SEVEN 51

Sein erster Gedanke war: Jetzt sind wir echt erledigt.

Genauer gesagt war sein erster Gedanke: Verdammte Scheiße. Als ob der Tag nicht schon schlimm genug gewesen wäre. Irgendein Dreckskerl von Gott erlaubt sich da oben wirklich einen Spaß mit mir. Sollte ich jemals in den Himmel kommen, werde ich es ihm heimzahlen.

Sein zweiter Gedanke war davonzulaufen.

Aber wohin? Er konnte ja nicht einfach die Treppe hinunterschlendern und das Haus verlassen. Und falls Alba nicht zufällig einen Fallschirm dabeihatte, konnte er auch nicht vom Dach springen. Jedenfalls nicht, ohne eine äußerst unsanfte Landung in Kauf zu nehmen.

»Jetzt könntest du eigentlich sagen, dass du einen Fallschirm dabeihast«, wandte er sich an Alba.

Sie starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund an. »Was?«, krächzte sie.

»Vergiss es.« Er stieß ein zittriges Lachen aus und trat von ihr zurück. Vor Angst war er wie benommen. »Tja, war schön, euch beide zu kennen.«

Sevens Stimme war fest, doch trotz seines breiten Grinsens war ihm das Herz schwer.

Warum musste das alles jetzt passieren, wo er gerade dabei war, Freunde zu gewinnen? Wo er gerade dabei war, die Geheimnisse seiner Vergangenheit aufzudecken? Warum hatte die blöde Londoner Polizei ihn nicht schon vor Jahren geschnappt, lange bevor es in seinem Leben etwas gab, für das es sich zu kämpfen lohnte?

»Hör zu!« Kola packte Seven am Arm und riss ihn aus seinen Gedanken. »Der Fahrstuhl geht nicht. Die Polizisten werden ein paar Minuten brauchen, um herauszufinden, auf welcher Etage du wohnst, und bis sie oben sind, werden noch ein paar Minuten vergehen. Dir bleibt also ein bisschen Zeit. Geh aufs Dach«, instruierte er ihn. »Auf der Nordseite sind Bauarbeiten im Gange. Klettere über das Gerüst nach unten. Ich werde den Polizisten erzählen, dass ich dich den ganzen Tag nicht gesehen habe. Das wird sie hoffentlich von deiner Spur abbringen, während du dich inzwischen irgendwo verstecken kannst. Wir treffen uns morgen unter der Waterloo Bridge. Um Mitternacht. Dann erzähl ich dir, was passiert ist.«

Die Schritte, das Geschrei und die Geräusche krachend auffliegender Türen kamen näher.

Kola kniff die Augen zusammen. »Los jetzt!«, sagte er.

Und bevor Seven sich darüber Gedanken machen konnte, ob er es schaffen würde, trotz seiner Verletzung das Gerüst hinunterzuklettern, bevor er ausführlich über all die DSCs in seinem Memorium nachdenken konnte – verflucht noch mal, die würde er alle verlieren, sein ganzes Lebenswerk, alles, was er besaß –, nickte er, packte Alba bei der Hand und zog sie zur Tür.

Als sie die Wohnung verließen, schallte ihnen das Getrampel schwerer Stiefel entgegen. Im Treppenhaus war es ziemlich dunkel. Nur ein paar flackernde Neonlampen spendeten spärliches Licht. Hier und da fiel plötzlich Licht auf den Treppenabsatz, weil die Leute die Wohnungstür öffneten, um nachzusehen, was der ganze Lärm zu bedeuten hatte.

Seven drehte sich zurück, um Kola zu danken, der jedoch gerade die Tür zumachte.

Er starrte auf die abblätternde rote Farbe und das kaputte Nummernschild. Es war zwar blöd, doch erst jetzt, als ihm klar wurde, dass er die Wohnung wahrscheinlich nie wiedersehen würde, merkte er, dass er eigentlich an ihr hing. Am liebsten hätte er sich jeden Riss in der Tür, jede kleine Stelle, wo Holz abgesplittert war, genauestens eingeprägt, bevor ihm auch das genommen wurde – wie alles andere im Leben.

»Seven?«, flüsterte Alba. Er hörte die Angst in ihrer Stimme. Ihre Hand zitterte (oder war es seine Hand, die zitterte?). »Wir müssen von hier weg.«

Seven riss seinen Blick von der Tür los und steuerte auf die Treppe zu. Dann rannten er und Alba Hand in Hand zum Dach hoch.