Kapitel 8
Doch kein Spaziergang
Damit sie schneller vorankommen konnten, führte Sito die kleine Gruppe in seiner ursprünglichen Gestalt einer Schlange an. Über die Treppen gelangten sie in die unterirdischen Gänge, wo sie feststellten, dass diese offenbar schon seit Jahrtausenden nicht mehr genutzt worden waren. Hier hatte die Zeit unmissverständlich ihre Spuren hinterlassen, was sich unter anderem in Unmengen von im Laufe der Jahre angesammeltem Geröll, Schlamm und Wasser äußerte.
Allen war sofort klar, dass ihr Weg dadurch außerordentlich beschwerlich werden würde. Wenn sie unbemerkt nach Babylon kommen wollten, hatten sie keine andere Wahl, als sich der Stadt unterirdisch zu nähern. Demzufolge lautete die Devise: Zähne zusammenbeißen, Augen zu und durch!
Ihr einziger, aber entscheidender Vorteil bestand darin, dass ihre Feinde und auch die zahlreichen Helfer der Hyksos diese Gänge höchstwahrscheinlich nicht kannten und sie in all den Jahren noch nie benutzt hatten.
Um ein wenig Licht in die undurchdringliche Dunkelheit zu bringen, nahmen sie einige der Fackeln von den Wänden. Alles war mit Gestrüpp bedeckt, das sie oftmals erst zur Seite räumen mussten, um weiterzukommen. Stundenlang kämpften sie sich Schritt für Schritt voran. Plötzlich begann es, zu allem Unglück, auch noch zu regnen. Da die oberen Bereiche der unterirdischen Gänge natürlich nicht abgedichtet waren, lief das Wasser an den Wänden herunter und der Schlamm auf dem Boden wurde noch rutschiger. Dadurch fiel ihnen das Laufen von Minute zu Minute schwerer.
Auf einmal blieb Sito überraschend stehen und bat Neferafin, die Pläne herauszuholen. Da er vermutete, dass sie sich mittlerweile schon in der Nähe der in das unterirdische System eingebauten Fallen befanden, wollte er besser rechtzeitig nachschauen, wo diese auf den Karten eingezeichnet waren.
„Ich befürchte, wir haben ein Problem. Auf dieser Karte sind die Fallen zwar markiert, aber es könnte ziemlich schwierig werden, sie hier unten auch zu erkennen. Im Laufe der Zeit wurden viele Abschnitte der Gänge verschüttet und der Schlamm macht es auch nicht gerade leichter. Wie wir wissen, gibt es bestimmte Steine, auf die wir unter gar keinen Umständen treten dürfen, weil das die Fallen auslösen würde. Dummerweise sind diese für uns momentan unsichtbar und wir können sie nur erahnen. Das wird uns aber nicht viel weiterbringen, weil wir es auf gar keinen Fall riskieren dürfen, wegen der Fallen einen von uns zu verlieren.
Wenn ich das alles richtig deute, gibt es insgesamt sechzehn Steine, die quadratisch angeordnet sind, also jeweils vier davon senkrecht und vier waagerecht. In der ersten Reihe müssen wir auf den zweiten Stein von links drücken, in der zweiten Reihe auf den ersten Stein von links, in der dritten Reihe auf den ersten Stein von rechts und in der vierten und letzten Reihe auf den zweiten Stein von rechts. Dabei dürfen wir aber unter gar keinen Umständen einen der anderen Steine berühren. Durch die richtige Kombination wird sich der Boden anheben und wir können weitergehen. Jetzt stellt sich nur die Frage, wo sich diese Steine genau befinden.“
In diesem Moment fielen Neferafin die Asili ein: „Wo stecken sie eigentlich, wenn man sie braucht?“
Daraufhin stieß Sito ein lautes Zischen aus. Blitzschnell kamen die Asili aus ihrem Versteck, um den Weg freizuräumen. Da sie außerordentlich leicht waren, würde es keine gefährlichen Folgen haben, wenn sie aus Versehen die falschen Steine berühren sollten. Im Licht ihrer Fackeln versuchten alle, genau zu erkennen, was die Asili gerade freilegten. Schon bald stellten sie fest, dass Sito recht behalten hatte, denn sie standen tatsächlich nur etwa zwei Meter vor der ersten Falle in Form der Steine.
Während die Asili damit beschäftigt waren, den betreffenden Bereich freizuschaufeln, gestatteten sich die anderen eine kurze Verschnaufpause, um wieder zu Kräften zu kommen. Im Anschluss daran bot sich ihnen ein fantastischer Anblick. Die Steine waren nämlich mit den allerschönsten Farben bemalt und schienen sie geradezu dazu einzuladen, sie näher zu betrachten und dabei auf sie zu treten.
Noch einmal ermahnte sie Sito eindringlich: „Bitte vergesst nicht, was ich euch gesagt habe, und lasst euch auf gar keinen Fall blenden!“
Nachdem er alles noch einmal wiederholt hatte, nahm er seine menschliche Gestalt an, in der er den Fallen besser ausweichen konnte. Vorsichtig hüpfte die Gruppe, von Sito angeführt, über die Steine. Als er den letzten Stein passiert hatte, schob sich aus den beiden Seiten der Wand eine Art Brücke hervor. Diese wirkte zwar nicht besonders vertrauenerweckend, bestand aber aus massiven Steinen und war wenigstens nicht von uraltem Schlamm bedeckt. Auf ihr konnten sie endlich ungehindert weitergehen, ohne sich den Weg ständig freikämpfen zu müssen.
