Holland
Man konnte junge Erbsen trainieren wie Hunde. Bestrahlte man sie mit blauem Licht, richteten sie ihre Blätter in Richtung der Lichtquelle, um Fotosynthese zu betreiben. Irgendwann hatten seine Kollegen vom Botanischen Institut und er die Erbsen, während das blaue Licht leuchtete, zusätzlich mit einem Ventilator angeblasen. Dann hatten sie eines Tages das blaue Licht ausgeschaltet gelassen und die Erbsen nur mit dem Ventilator angepustet. Und dennoch hatten die Erbsen sich zur vermeintlichen Lichtquelle ausgerichtet. Die Erbsenpflanzen hatten gelernt: Bläst der Ventilator mich an, gibt es Fotosynthese. Das bedeutete aber, dass Erbsen lernfähig waren. Offenbar lernfähiger als er, denn trotz des Asthmaanfalls am Morgen war er nun wieder ohne Schutzausrüstung auf dem Weg in Richtung Farm. Er musste seiner Intuition folgen, die ihm regelrecht zuschrie, die Pflanzen nicht zu verbrennen. Irgendetwas hatte sich auf ihrer morgendlichen Tour in seinem Kopf verhakt, etwas, das er nicht benennen konnte, das er aber gesehen hatte und das dagegensprach, die Pflanze mit Feuer zu bekämpfen. Hinzu kam, dass er sich abermals von Mortensen herausgefordert fühlte. Auch wenn er wusste, dass er nur provozierte, wurmte es ihn doch jedes Mal, wenn hochdekorierte Wissenschaftler sich ihm gegenüber arrogant und despektierlich verhielten. Vielleicht lag es daran, dass er der Erste aus seiner Familie war, der studiert hatte, seine Vorfahren Baumschuler oder Landwirte waren. Insgeheim hoffte er auf einen Effekt der Hyposensibilisierung – wie man ihn auch bei Birkenpollenallergikern nutzte –, was allerdings jeder medizinischen Kenntnis entbehrte. Und er hatte das Asthmaspray dabei, welches Meyers ihm gegeben hatte.
Dass sie die Verlobte von Mortensen war, konnte er noch immer nicht nachvollziehen. Sie machte auf ihn einen selbstbewussten und überaus mitfühlenden Eindruck und war mindestens zwanzig Jahre jünger als Mortensen. Allerdings war sie es laut Smith, die empfohlen hatte, ihn in das Projekt miteinzubeziehen. Wenn sie mit Mortensen zusammenlebte, musste sie um dessen Abneigung gegen ihn wissen. Dies sprach dafür, dass die Welt der beiden Turteltauben nicht ganz so heil war, wie der Begriff des »Verlobtseins« suggerierte. Zumindest fachlich schien es bei den beiden erhebliche Differenzen zu geben. Die Vorstellung, wie Meyers abends neben Mortensen im Bett lag und sein Buch las, amüsierte ihn.
Er war diesmal nicht mit einem der geländegängigen Quads unterwegs, allerdings war auch ein Golfcart dazu geeignet, einen hügeligen Golfplatz zu befahren. Dennoch musste er sich, auch in der Hoffnung, nicht gleich entdeckt zu werden, Wege suchen, auf denen er mit dem Golfcart nicht im Morast stecken blieb. So konnte er nicht den direkten Weg nehmen, und es dauerte, bis er endlich an dem schwarz verbrannten Gürtel angekommen war, der das »Höllenkraut«, wie Smith es nannte, als Feuerschneise umgab. Er parkte den Cart im Schutz einer kleinen Ansammlung von Buschwerk am Rande eines Feldes und kniete vor dem Ring aus Asche. Sein Blick fiel auf die Pflanzen, die sich dahinter wie eine grüne Phalanx erhoben. Noch spürte er nichts außer dem rauen Hals, den ihm sein letzter Asthmaanfall beschert hatte. Die Wasserwerfer waren offenbar bereits abgestellt worden – nur einigermaßen trockene Pflanzen konnten morgen früh brennen.
Er suchte den Boden ab, fand einen Stock und begann damit in der Asche herumzustochern. Nachdem man die Pflanzen hier kontrolliert abgebrannt hatte, war der ökologische Zustand der Erde vergleichbar mit dem nach einem Waldbrand. Ein Käfer kam zum Vorschein. Fluginsekten kehrten in der Regel als Erste in verbrannte Wald-Areale zurück. Er wandte sich nach rechts und stutzte. Vorsichtig beugte er sich vor und beförderte mit den Fingern einen kleinen, weißen Sprössling hervor, der ihn an einen Mungobohnenkeim erinnerte. Bei genauerem Hinsehen entdeckte er weitere. Nun erinnerte er sich, dass ihm die weißen Fäden schon aufgefallen waren, als er mit Meyers das erste Mal über den rußschwarzen Streifen gelaufen war. Jetzt zeigte sich, dass die Asche voller kleiner weißer Sprösslinge war. Er erhob sich und betrachtete ihn.
Es gab Pflanzen, die sich nach einem Schadereignis wie einem Waldbrand rasch verjüngten, und offensichtlich hatte er es hier mit einer solchen Art zu tun.
Plötzlich spürte er ein Brennen in den Fingern und ließ den Spross instinktiv fallen. An seinem Zeigefinger bildete sich eine kleine Rötung, wie eine Brandblase. Er schüttelte ungläubig den Kopf und schaute erneut zu den Pflanzen hinüber, die sich trotzig im Rhythmus des Windes hin und her bewegten. Beinahe wirkte es so, als würden sie, Arm in Arm, schunkeln und ihn dabei auslachen. An ihren Stängeln, auf etwa halber Höhe, konnte er die verholzten Früchte erkennen, und jetzt wurde ihm alles klar.
Sie waren dabei, der Pflanze auf den Leim zu gehen.
Er musste sofort zurück ins Camp.