Als Kyori die Tür aufstieß und hinausstürmte, schob ich Mizuki vor mich. Ich wusste, wenn ihr etwas zustieß, würde ich mir mein Leben lang Vorwürfe machen. Kein sehr langes Leben natürlich – wenn ich bedachte, wer ihr Vater war.
Weit kam ich nicht. Kaum hatte ich die erste Stufe erreicht, da stoppte Kyori. Das Mädchen fiel ihm buchstäblich in den Rücken.
Hinter mir erhob sich polternd der Koch. Vor uns, etwa fünf Meter von unserem Frontmann entfernt, tauchten wie aus dem Nichts drei Jugendliche auf und zogen synchron ihre Schießeisen aus dem Hosenbund.
In Amerika benutzen Profis Halfter für ihre Waffen. Jungs, die cool sein wollten, machten auf Kinogangster und riskierten, die Kanone zu verlieren oder sich selbst die Eier wegzuschießen. Hier war es wohl genauso.
Unbewaffnet, mit einer Schutzperson vor mir, zwei wütenden Chinesen im Rücken und mit Aussicht auf drei jugendliche Sonntagsschützen, wurde es mir ein bisschen zu heiß. Ich wollte mich um die drei kümmern, aber leider stand Kyori im Weg, Mizuki ebenfalls.
Kaum hatte ich mir einen Überblick verschafft, da stürmte der Kellner mit einem Tablett auf mich los. Damit kam er gerade recht, denn der Koch hatte sich endlich erhoben und tat dasselbe mit seiner Machete. Es kostete nur wenig Zeit, zum Tablett zu greifen und es als Barriere zu nutzen. Das monströse Messer trennte es zur Hälfte durch und blieb dann stecken.
Solange die beiden Spaßvögel nicht losließen, blieben sie auf diese Weise miteinander verbunden. Es genügte schon, das Tablett nach hinten zu stoßen, zwischen die beiden hindurch, und es dann nach unten zu drücken. Anstatt sich von ihren Handicaps zu trennen, hielten sie daran fest und purzelten übereinander. Damit sie mich nicht weiter ablenkten, trat ich hinter sie und knallte beiden das härteste vor den Schädel, was ich finden konnte, was in ihrem Fall der Dickschädel des jeweils anderen war. Die Machete samt Tablett nahm ich vorsichtshalber an mich, ebenso das Messer, das noch immer im Türrahmen steckte.
Die paar Sekunden, die der Kampf gekostet hatte, entschieden über das Geschehen draußen auf dem Platz. Meine Befürchtung, Kyori als menschliches Sieb vorzufinden, erfüllte sich nicht. Er hatte die Zeit geistesgegenwärtig genutzt, um das wackelige Tischchen vor dem Eingang umzustoßen. Mizuki duckte sich hinter der improvisierten Barriere, die auch Kyori ein Mindestmaß an Sicherheit bot.
Noch drohten die Jungs nur lautstark, schossen aber nicht. Typische Angeber, die es sich drei Mal überlegten, bevor sie Ernst machten.
Ich warf das Messer zwischen Ihnen hindurch, dann die Machete und zuletzt das Tablett. Es zersprang unterwegs in zwei Teile und brachte den mittleren Schützen dazu, einen Schritt zurückzutreten, um den Trümmern auszuweichen. Ein Schuss löste sich. Das Projektil verunstaltete ein Graffiti und bohrte sich tief in die Hauswand. Die beiden anderen Schützen ließen sich davon ablenken. Das wäre meine Chance gewesen, sie mir vorzuknöpfen.
Ich war schon auf dem Weg und gerade auf Höhe von Kyori, da sah ich, wie er seine Waffe zog. Eine Beretta, meiner eigenen nicht unähnlich.
Drei Mal bellte sie in schneller Folge. Noch bevor die Kugeln ihr Ziel trafen, malte ich mir die Katastrophe in den schillerndsten Farben aus. Drei Tote, noch dazu halbe Kinder. Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, den Laden zu betreten.
