16. Kapitel

Die Wäscherei Koenig lag etwas entfernt vom Zentrum im Ortsteil La Favière. Ihre Räume waren in einem Flachbau untergebracht, dessen hinterer Eingang durch ein elektrisches Rolltor abgegrenzt war. Dort wurden große Kunden wie Hotels und Pensionen bedient. Nach vorne gab es einen Schalter, wo Wäsche von Privatleuten, aus Wohnungen und Ferienhäusern angenommen wurde, Wäsche en detail . Als Leon die Wäscherei betrat, schlug ihm feuchtwarme Luft entgegen, wie nach einem Tropenregen in der Karibik. Aber hier roch die Luft nicht nach Jasmin, sondern nach scharfem Reinigungsmittel. Das Zischen von heißem Dampf und das Klappern von Bügelmaschinen drangen aus den Tiefen dieser großen fensterlosen Halle, die ihr Licht von zahllosen Neonröhren bezog.

Auf einer gut drei Meter langen Theke lagen Wäschepakete, auf denen mit schwarzem Filzstift die Namen der Empfänger notiert waren. Einer der Angestellten, die alle in weißen Kitteln herumliefen und Leon ein wenig an die Ärzte in Saint-Sulpice erinnerten, kam auf Leon zu. Dabei rief er einem Kollegen etwas in einer Leon unbekannten Sprache zu. Er war jung, gerade so volljährig, schätzte Leon.

»Bonsoir , ich bringe Ihnen diese Wäsche hier zurück.« Leon legte das Paket vor sich auf den Tresen. »Die stammt nicht aus der Klinik.«

Der Mitarbeiter griff nach dem Paket.

»Ist Wäsche?«, fragte der junge Mann in holprigem Französisch, dann hielt er drei Finger hoch. »Abholen, drei Tage.«

»Nein«, Leon hielt das Paket fest. »Das ist nicht unsere Wäsche. Ich möchte bitte mit Monsieur Koenig sprechen.«

»Patron ist nicht da«,, sagte der Angestellte.

»Würden Sie ihn bitte holen?«, versuchte es Leon noch einmal.

In diesem Moment kam ein Mann im grauen Kittel aus dem Bauch dieser zischenden und schnaubenden Wäschereimaschine. Er war blass, was für jemanden, der den ganzen Tag zwischen Waschmaschinen, Trocknern und Dampfbügelautomaten arbeitete, nicht verwunderlich war. Der Mann hatte eine Stirnglatze. Er wirkte etwas abgekämpft, zurückhaltend. Aber er schien gleichzeitig der Einzige in der Wäscherei zu sein, dem nicht der Schweiß auf der Stirn stand. Der Blick, mit dem er Leon bedachte, war freundlich, von einer devoten Höflichkeit, mit der er sich bestimmt nicht viele Freunde machte, dachte Leon.

»Ich bin Monsieur Koenig«, stellte der Mann sich vor. »Sie wollten mich sprechen?«

»Docteur Ritter«, stellte sich Leon vor. Er musste husten, als er die von Chemie geschwängerte Luft einatmete. Leon hielt sich die Hand vor den Mund.

»Das sind die Lösungsmittel der Reinigung«, sagte Koenig mitfühlend. »Man gewöhnt sich dran.«

»Ich ihm gesagt, drei Tage«, sagte der Angestellte.

»Badu, was hatten wir besprochen?« Man konnte hören, dass er diese Unterhaltung nicht zum ersten Mal mit seinem Mitarbeiter führte. »Geh bitte nach hinten, die brauchen jetzt an der Dampfpresse jeden Mann.«

»Hat gesagt: nix seine Wäsche.«

»Badu, bitte«, Koenig deutete mit der Hand den Gang hinunter, und Leon konnte sehen, dass der Mann leicht zitterte. Badu stapfte beleidigt davon.

