KAPITEL 26

J ener August 1664 sah Nayler unter dem falschen Namen Richard Foster, seines Zeichens Juwelier, wieder rastlos auf Reisen – zuerst nach Paris, wo er dem englischen Gesandten Lord Holles verschiedene geheime Botschaften von Hyde überbrachte, dann nach Genf, wo er die Nacht verbrachte und am nächsten Tag eine Kutsche mit Ziel der am Nordufer des Genfer Sees gelegenen Schweizer Stadt Lausanne nahm. Dort traf er nachmittags am Mittwoch, dem 10. August, ein und stieg in einem Gasthaus mit Seeblick namens L’Auberge Saint-Gabriel ab.

Normalerweise hätte er sich nicht in einen waghalsigen Meuchelmord verwickeln lassen, allerdings hatten sich die zu diesem Zweck angeheuerten Söldner als einzigartig erfolglos erwiesen. Der Versuch eines Attentats auf General Edmund Ludlow in seinem Haus im ebenfalls am Nordufer des Sees gelegenen Vevey war ihnen gründlich missraten. Der unter dem Schutz des Kantons Bern stehende Ludlow war nun doppelt auf der Hut und unerreichbar. Da er den Gedanken an einen weiteren Fehlschlag nicht ertrug, hatte Nayler entschieden, die Angelegenheit selbst in die Hand zu nehmen. Außerdem war es in London ungewöhnlich heiß, es hatte einen Fieberausbruch gegeben, der Hof war mit dem König für den Sommer aufs Land gezogen, und er langweilte sich.

Die drei irischen Mordbuben, alle in den Dreißigern, trafen am selben Abend in der Herberge ein – James Fitz Edmond Cotter, Miles Crowley und John Rierdan (alias Riordo, wie die anderen ihn nannten). Sie waren ehemalige royalistische Offiziere, hatten schwere Zeiten hinter sich und waren begierig darauf, mit dieser Art von Dienstleistung ihr Schicksal zu wenden. Ein unansehnliches Trio: Unbeholfen, schwitzend, mit breiten, sommersprossigen Gesichtern und schauerlichem französischem Akzent, waren sie sofort als Ausländer erkennbar. Schon als sie sich auf der Terrasse seinem Tisch näherten, stöhnte er innerlich auf. Aber er hatte gelernt, dass es in solchen Angelegenheiten unumgänglich war, mit dem Personal zusammenzuarbeiten, das zur Hand war.

Bei dem gegenwärtigen Opfer handelte es sich um Sir John Lisle, Alter vierundfünfzig, den Advokaten, der den Prozess gegen den König organisiert hatte, den Vorsitzenden des Gerichtshofs während der Anhörungen und bei der Abfassung des Urteils maßgeblich unterstützt hatte und jetzt unter dem Pseudonym Field lebte. Er selbst war keiner der Richter gewesen und hatte auch nicht das Todesurteil unterzeichnet, wurde aber wegen seiner Rolle beim ganzen Verfahren des Hochverrats für schuldig befunden – verglichen mit Ludlow eine untergeordnete Figur, aber dennoch der Mühe und des Wagnisses wert.

Cotter, offenbar der Anführer, hatte den Plan ausgearbeitet. Nachdem sie über mehrere Wochen jede seiner Bewegungen beobachtet hatten, waren sie davon überzeugt, dass Lisle am morgigen Tag, zu Fuß und begleitet von zwei Leibwächtern, die Frühmesse besuchen würde. Cotter und Rierdan würden sich um die Begleiter kümmern, Crowley würde ihn mit einer eigens dafür ausgewählten Waffe erschießen. Crowley legte nun einen in eine Decke gewickelten Gegenstand auf den Terrassentisch und hob die Decke etwas an, damit Nayler einen verstohlenen Blick darauf werfen konnte. Es handelte sich um eine sogenannte Donnerbüchse, eine gekürzte Flinte mit trompetenförmiger Mündung, die ein halbes Dutzend Kugeln gleichzeitig abfeuern konnte. Nayler betrachtete die Waffe bestürzt und schaute dann zu den voll besetzten Tischen auf der Terrasse.