Ich hörte das Klatschen der Einschläge. Drei Bleispritzen klapperten auf den unebenen Beton. Drei Halbstarke jaulten auf, fluchten und hielten sich die Hand oder den Arm. Blutspritzer verzierten ihre locker über der Hose hängenden Hemden. Kyori war bei ihnen, bevor der Erste auf die Idee kam, sich nach seiner Waffe zu bücken.
Ich war ein guter Schütze, aber das hätte ich mir nicht zugetraut. Es hätte nicht viel gefehlt und ich wäre voller Bewunderung stehen geblieben. Stattdessen versicherte ich mich, dass Mizuki nichts abbekommen hatte, und lief auf die Gauner zu.
Kyori hatte den ersten Gegner bereits zu Boden geschickt. Der zweite wollte eben auf ihn losgehen, da hatte er meine Faust im Magen, die andere Hand im Nacken und mein Knie im Gesicht. Eine bewährte Vorgehensweise, mit der auch Kyori selbst schon Bekanntschaft gemacht hatte. Ohne ein weiteres Wort sammelte er die Knarren ein, während ich Revolverheld Nummer drei verarztete.
Kaum war ich fertig, zeigte Mizuki in die Richtung, aus der wir gekommen waren. »Schnell, zum Wagen!«
Sie schob sich an den Jungs vorbei in die Gasse, aus der wir gekommen waren. Ich sah keinen Grund, länger zu bleiben. Unsere Freunde würden sicher gleich Hilfe bekommen, der ich nicht in die Arme laufen wollte.
Wir hetzten durch die Gasse und dann Haken schlagend wie die Karnickel weiter in Richtung der Limousine. Ohne Mizuki als Führerin hätte ich mich unter Garantie verlaufen, aber sie spurtete trotz des knöchellangen Kimonos so zielstrebig um die engen Ecken, als hätte sie nie etwas anderes getan.
Wir mussten schon ganz in der Nähe des Wagens sein, da traf mich ein vorwitziges Insekt am Kopf. Es war die Seite, auf der ich ohnehin nichts mehr sehen konnte. Das dumme Tier hatte anscheinend meine Augenklappe gerammt. Ein Kollege von ihm biss mich in den Arm. Mir kam in den Sinn, dass der Sommer in Japan ganz schön ungesund sein konnte, da bemerkte ich das Blut an meinem Ärmel. Meine Schritte wurden langsamer und trudelten aus. Welches Insekt konnte derart zubeißen? Außerdem war keines zu entdecken.
Mizuki spähte über ihre Schulter, machte kehrt und kam gestikulierend auf mich zu. Hören konnte ich sie nicht, dazu war das Rauschen in meinen Ohren zu laut. Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen hatte sie gerade etwas Furchtbares gesehen.
Endlich setzte das Denken bei mir wieder ein. Der Schütze war noch in der Nähe. Die Schüsse hatten mich allerdings nicht von hinten getroffen, sondern von vorne. Augenblicklich warf ich mich auf Mizuki, riss sie zu Boden und wickelte mich um sie wie eine aufdringliche Decke.
Etwas biss mir auf Schulterhöhe in den Rücken. Schon hörte ich wieder das Bellen der Beretta. Kyori leerte sein komplettes Magazin. Charakteristisches Klackern und Klicken ließ mich vermuten, dass er sogar nachlud. Aber er machte sich wohl keine Hoffnungen mehr, den Schützen zu erwischen, denn ich hörte keine weiteren Schüsse. Um mich herum wurde es still. Sogar die Autos hatten angehalten. Zumindest machten sie keine Geräusche mehr. Ebenso wenig wie der Wind oder die Menge, die sich um uns herum versammelte. Das einzige, was ich hörte, war ein gleichmäßiges Piepen.
Mizuki kroch unter mir hervor. Ich wollte aufstehen, aber sie stieß mich wieder zu Boden. Eigentlich war ich dankbar dafür, denn der Beton unter mir schwankte inzwischen wie ein Fischkutter bei Windstärke zehn. Ich beschloss, mich einfach hinlegen und abzuwarten, bis die Welt sich wieder beruhigt hatte.