58. Kapitel

David Laurents regenbogenfarbenes Wohnmobil stand noch immer auf dem Parkplatz. Zusammen mit einem guten Dutzend anderer Wohnmobile hatten sich die Surfer den Strandparkplatz einverleibt. Als Isabelle und Masclau auf dem Wohnwagen-Parkplatz auftauchten, brach Unruhe unter den Surfern aus. Die Flics waren da! Joints wurden in die Dünen geworfen, Wasserpfeifen ausgeleert, und Hasch wurde noch schnell im Sand der Dünen verscharrt. Den jungen Frauen und Männern mit den braun gebrannten, durchtrainierten Körpern stand das schlechte Gewissen regelrecht ins Gesicht geschrieben.

Wahrscheinlich könnten wir einen ganzen Sack voller Gras konfiszieren, wenn wir jetzt eine Razzia veranstalten würden, dachte Isabelle, aber deswegen sind wir nicht gekommen. In diesem Moment sah sie aus dem Augenwinkel, wie sich der Albatros in rosa Bermudashorts mit Blumenmuster hinter den Wohnmobilen davonzuschleichen versuchte.

»Laurent!«, rief Isabelle. »Warten Sie!«

Doch der Albatros dachte gar nicht daran zu warten und schon dreimal nicht auf die Flics. In der Hand hielt er eine McDonald‘s-Tüte, und Isabelle war sicher, dass er darin keinen Big Mac transportierte. Laurent versuchte, über den aus Holzbohlen gezimmerten Spazierweg durch die Dünen zu entkommen. Doch Isabelle machte sich nicht einmal die Mühe, hinter dem Surfer herzulaufen. Der Albatros hatte noch nicht bemerkt, dass Masclau bereits am Ende des Pfades auf ihn wartete. In diesem Moment stieß der Fliehende einen Schrei aus, blieb stehen und hob seinen linken Fuß. Er war barfuß in die Splitter einer Cola-Flasche getreten. Blut tropfte auf den Boden, als Isabelle ihn erreichte. Sie konnte gerade noch sehen, wie David Laurent eine Tüte zwischen ein paar Zistrosen stopfen wollte, die den Pfad begrenzten.

»Sparen Sie sich die Mühe«, sagte Isabelle. Sie nickte mit dem Kopf in Richtung von Albatros’ verletztem Fuß. »Soll ich mir das mal ansehen?«

»Nein, geht schon«, stieß Laurent hervor, wobei er versuchte, tapfer zu klingen.

»Das glaube ich nicht.« Isabelle betrachtete den Fuß. »Das muss ordentlich versorgt werden.«

Isabelle zog das Handfunkgerät aus der Tasche ihrer Jacke und drückte die Sprechtaste. »Morell hier. Didier, bringst du bitte den Verbandskasten hier herauf?«

»Geht klar«, drang Masclaus Stimme aus dem Gerät. »Bin gleich bei dir.«

»Ich sag doch, ich brauch keine Hilfe.« Der Albatros versuchte aufzustehen und hob dabei den verletzten Fuß wie ein Flamingo. »Das geht schon.«

»Setzen Sie sich«, befahl Isabelle, und zum allgemeinen Erstaunen hörte der Surfer auf sie. Er hatte sein T-Shirt ausgezogen und es sich um den blutenden Fuß gebunden. Jetzt konnte Isabelle das große Tattoo auf seinem Rücken sehen: ein Albatros, der dicht über schäumende Wellen glitt.

»Starkes Tattoo«, sagte Isabelle.

»Ich kann laufen«, antwortete der Albatros trotzig.

Isabelle beugte sich vor und hob mit spitzen Fingern die McDonald‘s-Tüte auf. Sie war, wie erwartet, voller Gras. Wahrscheinlich aus der Gegend, dachte Isabelle.

»Wegen dem Mist hätten Sie nicht abhauen müssen.« Isabelle klang eher mitleidig als kritisch.

»Ich kann das erklären«, sagte Albatros.

»Da bin ich ganz sicher«, sagte Isabelle. »Aber es interessiert mich nicht.«

Albatros sah Isabelle irritiert an.

»Sind Sie in den letzten Tagen von einem Hund gebissen worden?«

»Nein, wie kommen Sie darauf?«, fragte der Surfer irritiert.

»Sicher?« Isabelle betrachtete die nackten Unterschenkel des Mannes, die aus den bunten Bermudas herausschauten.

In diesem Moment tauchte Masclau auf, in der Hand einen Verbandskasten. Er griff nach seinen Handschellen.

»Ich denke, die brauchen wir nicht«, sagte Isabelle.

»Hungrig?« Masclau wies auf die McDonald‘s-Tüte.

»Das hat Monsieur l‘Albatros verloren. Soll sich die Spurensicherung ansehen.«

Masclau sah auf die nackten Beine des Verdächtigen.

»Er sagt, ihn hätte kein Hund gebissen«, sagte Isabelle.

»Was wollen Sie denn immer mit dem Scheißhund?«, beschwerte sich der Albatros trotzig.

»Und?« Masclau sah zu Isabelle. »Hast du eine Verletzung entdeckt?«

»Wie denn?«, meinte Isabelle. »Ich kann ihm ja hier schlecht die Hose ausziehen.«

Masclau zog grinsend sein Funkgerät aus der Tasche und sah seine Chefin fragend an.

»Sie sollen jemand zum Parkplatz schicken. Wir kommen mit einem Verwundeten«, sagte Isabelle betont dramatisch und half damit, Albatros‘ Image vor seinen Freunden etwas aufzuwerten.


Eine Viertelstunde später stand jedenfalls eines fest: David Laurents Beine waren – bis auf die Verletzung am Fuß – völlig unversehrt.