Etwa eine Stunde später blieb Sito erneut stehen: „Gemäß der Karte müsste die nächste Falle ungefähr hier eingebaut sein. Zu unserem Leidwesen weist der Plan aber genau an dieser Stelle einen Riss auf, weshalb ich nicht erkennen kann, wo sie sich genau befindet.“
Utho wandte sich an Neferafin und Arafine: „Ihr beide habt doch hoffentlich eure Saphir-Skarabäen bei euch. Holt sie doch bitte einmal heraus!“
Wie auf Kommando nahmen beide ihre Skarabäen aus dem Versteck in ihren Gewändern.
„Legt sie jetzt bitte zeitgleich auf die Wand, Arafine auf der rechten Seite und Neferafin auf der linken Seite! Daraufhin wird uns die Magie die Fallen zeigen.“
Sobald die beiden Frauen damit begannen, diese Anweisung zu befolgen, fingen Sito und Utho an, synchron zu sprechen: „laris …“
„Ahhhhhhh!“, riefen alle gemeinsam im Chor, als die Brücke sich langsam bewegte. Dadurch entstand in ihrer Mitte ein deutlich sichtbarer Riss, der sich zunehmend vergrößerte. Anschließend teilten sich die Steine, um links und rechts in der Wand zu verschwinden. In allen vier Mitgliedern der Gruppe stieg Panik auf.
„Sito, was sollen wir denn jetzt machen? Wir werden in den Abgrund stürzen und dabei sterben. Tu doch bitte etwas! Bitte!“, schrie Arafine.
Nur einen Fußbreit vor der Wand kamen die Steine plötzlich wieder zum Stillstand, wodurch gerade noch genug Platz übrig blieb, dass jeder darauf stehen konnte.
Sito stand seinen drei Mitstreitern gegenüber und versuchte, ebenso wie sie, sich an der Wand festzuhalten.
„Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt für den Einsatz der Magie gekommen, aber leider befinden sich die Skarabäen außerhalb unserer Reichweite“, bemerkte er resignierend.
Neferafin gestand unter Tränen: „Meiner ist eben in den Abgrund gefallen und es klang, als ob dort unten Wasser wäre.“
Inzwischen hörten alle das Wasser unter sich rauschen. Da es aber von Sekunde zu Sekunde lauter wurde, hatten sie das Gefühl, es würde unaufhaltsam nach oben steigen. Diese Ahnung erwies sich zwar als zutreffend, aber es handelte sich nicht nur um Wasser. Mit ihm kamen eigenartige Wesen an die Oberfläche, die ganz und gar nicht so aussahen, als ob sie zum Scherzen aufgelegt wären. Deutlich zu erkennen waren sie allerdings nicht, weil alle nur ihre Umrisse und ihre Schatten wahrnehmen konnten.
„Jetzt werden wir alle hier unten sterben, bevor es überhaupt richtig begonnen hat“, prophezeite Neferafin weinend. Auch die anderen beschlich ein außerordentlich mulmiges Gefühl.
Schon bald konnte es einer nach dem anderen nicht mehr verhindern, den Halt zu verlieren und in den Abgrund zu stürzen. Augenblicklich wurde es um sie herum stockdunkel.
Als sie wieder zu sich kamen, schauten sie sich benommen um. Zumindest versuchten sie es. Glücklicherweise befanden sie sich auf trockenem Boden, aber leider waren sie in einem kleinen Käfig zusammengepfercht. Darin war es so dunkel, dass man fast nichts erkennen konnte.
Flüsternd fragte Neferafin: „Wo sind wir?“
„Ich habe nicht die leiseste Ahnung, aber es ist wirklich unheimlich. Hier können wir ja überhaupt nichts sehen und uns auch nicht richtig bewegen. Sito, weißt du, wo wir sind?“
Auf eine Antwort auf diese Frage wartete Arafine viel zu lange vergeblich.
„Sito? Utho?“
Auf einmal erklang ein leises Stöhnen und ganz in ihrer Nähe schien sich etwas zu rühren.
„Ich bin hier“, hörten sie Sito endlich sagen, aber Utho antwortete noch immer nicht.
„Utho? Utho, wo bist du?“
Wieder und wieder riefen die anderen abwechselnd nach ihr, wobei Arafine in Tränen ausbrach.
Sito gab sich alle Mühe, um sie wieder ein wenig zu beruhigen, aber zuerst nahm er seine menschliche Gestalt an, in der er in dem kleinen Käfig nicht zu viel Platz einnahm.
„Ganz sicher ist sie irgendwo in unserer Nähe. Bitte beruhigt euch und behaltet die Nerven! Ich weiß zwar noch nicht genau, was da gerade eigentlich passiert ist, aber das wird sich schon bald klären. Ist eine von euch beiden verletzt?“
Erfreulicherweise verneinten beide diese Frage.
