollte, um den Alptraum zu beenden, und es war irgendwie grausam, Randie das wieder zu nehmen, wenn er sonst nichts anzubieten hatte. Wozniak schenkte Darren kaum Beachtung und ging rasch an ihm und Randie vorbei auf die Eingangstür des Bezirksgerichts zu. »Warten Sie!«, rief Darren, um ihn aufzuhalten. »Bevor Sie reingehen, müssen Sie ein paar Dinge wissen, Chris. Ich brauche noch mehr Informationen, bevor ich einen Kommentar zu dem Fall abgeben kann.«

Randie packte ihn unsanft am Arm, als sie merkte, dass er ihr ausgewichen war. »Hey«, sagte sie. Doch er machte sich los und ging auf Wozniak zu. Dessen Hose war getrocknet, jedoch völlig zerknittert, und er umklammerte seine Messengertasche, als befürchtete er tatsächlich, Darren könnte sie ihm entreißen. In diesem Moment wurde Darren klar, dass sich etwas zwischen ihm und Wozniak, der nur Zentimeter von der Tür entfernt zu ihm herumwirbelte, verändert hatte.

»Ich spreche in dieser Sache nicht mehr mit den Rangern.«

»Wie bitte?«

»Lassen Sie mich das klarstellen … ein Doppelmord mit einem deutlichen rassistischen Beigeschmack, ein Sheriff-Department, das anfänglich dem Mord an einem Schwarzen keine Beachtung schenkt, bis die Texas Ranger einen suspendierten Officer schicken …«

»Ich bin nicht suspendiert.« Doch er war sich selbst nicht mehr sicher, ob das stimmte. Er trug die Marke im Augenblick nur aufgrund einer Ausnahmegenehmigung. Seine Zukunft bei den Rangern hing von mehr als der Grand Jury in San Jacinto ab.

»Wissen Sie, was mir das sagt?«, zischte Wozniak. »Dass die Ranger niemals wirklich vorhatten, diese Sache aufzuklären. Sie sind auch nicht besser als die anderen Jungs hier draußen. Sie sind sogar schlimmer, weil Sie nicht einmal merken, dass Sie benutzt werden.«

Seine Worte trafen Darren wie ein Schlag in die Magengrube und lösten schwere Selbstzweifel in ihm aus, weil er nicht mit Sicherheit sagen konnte, dass es nicht stimmte.

»Nicht die Ranger haben mich geschickt«, erwiderte er. »Es war ein Freund im Justizministerium, der mir den Tipp wegen der Morde in Lark gegeben hat.«

»Greg Heglund. Ich weiß«, sagte Wozniak. »Er hat mich angerufen.«

»Er hat Sie angerufen?«

»Ich besorge mir ab jetzt meine Informationen von den Feds.«

Wozniak hielt einen Moment inne und blickte zu Randie, die hinter Darren stand. »Kommen Sie?«, fragte er. Und als sie nicht sofort reagierte, stürmte er hinein und ließ die Tür hinter sich zufallen.

»Was ist eigentlich los, Darren?«

Sie hatte kaum ihren Sicherheitsgurt angelegt, als er auf den Parkplatz eines Schnapsladens ein paar Blocks weiter fuhr und den Wagen ruckartig auf Parken stellte. Was hatte das zu bedeuten, dass Greg den Reporter von der Tribune angerufen hatte? Brauchte er die berufliche Veränderung so dringend, dass er sich in das einmischte, was Darren hier draußen tat? Als er aussteigen wollte, fragte Randie: »Was tun wir hier?«

Er ignorierte die Frage.

Es war drei Uhr nachmittags, und er hatte noch immer seine Uniform an, das Button-down-Hemd, die Stiefel und die Marke, aber die schwarze Lady hinter dem Tresen zuckte nicht mit der Wimper, als er einen Zwanziger und einen Fünfer für eine Flasche Jim Beam hinblätterte, das Beste, was er in diesem Kaff bekommen konnte. Als er wieder auf den Sitz des Chevys glitt, hatte er bereits die Plastikumhüllung um den Deckel abgemacht. Randie starrte ihn an, als hätte sie ihn noch nie gesehen, als wäre er ein Fremder, der in den falschen Truck gestiegen ist. Als er die Flasche aufmachte, zwei Fingerbreit trank und das Brennen genoss, als ihm der Bourbon durch die Kehle rann, sagte sie: »Ich fühle mich nicht wohl dabei, wenn Sie trinken und Auto fahren.«

Er warf ihr kurzerhand die Schlüssel zu, stieg aus und ging zur Beifahrerseite, während Randie auf den Fahrersitz rutschte.