»Das ist die Kehrseite mit den Flüchtlingen«, sagte Koenig, »erst will jeder einen Job. Aber dann …«

»Französisch kann eine ziemlich schwierige Sprache sein«, sagte Leon mit einem Lächeln und betonte dabei seinen deutschen Akzent, den man eigentlich kaum noch hören konnte.

»Sie kommen aus Deutschland?«, fragte Koenig.

»Meine Mutter war Französin«, erklärte Leon.

»Badu kommt aus Tunesien, ist seit drei Monaten bei uns.« Er schüttelte den Kopf und bedachte Leons Päckchen mit einem Blick. »Was ist jetzt mit der Wäsche?« Koenig griff nach dem Paket, zog es sich heran und las halb laut. »Hôtel Îles d’Or. «

»Gehört offenbar zu einem Hotel«, sagte Leon. »Ich brauche die Sachen von der Klinik Saint-Sulpice. Rechtsmedizin.«

»Tut mir wirklich leid, Monsieur. Ich sage es diesen Burschen wieder und wieder: Vergleicht die Adressen, das ist das ganze Geheimnis.« Dazu schlug Koenig mit der Rückseite seiner rechten Hand in seine linke Handfläche.

»Stelle ich mir nicht einfach vor«, sagte Leon.

»Als ob man gegen eine Wand reden würde. Wie bei Badu.« Der Wäschereibesitzer schnaubte kurz. »Aber was soll‘s. Immer noch besser, als wenn die Jungs auf der Straße herumlungern. Ist doch so?«

»Könnten Sie mir jetzt bitte das Paket für unsere Abteilung geben?« Leon konnte nicht verhindern, dass er leicht genervt klang.

»Für welche Abteilung war das noch mal in der Klinik?« Koenig klang verunsichert.

»Für die Rechtsmedizin.«

»Sie sind Gerichtsmediziner?«

»Ja, Dr. Ritter, Leiter der Rechtsmedizin in Saint-Sulpice«, sagte Leon.

»Dann haben Sie sicher auch mit diesem Fall vom Strand zu tun, Docteur? Die junge Frau und der Mann, ich hab‘s in den Nachrichten gehört.« Koenig legte den Kopf schief.

»Hören Sie, monsieur , könnten Sie mir bitte einfach mein Paket geben?«, sagte Leon. »Das mit der Wäsche ist jetzt schon zum dritten Mal passiert.«

»Tut mir leid, Docteur. Tut mir wirklich leid«, beteuerte Koenig und trat zu einem hohen Regal gleich hinter der Theke. »So etwas sollte, was sage ich, darf einfach nicht passieren. Auch noch bei einem Kunden wie Ihnen. Aha, hier«, Koenig unterbrach sich und zog ein Paket aus dem Regal. Durch die dünne Verpackungsfolie waren die grünen Kittel zu erkennen, die von den medizinischen Mitarbeitern der Pathologie bei Obduktionen getragen wurden.

»Na, bitte«, Koenig legte das Paket vor Leon auf die Theke. »Geht natürlich auf unsere Rechnung.«

»Danke«, sagte Leon. »Ich hoffe, die Klinikwäscherei nimmt bald wieder den Betrieb auf. Dann können wir uns endlich wieder mehr um unsere Fälle kümmern als um die Wäsche.«

»Da kann ich Sie sehr gut verstehen«, Koenig zeigte die Spur eines Lächelns, was ihn einige Anstrengung kostete. »Erlauben Sie mir nur eine Frage: Diese Sache am Strand, war das wirklich … ein Mord?«

»Das müssen Sie die Polizei fragen«, sagte Leon.

Warum machte er nur jedes Mal denselben Fehler, fragt er sich. Wenn man einem Fremden sagte, dass man Urologe oder Proktologe war, wechselten alle Anwesenden schnell das Thema. Erklärte man, dass man Rechtsmediziner war, erwartete jeder sofort eine blutige Schauergeschichte.