»Um Himmels willen, Mr Crowley, steckt das Ding sofort weg.« Nachdem die Waffe unter dem Tisch verstaut war, sagte er: »Mit dieser Büchse müsst Ihr ja ganz nah an ihn herankommen, wenn nicht die halbe Kirchengemeinde dran glauben soll.«

»Das werden wir, Mr Nayler«, sagte Cotter. »Macht Euch darüber keine Sorgen.«

Aber Nayler machte sich Sorgen. Er lag die halbe Nacht wach und machte sich Sorgen. Für seinen Geschmack war der geplante Anschlag viel zu öffentlich. Er dachte sogar daran, bei Tagesanbruch aus der Stadt zu verschwinden. Wenn herauskäme, dass ein Beamter des Kronrats auf fremdem Boden in einem neutralen Land einen Mordanschlag unternommen hatte, dann würde das einen diplomatischen Skandal verursachen. Schließlich kam er zu dem Schluss, dass es seine Pflicht war, die Sache durchzuziehen, und als er am nächsten Morgen aufstand, lud er seine Pistole und schob sie sich in die Tasche.

Die Kirche Saint-François befand sich in der Mitte von Lausanne, etwa eine Meile von seiner Herberge entfernt. Der stramme Fußmarsch führte durch steile, verwinkelte Gassen, wo es von Leuten wimmelte. Eine Glocke begann zu läuten. Er trat aus einer der Gassen auf einen kopfsteingepflasterten Platz, wo an einer Seite die Kirche aufragte, während die andere Seite von Geschäften gesäumt war. Vor einem Barbierladen lungerten Cotter, Crowley und Rierdan herum. Bizarrerweise trugen sie alle trotz großer Hitze weite Umhänge. Die Gläubigen gingen zielstrebig auf die Kirchentür zu. Nayler hielt in der Menge nach jemand Ausschau, der Lisle sein könnte, und entdeckte ihn sofort. Er war so wenig zu übersehen wie seine Mörder – eine korpulente Gestalt unter einer Perücke, bekleidet mit der Robe eines englischen Advokaten, umgeben von vierschrötigen Begleitern.

Fast gleichzeitig mit Nayler entdeckten ihn auch Cotter und seine beiden Kumpane. Sie gingen von dem Barbierladen mit forschen Schritten über das Pflaster, holten ihn ein, öffneten ihre Umhänge und zogen in dem Augenblick ihre Waffen hervor, wo Lisle die Kirchentür erreichte. Der Messinglauf der Donnerbüchse blitzte im Sonnenlicht, der Mündungstrichter nur wenige Zoll von Lisles Rücken entfernt. Der fürchterliche Knall schreckte einen Schwarm Tauben auf, der über den Platz davonflatterte. Lisle riss die Arme in die Höhe. Die Wucht der Explosion schleuderte den schweren Leib nach vorn, und er schlug mit dem Gesicht auf den Kirchenstufen auf. Die Leibwächter griffen nach ihren Pistolen, aber Cotter und Rierdan hielten sie in Schach. Sie richteten ihre Pistolen auf sie, brüllten sie an, die Waffen stecken zu lassen, und machten sich gleichzeitig auf den Rückzug. Eine Frau kreischte, und Cotter rief in seinem entsetzlichen Französisch: »Vive le roi d’Angleterre!« Dann drehten sich alle drei um, liefen über den Platz und verschwanden in einer Seitengasse.

Die Leute drängelten sich um das Opfer. Nayler überquerte den Platz und schob sich durch die Menge, bis er einen guten Blick auf Lisle hatte. Er lag regungslos auf dem Bauch. Die Perücke war verrutscht, und neben ihm sammelte sich eine Blutlache auf den Steinstufen. Im Kreuz klaffte eine gezackte Wunde von der Größe eines kleinen Tellers, wie ein Himbeerdessert, aus dem Blut quoll. Lisles Leibwächter drehten ihn um. Schreie des Entsetzens. Der alte Advokat starrte blind zum Himmel, die Mundwinkel hingen schlaff herunter. Nayler blieb so lange stehen, bis er gänzlich von Lisles Tod überzeugt war. Dann drehte er sich um und schlüpfte zwischen den Gaffern hindurch auf den Platz.

Niemand hielt ihn auf. Zum ersten Mal seit seiner Ankunft in der Schweiz spürte er eine gewisse Leichtigkeit in seinen Schritten. Wenn alles nach Plan gelaufen war, dann würden Cotter, Crowley und Rierdan in diesem Augenblick ein Boot besteigen, mit dem sie nach Genf entschwinden würden. Wieder hatte einer der Königsmörder den gerechten Tod gefunden. Und die Expedition des Herzogs von York zur Eroberung von Neu-Amsterdam müsste dieser Tage in Amerika an Land gehen. Mit etwas Glück würde er gegen Ende des Sommers zwei weitere von der Liste streichen können.