Als sie auf dem Highway 59 waren, schraubte er demonstrativ die Flasche zu, um zu zeigen, dass er nur einen kleinen Schluck gebraucht hatte, dass es nicht mehr als ein Jucken war, das mit ein bisschen Kratzen wieder verschwand.

Randie umklammerte das Lenkrad. Sie hatte den Sitz nicht auf ihre Größe eingestellt und saß vorn auf der Kante, damit sie mit den Füßen Gaspedal und Bremse erreichte. Sie sagte nichts, bis sie ungefähr eine Meile von Lark entfernt waren. »Sie haben Keith in Gewahrsam, und wozu? Glauben Sie auf einmal, er hätte es nicht getan?«, sagte sie. Darren, dem warm war vom Bourbon, öffnete das Fenster, um einen kräftigen Luftschwall hereinzulassen. Er pfiff ihm um die Ohren und wirbelte durch die Truckkabine. Er saß einen Moment lang einfach da, mit schwerer Zunge und bangem Herzen, diese Frau im Stich zu lassen.

Als sie von Norden wieder in den Ort hineinfuhren, kamen sie zuerst am Eishaus vorbei. Darren bat sie zweimal, auf den Parkplatz zu fahren und als sie es nicht tat, griff er ins Lenkrad. Sie stieß ihn weg, lenkte den Truck jedoch auf die Schotterfläche und stellte den Motor ab, der knackte, während er abkühlte, und einen Augenblick lang war es das einzige Geräusch in der Kabine, bis auf das vertraute Plärren der Countrymusik, die in der Kneipe lief.

Schließlich ergriff sie das Wort. »Verraten Sie mir, was hier eigentlich vor sich geht«, sagte sie, während sie nach der Bourbonflasche zwischen ihnen auf dem Sitz griff und sie auf den schmalen Rücksitz warf. »Wehe, Sie vermasseln die Sache.«

»Da ist vielleicht noch jemand beteiligt.«

Es klang wie eine Beichte – oder zumindest wie eine Bitte um Verständnis. Er war sich schrecklich unsicher, was die Verzögerung von Keiths Verhaftung betraf. Was, wenn ich falsch liege?

»Wie?« Doch was sie eigentlich meinte, war warum . Wie kam er darauf? Er erzählte ihr von dem vermissten BMW und Keiths Geschichte, wie er zum Tatort zurückgekehrt war und festgestellt hatte, dass sowohl der Wagen als auch Michael weg waren, als hätten sie sich in Luft aufgelöst oder wären von der Dunkelheit verschluckt worden. Doch Randie schien das nicht zu beeindrucken. Es war die Erwähnung der Arischen Bruderschaft als mögliche Komplizen und die Tatsache, dass sich ein paar von ihnen in Wallys Eishaus genauso zu Hause fühlten wie in ihrem eigenen Wohnzimmer, was Randies Aufmerksamkeit erregte, wobei sie mehrmals nickte und ihm das Gefühl gab, seinem Instinkt zu vertrauen. Er wusste, dass hinter der Geschichte mehr steckte. »Ich kann den Schnaps in Ihrem Atem riechen«, sagte sie. Sein Puls beschleunigte sich bei dem Gedanken, dass sie nah genug war, um seinen Atem überhaupt zu riechen. Es hatte etwas Erregendes, was er nicht näher benennen wollte und es deshalb dem Bourbon zuschrieb. Als er eine Wasserflasche aus dem Handschuhfach nahm und sie zur Hälfte leerte, sagte sie: »Ich glaube, Sie sollten da nicht reingehen.«

»Glauben Sie mir: Es hat sich inzwischen rumgesprochen, dass Keith Dale verhaftet wurde. Die Bruderschaft ist bestimmt scharf darauf, Vergeltung zu üben. Ich habe keine Lust, rumzusitzen und auf die nächste Schießerei zu warten, wenn ich da reingehen und eine klare Botschaft überbringen kann. So wird es nicht laufen. Nicht mit mir.«

Der Schnaps hatte ihn mutig gemacht – oder tollkühn.

