KAPITEL 20

D as sogenannte Gasthaus in Guilford war nicht mehr als eine Holzhütte in der Mitte der Siedlung – ein einzelner fensterloser Raum, in einer Ecke Tisch und Stühle, auf dem nackten Boden mit Stroh gefüllte Säcke. Bei ihrer Ankunft eröffnete ihnen der Besitzer Goodman Bishop mit einem Zitat aus dem 2. Buch Mose, dass es bedauerlicherweise verboten sei, an einem Samstag nach Sonnenuntergang noch Essen zu kochen oder zu servieren (»sehet, der Herr hat euch den Sabbat gegeben; darum gibt er euch am sechsten Tage zweier Tage Brot«). Also stellte er ihnen Teller mit kaltem Essen und ein paar Krüge Wasser auf den Tisch, womit sie bis Montagmorgen auskommen müssten. Dann würde er ihnen als Ersatz für die beiden verendeten auch zwei frische Pferde bringen. Für diese Dienstleistungen verlangte er einen überzogenen Preis, der zudem vollständig im Voraus zu bezahlen war.

Nachdem er gegangen war, machten Stewart und Mackwater im Hof ein Feuer und brieten die restlichen Fische, die sie zwei Tage zuvor in einem Teich am alten Indianerpfad gefangen hatten. Niemand sprach beim Essen. Ohne den anderen einen Schluck anzubieten, trank Kirke ab und zu von dem Brandy in seiner Feldflasche. Nachdem sie gegessen hatten, spielten die Schotten Karten. Nayler setzte sich etwas abseits von den anderen auf den Boden, lehnte sich mit dem Rücken an die Hüttenwand, rauchte eine Pfeife und dachte nach. Schließlich stand er auf und ging zu Chapin, der mit Kellond und Kirke zusammensaß.

»Wie weit ist es bis New Haven, Mr Chapin?«

»Sechzehn Meilen.«

»Das geht. Wenn wir bei Sonnenaufgang aufbrechen, schaffen wir das zu Fuß leicht bis Mittag.«

»Möglich«, sagte Kellond. »Aber wir würden gegen ihre Gesetze verstoßen, und wir hätten nach unserer Ankunft keine Vollmacht, nach den beiden zu suchen.«

»Unsere Waffen sind Vollmacht genug.«

»Die haben eine starke Bürgerwehr«, wandte Kirke ein. »Sie wären uns mit ihren Waffen zwanzigfach überlegen. Außerdem ist New Haven eine richtige Stadt, nicht so ein Drecksloch wie das hier. Wo sollten wir da anfangen?«

»Im Haus von John Davenport, dem Pfarrer.«

»Davenport wird uns nicht einmal ins Haus lassen. Welchen Beweis haben wir denn, dass Whalley und Goffe überhaupt in der Stadt gewesen sind?«

»Herrgott, was für eine lahme Truppe«, brummte Nayler laut genug, dass die Schotten am Feuer von den Karten aufschauten. Er stand auf, ging zu seinem Platz zurück, und dort blieb er sitzen. Er rauchte seine Pfeife und versuchte ihre Lage zu überdenken, während die anderen hineingingen und sich schlafen legten. Das Schlimmste war, dass die Lage nicht ihr, sondern allein sein Fehler war, und das wusste er. Mit einer derart störrischen Widerspenstigkeit hatte er nicht gerechnet. Vielleicht hatte Staatssekretär Morice recht gehabt. Um diese Angelegenheit zu regeln, musste man eine Militärexpedition entsenden. Außer dass die nicht fünfzig, sondern fünfhundert Mann umfassen müsste. Ihn schauderte bei dem Gedanken, Hyde seinen Fehlschlag melden zu müssen.

Die Abendbrise vertrieb die Wolken. Die Sterne kamen zum Vorschein. Das Feuer zerfiel zu glühender Asche. Das einzige Geräusch war das gelegentliche Knacken eines trockenen Holzscheits, das Feuer fing und Funken in die Nacht sprühte. Aus der Hütte drang Schnarchen nach draußen. Er brachte es nicht über sich hineinzugehen. Er breitete seinen Mantel auf dem Boden aus und schlief kurz nach Mitternacht ein.

Am nächsten Morgen erwachte er mit einem Plan. Nichts Besonderes, aber besser als in erzwungener Untätigkeit einen ganzen Tag zu vergeuden.

