Kapitel 15
Es gibt sie also doch
Am folgenden Morgen trafen sich alle in der Anlage zu einem gemeinsamen Frühstück. Die damit verbundene Ruhe und den Frieden hatten sie viel zu lange sehnsüchtig vermisst.
An Sito gewandt, fragte Neferafin: „Hast du eigentlich schon eine Idee, wie wir die Skarabäen ausfindig machen könnten? Ohne ihre Hilfe wird es uns nämlich kaum gelingen, die Sphinxe zu vernichten.“
Mit einem ratlosen Schulterzucken schüttelte Sito den Kopf: „Ich kann euch leider nicht sagen, wo das Reich der Skarabäen liegt. Dass es tatsächlich existiert und dass es sich nur dann zeigt beziehungsweise öffnet, wenn der oder die Richtige mit dem passenden Schlüssel erscheint, um es zu betreten, ist alles, was ich bisher darüber erfahren habe. Mit meinen eigenen Augen habe ich es aber noch nicht gesehen. Was es mit diesem Schlüssel auf sich hat und wer der oder die Richtige sein könnte, entzieht sich ebenfalls meiner Kenntnis. Mehr kann ich also bedauerlicherweise nicht dazu beitragen, dieses Rätsel zu lösen. Da Laros ja im Reich der Skarabäen lebt, habe ich ihn natürlich danach gefragt, als er hier war, aber er hat sich dazu verpflichtet, das Geheimnis zu bewahren, was ich akzeptieren musste. Lasst uns einfach noch ein paar Tage lang versuchen, nach allem, was wir erlebt haben, wieder zu Kräften zu kommen! Während dieser kleinen Erholungspause werden wir vielleicht auch die eine oder andere Antwort auf unsere Fragen finden. Ich denke, eine kurze Auszeit haben wir uns alle mehr als verdient.“
Damit lehnte er sich entspannt zurück, um die Sonne zu genießen, und die fünf anderen am Tisch folgten seinem Beispiel.
„Was ist das eigentlich?“
Sito warf einen Blick auf die Papyrusrolle, die Har vor Kurzem auf dem Tisch liegen gelassen hatte.
„Diese Schriftrolle hat Har Resul abgenommen. Soweit ich weiß, hat er sich aber noch nicht näher damit beschäftigt“, teilte ihm Utho beiläufig mit.
„Dann werde ich das doch einfach einmal tun“, entschied Sito, wobei er die Papyrusrolle auch schon ausbreitete.
„Was steht denn da? Lies es uns doch bitte laut vor!“
Utho und Uaret war ihre Neugier deutlich anzusehen.
Der Sand rieselt leise in die Schale hinein,
die Rache meines Vaters wird die meinige sein.
Zwei von drei Schwestern bleiben ungesehen.
Hat der Sand die erste Hälfte gefüllt,
wird die Erste für immer gehen.
Nie wieder werden sie sich vereinen,
verschwinden werden ihre Helferlein.
Die Dritte muss sehen das Leid ganz allein.
Drei Schlüssel können das Leid zerteilen,
doch weit verstreut kann keiner zu Hilfe eilen.
Der Sand rieselt weiter und meine Zeit wird erscheinen,
mein Vater, wir werden uns wieder vereinen.
„Was soll das denn bedeuten? Kann irgendjemand von euch etwas damit anfangen?“
Sito schaute fragend in die Runde, aber alle schüttelten den Kopf. Interessiert betrachtete einer nach dem anderen die Schriftzeichen genauer. Unter den Zeilen entdeckten sie die Abbildung eines kleinen Skorpions, der einer gigantischen Schlange seinen Stachel in den Kopf stieß. Die Schlange erinnerte sie an die Apokoinus, war aber um ein Vielfaches größer.
Als alle erkannten, dass Sito über irgendetwas nachgrübelte, wurden sie noch neugieriger.
„Ist dir etwas dazu eingefallen, Sito?“
Sito verneinte und rollte das Blatt wieder zusammen.
„Wir lassen es wohl am besten hier liegen. Vielleicht kann Har ja die Bedeutung entschlüsseln.“
Nach dem, was Sito gerade durch den Kopf ging, wagte keiner zu fragen. Schließlich hatten sie alle schon die Erfahrung gemacht, dass es sinnlos war, Sito zu löchern, wenn er nicht von sich aus reden wollte.
Übermütig wie kleine Kinder tobten Har und Raffine draußen in der Anlage am See herum. An diesem wunderschönen Tag fühlten sie sich beide glücklich und frei. Endlich konnte Raffine ihren Aufenthalt in der Antike einmal unbeschwert genießen. Bevor sie in ihre Zeit zurückkehren müsste, wollte Raffine hier unbedingt noch so viel wie nur irgendwie möglich sehen, erleben und in sich aufnehmen. Es war ihr allerdings auch bewusst, dass sie gemeinsam mit den anderen noch eine wichtige Aufgabe zu erfüllen hatte, die höchstwahrscheinlich einen längeren Fußmarsch erfordern würde. Wann und wohin sie gehen und wie lange sie unterwegs sein würden, konnte ihr bisher noch niemand genau sagen. Obwohl sie ihre Tochter und ihren kleinen Hund furchtbar vermisste, fühlte sie sich hier mittlerweile schon fast wie zu Hause. Trotzdem dachte sie ständig darüber nach, wie es ihren beiden Lieben wohl in diesem Moment ging. Diesmal lenkte Har, der mit ihr herumalberte und der ihr gerade neckisch auf die Schulter tippte, sie aber erfolgreich von ihren Überlegungen ab.
