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Garissa County, Kenia, 16 . August 2023

Ali Ibrahim fand die Elefantenkuh, wie sie ihr Tierkind mit dem Rüssel sanft anstupste und versuchte, ihr Junges aufzuwecken. Als sie ihn entdeckte, begann sie wütend zu trompeten und mit dem Fuß zu scharren, sodass er den Rückwärtsgang einlegte und mit seinem alten Cherokee langsam zurückrollte. Er hatte auch aus einiger Entfernung sofort erkannt, dass es keinen Zweck hatte, den Kenya Wildlife Service zu informieren. Das Elefantenkalb war bereits länger tot, vermutlich seit ein oder zwei Tagen. Verdurstet, wie so viele andere Tiere in den vergangenen Wochen. Die Straßen waren übersät mit Kadavern von Ziegen, Kühen und sogar Kamelen. Wut stieg in ihm auf. Er wendete seinen Wagen und gab Gas, um Meter zwischen sich und das Drama zu bringen. Die staubige Straße machte einen Bogen nach rechts und hielt auf das Ufer des Tana River zu, an dem die Teufelspflanzen in Sicht kamen. Sie standen dicht an dicht und versperrten nicht nur ihm den Weg zum Wasser, sondern auch den Tieren. Dasselbe Bild bot sich oben an einem der wenigen Wasserlöcher in der Gegend.

Er stoppte und ging zum Kofferraum.

Wasser war in dieser Region Kenias ein knappes Gut, das über Leben und Tod entschied. Seit die Teufelspflanzen vor Wochen wie aus dem Nichts aufgetaucht waren, stahlen sie nicht nur ihr Land, sondern auch das Wasser. Zudem wuchs in ihrem Schatten am Ufer kein Gras. Alles, was die Tiere, auch das Vieh der Hirten, noch fanden, waren die süßlichen Früchte der Teufelspflanze. Ihr Fruchtfleisch klebte am Gebiss und führte nach Vermutung des Tierarztes zu Karies und Diabetes. Oft hörten sie nachts die Schmerzensschreie der Tiere, denen die Zähne im Mund verfaulten. Zusammen mit den Bewohnern der anderen Dörfer hatten sie versucht, die Pflanzen zu roden. Doch einige der Männer und Frauen hatten von dem Saft, der sich in den massiven Stielen verbarg, so schwere Verbrennungen erlitten, dass sie ins Krankenhaus gebracht werden mussten. Die Wurzeln der Pflanzen hatten sich zudem bereits viele Meter tief in die trockene Steppe gefressen, sodass ihnen mit ihren einfachen Spitzhacken kaum beizukommen war. Sie hätten schwere Schaufeln benötigt, doch wegen der großen Benzinkrise, die hier, nahe der somalischen Grenze, herrschte, gab es keine funktionierenden Bagger mehr.

Er griff nach dem Kanister und machte sich auf zum Ufer.

Nachdem in den vergangenen Wochen auch noch die Brunnen auf den Farmen plötzlich versiegten, war eine Mitarbeiterin vom Garissa Office des Kenya Forestry Research Institute zu ihnen hinausgekommen und hatte ihnen erklärt, dass die Teufelspflanzen mit ihren langen Wurzeln nun auch ihr Grundwasser raubten.

Die Teufelspflanze war ein Tierkiller, Landfresser und Wasserdieb. Die sengende Hitze schien ihr nichts auszumachen. Gelangten Teile oder Samen von ihr in den nahen Fluss, etwa wenn man versuchte, sie zu roden, trug der Fluss sie weiter, und die Pflanze siedelte sich flussabwärts überall am Ufer an. Gleichzeitig vergiftete sie das Wasser, zuletzt hatten sie Hunderte toter Fische aus dem ohnehin Niedrigwasser führenden Fluss gefischt, die allesamt ungenießbar waren. Gestern hatten sie eine Sitzung im Dorf abgehalten. Durch die Dürre, die niemals enden wollte, hatten sie ohnehin schon Not gelitten. Und dann waren auch noch die vielen Flüchtlinge aus Somalia herübergekommen. Ihre Ersparnisse waren schon lange aufgebraucht, aber es gab auch nichts mehr, das sie von ihrem Geld hätten kaufen können. Mit allem waren sie fertiggeworden, aber nicht mit dem Auftauchen der Teufelspflanze. Sie hatten weder die Mittel noch die Energie, sie wirksam zu bekämpfen. Vor allem aber fehlte ihm selbst die Kraft. Sein rechter Unterarm war seit Tagen geschwollen und schmerzte, die Stelle um die Wunde herum war zuletzt immer schwärzer geworden. Bei ihrer Fällaktion hatte er sich an einer der Dornen der Teufelspflanze gestochen. Es war eine tiefe Verletzung, und sie hatte sich in den Tagen danach böse entzündet. Als er diesen Morgen im Garissa County Referral Hospital gewesen war, hatte der Arzt ihm eröffnet, dass er wahrscheinlich den Arm amputieren müsse. Er hatte für weitere Untersuchungen warten sollen, war aber einfach gegangen. Ohne seinen rechten Arm würde er nicht mehr auf dem Feld arbeiten können, wäre hier draußen in der Steppe nutzloser Ballast für seine Familie. Und alles nur wegen dieser Pflanze. Er war nach Hause gefahren und hatte die letzten Benzinreste zusammengetragen. Nun stand er vor der geschlossenen Reihe von Teufelspflanzen, machte einen langen Schritt mitten hinein, spürte, wie die Dornen versuchten, ihn zurückzuhalten, öffnete den Schraubverschluss und leerte den Kanister bis zum letzten Tropfen. Das Benzin stank bestialisch, brannte in Nase und Augen. Er nahm das Feuerzeug, zögerte ein paar Sekunden, dann hielt er es an seine in Benzin getränkte Kleidung und zündete sich an.