Ava
In das helle Sirren der Drohne mischte sich das wütende Brummen des Schwarzbären. Das Summen schwoll an, und eine zweite Drohne tauchte auf. Ava ließ den Blick nicht von dem Bären. Ein groß gewachsenes, in diesem Augenblick äußerst schlecht gelauntes Exemplar. Ihr war sofort klar, was geschehen war: Die Drohnen hatten den Bären vor sich hergetrieben, in ihre Richtung. Wie Hütehunde, die ein Schaf einfingen. Das war Silvas Werk. Sie hatten schon vor einiger Zeit entdeckt, dass sie mit den Drohnen Tiere aus dem Wald scheuchen konnten. Das helle Summen, die hektischen Bewegungen. Wildtiere hatten vor den Drohnen Angst. Würde der Bär über sie herfallen, hatte Silva sein Ziel erreicht. Ein unverdächtiges Ende, bei dem er noch nicht einmal ihre Leiche würde entsorgen müssen. Und wenn der Bär seine Aufgabe nicht erfüllte, dann gab es auch noch die signalroten Drohnen, signalrot wie die beiden, die jetzt vor ihr in der Luft standen. Er beauftragte lokale Jäger, hatte den Forst in drei Jagdgebiete aufgeteilt, bezahlte auch sie in Bitcoins. Doch wenn er einen Wildschaden entdeckte, ein krankes Tier, und kein Jäger verfügbar war, kamen die signalroten Drohnen zum Einsatz. Sogenannte Kamikaze-Drohnen, die auch das Militär nutzte. Hatten sie ein Ziel identifiziert, in diesem Fall ein Stück Wild, stürzten sie sich darauf und brachten die kein Kilo schwere Sprengstoffladung zur Explosion, die das ahnungslose Opfer von einer Sekunde zur anderen zerriss. Brutal, effektiv und ohne Gnade. So war Silva.
Sie hatte also die Wahl, entweder von einem aufgescheuchten Bären oder einer explodierenden Drohne zerrissen zu werden. Sie schaute sich um, hinter ihr, am Ende des Waldes, fiel das Gelände gute zwanzig Meter steil ab. Vor ihr ein Bär, über ihr zwei tödliche Drohnen, in ihrem Rücken ein tödlicher Abhang.
Die Drohnen bewegten sich einige Zentimeter in ihre Richtung, als würden sie ein letztes Mal Maß nehmen, bevor sie sich auf sie stürzten. Doch sie konnte nicht ausweichen. Ein Windzug trug den strengen Geruch des Bären zu ihr herüber. Sie schaute nach rechts und nach links, wo als Nächstes einer der mächtigen Zucker-Ahornbäume wuchs. In Bruchteilen von Sekunden wog sie sämtliche Optionen ab, versuchte sich in Silvas Entscheidungsprozesse hineinzudenken. Vorsichtig nahm sie ihren Rucksack von der Schulter, bewegte sich in Zeitlupe und hielt ihn vor den Körper gepresst. Silva wollte sie und den Inhalt ihres Rucksacks, mit dem sie ihn überführen konnte. Ein Rascheln verriet ihr, dass nun auch der Bär einen Schritt auf sie zugemacht hatte. Sie drehte sich zu ihm. Den Kopf gesenkt, witterte er. Sie mochte Bären, doch es gab kein Szenario, in dem sie und der Bär dies hier überlebten. Ständiges Abwägen. Null oder eins. Sie spannte alle Muskeln an. Drei, zwei, eins, null. Sie warf den Rucksack in Richtung des Bären und machte drei schnelle Schritte auf den Ahorn zu, flog das letzte Stück, umklammerte ihn, als würde sie ihn umarmen, während unweit von ihr die erste Drohne mit einem ohrenbetäubenden Knall explodierte.