56. Kapitel

Der Übertragungswagen von Canal 6 ha tte direkt neben dem Kinderkarussell mit bestem Blick auf die Altstadt von Lavandou geparkt. Daneben stand Brigitte Dupin und stritt sich mit ihrem Kameramann Tony, der gerade einen langsamen Schwenk über die Promenade von Le Lavandou machte.

»Stopp!«, befahl Brigitte Dupin.

»Wieso, die Uferpromenade des Ferienparadieses voller Touristen in Angst«, verteidigte der Journalist seine sturzlangweilige Einstellung. »So was zieht immer bei den Zuschauern.«

»Ich sehe aber hier keine Angst, Tony. Ich sehe nur Leute, die Eis lecken und Zuckerwatte futtern.«

»Dann halt ich die Kamera einfach etwas tiefer«, sagte Tony. »Das schafft Spannung. So Tarantino-mäßig.«

»Gott, du redest so einen Mist.« Die Fernsehredakteurin sah sich um. »Was ist jetzt mit deinen tollen Verbindungen zu den Flics?«

»Weiß nicht, er wollte schon vor einer Viertelstunde hier sein«, murmelte Tony und sah auf die Uhr.

»Scheiße, wir gehen in einer halben Stunde auf Sendung. Wir brauchen neue Bilder. Wir verkaufen Blut und Schmerzen, keine gebrannten Mandeln und Softeis, mach das deinem Informanten klar.« Brigitte Dupin war sauer.

Es war deshalb keine Minute zu früh, dass Tony den Polizisten entdeckte, der sich durch eine Gruppe von Touristen drängte. Jacques Peyron winkte dem Kameramann unauffällig zu.

»Das ist er«, raunte Tony Brigitte zu. »Bin gleich wieder da.«

»Mach ihm Feuer unterm Arsch«, rief Brigitte Dupin ihrem Kameramann hinterher. »Sag ihm, für nichts gibt’s auch nichts.«

Peyron war zur Fischhalle gegangen, die um diese Zeit noch verwaist war. Erst wenn gegen Mittag die Boote ihren Fang brachten, wurde es voll in dieser Ecke des Hafens. Jetzt schaufelte ein gelangweilter Angestellter aus einer Plastiktonne zerstoßenes Eis in die Vitrinen des Fischmarktes. Niemand interessierte sich für den Flic, der sich mit einem Kameramann unterhielt. Jacques Peyron hatte sein Handy aus der Tasche gezogen.

»Hast du was für mich?« war Tonys erste Frage.

»Aber sicher. Echt starkes Material«, Peyron wedelte mit dem Handy. »Du flippst aus, wenn du das siehst.«

»Zeig schon her.«

»Wart’s ab«, sagte Peyron und wischte über ein paar Fotos, die auf dem Display seines Smartphones aufsprangen. Dann hielt er dem Kameramann das Handy hin. »Hast du so was gesucht?«

»Mon dieu …« Tony verstummte und wischte von einem Bild zum nächsten. »Das ist mega … das ist ja so was von mega.«

»Diesmal kostet es aber mehr. Fünfhundert für alle.«

»Gib her. Gib schon her!« Bei diesen Bildern musste Tony nicht handeln, das war ihm klar.

Eine halbe Stunde später zeigte Canal 6 die Polizeifotos des zweiten Liebespaarmordes. In Farbe und mit allen blutigen Einzelheiten.