Zunächst einmal ließ er die anderen weiterschlafen, bis er ein Trommeln hörte, das die Bürger zur ersten Zusammenkunft ins Versammlungshaus rief. Dann weckte er sie nacheinander auf, gab jedem ein paar Flugblätter und Nägel mit dem Auftrag, sie an markanten Stellen in Guilford aufzuhängen – an einer Straßenecke, außen an den Krämerladen, am Torpfosten von Leetes Haus, überall, wo die Zettel gut sichtbar waren. Er selbst nahm auch einen und ging damit durch die leere Stadt zum Versammlungshaus. Er konnte den Psalm hören, den die Puritaner sangen. Mit großem Vergnügen nagelte er das Flugblatt mit dem Stiefelabsatz vorsichtig an die Tür.

Nachdem sie sich alle wieder am Gasthaus eingefunden hatten, zog Kellond eine Bibel hervor und bat Nayler, ihnen vorzubeten.

»Ich bin kein Priester«, sagte Nayler. »Jedermann soll nach den eigenen Überzeugungen leben.«

Er ging hinein und legte sich auf einen der Strohsäcke. Er war schon lange nicht mehr in der Kirche gewesen. Das letzte Mal, als er in der Kapelle der Westminster-Abtei Cromwells Leiche ausgegraben hatte. Er glaubte an keinen Gott, weder an den der Puritaner noch den der Anglikaner oder Katholiken, war aber auch nicht so dumm, das jedem auf die Nase zu binden. Um seine Stellung in der Gesellschaft zu halten, brummelte er stets wie jeder andere die passenden Worte. Kellond begann draußen das Vaterunser zu beten, und zu Naylers Überraschung stimmten alle anderen ein, auch die Schotten, von denen er erwartet hatte, dass sie ihr Kartenspiel wieder aufnehmen würden. Seine geistliche Abtrünnigkeit versetzte ihn in eine eigenartige Hochstimmung. Verdammt soll sie sein, die abergläubische Welt. Zufrieden stellte er sich die Gesichter der Puritaner vor, wenn sie nach ihrer Versammlung entdeckten, dass man durch das Anschlagen der Flugblätter ihre Sabbatgesetze gebrochen hatte. War es ihnen erlaubt, die Anschläge herunterzureißen, fragte er sich, oder betrachtete ihre Religion schon das als Arbeit.

»Bittet, so wird euch gegeben«, hörte er Kellond rezitieren. »Suchet, so werdet ihr finden …«

Nach der Gebetsstunde kam der junge Royalist zu ihm in den Schlafraum. »Ihr habt nicht mit uns gebetet, Mr Nayler«, sagte er vorwurfsvoll, war er doch ein braver Mann.

»Ich konzentriere meine Gedanken lieber auf unsere Aufgabe.«

»Glaubt Ihr wirklich, dass Ihr in einer Gemeinde wie dieser mit einer Belohnung Erfolg habt?«

»Warum nicht? Hinter den griesgrämigen Gesichtern und schwarzen Gewändern wuchern wie bei anderen Menschen auch Gier und Habsucht. Würdet Ihr darauf eine Wette annehmen, oder verbietet Euch Euer Gewissen das Spielen am Tag des Herrn?«

»Ich bezweifele, dass irgendwer als ein Judas gelten will. Besonders nicht in dieser Gemeinde.«

»Sie wollen nicht als solcher gelten, dem stimme ich zu. Das heißt wiederum, sie werden kommen, solange die Gefahr der Entdeckung gering ist, entweder heute Nachmittag, wenn die ganze Stadt zum zweiten Gebet zusammenkommt, oder heute Abend, sobald es dunkel ist. Aber ich kann mir dessen natürlich nicht sicher sein. Vielleicht kommen sie auch gar nicht. Ihr solltet die Wette annehmen.«

Kellond schwieg. »Ihr seid ein Zyniker, Mr Nayler«, sagte er schließlich und ging nach draußen.

Nayler döste ein. Am späten Nachmittag wurde er von einem Trommeln geweckt. Kurz danach hörte er das Klappern des Torriegels, dann Stimmen im Hof. Als Kellond und Kirke den Raum betraten, stand er auf. Hinter ihnen kam ein sehr dünner Mann in den Dreißigern herein, der in seiner fadenscheinigen Sabbatkleidung ziemlich abgerissen aussah. Er nahm den Pilgerhut ab und drehte ihn in den Händen an der Krempe.

»Dieser Bursche hier meint, dass er eine Auskunft für uns hat«, sagte Kirke.

»Ihr seid ein kluger Mann«, sagte Nayler zu dem Neuankömmling. »Dürfen wir Euren Namen erfahren?«

»Er will ihn nicht nennen«, sagte Kellond.