„Gut! Das ist doch endlich wieder einmal eine positive Nachricht. Jetzt müssen wir unbedingt herausfinden, wo wir uns hier befinden.“
Haargenau in diesem Moment entdeckten sie kleine, rote Lichter, die unaufhaltsam auf sie zukamen. Beim näheren Hinsehen entpuppten sich diese als glutrote, weit aufgerissene, stechende und ungemein gefährlich wirkende Augen. Ihre panische Angst war überdeutlich spürbar, aber keiner brachte auch nur ein einziges Wort heraus. Im Grunde wagten sie es nicht einmal mehr, laut zu atmen.
Als mehrere Fackeln auf sie zu geschwommen kamen, die sich wie von Zauberhand ganz von selbst zu bewegen schienen, wurde es allmählich wieder heller. Das Plätschern des Wassers hallte wie ein Echo von den Felswänden um sie herum zurück.
„Wer seid ihr und was habt ihr hier zu suchen?“, rief auf einmal eine tiefe, unmissverständlich bedrohliche und offenbar uralte Stimme, wobei das Echo den beängstigenden Klang dieser Worte noch verstärkte. Erschrocken zuckten alle zusammen.
Während sich das blutrote Augenpaar dem Käfig näherte, kam eine grünlich graue Schnauze mit unzähligen spitzen, grell aufblitzenden Zähnen zum Vorschein.
„Taris? Taris, bist du das?“, fragte Sito ungläubig.
„Sito? Sito, bist du es wirklich?“
Endlich klang die bedrohliche Stimme nicht mehr ganz so erschreckend.
„Sito, was machst du denn hier? Bist du dir denn nicht im Klaren darüber, dass ihr euch auf unserem Territorium befindet? Um ein Haar hätte dieser Ausflug für euch ein sehr böses Ende genommen.“
„Bitte, Taris, lass uns erst einmal aus diesem Käfig heraus! Anschließend solltest du mir einfach einmal genau erklären, warum das jetzt euer Territorium ist und wo ihr all die Jahre über gewesen seid.“
Neferafin und Arafine konnten ihren Augen kaum trauen. Derartige Tiere hatten sie noch nie zuvor gesehen. Auf den ersten Blick ähnelten sie riesengroßen, gefährlichen Echsen. Sobald der Raum hell erleuchtet wurde, nahm ihre Bewunderung aber ein jähes Ende. Vollkommen entsetzt stellten sie nämlich fest, dass Utho verschwunden war.
„Taris, wo ist Utho?“, wollte Sito sofort wissen.
„Wer? Ich kann dir gerade nicht folgen. Nachdem ihr vorhin in die Falle getappt seid, haben wir euch alle aus dem Wasser gefischt, aber ihr wart nur zu dritt.“
„Utho fehlt aber. Sie gehört zu meinem Geschlecht und sie ist die Landesgöttin von Unterägypten und die Schutzgöttin der Könige. Bevor sie verschwand, hatte sie die Gestalt eines Menschen angenommen, genauso wie ich jetzt. Bitte hilf uns, sie zu finden!“ Als er Taris bittend ansah, war seine Besorgnis nur allzu deutlich spürbar.
„Selbstverständlich werde ich meine Garde sofort aussenden, um nach ihr zu suchen. Mach dir keine Gedanken! Wir werden sie schon finden.“
Daraufhin stieß er zwei kurze Pfiffe aus und schon kam ein ganzes Heer von Krokodilen angeschwommen. Nachdem er die Lage äußerst eindringlich erläutert hatte, gab er ihnen den Befehl, überall gründlich zu suchen und nicht ohne Utho zurückzukehren.
Im Anschluss daran wandte er sich in einem beruhigenden Tonfall an die drei Weggefährten: „Wir werden sie ganz bestimmt finden. Macht euch keine Sorgen! Jetzt müsst ihr mir aber erst einmal erklären, was ihr hier unten sucht. Hier war nämlich schon seit Jahrtausenden niemand mehr.
Sito, gerade du müsstest doch wissen, dass hier überall Fallen eingebaut sind. Warum hast du sie denn nicht einfach umgangen?
Wie auch immer, jetzt beantworte ich erst einmal deine Fragen. Wir leben hier unten, seitdem die Hyksos in Unterägypten eingefallen sind. Für diese Barbaren war unser Fleisch nämlich eine erlesene Delikatesse. Außerdem haben sie Teile unserer Körper dafür verwendet, ihre Kleidung herzustellen. Deshalb haben sie regelrecht Jagd auf uns gemacht, bis ihnen einer nach dem anderen zum Opfer fiel. Wir hatten nicht die geringste Chance, uns gegen sie zu wehren.“
Ungläubig musterte ihn Sito: „Aber warum habt ihr uns denn dann nicht um Hilfe gebeten?“
„Das lässt sich ganz leicht erklären. Zu der Zeit war nirgendwo auch nur eine einzige Kobra zu finden, die wir als Kurier zu dir schicken konnten. Du warst wie vom Erdboden verschluckt, und keiner von uns hatte auch nur den Hauch einer Ahnung, wo du dich versteckt hältst. In dieser Notlage habe ich mich daran erinnert, dass wir vor vielen, vielen Jahren einmal über die unterirdischen Gänge und über ihre Geheimnisse gesprochen hatten. Daraufhin habe ich beschlossen, mein Volk hier unten anzusiedeln und gleichzeitig die Geheimnisse und die Schätze dieser Welt unter der Erdoberfläche zu beschützen. Irgendwann wird aber hoffentlich der Tag kommen, an dem wir hier unten alles versiegeln und die Gänge verlassen können, um wieder ungefährdet an der Oberfläche zu leben. Vor allem den Nil und unsere Inseln vermissen wir nämlich sehr.“
Nachdem Neferafin und Arafine ihm aufmerksam zugehört hatten, senkten sie traurig ihre Köpfe.