Das würde sich gleich herausstellen.

Randie wartete im Truck.

Darren hatte sie gebeten, ihn zu wenden; so könnte sie jedes Fahrzeug sehen, das auf den Parkplatz fuhr. Beim ersten Anzeichen von Ärger sollte sie auf die Hupe drücken und nicht mehr loslassen. Durch den Rückspiegel beobachtete sie, wie Darren auf die Veranda trat und die Tür der Kneipe öffnete.

Drinnen ging er als Erstes zur Jukebox und zog das dicke schwarze Kabel heraus. Die Musik verstummte, und das Klicken der Kugeln auf dem Billardtisch war das einzige Geräusch im Raum. Die Gesichter in den Fernsehern, auf denen tagsüber die Sender Fox News und Food Network liefen, waren stumme Zeugen, als Darren seinen Colt aus dem Holster zog. Er hielt die Waffe seitlich am Körper, während er den Leuten im Raum befahl, zu ihm zu kommen. Um diese Tageszeit waren es nur fünf: Lynn hinter der Bar; zwei Männer am Billardtisch, beide längst im Pensionsalter und mit am Hinterteil ausgebeulten Jeans; einer, dessen T-Shirt sich über seinen fetten Wanst spannte, saß allein am Tresen über eine Schüssel Chili gebeugt, und Brady, der feststellte, dass er keine nennenswerte Unterstützung hatte und nach dem Handy, das an seiner Taille klemmte, griff.

»Legen Sie das weg« sagte Darren.

Er machte Brady Zeichen, näher zu kommen, wobei er den Colt benutzte, um seine Bitte zu unterstreichen. »Kommen Sie her«, sagte er noch einmal. Lynn rührte sich erst, als sich Brady in Bewegung setzte. Und er kam auch erst, nachdem er dem weißen Jungen am Tresen auf den Hinterkopf geschlagen und vom Stuhl geschubst hatte. Er war der einzige Weiße unter siebzig, und Brady sagte zu ihm: »Wach endlich auf.« Er und der dicke Junge kamen näher. Darren stellte sich so hin, dass er sowohl Eingangsals auch Küchentür im Blick hatte. Ihm blieb nichts anderes übrig, als Lynn zu glauben, die ihm versicherte, dass hinten niemand sei. Den Raum zu verlassen, würde Brady Zeit und Gelegenheit für weiß Gott was geben. Dass er nicht in der Sekunde, in der Darren hereingekommen war, nach seiner Zwölferflinte unterm Tresen gegriffen hatte, verriet ihm, dass die anderen nicht zu Bradys Klan gehörten. Sonst hätte er längst reagiert, im Vertrauen darauf, dass seine ABT-Brüder ihn bei jedweder Aktion, egal wie gewalttätig sie wäre, unterstützten. Es bedeutete, dass Darren eine Chance hatte, lebend aus der Sache herauszukommen. Brady verschränkte seine fleischigen Arme, die Tattoos wie Flaggen im Wind gekreuzt. Lynn nagte an ihrer Unterlippe. Die Haut um ihren Mund herum war rötlich gefleckt und an einigen Stellen verkrustet, eitriger Wunden, an denen sie herumpuhlte. Die beiden Älteren hatten ihre Queues weggelegt. Der fette Junge schielte sehnsüchtig nach seinem Chili.

Einer der Älteren hob seine Hände, als wäre das ein Raubüberfall und als könnte er den fünfzackigen Stern auf Darrens Hemd entweder nicht sehen oder dessen Bedeutung nicht erfassen. »Wir wollen hier keinen Ärger«, sagte er. Sein Billardgegner nickte.