„Worüber hast du eben nachgedacht?“, fragte er sie besorgt. „Es kam mir so vor, als ob du unendlich weit weg gewesen wärst.“
„Ach, weißt du, auch wenn ich noch so gern für immer hierbleiben möchte, fehlen mir meine Lieben in jeder einzelnen Minute. Wenn ich nur könnte, würde ich sie einfach hierher holen, um zusammen mit ihnen hier zu leben. Lass uns aber nicht weiter darüber nachgrübeln und stattdessen das Beste aus der Zeit machen, die uns noch bleibt! Dich werde ich nach meiner Rückkehr in meine Welt nämlich auch schrecklich vermissen.“
Im Anschluss an diese Erklärung schlang sie ihre Arme um seinen Hals, um ihn stürmisch zu küssen.
„Ich möchte mir die gesamte Anlage zu gern einmal ganz in Ruhe anschauen und alles bestaunen. Vor gar nicht allzu langer Zeit hat mir Lyra eine Überraschung versprochen. An den Weg zu dem betreffenden Ort erinnere ich mich noch. Würdest du mich bitte dorthin begleiten?“
Damit rannte Raffine auch schon los und Har gab sich alle Mühe, ihr schnell genug zu folgen. Während der aufregenden Ereignisse der letzten Tage hatte sie das, was dort auf sie wartete, fast schon wieder vergessen, aber jetzt platzte sie beinahe vor Neugier. Sie wollte unbedingt sehen, was daraus geworden war. Sobald sie bei der richtigen Nische zwischen den Säulen angelangt waren, stürmte Raffine sofort hinein. Während sie die Wand staunend betrachtete, liefen ihr Tränen über die Wangen. Har, der sich ihr langsam genähert hatte, legte seine Arme um sie und versuchte ganz behutsam, sie zu trösten. Er wusste genau, wie sehr sie Lyra in ihr Herz geschlossen hatte und dass es Raffine immer noch unsagbar schwerfiel, wenigstens allmählich über ihren Verlust hinwegzukommen. Als sich Raffine auf den Boden setzte, um von dort aus nach oben zu schauen, weinte sie herzzerreißend.
Nach allem, was viel zu schnell hintereinander geschehen war, fand sie hier zum ersten Mal genug Zeit und Ruhe, um ihre Trauer um Lyra nicht mehr mit aller Kraft verdrängen zu müssen.
„Kannst du mir bitte vorlesen, was dort geschrieben steht?“, bat sie Har kaum hörbar leise.
Daraufhin sah auch er zu derselben Stelle auf. Dort war der Abdruck einer Hand in den Granit eingearbeitet, den man mit verschiedenen Farben kunstvoll bemalt hatte. Diese Hand umrahmte eine Schlange, die sich wie ein natürlicher Schutzwall um sie herum geringelt hatte. Links von der Schlange erkannte er eine Zeichnung, die den Mond darstellte, und rechts von der Schlange war eine Sonne abgebildet. Daneben befanden sich Schriftzeichen, die Har zunächst erst einmal für sich überflog. Dass ihn dabei die Rührung übermannte, konnte er beim besten Willen nicht verbergen.
Tausende von Monden werden vergehen,
doch ich werde wie eine Mauer hinter dir stehen.
Deine Anwesenheit hat meinem Leben Freude beschert,
ich habe dich und du hast mich verehrt.
Im Leben und im Tod werde ich bis in alle Ewigkeit bei dir sein.
Während Raffine hemmungslos weinte, wandte sich Har von ihr ab, um seine eigenen Tränen vor ihr zu verbergen. Auch ihn bewegten diese Zeilen tief, zumal er genau wusste, wie unendlich viel Lyra Raffine bedeutet hatte. Erst nach einer Weile konnte er seine Gefühle wieder einigermaßen kontrollieren. Sofort tat er sein Bestes, um Raffine, abzulenken und sie dadurch zu trösten.
„Gibt es Memphis in deiner Zeit eigentlich noch?“, fragte er sie.
„Leider nicht. Von der Stadt sind nur einzelne Monumente übrig geblieben, die darauf schließen lassen, dass es sich bei Memphis einst um eine bedeutende Metropole gehandelt haben muss. Zu einem unbestimmten Zeitpunkt nach der Epoche dieser Dynastie hat man die Stadt verlagert, weil sich der Verlauf des Nils verändert hatte. Demzufolge wird Memphis in seiner jetzigen Form schon kurz nach eurer Zeit nicht mehr existieren. Am besten sind die Pyramiden und einige der monumentalen Bauwerke hier in der Gegend erhalten geblieben. In meiner Zeit ist Kairo, eine riesengroße Stadt in der Nähe der Pyramiden, die Hauptstadt von Ägypten.
