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Washington, 19 . August 2023

»Mortensen ist tot«, fiel Dechambeau mit der Tür ins Haus. Smith taumelte einen Schritt zurück und ließ sich dann auf seinen Schreibtischstuhl fallen.

»Er wurde mit einer Schusswunde in seinem Labor gefunden. Gemeinsam mit einer Laborantin. Die Ermittler gehen auf den ersten Blick von einer Beziehungstat aus. Noch ist unklar, ob sie ihn oder er sie erschossen hat. Aber sie hatten wohl etwas miteinander.«

Smith rang sichtlich nach Worten. »Was ist mit seinen Forschungsergebnissen …?«

»So weit sind wir noch nicht. Aber Mortensen war, was seine Forschung anging, wohl ein großer Geheimniskrämer.«

»Weiß Miss Meyers schon Bescheid?«

Dechambeau schüttelte den Kopf. »Sie ist ja in China, und ich wollte es ihr nicht am Telefon sagen. Vor allem vor diesem Hintergrund …«

»Wir werden es ihr sagen müssen!«

Smith griff nach einer kleinen Holztruhe auf seinem Schreibtisch, öffnete sie und nahm eine Zigarette heraus, die er sich anzündete. Er ging zum Fenster und öffnete es, bevor er einen langen Zug nahm, den Rauch tief in der Lunge gefangen hielt und dann langsam hinauspustete. »Die erste Zigarette seit zwei Jahren«, sagte er, während er nachdenklich hinaus auf die Bronzestatue des Kranichs blickte, der sich in Stacheldraht verfangen hatte. Ein Denkmal zur Ehrung der japanischen Amerikaner im Zweiten Weltkrieg.

»Wie ich Ihnen erzählt habe, hat er mir gesagt, er sei kurz davor, das Problem mit dem Höllenkraut zu lösen. Mortensen hatte gehofft, noch in diesen Tagen eine Lösung verkünden zu können.«

Smith nahm einen weiteren Zug von der Zigarette, deren Ende hellorange aufglühte, dann drückte er sie an der Fensterbank aus, schloss das Fenster und legte sie zurück in die Truhe.

»Mittlerweile gibt es 79 Länder, die das Auftauchen der Pflanze bestätigen. Es wird in Hunderten von Fällen von allergischen Reaktionen berichtet, weltweit gibt es ein gutes Dutzend Todesfälle, die mit der Pflanze in Zusammenhang gebracht werden. Besonders besorgniserregend ist aber dies!« Smith nahm eine schmale Akte und warf sie in Dechambeaus Richtung. Er nahm sie und schlug sie auf. »Was ist das?«, fragte er.

»Neue Erkenntnisse aus Innsbruck in Österreich: Danach lösen nicht nur die Pollen schwere Allergien aus, sondern sind vor allem die feinen Brennhaare der Pflanzen für erhebliche Reaktionen verantwortlich. Sie brechen ab, schwirren durch die Luft und werden eingeatmet. Dabei sind die Haare so hart, dass sie sogar Kleidung durchdringen. Ohne Enthaarungsstreifen bekommt man sie nur schwer aus der Haut, solange sie allerdings in der Haut stecken, geben sie kontinuierlich über mehrere Tage Furocumarine ab, was dazu führt, dass die Haut sich im Sonnenlicht entzündet. Und es zeigt sich, wir können mit diesem Höllenkraut nicht koexistieren.«

»Es scheint mir, als gebe es täglich eine neue Studie«, bemerkte Dechambeau.

»So ist es auch! Wir lernen die Pflanze und ihre schmutzigen Tricks gerade erst kennen.« Smith vergrub sein Gesicht in den Händen. »Für morgen ist eine Anhörung im Kongress angesetzt, und danach wird der Gesundheitsminister eine Rede halten. Es ist geplant, nach den Pflanzen fahnden zu lassen und sie zu kennzeichnen. Zudem wird die Einrichtung von Schutzzonen um Kolonien diskutiert, und wir haben eine weitere Milliarde FFP 3 -Masken geordert, bevor der Weltmarkt wieder zusammenbricht. Für die nächste Woche ist eine Konferenz in Neapel angesetzt, wo Vertreter aus über hundert Ländern zusammenkommen, um über die Bekämpfung der Pflanze zu diskutieren. Und ich hatte gehofft, Mortensen würde dort auftreten können!«

»Ich habe mit allem gerechnet, aber nicht damit, dass eine beschissene Pflanze uns in die Knie zwingt. Dies können wir niemandem vermitteln.«

Dechambeau hatte auf dem Besuchersessel vor Smith’ Schreibtisch Platz genommen.

»Irgendetwas Neues von Holland aus China?«, fragte er. »Hatten Sie in den letzten Stunden Kontakt mit ihm?«

Smith schüttelte den Kopf. »Ich denke, Mortensen hatte recht, er ist ein Schaumschläger.«

»Ich werde versuchen, ihn in China zu erreichen. Ich habe dort einen Kontakt. Und ich werde persönlich nach Baltimore fahren und dort alles umgraben. Wenn Mortensen einer Lösung für das Problem auf der Spur war, werde ich sie finden und Ihnen bringen. Vielleicht weiß Meyers etwas über seine Forschung. Ich werde meinen Kontakt in China bitten, auch sie zu befragen.«

Smith richtete sich auf. »Tun Sie das. Unser Softwarespezialist, der die Ausbreitung der Pflanzen berechnet, hat seine Prognose aktualisiert. Er hatte die Aggressivität der Pflanze gegenüber anderen Gewächsen nicht ausreichend berücksichtigt. Ausbreitung heißt bei Pflanzen immer auch Konkurrenzkampf. Und unsere heimischen Pflanzen haben dem Gewächs nicht viel entgegenzusetzen. Außerdem, so hat er mir erklärt, spielt die Süße des Nektars eine wichtige Rolle. Bestäuber bevorzugen süßeren Nektar. Der Mann ist, was die weiteren Geschehnisse betrifft, nun ganz sicher. Er sagt, wir haben nur noch vierzehn Tage Zeit bis zum Turning Point, und wird das morgen auch dem Kongress mitteilen. Vierzehn Tage, bis sein Computerprogramm die weitere Ausbreitung für unvermeidbar hält.«

Dechambeau verzog verächtlich die Mundwinkel. »Mit Verlaub, Sir. Wir sollten uns nicht von einem Computer lenken lassen, insbesondere wenn es um die Natur geht. Sie ist unberechenbar.«