„Wir hatten tatsächlich angenommen, dass eure Gattung, die wir nur aus Erzählungen und von Zeichnungen her kannten, ausgestorben wäre. Dass ihr geflüchtet und zum Glück noch putzmunter seid, konnten wir ja nicht ahnen.“
Als Taris etwas darauf erwidern wollte, riss er sein Maul ein bisschen zu weit auf und die beiden Frauen schreckten vor Angst zurück.
„Taris, tue mir bitte einen Gefallen und nimm deine menschliche Gestalt an, damit sich die Mädchen an dich gewöhnen und damit wir auf der gleichen Augenhöhe miteinander reden können!“
Taris und Sito mussten schallend laut lachen. Anschließend verwandelte sich das mehr als sechs Meter lange Krokodil in einen stattlichen Mann in den mittleren Jahren. Seine schuppige, glänzende Haut ähnelte der von Sito, schimmerte aber in einem grünlichen Farbton. In seinem markanten Gesicht ragten seine beiden Eckzähne wie bei einem Vampir über die Unterlippe hinaus, was erstaunlicherweise seinen speziellen Charme auszumachen schien. In seiner gesamten Pracht verneigte er sich tief vor den Frauen, bevor er sich wohlig reckte und streckte.
„Sito, ich schätze, diese Gestalt habe ich schon seit mindestens 300 Jahren nicht mehr angenommen.“
Endlich fand Neferafin ihre Sprache wieder: „Da du dich verwandeln kannst, musst du offensichtlich auch von königlichem Geblüt sein.“
„Ja, so ist es und ich lebe ungefähr genauso lange auf dieser Erde wie mein alter Freund Sito. Wir kennen uns schon seit unserer Geburt. Wenn ich euch erzählen würde, was wir schon alles gemeinsam erlebt haben, wären wir stundenlang beschäftigt.“
Erneut lachte Taris laut auf und Sito stimmte mit ein.
„Mein alter Freund, du hast vollkommen recht. Ihr gehört wieder an die Oberfläche und an den Nil. Übrigens sind wir gerade dabei, …“
Im Anschluss an diese Worte informierte Sito Taris über alles Wesentliche, das sich in den vergangenen Jahrhunderten in ihrem Land zugetragen hatte. In der Zwischenzeit schleppten mehrere Krokodile Unmengen von Speisen und Getränken für ihre Gäste heran.
„Das sind ja wirklich schlimme Neuigkeiten. Hier unten haben wir das alles gar nicht mitbekommen. Wie auch?“
Bevor er fortfuhr, schüttelte Taris sichtlich erschüttert den Kopf.
„Selbstverständlich bieten wir euch für euren Kampf gegen die Hyksos unsere volle Unterstützung an. Schließlich werden wir am Ende alle etwas davon haben. Außerdem würde ich meinen alten Freund Sito niemals im Stich lassen.“
Dabei klopfte er Sito kameradschaftlich auf die Schulter.
„Sag mal, was ist denn eigentlich aus der hübschen, kleinen Kobra von damals geworden?“, fügte er zwinkernd hinzu.
„Taris, muss das denn jetzt schon wieder losgehen?“
Noch einmal brachen beide in schallendes Gelächter aus, während die beiden Frauen sie verständnislos musterten.
„Dürften wir vielleicht auch mit lachen?“; warf Neferafin leicht genervt, aber auch eindeutig neugierig ein.
„Aber natürlich, das sollt ihr sogar. Früher hat mir Taris immer stundenlang etwas von einer Kobra vorgeschwärmt, in die er sich rettungslos verliebt hatte. Obwohl er ganz genau wusste, dass sie nichts von ihm wissen wollte, träumte er bei Tag und Nacht von ihr und er redete und redete. Dabei kannte er nicht einmal ihren Namen. Damals hat er ununterbrochen gebettelt, dass ich ihm doch helfen sollte, bis ich mich dann tatsächlich geschlagen gegeben habe. Als er sie mir aber zum ersten Mal zeigte, musste ich ihm gestehen, dass sie meine Verlobte war. Haargenau das war auch der Grund, warum sie nichts von Taris wissen wollte. An diesem Tag hat Taris geschworen, dass er sich nie wieder in eine Kobra verlieben würde, aber ich hielt dagegen. Es war schlimm, Taris so todtraurig zu erleben, aber ich hoffte doch sehr, nach einer Weile würde es ihm wieder besser gehen“, meinte Sito, wobei er Taris zuzwinkerte.
„Da irrst du dich, mein alter Freund. Ich habe für eine halbe Ewigkeit furchtbar gelitten, bis es mir endlich gelang, wenigstens halbwegs darüber hinwegzukommen, aber meinem Gelübde bleibe ich für immer treu. In eine Kobra werde ich mich garantiert nie wieder verlieben.“
Um seinen Worten noch mehr Nachdruck zu verleihen, erhob Taris seine Hand zum Schwur und alle im Raum mussten lauthals lachen.
Anschließend sah sich Sito zum ersten Mal eingehend in den unterirdischen Räumlichkeiten um.