Dort gibt es ein weltbekanntes Museum, in dem Abertausende von historischen Fundstücken untergebracht sind, und es werden immer mehr. Deshalb baut man gerade ein neues Museum. Das Einzige aus eurer Zeit, das noch unverändert an der gleichen Stelle steht, ist die große Pyramide.“
Raffine erfasste eine bodenlose Traurigkeit, die ebenso auf den Verlust von Lyra wie auf den Untergang der ursprünglichen Kultur und der vielen wunderschönen Bauwerke zurückzuführen war.
„Wirst du in deiner Zeit später noch einmal nach Ägypten zurückkehren?“
„Ohne den geringsten Zweifel. Ich liebe dieses Land schon, so lange ich denken kann, und jetzt kenne ich sogar den hauptsächlichen Grund dafür. Mein ganzes Leben lang hat mich Ägypten angezogen wie ein Magnet. In diesem Land bin ich so glücklich wie nirgendwo sonst, und es bedeutet mir sehr, sehr viel. Obwohl ich die Pyramiden bereits mehrmals besichtigt habe, werde ich sie mir liebend gern immer wieder anschauen. Auch Theben gehört zu den Reisezielen, von denen ich niemals genug bekommen kann. Glücklicherweise haben nämlich große Teile der Anlage von Karnak die Jahrtausende überdauert.“ Während Raffine Hars Frage ausführlich beantwortete, leuchteten ihre Augen wieder auf und ihre Tränen versiegten nach und nach. Also hatte sein Ablenkungsmanöver den gewünschten Erfolg gezeigt. Mit einem verträumten Ausdruck auf ihrem Gesicht erzählte sie ihm alles, was sie bisher über Ägypten wusste und was sie auf ihren Reisen dort schon gesehen und erlebt hatte. Har hörte ihr aufmerksam und interessiert zu und nahm keine Notiz von der kleinen, weißen Taube, die vor dem Eingang hin und her lief und die auf sie zu warten schien. Da Raffines Begeisterung ansteckend wirkte, lächelte auch er jetzt. Im Anschluss an ihren leidenschaftlich vorgetragenen Bericht stand er auf und zog sie zu sich hoch.
„Komm, lass uns noch ein bisschen spazieren gehen! Hier gibt es noch viel zu vieles, das du noch nicht gesehen hast.“
Schon bald hatten beide ihre kindlich gute Laune zurückgewonnen. Wie vor ihrer Besichtigung des Handabdrucks neckten sie sich gegenseitig und sie spielten sogar Fangen. Es tat ihnen spürbar gut, ausnahmsweise einmal nur fröhlich und ausgelassen sein zu dürfen. Ein wenig später kamen sie zurück zum See, wo sich Raffine hinter dem großen Obelisken versteckte, der an seinem Ufer stand. Sie rannten noch eine Weile hin und her, bis Har sie zu fassen bekam. Noch ehe Raffine darauf reagieren konnte, hatte er ihren Rücken auch schon an den Obelisken gedrückt und seine Hände oberhalb ihres Kopfes auf den Granit gelegt. Dadurch nahm er ihr die Möglichkeit, sich ihm zu entziehen, und sie war gezwungen, ihn zu küssen, was sie natürlich liebend gern tat. Bei jedem zärtlichen Kuss fühlte sie sich, als ob sie im siebten Himmel schweben würde. Sie befürchtete schon beinahe, sie würde gleich nach hinten fallen, was sie aber schnell als völlig abwegig verwarf, weil sie in ihrem Rücken den Stein spürte. Auch Har meinte auf einmal, er würde langsam nach vorn kippen, aber ebenso wie Raffine schob er diese seltsame Empfindung als puren Unsinn beiseite. Als sie urplötzlich ein blauer Lichtschein umgab, vermuteten sie beide, sie wären soeben Zeugen eines übernatürlichen Phänomens geworden.
In demselben Moment sahen auch Sito, Neferafin, Arafine und Uaret das blaue Licht, das den halben Garten erhellte und bis hoch in den Himmel hinein strahlte. Blitzschnell sprangen sie auf, um zu Raffine und Har zu eilen. Noch in der gleichen Sekunde zerriss ein gellender Schrei von Raffine die Stille und alle stürmten panisch los. Als sie bei Har und Raffine ankamen, konnten sie ihren Augen kaum glauben. Obwohl Neferafin und Sito schon seit ewigen Zeiten hier lebten, war ihnen noch nie etwas Vergleichbares begegnet.
Raffine und Har hatten es sich nämlich nicht nur eingebildet, dass sie umkippen würden, sondern sie kippten tatsächlich. Raffine fiel auf den Rücken und Har nach vorn auf ihren Körper. So lagen sie nun am Boden, ohne zu wissen, was eben mit ihnen passiert war. Alles um sie herum leuchtete blau, sogar Hars Hände. Nachdem Raffine den ersten Schreck überwunden hatte, musste sie laut lachen, wobei sie versuchte, sich wieder aufzurappeln. Um sich dies zu erleichtern, griff sie nach Hars rechter Hand, deren Innenfläche sie zu sich hin drehte. Auch Har starrte entgeistert auf seine Hand und beide fragten gleichzeitig: „Was ist das?“
Sie schauten sich ratlos an, denn keiner von ihnen konnte diese Frage beantworten.