Darren richtete seine Botschaft ausschließlich an Brady, der seinen Brüdern mitteilen sollte, dass Geneva’s Café nicht angerührt und jeder, der in Randies oder Darrens Nähe auch nur ein finsteres Gesicht machte, erschossen würde. »Falls ich höre, dass irgendein Schwarzer hier im Ort in Schwierigkeiten steckt, komme ich wieder hierher und erschieße den erstbesten Weißen, den ich sehe, und behaupte, Sie hätten eine Waffe gehabt. Ich würde Ihnen sogar eine in die Hand drücken. Dazu ein paar von den Tüten, die Sie hinten in Ihrem Büro haben.«

Mit dem, was er sagte, verstieß er gegen mindestens drei Gesetze.

Doch es war ihm egal.

Er wollte, dass sie die gleiche lähmende Angst verspürten, die er empfunden hatte, als Brady ihn hinter dem Eishaus in die Enge getrieben und Darren geglaubt hatte, vielleicht sterben zu müssen.

»Das wäre also geklärt«, ergänzte Darren.

»Verdammt noch mal, Brady, erzähl ihm endlich von Keith«, sagte Lynn. »Der Rest interessiert ihn doch nicht.«

»Halt den Mund«, sagte Brady.

»Ich hab Kinder, Mann. Ich darf nicht in den Knast.«

»Ich weiß Bescheid über Keith«, sagte Darren. »Wer noch?«

Brady warf Lynn einen warnenden Blick zu, und sie behielt den Rest für sich.

»Mittwochabend«, fuhr Darren fort. »Sie meinten, ein paar Leuten hätte es nicht gepasst, dass sich Missy und Michael unterhalten haben. Wer war das?«

»Niemand Bestimmtes«, sagte sie. »Ich wollte nur sagen, dass das hier nicht der richtige Ort für so was ist.« Sie blickte zu Brady, um festzustellen, ob das seine Zustimmung fand. Er nickte ihr leicht zu, und sie lächelte. Sie hatte die Haare seitlich zu einem Zopf geflochten und ihre Fingernägel waren blau lackiert, kleine Farbflecke, die zu der eingerissenen Nagelhaut im Kontrast standen. Sie roch nach Weingummi und hatte einen Körpergeruch, den Darren nicht wirklich als schlecht bezeichnet hätte, aber angenehm war er auch nicht.

»Keith ist gekommen, um Missy abzuholen«, sagte Darren. »Jemand muss ihm gesagt haben, wo sie war, mit wem sie das Lokal verlassen hat. Mit wem hat Keith also an dem Abend geredet?«

Lynn machte den Mund auf, doch Brady legte ihr eine Hand auf den Arm.

Sie dachte kurz nach und sagte dann: »Also ich habe Keith den ganzen Abend nicht gesehen.« Es klang wie eine Drehbuchzeile, die ihr auf einmal wieder eingefallen war. Darren konnte die Erleichterung in ihrem Gesicht sehen. Es war Brady, dem sie zuspielte, den sie zufrieden stellen wollte. Sie war so unbeständig wie das Wetter, und gerade wehte es eiskalt aus Bradys Richtung. Er machte ihr mehr Angst als die Vorstellung, dass sie vielleicht wegen Drogenmissbrauchs ins Gefängnis ging, was Darren, wie sie richtig vermutete, nicht interessierte. Das würde ihn nicht weiterbringen.

Danach fuhren sie noch über eine Stunde umher, suchten jeden Quadratzentimeter Ackerland und Dickicht ab, durch das sie mit dem Wagen durchkamen. Darren jagte den Chevy über Landstraßen und unbefestigte Wege, die durch von Unkraut überwucherte Wiesen führten. Zweimal stieg er aus, um in verlassenen Gebäuden nachzusehen: Ein Pferdestall aus verwittertem Holz, von dem ganze Bohlen abgefallen waren, die in wucherndem Weidelgras lagen und verrotteten; und eine leere Scheune, deren Dach von einem gewaltigen Sturm von der Golfküste, der sich seinen Weg von Houston bis hierher gebahnt hatte, abgedeckt worden war. Im schwindenden Tageslicht suchte Darren nach Reifenspuren. Doch er fand keine.

Wortlos stieg er wieder in den Truck. Diesmal fuhr er.