„Wo sind wir hier eigentlich? Auf den Plänen habe ich mittlerweile schon längst den Überblick verloren.“
„Wir befinden uns hier genau auf halber Strecke zwischen Memphis und Cheri-aha und exakt zwischen dem Skarabäus und der Pyramide. Das heißt, die Hälfte eures Weges habt ihr schon hinter euch. Der Gang, der von hier aus nach rechts führt, bringt uns in die Halle der Pyramide und durch den nach links abbiegenden Gang kommen wir in die Halle des Skarabäus.“
Neferafin und Arafine schauten sich vielsagend an. Da sie ihrer Familie gehörten, wussten beide von den Schatzkammern, aber sie waren noch nicht hier gewesen und sie hatten sie noch nie zuvor mit ihren eigenen Augen gesehen.
„Das bietet euch die einmalige Gelegenheit, die Schätze eurer Familie selbst zu begutachten. Mit Sicherheit werdet ihr dort das eine oder andere entdecken, das ihr gut gebrauchen könnt oder nach dem ihr schon lange gesucht habt?“
Taris warf den beiden Frauen einen aufmunternden Blick zu.
Sofort nickte Arafine zustimmend: „Das hört sich wirklich verlockend an, aber ich würde vorschlagen, dass wir uns das alles ganz in Ruhe ansehen, sobald wir unsere Aufgabe erfüllt haben. Wie du ja schon weißt, ist Raffine in unsere Zeit gekommen, und wir würden sie natürlich gern in unsere Geheimnisse einweihen. Aus diesem Grund hatten wir sowieso die Absicht, später noch einmal hierher zurückzukehren, dann allerdings auf dem Weg auf der Erdoberfläche.“
„Das halte ich für eine hervorragende Idee und euer Wunsch ist auch vollkommen verständlich. Nachdem ihr mir schon so viel von ihr erzählt habt, würde ich Raffine auch zu gern einmal kennenlernen“, erwiderte Taris umgehend.
„Diese Möglichkeit wirst du ganz sicher haben, mein Freund. Vorher müssen wir uns aber erst noch um die Schlüsselform kümmern. Allmählich mache ich mir wirklich ernsthafte Sorgen um Utho, die doch nicht einfach so spurlos verschwunden sein kann. Warum sind deine Gefährten denn immer noch nicht wieder hier?“, fügte Sito leise und traurig hinzu.
„Wir werden sie ganz gewiss finden. Es ist nur noch eine Frage der Zeit. Im Augenblick hat eure Mission aber absoluten Vorrang. Deshalb werde ich euch, zusammen mit einigen anderen Mitstreitern aus meinem Volk, begleiten. Ich versichere euch, dass wir es gemeinsam schaffen werden.“
Im Anschluss an dieses Versprechen reichte Taris Sito die Hand und die beiden drückten ihre Fäuste, einem vorgegebenen Ritual folgend, gegeneinander. Dabei sah man ihnen deutlich an, dass sie schon sehr, sehr lange und außerordentlich eng miteinander befreundet waren.
Als sich Taris kurz darauf bequem hinsetzte, wirkte er ausgesprochen nachdenklich.
„Lasst uns gemeinsam überlegen, wie wir die Schlüsselform am besten in unsere Hände bekommen können! Die Gänge bis zur Anlage des Cheri-aha sind zwar frei, aber es wird nicht leicht werden, in den Brunnenraum vorzudringen.
Da Anartura überall Wachen aufgestellt hat, dürfte es nahezu unmöglich sein, diesen Raum unentdeckt zu erreichen. Selbst wenn es uns gelingen sollte, bis dorthin vorzustoßen, wäre diese Unternehmung mit viel Blutvergießen verbunden. Das könnt ihr euch auf gar keinen Fall leisten, weil euch der wichtigste Kampf erst noch bevorsteht. Inzwischen habt ihr ja bereits einen Verlust erlitten, obwohl ich auch weiterhin fest daran glaube, dass wir Utho finden werden. Ich für meinen Teil würde vorschlagen, dass die beiden Frauen hierbleiben und dass nur du und ich uns mit einigen wenigen Gefährten auf den Weg begeben, um die Form zu holen.“
Dabei war sein letzter Satz vor allem an Sito gerichtet gewesen.
Plötzlich plätscherte das Wasser vor ihnen lautstark und aus einem Strudel kamen zwei Krokodile hervor. Eines der beiden trug etwas Glänzendes in seinem Maul. Taris nahm es heraus und fragte die anderen: „Gehört das vielleicht einem von euch?“
Als er seine Hand in die Höhe hob, konnten alle den Skarabäus darin erkennen.
Überglücklich rief Neferafin aus: „Ja, das ist meiner. Tausend Dank dafür, dass ihr ihn mir zurückgebracht habt!“
Während sie aufsprang und auf Taris zu rannte, strahlte sie vor Glück und es war rührend, ihr dabei anzusehen, dass sie sich freute wie ein kleines Kind.
„Jetzt fehlt nur noch Utho. Habt ihr schon eine Spur von ihr entdeckt?“
Fragend schaute Taris die beiden Krokodile an.
„Leider noch nicht, aber wir suchen natürlich so lange weiter, bis wir sie gefunden haben.“
Im Handumdrehen waren sie wieder untergetaucht und verschwunden.