Auf der Innenseite von Hars rechter Hand schimmerte der Umriss eines Skarabäus in einem tiefen Blauton. Erstaunlicherweise fühlte sich dieser angenehm warm an und Har tat nichts weh. Ganz im Gegenteil! Der blaue Lichtschein erzeugte in ihm ein überschwängliches Glücksgefühl, das ihn an den Zustand erinnerte, in dem er sich jedes Mal befand, wenn er in der Anlage am See war. Um was es sich genau handelte und warum er es spürte, konnte er sich nicht einmal ansatzweise erklären.
Schließlich standen beide auf, um endlich herauszufinden, was hier gerade vor sich ging.
Auf der Oberfläche des Obelisken, an dem Har eben seine Hände abgestützt hatte, war ein exaktes Ebenbild des Skarabäus auf Hars Handfläche erschienen. Auch dieser Käfer leuchtete blau. Har streckte seine Hand aus und ging auf den Skarabäus zu, der sich auf dem Obelisken zeigte. Je näher er ihm kam, desto heller strahlte das Licht. Beide bemerkten, dass sich der Obelisk um ungefähr einen Meter verschoben hatte. Das dabei entstandene Loch, in das sie beide gefallen waren, sah aus wie ein Eingang zu einem unterirdischen Gang. Auf den Treppenstufen, die nach unten führten, lag so viel Staub, dass man daraus schließen konnte, wie unendlich lange sie schon nicht mehr benutzt worden waren.
„Was ist das für eine Treppe oder, besser gesagt, wozu dient dieser Eingang?“, wandte sich Raffine an Sito und an seine Begleiter.
Keiner konnte ihr eine Antwort auf diese Frage geben.
„Dann müssen wir es eben herausfinden.“
Har, der als Erster seine Stimme wiedergefunden hatte, schlug den anderen vor, diese Treppe einmal genauer in Augenschein zu nehmen. Er ergriff eine der Fackeln an der Wand und ging die Treppe herunter. Obwohl ganz offensichtlich schon seit einer Ewigkeit niemand mehr hier unten gewesen war, brannten an den Wänden des Tunnels in regelmäßigen Abständen von ein paar Metern Fackeln. Wirklich verlassen wirkte der Gang deshalb nicht. Je weiter sie kamen, desto mehr staunten sie. Die Decke und die Wände waren über und über mit Zeichnungen, Malereien und Ornamenten versehen. Damit man auf den Stufen leicht und sicher laufen konnte, hatten ihre Erbauer darauf geachtet, dass sie nicht zu hoch waren. An der Seite war die Treppe mit einem Geländer aus purem Gold verbunden. Wohin sie auch schauten, stachen den Betrachtern beeindruckende Verzierungen in Form von kleinen Tieren ins Auge. Genau das war die Welt, die Raffine aus unzähligen Reportagen und Filmen und von ihren eigenen Besichtigungen historischer Stätten her kannte. Ausnahmslos überall trafen ihre Blicke auf Skarabäen. Es gab sie also tatsächlich in riesigen Scharen. Aber waren sie nicht gefährlich? Zumindest die Filme hatten ihr oft diesen Eindruck vermittelt.
Hinter Har setzte sie langsam und vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Uaret, Sito, Neferafin und Arafine folgten ihnen. Im Schneckentempo schlichen sie Schritt für Schritt weiter.
Da keiner von ihnen auch nur den Hauch einer Ahnung hatte, wohin dieser Gang sie führen und was sie dort erwarten würde, beschlich alle ein mulmiges Gefühl. Die einzige Ausnahme bildete Har, der plötzlich sogar etwas schneller lief, weil er das Gefühl hatte, er müsste sich beeilen, um bloß nichts zu verpassen. Je tiefer und je weiter sie in den unterirdischen Gang eindrangen, umso breiter wurde er. Schon bald schien es, als ob er in einer Halle enden würde. In weiter Ferne war vor ihnen nämlich gerade ein helles Licht aufgetaucht, das ihnen diesen Eindruck vermittelte. Weil sie sich die Richtung eingeprägt hatte und weil sie einen ausgezeichneten Orientierungssinn besaß, war sich Raffine sicher, dass sie unterhalb der Erdoberfläche genau auf die Pyramiden zusteuerten. Viel Zeit, um darüber nachzudenken, blieb ihr aber nicht, denn es war gar nicht so leicht, mit Har Schritt zu halten.
„Har, renne doch bitte nicht so schnell! Ich kann dir kaum noch hinterherlaufen. Außerdem sind hier überall kleine Skarabäen und ich habe Angst, sie zu zertreten, wenn ich noch schneller gehe. Das könnte nämlich böse Folgen haben.“
Zumindest behaupten sie das im Fernsehen.