Er überquerte die Grenze nach Nacogdoches County, wo er sich im winzigen Garrison umsah, dem Ort, an dem sie den gestrigen Abend verbracht hatten. Wieder fuhr er auf der Suche nach dem BMW durch Straßen und Wiesen mit hohem Gras, bevor er kehrtmachte und noch einmal von vorn begann. Als er auf den Highway 59 zurückkehrte und sie an der Kneipe vom Vorabend vorbeifuhren, sagte Randie, dass ihr schlecht sei. Sie denke an das tote Tier und das Blut und könne es in ihrer Kleidung riechen, sagte sie. Sie könne es in jedem Winkel der Truckkabine riechen. Sie löste den Sicherheitsgurt und zerrte den Mantel herunter. Sie öffnete das Fenster auf der Beifahrerseite und streckte gierig den Kopf in die hereinbrechende Nacht. Sie war grau im Gesicht, ihre Stirn schweißbedeckt.

»Sie werden den Wagen niemals finden.«

»Ich muss danach suchen«, sagte er.

»Sie werden den Wagen nicht finden. Weil er weg ist. Weil es keine Rolle spielt.« Ihre Worte wurden vom Rauschen des Fahrtwinds beinahe verschluckt, und er fragte sich, wie es ihr ging. Sie klang durcheinander.

»Wenn ich nicht wenigstens danach suche …«

»Keith ist im Gefängnis, Darren. Wieso genügt Ihnen das nicht?«

Sie schloss das Fenster, und der Fahrtwind, der plötzlich aus der Kabine ausgesperrt wurde, schien sie in ein Vakuum einzuschließen, jetzt bemerkte er ebenfalls den schwachen Geruch nach Tierkadaver.

Sie drehte sich so weit auf ihrem Sitz herum, dass sie ihm direkt ins Gesicht blicken konnte.

»Ich bin müde, Darren«, sagte sie mit brüchiger Stimme. »Ich will nach Hause. Ich will Michael in Dallas abholen und nach Hause bringen.«

»Ich bin nicht überzeugt davon, dass es Keith war.«

»Das ist mir egal.«

»Wollen Sie etwa, dass ein Unschuldiger dafür verurteilt wird?«

»Er ist nicht unschuldig.«

Ihre Stimme war rau vor Wut. »Er hat Michael verprügelt und dann hat er ihn da draußen liegenlassen. Damit er dort stirbt, soweit wir wissen. Das genügt mir, Darren. Etwas Besseres hat die Rechtsauffassung dieser Hinterwäldler nicht zu bieten. Also nehme ich, was ich kriegen kann, und ich will Michael nach Hause bringen. Sie haben einen Mann in Gewahrsam. Keith Dale genügt mir. Ich will eine Verhaftung und dann will ich nach Hause fahren.« Trauer sprach aus ihr. Und man konnte spüren, wie wenig sie die Wahrheit noch interessierte, wie dringend sie diesem Ort, diesem County, diesem Staat den Rücken kehren wollte. In Darrens Augen war das egoistisch und kurzsichtig. Für einen Ranger würde weniger als die Wahrheit nie genügen und das sagte er ihr auch.

»Hier geht es nicht um Sie.« Sie spie ihm die Worte regelrecht ins Gesicht.

»Doch, das tut es«, erwiderte er. »Ich habe Ihnen etwas versprochen – und ob er es nun wusste oder nicht, ich habe auch Michael etwas versprochen in dem Moment, in dem ich mir die Marke angesteckt habe.«

»Sie haben auch Geneva Sweet etwas versprochen«, sagte sie. »Aber Sie fahren lieber durch die Gegend, als ihren Leuten gegenüberzutreten und ihnen zu sagen, dass Sie der Grund dafür sind, weshalb sie heute Abend nicht nach Hause kommt.« Damit wandte sie sich von ihm ab, griff nach der Flasche Jim Beam auf dem Rücksitz und nahm einen ordentlichen Schluck. Er musste ihr in der Kehle brennen, denn sie bekam feuchte Augen, und bevor es ihm bewusst war, weinte sie tatsächlich. Es klang wie ein verwundetes Tier, das versuchte, sich aus einer Falle zu befreien, während ihr ein unaufhörlicher Strom von Tränen und Rotz übers Gesicht lief. Sie schnappte ein paarmal nach Luft, bis Darren auf der Standspur hielt. Noch bevor er seinen Gurt lösen konnte, ließ sie sich in seine Arme sinken, legte ihren Kopf an seine Brust und weinte.