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Holland

Schanghai, 19 . August 2023

Li hatte den Lastwagen kompromisslos zurückgesetzt, und für einen Moment befürchtete Holland, dass beim Herausfahren die gesamte Halle zusammenbrechen würde. Doch dies geschah nicht. Allerdings steckten einige Pflanzen in ihrem Kühlergrill, was Li nicht daran hinderte, den Lastwagen vom Parkplatz vor der Halle zurück in den Verkehr zu lenken.

Greta lag im hinteren Teil der Kabine, Holland saß auf dem Beifahrersitz und beobachtete, wie sie atmete.

»Sie lebt«, sagte Li. »Ihr Puls ist schwach, aber sie hat einen.« Er spürte Panik in sich aufsteigen. Sie durfte auf keinen Fall sterben.

»Fahren Sie ins Krankenhaus!«

»Ich habe eine bessere Idee.«

Holland richtete sich auf und suchte die Fahrerkabine ab, entdeckte eine Flasche mit Wasser und goss es sich über die Augen, um sie auszuspülen. Dann ließ er es über seine Arme laufen und rieb sich das Gesicht. Alles war gerötet und brannte. Seine Bronchien waren geschwollen, aber krampften nicht.

»Hier!« Li gab ihm einen Lappen, der über der Lehne gehangen hatte und nach Schweiß roch.

»Sie haben die Männer getötet«, sagte Holland, während er nach Gretas Hand griff und sie vorsichtig streichelte.

»Er war es, der Pan überfahren hat!«

»Sie hätten mit dem Laster auch uns umbringen können!«

»Die hätten es sicher getan.«

»Was für ein Zufall, dass Sie ausgerechnet dort in die Halle gefahren sind, wo Foo stand.« Holland schüttelte den Kopf.

»Kein Zufall!«, sagte Li und holte ein Handy aus ihrer Hosentasche, während sie den Verkehr im Außenspiegel beobachtete. Sie hielt es hoch. »Das Schwein hat mir mein Handy weggenommen. Ich habe es mit Pans Telefon orten können. Ich wusste also ziemlich genau, wo er war, als ich vor der Halle ankam. Der Rest war in der Tat etwas Glück!«

Holland schaute erneut zu Greta, in deren Gesicht etwas Farbe zurückgekehrt schien. Ein gutes Zeichen. »Wo ist der Lastwagenfahrer?«, wollte er wissen.

»Auf irgendeiner Raststätte. Ich habe ihn in der Toilette eingesperrt. Daher habe ich ein wenig gebraucht.«

»Foo war ein Regierungsbeamter«, gab Holland zu bedenken. »Sie werden Probleme bekommen.«

»Ein korrupter. Ich denke nicht, dass er hier bei der Polizei viele Freunde hatte.« Sie bremste und bog ohne Vorwarnung links ab. Der Anhänger geriet leicht ins Schlingern. Greta gab ein leises Wimmern von sich, woraufhin er sich zu ihr beugte. »Halte durch, wir holen Hilfe!«, flüsterte er und strich ihr über die Wange. Er drehte sich um und blickte in den Außenspiegel – niemand schien sie zu verfolgen, obwohl sie ein einfaches Ziel waren.

»Wir müssen den Laster loswerden!«

»Schon klar«, entgegnete Li. »Aber vorher helfen wir Ihrer Freundin.« Sie kurbelte am Lenkrad, bog rechts ab und blieb schließlich vor einem gemauerten Haus mit Flachdach stehen. »Bringen Sie sie hinein und fragen Sie nach Mama Chen. Ich komme später wieder, wenn ich den Laster zurückgebracht habe.«

Er tat wie ihm geheißen, hatte jedoch nach dem Aussteigen Probleme, sich auf den Beinen zu halten. Noch immer hatte er erhebliche Sehstörungen. Er zog an Gretas Füßen und schaffte es, sie mit Lis Hilfe auf den Arm zu nehmen. Der Lastwagen brauste davon und hinterließ eine Wolke aus Staub. Er trug Greta, wie man eine Braut über die Schwelle trägt, auf das Gebäude zu, an dem unter chinesischen Buchstaben und dem Bild eines Pandas das Wort »Hospital« prangte. Erneut stöhnte Greta leise auf und öffnete sogar kurz die Augen, bevor ihre Pupillen wieder wegglitten. Er erreichte die offene Tür, hinter der Schwelle befand sich allerdings keine Honeymoon-Suite, sondern ein kleiner Warteraum, in dem eine Handvoll Menschen vor einer weiteren Tür saß, jeder mit einem Tier vor sich. Jetzt erst verstand er, dass es eine Tierklinik war.

»Ich brauche Hilfe!«, schrie er. Die Tür am Ende des Raumes öffnete sich, und eine junge Frau kam auf ihn zu.

»Mama Chen?«, fragte sie, und als er nickte, deutete sie ihm an, ihr zu folgen.