Endlich erreichten sie so etwas wie einen Eingang. Diese „Öffnung“, bei der es sich um die Lichtquelle handelte, die sie schon von Weitem gesehen hatten, glich in ihrer Form dem Umriss eines Skarabäus. Als Har gerade hindurchgehen wollte, versperrten ihm auf einmal Tausende von Skarabäen den Weg. Abrupt blieb er stehen, aber ganz langsam und allmählich bildeten die Käfer vor ihm eine schmale Gasse. Indem sie nach links und nach rechts auswichen, signalisierten sie ihm, dass sie ihm den Zugang gewährten. Mit vorsichtigen Schritten setzte Har seinen Weg fort, wobei er sich noch einmal kurz zu Raffine umdrehte. Offensichtlich war ihr diese Situation ganz und gar nicht geheuer.
„Falls ich hier nicht mehr lebend herauskomme, werde ich dich vorher noch windelweich prügeln, Har. Nachdem wir die Schlacht wie durch ein Wunder mit Mühe und Not überlebt haben, kann ich wirklich gut darauf verzichten, mich jetzt hier von diesen Krabbeltierchen auffressen zu lassen.“
„Wie kommst du denn darauf, dass sie uns auffressen wollen?“, fragte Har sie erstaunt.
„Weil es in ihrer Natur liegt und weil das blutrünstige Tiere sind. Zumindest werden sie in unserer Zeit immer so dargestellt, obwohl bisher keiner endgültig beweisen konnte, dass es sie tatsächlich gibt. Bei uns sind sie nämlich längst ausgestorben.“
Im Grunde begann Raffine allmählich, daran zu zweifeln, dass die Skarabäen wirklich gefährlich waren. Trotzdem war sie vorsichtig und auch noch ein wenig ängstlich.
„Siehst du, demzufolge ist es überhaupt nicht erwiesen, dass sie uns fressen möchten. Aber wenn du diese Meinung vertrittst, könnte es natürlich auch sein, dass sie uns nur Platz machen, damit wir bis zu dem großen Kochtopf kommen, in den sie uns gleich hineinwerfen werden, um uns in eine Delikatesse zu verwandeln. Die Vorstellung, in einem Kochtopf zu sterben, ist doch gar nicht so schlecht. Oder?“
Har konnte sich das Lachen nicht länger verkneifen und den anderen hinter Raffine ging es ganz ähnlich.
„Das erinnert mich daran, dass du wegen der Asili schon einmal so ein Theater veranstaltet hast.“
Mittlerweile hatte Har vor Lachen schon Tränen in den Augen und auch hinter Raffines Rücken erklang schallendes Gelächter.
„Haha, lacht ruhig weiter über mich! Euch scheint es ja blendend zu gehen. Aber wartet nur ab! Vielleicht bin ich ja bald diejenige, die sich über euch lustig machen wird.“
Har ging direkt auf eine der Wände zu. In der Halle, in der sie sich gerade aufhielten, wimmelte es nur so von Skarabäen, aber es schien keinen anderen Ausgang und auch keinen weiteren Raum zu geben.
„Na,super! Siehst du, ich habe es euch doch gesagt. Die locken uns nur hier herein, damit sie uns fressen können. Mit Sicherheit hatten sie hier unten schon seit Jahren kein Futter mehr, aber von irgendetwas müssen sie sich ja schließlich ernähren. Also sind wir jetzt wahrscheinlich die schon lange sehnsüchtig erwarteten Leckerbissen für den ganzen Haufen“, brabbelte Raffine vor sich hin, wobei sie die anderen fast unmerklich mit ihrer Panik ansteckte.
„Jetzt sei doch endlich einmal still! Ich glaube nicht, dass uns hier eine Gefahr droht.“
Vollkommen unerwartet zog Har Raffine zu sich heran, um sie zu küssen.
„Solange ich da bin, wird dir garantiert nichts passieren! Fest versprochen!“
Während sich die beiden küssten und Har sein Bestes tat, um Raffine ihre Angst zu nehmen, hörten sie plötzlich ein lautes Rascheln, das eindeutig von den Skarabäen ausging.
„Lasst uns erst einmal herausfinden, wo wir hier eigentlich sind und warum der Gang hier endet!“
Während Har an der Wand entlanglief, versuchte er, sich selbst Mut zuzusprechen, denn inzwischen beschlich auch ihn ein ungutes Gefühl. Überall auf den Wänden erblickte er Ornamente in den prächtigsten Farben und unzählige Zeichnungen.