„In den Hallen unter den Pyramiden befinden sich Gemächer, in denen ihr euch für eine Weile ausruhen und auf uns warten könnt. Dort seid ihr auch sofort erreichbar, wenn Utho gefunden wird. Meine Gefährten werden sie dann nämlich augenblicklich zu euch bringen, damit sie hier nicht allein ist.“
Da dies tatsächlich die beste Lösung zu sein schien, stimmten Neferafin und Arafine zu. Selbstverständlich wollten sie umgehend zur Stelle sein, sobald Utho wieder auftauchen würde.
Somit war ihr weiteres Vorgehen eine beschlossene Sache. Nachdem Taris sich noch einmal mit seinem Gefolge ausgetauscht hatte, verabschiedeten sich Sito und Taris, um in ihrer ursprünglichen Gestalt nach Cheri-aha aufzubrechen.
Wenig später schwammen beide, gefolgt von einer kleinen Armee von Krokodilen zu ihrer Begleitung und zu ihrer Unterstützung, durch die uralten Katakomben unter den Gängen. Da sie erstklassige Schwimmer waren, kamen beide gut und schnell voran. Erfreulicherweise mussten sie hier auch nicht mehr auf Fallen achten, weil sich selbst die Erbauer der unterirdischen Gänge nie in diesen Gewässern und Kanälen aufgehalten hatten. Bereits nach sehr kurzer Zeit erreichten sie die Kanäle von Cheri-aha. Dort leuchtete ihnen schon von Weitem ein grünes Licht entgegen.
„Das ist ein magischer Schutzwall“, stellte Sito fest. Taris nickte zustimmend und wies ihn flüsternd darauf hin, dass sie sich möglichst langsam und vorsichtig an diesen Wall herantasten sollten. Bedrückt musste Sito zugeben, dass er nicht damit gerechnet hatte, dass der Brunnen auch unterirdisch abgeschirmt sein würde. Taris nickte verständnisvoll und signalisierte Sito, ohne zu zögern, dass er bereit war, zu kämpfen und die Magie zu nutzen, um an die Schlüsselform heranzukommen.
Als sie nur noch etwa einen Meter von dem grünen Schutzwall entfernt waren, erklang völlig unerwartet ein gellender Schrei.
Noch in derselben Sekunde war beiden klar, dass man sie entdeckt hatte. Demzufolge gab es jetzt nur noch eine einzige Option, nämlich schneller zu sein als ihre Feinde und sie zu töten, bevor sie selbst getötet werden konnten.
Wie aus dem Nichts kamen die Apokoinus auch schon aus sämtlichen Ecken hervor und Sito und Taris waren von allen Seiten her umzingelt. Zu allem Überfluss näherte sich ihnen von vorn auch noch eine voll ausgewachsene Grinaha, gefolgt von einem Maronostos.
„Wenn Raffine hier wäre, würde sie sagen, dass wir ganz schön in der Scheiße sitzen.“
Sito blickte sich nach allen Seiten um und Taris musste trotz ihrer nahezu aussichtslosen Lage über seine Bemerkung schmunzeln.
„Ja, im wahrsten Sinne des Wortes“, bemerkte er trocken, bevor er hinzufügte: „Sito, wir haben keine Wahl. Also, auf in den Kampf!“
In diesem Moment griffen die Apokoinus bereits von allen Seiten her an, die Grinaha schrie wie am Spieß und der Maronostos stimmte mit ein. Diesen ohrenbetäubenden Lärm konnten sie kaum ertragen.
Auf einmal zog sich ein roter Strahl durch die Gänge und Sito erkannte schon von Weitem Benu, der bis kurz hinter die Grinaha flog und anschließend wieder umkehrte. Sobald ihn der Maronostos entdeckt hatte, jagte er ihm augenblicklich hinterher. Taris und Sito wollten ihren Augen kaum trauen, aber ihnen fehlte die Zeit, um sich darüber Gedanken zu machen. Eines nach dem anderen fielen die Krokodile, die einen Schutzwall um Sito und um Taris herum bildeten, ihren Feinden zum Opfer.
„Taris, das schaffen wir nie. Es sind einfach viel zu viele. Wir müssen uns schnellstens zurückziehen!!!“
Während sie beide versuchten, sich den Weg zurück zu erkämpfen, ertönte direkt hinter ihnen ein lautstarkes Brüllen. Das Wasser schäumte und die Apokoinus erstarrten blitzartig zu Säulen. Genau diese Chance nutzen Sito, Taris und die übrig gebliebenen Krokodile, um die Apokoinus zu vernichten. Gleichzeitig schien sich hinter ihnen, dem Lärm nach zu urteilen, ein erbitterter Kampf abzuspielen. Was dort gerade geschah, konnten sie aber nicht erkennen. Erst, als sie alle Apokoinus getötet hatten, und deren leblose Körper im Wasser trieben, wagten sie es, sich umzudrehen. Was sie dort sahen, konnten sie beide kaum glauben.
