24. Kapitel

Das Vernehmungszimmer war im Hochsommer alles andere als ein angenehmer Ort. Die Klimaanlage funktionierte noch immer nicht richtig, und die Luft in dem fensterlosen Raum stand. Obwohl das neue Präsidium der Gendarmerie nationale in der Avenue André Del Monte erst vor wenigen Jahren gebaut worden war, platzte es heute schon wieder aus allen Nähten. Die Präfektur in Toulon hatte einen zusätzlichen Betrag im Haushalt freigemacht, um einen Anbau zu realisieren. Dieser neue Gebäudeteil war auch mit großem Schwung begonnen worden – dann hatte sich allerdings herausgestellt, dass der Bau deutlich teurer werden würde als geplant. Daraufhin geschah das, was in der Provence so oft mit Bauten geschah, die aus öffentlichen Mitteln finanziert wurden – sie blieben auf halber Strecke stehen. Es gab eine Untersuchung, das verantwortliche Planungsbüro wurde ausgetauscht und das Objekt neu ausgeschrieben. Kurz gesagt: Für die nächsten paar Jahre würde alles beim Alten bleiben.

Die Folge war, dass der Befragungsraum wie so viele andere Räume im Präsidium vorübergehend als Lagerraum umfunktioniert worden war und überquoll mit Regalen und Akten laufender Fälle. Es war eng, heiß und stickig hier. In der Mitte des Raumes stand ein einfacher Tisch mit grauer Resopalplatte. Davor saßen Isabelle und Lieutenant Masclau. Ihnen gegenüber auf einem schlichten Metallhocker saß David Laurent.

David sah aus wie jemand, der genau wusste, dass sie ihn diesmal nicht so schnell wieder vom Haken lassen würden. Das schlechte Gewissen stand ihm ins Gesicht geschrieben, und er knabberte nervös an seinem rechten Daumennagel.

»Tut mir leid, echt«, sagte David, »ich weiß nicht, wie das Zeug in meinen Camper gekommen ist. Echt nicht.«

Das Zeug lag vor ihm auf dem Tisch: Es waren Amphetamintabletten, ordentlich verpackt in Papiertütchen mit den bekannten Vogelschwingen als Logo, ungefähr zwei Dutzend. Isabelle und Masclau hatten sie im Wohnmobil von David gefunden.

Anfangs hatte sich der Albatros gegen eine Durchsuchung seines Wohnwagens gewehrt, aber Isabelle und Masclau hatten ihm schnell klargemacht, dass sie jederzeit einen Durchsuchungsbefehl erwirken konnten. Schließlich hatte er nachgegeben.

Isabelle hatte von Anfang an den Eindruck gehabt, dass David etwas in seinem Wohnmobil verbarg, aber sie war sich nicht sicher. Auf der anderen Seite, warum war David geflohen, wenn er ein reines Gewissen hatte?

In einem Wohnmobil gab es unzählige Möglichkeiten, etwas zu verstecken. Aber es hatte keine Viertelstunde gedauert, bis Masclau die Tüte mit den Amphetamintabletten entdeckt hatte, angeklebt an die Rückseite einer Schublade. Der Fund war den Aufwand kaum wert gewesen. Genug immerhin, um ihn mit auf die Wache zu nehmen und erst einmal dortzubehalten. Der Albatros hatte gejammert und geschworen, dass es sich bei der Menge ausschließlich um seinen Eigenbedarf handle. Er habe noch nie gedealt. Ausreden, die die beiden Beamten schon so oft gehört hatten.

Vielleicht war es die Art gewesen, wie David sich erleichtert einen Schweißtropfen aus seinem Nacken gewischt hatte, als Isabelle und Masclau Anstalten machten, gemeinsam mit ihm zur Wache zu fahren. Vielleicht waren es auch seine nervösen Blicke, jedenfalls hatte Isabelle plötzlich gespürt, dass David noch etwas anderes vor ihnen verbarg.

Als sie die Küche durchsuchten, in der sich ungewaschene Teller und Töpfe stapelten, fiel ihr auf, wie der Albatros beiläufig Essensreste in eine Mülltüte warf und diese vor das Wohnmobil stellte.

»Seit wann so ordentlich?«, hatte sie David gefragt.

»Bei der Hitze? Da fängt alles an zu stinken, wenn ich den Scheiß nicht sofort wegschmeiße«, hatte der Surfer geantwortet und die Plastiktüte fest verknotet.

Das war der Moment gewesen, in dem Isabelle wusste, dass es etwas Belastendes gab, und dass sie es in der Mülltüte finden würden. Masclau fand, es sei unter seiner Würde, in stinkigem Abfall zu stochern. Daraufhin hatte Isabelle die Tüte geschnappt, aufgerissen und vor dem Wohnmobil ausgeleert. Inzwischen hatten sich Zuschauer versammelt, die amüsiert beobachteten, wie die beiden Polizisten im Abfall wühlen mussten.

»Machen dir die Flics endlich mal deine Karre sauber?«, hatten die anderen gespottet. »War aber auch überfällig.«

»Da ist nichts. Ich schwör’s!« David hatte versucht, möglichst cool zu wirken. Aber vor Isabelle konnte er das Zittern seiner Hände nicht verbergen. Die stellvertretende Polizeichefin hockte auf dem Boden und hielt ein Holzstäbchen in der Hand, mit dem sie schweigend und in stoischer Ruhe durch den Abfall stocherte.