Bei jedem seiner Schritte wichen ihm die Skarabäen sofort aus. Auf einer der Abbildungen entdeckte er auf einmal einen Obelisken, der haargenau dem glich, an dem sie vor Kurzem noch gestanden hatten. Als er sich der Zeichnung näherte, konnte er auf dem Obelisken ein Symbol in der Form eines Skarabäus erkennen. Direkt daneben befand sich eine Hand mit dem gleichen Symbol. Verblüfft warf er einen Blick auf die Innenseite seiner rechten Hand, auf der auch jetzt wieder ein blauer Skarabäus aufleuchtete. Hoch konzentriert verglich er den Skarabäus auf der Wand mit dem auf seiner Hand. Anschließend suchte er auf der Wand nach weiteren Hinweisen, die er schließlich auch fand. Nur ein kleines Stückchen von dem Skarabäus entfernt war exakt die Halle abgebildet, in der sie sich gerade aufhielten. Seitlich davon stieß er auf eine detaillierte Beschreibung, die ihm verriet, was er zu tun hatte. Um die Anweisungen zu befolgen, ging er denselben Weg an der Wand, der ihn zu dieser Stelle geführt hatte, wieder zurück.
Die anderen waren dort stehen geblieben, wo die Skarabäen den Weg bis zur Wand für sie frei gemacht hatten. Auch auf dieser Wand hielt Har jetzt Ausschau nach einem Skarabäus. Schon nach kurzer Zeit legte er seine blau schimmernde Handfläche auf das genaue Ebenbild der Linien auf seiner Hand.
Augenblicklich erfüllte ein quietschendes, ächzendes Geräusch die gesamte Halle. Es hörte sich beinahe so an, als ob gleich alles über ihnen in sich zusammenstürzen würde. Zu Tode erschrocken beobachteten sie, wie sich alle vier Wände langsam, aber mit höllischem Lärm nach oben schoben.
Je weiter sich die Wände verschoben, umso heller wurde es in der Halle.
Wenig später hielten sich alle die Hände vor das Gesicht, weil sie das grelle Licht zu stark blendete. Als sich ihre Augen allmählich daran gewöhnten, nahmen sie die Hände wieder weg. Der Anblick, der sich ihnen in diesem Moment darbot, versetzte sie in ehrfürchtiges Staunen. Direkt vor ihnen war ein Thronsaal erschienen, der Raffine den Eindruck vermittelte, gerade ein Déjà-vu zu erleben. Haargenau so hatte sie sich nämlich beim Betreten des Thronsaales von Neferafin gefühlt.
Wie gebannt schauten alle in den Saal. Am anderen Ende stand ein Thron, der dem von Neferafin wie ein Ei dem anderen glich. Auf diesem Thron saß ein riesengroßer Skarabäus, der kurz darauf von seinem Platz herunter krabbelte, um sich seinen Besuchern ganz langsam zu nähern.
Weil der Skarabäus fast genauso groß war wie sie, wich Raffine sofort einen Schritt zurück.
Kurz bevor er die Gruppe erreichte, begann er, eine menschliche Gestalt anzunehmen. Als seine Verwandlung abgeschlossen war, stand ein nicht mehr ganz junger, stattlicher Mann vor ihnen, der Raffines Meinung nach noch außerordentlich attraktiv wirkte. Sie hätte sogar schwören können, dass zwischen ihm und Har eine verblüffende Ähnlichkeit bestand. Vielleicht lag es aber auch nur daran, dass alle Ägypter, zumindest für Raffine, diesen speziellen Touch gemeinsam hatten.
Mit einer angenehm tiefen, ruhigen und gleichzeitig festen Stimme sagte er: „Du hast mich also endlich gefunden.“
Dabei schaute er Har tief in die Augen.
„Was hat das zu bedeuten?“ Völlig perplex starrte Har ihn an.
„Mein Name ist Ibaretas. Ich bin der König der Skarabäen und ich warte schon viel zu lange darauf, dass einer meiner Söhne den Weg zu mir findet.“
Dieser Offenbarung folgte eine lange Pause. In der gesamten Halle war es mucksmäuschenstill. Alle beobachteten die Geschehnisse mit offenem Mund, weil sie nicht einmal ansatzweise begriffen, was sich hier gerade abspielte.
Um die Verwirrung noch zu verstärken, tauchte auf einmal Laros in seiner ursprünglichen Gestalt hinter Ibaretas auf.
„Laros!“ Raffine und Sito riefen den Namen gleichzeitig aus.
Wie ein Blitz rannte Raffine auf Laros zu, um ihm um seinen struppigen Hals zu fallen, wobei ihr Freudentränen über die Wangen liefen.
„Du lebst! Du lebst! Ich kann dir gar nicht sagen, wie unendlich sehr ich mich darüber freue, dich zu sehen. Was machst du denn hier?“
Laros legte seinen Kopf auf Raffines Schulter und nutzte die Gelegenheit, um sich in seine menschliche Gestalt zurückzuverwandeln. Er strich Raffine sanft über den Kopf und drückte sie an sich.
„Meine Kleine! Wie ich sehe, ist inzwischen alles wieder in Ordnung und auch deine Wunden sind alle verheilt.“
Mit einem zufriedenen Lächeln musterte er sie von Kopf bis Fuß. Auch Ibaretas lächelte Raffine an.
„Ich habe schon sehr viel über dich gehört. Du scheinst ja wirklich ein ganz besonderes Mädchen zu sein. Deshalb habe ich meine gesamte Hoffnung darauf gesetzt, dass du meinen Sohn zu mir führen würdest, und genau das ist dir gelungen.“
Damit ging er auf Raffine zu, um ihr die Hand zu schütteln.