„Taris, Sito kommt her, einer von euch an meine rechte und der andere an meine linke Seite! Gleich haben wir sie! Wenn wir alle gleichzeitig zubeißen, überlebt sie es garantiert nicht.“
Diese Stimme war ihnen beiden vertraut, obwohl sie sie vor ewigen Zeiten zum letzten Mal gehört hatten. Auch darüber konnten sie jetzt nicht weiter nachdenken, da die Vernichtung der Grinaha erst einmal absoluten Vorrang hatte. Obwohl sie nun zu dritt waren und zahlreiche Gefährten der verschiedensten Art sie nach Kräften unterstützten, dauerte der Kampf gegen die Grinaha noch ungefähr eine halbe Stunde an. Nach einem kräftigen, letzten Biss von Laros hatten sie es dann endlich geschafft und die drei Köpfe der Grinaha versanken im Wasser. Während alle befreit aufatmeten, wurden sie noch einmal erschreckt, als sich ein grünlicher Nebel aus dem Wasser erhob. Dass er sich innerhalb von Sekunden auflöste, bewies aber glücklicherweise, dass die Grinaha tatsächlich besiegt war.
Vor ihnen vermischte sich das grün schimmernde Wasser mit dem Blut derer, die sie verloren hatten.
„Lasst uns an die Oberfläche schwimmen und endgültig von hier verschwinden!“, rief Laros.
Sichtlich geschwächt schleppten sie sich durch den Brunnen hinauf in den Brunnenraum.
Dort ließen sich alle erst einmal auf den Boden fallen, um wenigstens für einen kurzen Moment zu verschnaufen. Nur Sito nahm seine letzten Kräfte zusammen, um blitzschnell nach dem Säckchen mit der Form zu greifen.
„Laros, mein alter Freund, wo bist du denn auf einmal hergekommen?“
Taris schaute Laros immer noch ungläubig an und Sito ging es ganz ähnlich.
„Das war ja wirklich eine Rettung in der allerletzten Minute. Ich kann dir gar nicht sagen, wie dankbar ich dir dafür bin.“
„Benu hat uns informiert und uns augenblicklich hierher geschickt, weil er die Gefahr sofort erkannt und begriffen hat, dass ihr in großen Schwierigkeiten steckt. Da gab es für uns natürlich nichts mehr zu überlegen und wir sind schnellstmöglich herbeigeeilt. Meiner Meinung nach war es auch allerhöchste Zeit. Weil Benu so überraschend bei uns aufgetaucht ist, hat es sich natürlich herumgesprochen, was ihr vorhabt. Aber keine Angst! Eure Pläne kennen nur diejenigen, die darüber Bescheid wissen sollen, das heißt, die Verbündeten der königlichen Herrscherfamilie.
Inzwischen haben wir bereits erfahren, dass auch schon Hilfe aus der Zukunft hierher gereist ist, um euch bei der Rettung des Reiches zu unterstützen. Deshalb ist es nicht mehr erforderlich, dass ihr das Ganze erklärt. Stattdessen sollten wir uns besser beeilen und unsere Wunden versorgen, bevor ihr den Heimweg antretet. Anschließend werde auch ich umgehend in unser Reich zurückkehren, um die entsprechenden Vorbereitungen für die Fortsetzung des Kampfes zu treffen. Wir sehen uns dann später im Reich der Skarabäen wieder.“
Taris und Sito warfen ihm ebenso verblüffte wie dankbare Blicke zu. Für eine ausführliche Unterhaltung waren alle aber noch viel zu erschöpft.
Nachdem sie sich ein klein wenig erholt hatten, heilten sie ihre Wunden mithilfe der Magie, bis alle wieder fit und unversehrt waren.
Laros verneigte sich noch einmal ehrfürchtig vor dem halben Dutzend der im Kampf gefallenen Krokodile. Danach wandte er sich an Sito und Taris: „Jetzt muss ich mich erst einmal von euch verabschieden. Ich wünsche euch eine sichere Heimreise ohne weitere Zwischenfälle! Wir sehen uns dann in ein paar Tagen.“
Damit verbeugte er sich vor den beiden, bevor er so schnell verschwand, wie er gekommen war.
Durch den Brunnen krochen sie zurück in die Kanäle, auf deren Oberfläche die leblosen Körper ihrer toten Gefährten im Wasser trieben. Jedes der übrig gebliebenen Krokodile schnappte sich einen seiner ermordeten Kameraden, um in dieser traurigen Formation zurück in ihre heimatlichen Gänge zu schwimmen. Für alle stand es vollkommen außer Frage, dass sie ihre im Kampf gefallenen Gefährten zu Hause mit dem ihnen gebührenden Respekt bestatten würden.
Als sie sich ihren heimischen Kanälen näherten, sahen sie schon von Weitem, dass ihnen Arafine, Neferafin und die zurückgebliebenen Krokodile entgegenkamen.
Der Anblick der Opfer des Kampfes ließ alle augenblicklich verstummen. Schweigend trugen sie ihre sechs Kameraden in die Mitte der Halle, um sie dort auf Holzpfählen aufzubahren. Unter diese Pfähle legten sie mehrere Stapel kleinerer Holzstücke.
Taris und Sito, die zwischenzeitlich wieder ihre menschliche Gestalt angenommen hatten, gingen wortlos von einem zum anderen und steckten jedem Krokodil jeweils eine Münze in beide Augen. Diese betrachteten sie als den Lohn für den Fährmann, der ihre Kameraden unbeschadet in das Reich der Toten bringen sollte. Seit Jahrtausenden kannten jeder Mensch und jedes Tier diesen alten Brauch.