»Ist nur Zeitverschwendung, echt«, sagte der Albatros. »Bringt doch nichts. Nur mein Scheißmüll, Madame le Commissaire.«

»Capitaine«, korrigierte Masclau den Albatros.

»Pardon, Capitaine.«

In der Sekunde hatte Isabelle den Blick gehoben. »Na also.« Mit spitzen Fingern hatte sie eine kleine lederne Geldbörse unter ein paar matschigen Salatblättern und einem durchweichten Baguette hervorgezogen.

»Das ist nicht von mir«, sagte David, ohne sich die Börse genauer angesehen zu haben.

Isabelle klappte das Lederetui auf und betrachtete die Kreditkarten und die Geldscheine, die in der Börse steckten.

»Bingo«, sagte sie zufrieden und zeigte den Fund Masclau.

Auf der Kreditkarte stand in silbernen Buchstaben der Name ihres Besitzers: Mason Rivers. Der tote Surfer. Amélies Freund.


Jetzt, drei Stunden nach dem Fund, saßen Isabelle und Masclau vor David und sahen zu, wie dessen Selbstsicherheit zusammenschmolz wie Eis in der Sonne.

»Erzählen Sie uns doch noch einmal ganz genau, wo Sie die Geldbörse gefunden haben.« Masclau schob die durchsichtige Asservatentüte, in der man die Geldbörse erkennen konnte, zu David.

»Habe ich doch schon dreimal erzählt.«

»Dann erzählen Sie es uns eben noch ein viertes Mal«, forderte Isabelle den schwitzenden Mann auf.

»Was wollen Sie denn hören?«, sagte David Laurent mit Verzweiflung in der Stimme.

»Wie wäre es mit der Wahrheit?«

»Und versuchen Sie nicht uns weiszumachen, dass der große Unbekannte die Geldbörse bei Ihnen im Wohnmobil versteckt hat«, sagte Isabelle. »Das ist unhöflich.«

Einen langen Moment starrte David auf die Rücken der Ordner, die sich in dem Regal an der gegenüberliegenden Wand stapelten . Der Mann war ausgebrannt, dachte Isabelle. Er würde nicht lange durchhalten.

»Die lag am Strand«, sagte der Albatros plötzlich.

»Ach …«, ätzte Masclau. »Die Geldbörse lag also am Strand, und wo genau?«

»Brégançon.«

»Wenn du mich verarschen willst …?«

»Will ich nicht.«

»Dann erzähl uns endlich, was wirklich passiert ist: Du bist den beiden hinterher. Hast sie verfolgt …«

»Nein, habe ich nicht«, wehrte der Albatros ab.

»Aber klar bist du ihnen hinterher! Erst hast du dir die Frau geschnappt, und dann hast du ihrem Freund den Hals durchgeschnitten. War es nicht so, David?«

»Ich soll ihm was …? Nein, hab ich nicht!« David schüttelte verzweifelt den Kopf.

»Masclau …«, warnte Isabelle ihren Kollegen, aber der kam gerade in Fahrt.

»Ich habe die Frau nie gesehen. Den Mann auch nicht. Da lag die Börse am Strand und …«, der Albatros zögerte. »Scheiße, ja, ich habe sie eingesteckt. Das war alles.«

»An der Börse war Blut. Das hast du aber natürlich nicht gesehen.«

»Auf so was hab ich nicht geachtet«, sagte David. »Dachte, da wäre vielleicht Geld drin. Hab gar nicht so genau reingeschaut.«

»Jetzt erzählst du uns doch schon wieder Mist«, sagte Masclau. »Du hast die Geldbörse nicht einfach eingesteckt. Du hast erst noch den Besitzer und dessen Freundin getötet.«

»Schluss jetzt«, unterbrach Isabelle den Lieutenant.

In diesem Moment klopfte es und, ohne eine Reaktion abzuwarten, betrat Lieutenant Kadir den Raum. Er reichte Isabelle eine ausgedruckte E-Mail. Isabelle warf einen kurzen Blick darauf.

»Schlechte Nachrichten«, sagte sie zu David. »Das Labor hat das Blut auf den Geldscheinen überprüft, die wir bei dir gefunden haben. Die Blutgruppe stimmt mit der des Opfers überein.«

»Damit hab ich nichts zu tun. Ich schwöre es«, heulte der Albatros. Es war dieser Augenblick, in dem David Laurent klar wurde, dass es eng für ihn wurde. »Ich war das nicht. Ich hab die beiden noch nie gesehen. Ich hab das Geld gefunden. Okay, gebe ich ja zu, aber das war‘s auch. Was soll ich Ihnen denn sonst noch sagen …?«

Isabelle sah Masclau an und gab ihm mit einem kleinen Kopfnicken zu verstehen, dass er tätig werden sollte.

»David Laurent, ich nehme Sie fest unter dem Verdacht, Amélie Bertrand und Mason Rivers getötet zu haben.«

Der Albatros sah Isabelle fassungslos an, und noch während sie sich langsam erhob, fragte sie sich, ob diese Festnahme wohl zu voreilig gewesen war.