Vollkommen fassungslos ließ Raffine ihre Blicke zwischen Har und Ibaretas hin und her schweifen.
„Warum nennst du ihn deinen Sohn? Und warum sollte ich ihn hierher bringen? Im Moment verstehe ich überhaupt nichts mehr.“
Auch Har stand seine Verblüffung nur allzu deutlich ins Gesicht geschrieben. Als er sich zu Sito und zu den anderen umdrehte, musste er aber feststellen, dass sie nicht im Geringsten den Eindruck erweckten, überrascht zu sein.
Sito reichte Ibaretas jetzt ebenfalls seine Hand.
„Wie schön, dass wir uns nach so langer Zeit endlich einmal wiedersehen! Ehrlich gesagt, hatte ich schon befürchtet, dass wir uns nie wieder begegnen würden. Keiner konnte mir sagen, was aus euch geworden ist. Es ging zwar das Gerücht um, dass ihr in einem eigenen Reich lebt, aber niemand hatte eine Ahnung, wo es sich befindet.“
Sito strahlte Ibaretas an und man konnte ihm seine unbändige Freude darüber ansehen, dass sich fast alle Könige hier versammelt hatten. Nur Taris fehlte noch in dieser Runde.
Im Anschluss an diese herzliche Begrüßung wandte sich Ibaretas an die anderen Mitglieder der Gruppe, um auch jedem von ihnen die Hand zu schütteln. Vor Neferafin und vor Arafine legte er seine Arme auf der Brust über Kreuz, bevor er sich vor ihnen verneigte. Auf diese Weise erwies er ihnen seine Hochachtung.
Neferafin und Arafine verneigten sich ebenfalls vor ihm.
„Ich schlage vor, dass wir uns jetzt alle zusammensetzen, damit ich euch erst einmal einiges erklären kann. Inzwischen stehen ja schon mehr als genug Fragen im Raum, die dringend beantwortet werden müssen. Gleich lasse ich auch noch Taris zu uns rufen, der unsere Runde der Könige vervollständigen wird. Außerdem haben wir noch mehrere schwerwiegende Probleme zu lösen. Wenn ich mir meinen Sohn so anschaue, sehe ich in seinen Augen nämlich gerade endlos viele Fragezeichen.“
Mit dieser Feststellung brachte er alle zum Lachen.
„Ich bitte euch, mich zum Tisch der Könige in der Halle der Pyramiden zu begleiten.“
Diese Aufforderung unterstrich Ibaretas mit einer einladenden Geste.
Har stand immer noch wie angewurzelt da und war sichtlich darum bemüht, endlich zu begreifen, was hier eigentlich vor sich ging.
Raffine ergriff seine Hand und zog ihn mit sich. Danach folgten sie Ibaretas, der den Thronsaal mit langsamen, bedächtigen Schritten durchquerte.
Auch die Decke und die Wände dieses Saales waren bunt und wunderschön bemalt. Der Boden war mit Steinen belegt, die Raffine an Fliesen erinnerten, die durch die Art und Weise ihrer Zusammensetzung ein harmonisches Muster bildeten. Daraus ergab sich so etwas wie eine in Bildern erzählte Geschichte, die sich Raffine aber leider nicht auf die Schnelle erschloss. Von den Decken hingen auch in diesem Raum elegante Stoffbahnen herunter, die sich bei jedem Lufthauch bewegten. Da man alles perfekt aufeinander abgestimmt hatte, war es weder zu warm noch zu kalt.
Als sie den Thron erreichten, musste Raffine mehrmals genau hinsehen, bis sie sich endgültig davon überzeugt hatte, dass es sich tatsächlich um das exakte Ebenbild des Throns von Neferafin handelte. Also hatte sie ihr erster Eindruck doch nicht getäuscht.
„Neferafin, dieser Thron sieht haargenau so aus wie deiner.“
Ungeduldig gab sie Neferafin durch ein wiederholtes Winken zu verstehen, dass sie zu ihr kommen sollte. Zum Glück ließ sie sich nicht lange bitten. Staunend ging Neferafin um den Thron herum, um ihn von allen Seiten zu betrachten.
„Ja, da hast du vollkommen recht. Das ist der Hauptthron eurer Familie. Seit dem Anbeginn der Zeit steht er hier, wo er gut geschützt und sicher ist. Auf ihm findest du viele der Antworten auf eure Fragen, die ihr ein wenig später noch ausführlich zu hören bekommen werdet.“
Mit einem verschmitzten Lächeln auf seinem Gesicht beobachtete Ibaretas, wie seine Besucher auf diese „Sensation“ reagierten. Anschließend wanderte sein Blick zu Har und man sah ihm deutlich an, dass er ihn in diesem Moment am liebsten umarmt hätte.
Mittlerweile waren alle an einer Tür angekommen, die Ibaretas für sie öffnete. Als Raffine den dahinter liegenden Raum betrat, war sie völlig sprachlos. Sie fühlte sich, als ob sie gerade eine der Hauptrollen in einem Märchenfilm spielen würde. So sah die Halle der Pyramiden also aus.