Nachdem sich alle von ihren Gefährten verabschiedet hatten, wurden die Holzscheite angezündet und die Toten verbrannt. In der gesamten Halle breitete sich eine tiefe Traurigkeit aus und keiner fühlte sich dazu in der Lage, seine Gefühle in Worte zu fassen. Wenig später verschwanden die am Leben gebliebenen Krokodile wie auf Kommando im Labyrinth der Kanäle.
Taris ergriff als Erster wieder das Wort: „Hat es während unserer Abwesenheit hier irgendwelche Zwischenfälle gegeben und wurde Utho endlich gefunden?“
Sichtlich bedrückt schüttelten die beiden Frauen den Kopf. Keine von ihnen wagte es, danach zu fragen, wie es eigentlich gelaufen und wie schlimm es gewesen war. Anhand der Opfer konnten sie sich nur allzu gut vorstellen, was die anderen durchgemacht hatten.
„Sito, mein Freund, für euch wird es Zeit, euch wieder auf den Heimweg zu begeben. Obwohl die erste Hürde jetzt überwunden ist, liegt noch so einiges vor euch.“
Sito nickte Taris zu: „Du hast recht. Heute Nacht werden wir noch hierbleiben, aber gleich morgen machen wir uns in aller Frühe auf den Weg. Schließlich sind wir inzwischen schon vier Tage lang unterwegs.“
Fragend sah Arafine zu Taris und zu Sito auf: „Aber was ist mit Utho? Wir können doch nicht einfach nach Hause gehen, als ob nichts geschehen wäre. Wir müssen unbedingt warten, bis sie gefunden wird, und sie mitnehmen. Ohne sie können wir unmöglich aufbrechen!“
In diesem Moment konnte sie ihre Tränen nicht mehr länger zurückhalten. Als Neferafin sie tröstend umarmte, konnte jeder sehen, dass auch sie weinte.
„Darüber müsst ihr euch keine Gedanken machen. Wir versprechen euch, dass wir sie in jedem Fall finden und zu euch zurückbringen werden, und wir werden nicht eher ruhen, bis uns dies gelungen ist. Darauf gebe ich euch mein Wort.“
Taris tat sein Bestes, um alle Anwesenden ein wenig zu beruhigen, was sich aber leider als nahezu aussichtslos erwies.
Demzufolge nahmen alle das Abendessen in bedrücktem Schweigen ein. Jeder schien tief in seine eigenen Gedanken versunken zu sein und über die Ereignisse der vergangenen Tage nachzudenken.
Schließlich erkundigten sich die beiden Frauen dann aber doch noch danach, was sie trotz ihrer schweren Verluste in Cheri-aha erreicht hatten. Daraufhin erzählten ihnen Taris und Sito, was vorgefallen war und wer ihnen geholfen hatte.
Völlig verblüfft richtete Neferafin ihren Blick auf Sito.
„Laros war dort? Ich selbst habe ihn noch niemals gesehen. Dass es ihn gibt, wusste ich bisher nur aus den Überlieferungen und durch die Inschriften auf dem Thron. Lebt er nicht eigentlich im Reich der Skarabäen? Ihr habt doch sicher die Gelegenheit genutzt, ihn zu fragen, wie wir dorthin kommen können? Bis heute habe ich immer geglaubt, das alles wäre nur ein Mythos.“
Indem sie sich beim Sprechen abwechselten, antworteten ihr Taris und Sito gleichzeitig: „Wir werden dieses Reich finden, Neferafin. Ja, es existiert tatsächlich und es wird nicht allzu schwierig werden, dorthin zu gelangen. Außerdem stehen uns jetzt absolut vertrauenswürdige Helfer zur Seite. Inzwischen weiß jeder unserer Verbündeten Bescheid und alle haben uns ihre Hilfe zugesagt. Unsere wichtigste Aufgabe besteht darin, die Hyksos endgültig aus unserem Land zu vertreiben, damit wir endlich wieder in Frieden leben können. Jetzt werde ich mich aber erst einmal von euch verabschieden und mich zur Nachtruhe begeben. Genau das solltet ihr auch tun, zumal außergewöhnlich anstrengende Tage hinter uns liegen.“
Daraufhin erhoben sich Sito und die beiden Frauen, um sich in ihre Gemächer zurückzuziehen.
Am folgenden Morgen waren alle schon sehr früh auf den Beinen, weil sie schnellstmöglich den Heimweg antreten wollten. In aller Eile hatten sie gepackt und der Abschied von Taris und von seinen Gefährten stand unmittelbar bevor.
„Wir werden uns spätestens bei eurem nächsten Kampf wiedersehen. Falls ihr aber vorher schon Hilfe benötigen solltet, schickt bitte einfach die Asili zu uns!“
Taris sah Sito noch einmal in die Augen und klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter. Anschließend wandte er sich an Neferafin und Arafine: „Macht euch bitte nicht allzu viele Sorgen! Wir werden Utho finden und sie zu euch bringen. Seid auf dem Rückweg bitte besonders vorsichtig! Wie ich es eben schon zu Sito gesagt habe, könnt ihr uns jederzeit rufen lassen.“
Zum Abschied umarmte er die beiden Frauen fest und innig. Ihm war es nur allzu klar, dass das, was sie bisher erlebt hatten, noch nichts im Vergleich mit dem war, was ihnen jetzt noch bevorstand.