Nayler schüttelte den Kopf. »So geht das leider nicht. Wenn wir Euch vertrauen sollen, dann müssen wir wissen, wer Ihr seid.« Der Besucher schaute sich nervös zu den Männern im Hof um. »Ich versichere Euch bei meiner Ehre, dass keiner außer uns dreien den Namen erfährt.«

Schließlich sagte der Mann leise: »Dennis Crampton.«

»Gut, Mr Crampton.« Nayler zog einen Stuhl unter dem Tisch hervor. »Kommt. Setzt Euch und esst etwas. Wir haben zwar nicht mehr viel, aber was da ist, teilen wir gern.«

Er hatte selten einen so hungrigen Menschen erlebt. Er gab ihm die Zeit, sich den Magen vollzuschlagen. Er sollte sich in ihrer Gesellschaft wohlfühlen. Und nach und nach, zwischen großen Bissen Brot und kaltem Fleisch, erzählte Crampton ihnen seine Geschichte. Er war in Devon geboren, mit zwanzig nach Neuengland ausgewandert, hatte sich in New Haven niedergelassen und geheiratet, blieb aber kinderlos. Seine unfruchtbare Frau war wegen ihrer angeblichen Eifersucht auf die nachbarlichen Mütter der Hexerei beschuldigt worden, und während sie noch unter Verdacht stand, am Fieber gestorben (»der Klatsch hat sie umgebracht«). Daraufhin hatte es ihn aus der Bahn geworfen (»das gebe ich offen zu, Gentlemen«), und er war wegen Trunkenheit am Sabbat (ein Vorwurf, den er vehement bestreite) auf Anordnung von Reverend Davenport ausgepeitscht worden. Er war erst vor kurzem in der Hoffnung auf Arbeit nach Guilford gekommen, hatte es dort aber auch nicht besser getroffen. Er wischte sich mit dem Ärmel den Mund ab. »Ich brauche das Geld von der Belohnung unbedingt, Sir. Es würde mir wieder auf die Beine helfen, ich könnte mir damit die Rückfahrt nach England leisten.«

»Ihr werdet das Geld bekommen, Mr Crampton«, sagte Nayler und umfasste das dürre Knie des Mannes. »Ihr werdet es bekommen, wenn Ihr uns zu Whalley und Goffe führt.« Er zückte sein Notizbuch und den Bleistiftstummel. »Also dann, zur Sache.«

»Ich habe sie mit eigenen Augen gesehen, Sir. Sie haben die Bürgerwehr in New Haven gedrillt. Und da hat Oberst Whalley erklärt, dass er und Goffe nur zweihundert Männer von diesem Schlag an ihrer Seite benötigten, und sie würden sich im alten England wie auch im neuen vor keinem fürchten.«

»Das hat er gesagt?«

»Ich war dabei, als er die Kavallerie hat antreten lassen, und habe es mit eigenen Ohren gehört.«

Nayler forderte ihn auf, die genauen Worte zu wiederholen. Er schrieb sie auf. »Zweihundert Männer von diesem Schlag, versteht Ihr?«, sagte er zu Kellond und Kirke. »Sie planen eine abermalige Rebellion gegen den König.« Er wandte sich wieder an Crampton. »Und sind die beiden jetzt noch in New Haven?«

»Die Leute da werden das abstreiten, aber ich weiß es besser.«

»Weiter, weiter.«

»Sie waren ab Anfang März für mehrere Wochen bei Davenport untergeschlüpft und sind dann nach Neu-Amsterdam, um sich nach Holland einzuschiffen. Das hat man jedenfalls allen weisgemacht. Aber ich glaube, dass sie schon kurz danach zurückgekommen sind und sich wieder bei Davenport versteckt haben.«

»Habt Ihr irgendeinen Beweis dafür?«

»Im April haben Davenports Diener im Krämerladen von New Haven Lebensmittel für zehn Pfund mehr als sonst gekauft.« Er lehnte sich stolz zurück.

Nayler notierte sich das. »Dann könnten sie jetzt in diesem Augenblick noch bei Davenport sein?«

»Das kann ich nicht sagen. Ich weiß aber sicher, dass sie manchmal über die Straße zum Haus von Mr William Jones gegangen sind, dem Sohn vom Königsmörder. Dort habe ich sie auch gesehen, als ich einmal bei John Thorp übernachtet habe. Es war sehr spät nachts, keiner sonst war auf der Straße.«

»Ihr habt die beiden gesehen, nachdem sie angeblich nach Neu-Amsterdam abgereist waren?« Nayler beugte sich vor. »Und das ist eine Tatsache? Die Wahrheit? Keine Übertreibung?«

»Ja, Sir, das waren sie. Auch wenn sie noch versucht haben, sich zu verstecken.«

»Wann war das?«

»Vor knapp zwei Wochen.«

Nayler klappte sein Notizbuch zu. Eine falsche Fährte auszulegen, das war schlau. Sie waren gerissen. Aber er war gerissener. »Gentlemen«, sagte er. »Ich glaube, wir haben sie.«