„Gleich werde ich endgültig den Verstand verlieren. Es gibt sie also wirklich und unsere Archäologen liegen mit ihren Vermutungen tatsächlich richtig. Mein ganzes Leben lang habe ich davon geträumt, wie es sich anfühlen würde, hier zu stehen, und mir vorgestellt, wie es hier wohl aussehen könnte. Jetzt stellt die Wirklichkeit die Fantasiebilder aus meinen Träumen aber noch meilenweit in den Schatten. Diese phänomenale Schatzkammer lässt sich unmöglich mit Worten beschreiben.“
Wie ein kleines Kind, das gerade Unmengen von Geschenken unter dem Weihnachtsbaum entdeckt hat, lief Raffine wie aufgezogen hin und her.
Die Halle war ungefähr so groß wie ein halbes Fußballfeld. Überall glänzte und funkelte pures Gold.
In der Mitte des Saales stand ein imposanter, runder Tisch mit zwölf Stühlen. Diese waren so an den Tisch herangeschoben worden, dass sich durch die Stühle ein Gesamtbild ergab, das den Eindruck erweckte, mitten im Raum würde sich eine gigantische, goldene Krone befinden.
Dass jeder einzelne Stuhl mit einem anderen Symbol versehen war, das eine besondere Bedeutung hatte, bemerkte man erst auf den zweiten Blick.
Nachdem Raffine einmal um den Tisch herumgegangen war und dabei staunend jeden einzelnen Stuhl betrachtet hatte, sah sie Ibaretas fragend an.
„Ja, das hast du ganz richtig erkannt. Jeder dieser Stühle hat eine spezielle Bedeutung. Was ihr hier vor euch seht, ist der Tisch der Könige, der zu Beginn unserer Geschichte oder, besser gesagt, eurer Familiengeschichte erschaffen wurde.“
Während er diese Worte aussprach, wandte er sich Neferafin und Arafine zu.
„An diesem Tisch haben sich alle vor langer Zeit in regelmäßigen Abständen versammelt, um gemeinsam alle beunruhigenden Konflikte beizulegen und um sich miteinander auszutauschen. Leider wurde diese Tradition schon seit Langem nicht mehr fortgesetzt. Deshalb ist sie im Laufe der Jahre allmählich in Vergessenheit geraten.
Zunächst möchte ich euch aber erst einmal die Bedeutung der Stühle erläutern.
Ursprünglich waren diese Stühle nämlich für die folgenden Herrscher bestimmt:
1. die Schutzgöttin / den Gott der Könige
2. die Schutzgöttin / den Gott der Königinnen
3. den König von Unterägypten
4. die Königin von Unterägypten
5. den König von Oberägypten
6. die Königin von Oberägypten
7. den König der Krokodile
8. den König der Skarabäen
9. den König der Kobras
10. den König der Haleritas
Der 11. und der 12. Stuhl dienten als Ehrenplätze für die ersten beiden Mitglieder der Familie.“
Inzwischen war auch Taris eingetroffen und alle nahmen Platz.
„Ich gehe davon aus, dass niemand etwas dagegen einzuwenden hat, dass sich Har und Raffine auf die Ehrenplätze setzen. Oder?“
Ibaretas ließ einen fragenden Blick über die Runde schweifen und alle nickten zustimmend.
Sofort schien jeder genau zu wissen, welcher Stuhl ihm zugewiesen war.
Als eine beeindruckende Vielfalt von Speisen und Getränken aufgetragen wurde, ahnten alle, dass die anschließende Unterredung höchstwahrscheinlich viel Zeit in Anspruch nehmen würde.
„Ich heiße euch alle noch einmal herzlich willkommen. Ganz besonders freue ich mich darüber, dass endlich einer meiner Söhne den Schlüssel für den Eingang zu diesem Reich gefunden und ihn auch benutzt hat. Auf diesen Tag habe ich nämlich schon sehr, sehr lange gewartet.
Ja, ich sehe dir an, dass du noch nicht verstehst, wovon ich spreche, Har, aber ich werde dir selbstverständlich gern alles erklären, was du wissen möchtest.
Aus tiefstem Herzen begrüße ich die Nachfahrin der Familie. In unserer Geschichte ist es zum allerersten Mal so weit gekommen, dass jemand aus der Zukunft zu uns gerufen werden musste, um unserem Ägypten beizustehen. In einer Prophezeiung stand zwar geschrieben, dass dies in einem außergewöhnlichen Notfall die letzte Rettung darstellen könnte, aber ich habe diese Weissagung leider nicht ernst genug genommen. Deshalb gratuliere ich Neferafin, die glücklicherweise auf ihre innere Stimme gehört hat, und ich bedanke mich für ihre Mühe, dich zu uns zu holen. Dass es tatsächlich reibungslos funktioniert hat und dass du für uns eine so wertvolle Hilfe bist, freut mich außerordentlich.“
Im Anschluss an diese Worte nickte er Raffine und Har noch einmal zu.