Kapitel 14
Kommandowechsel

 

RNS Victory

Werftgelände der Marine

Hauptplanet Altus

 

Admiral Abigail Halsey war beeindruckt. Sie hatte die vergangenen fünf Tage mit einer detaillierten Tour des ersten republikanischen Sternenträgers und mit Briefings über jeden seiner Teilbereiche verbracht. Dies war das Kriegsschiff, das die Altairianer für die Republik gebaut hatten. Eigentlich war der Bau schon seit einigen Jahren abgeschlossen. Wenn es nach Halsey oder Hunt gegangen wäre, hätten sie diesen Sternenträger bereits im Krieg eingesetzt. Die Altairianer hatten sich allerdings geweigert, das Schiff ohne eine voll funktionsfähige und ausgebildete Mannschaft der Republik zu überlassen. Die Lösung dieses Trainingsproblems hatte weit mehr Zeit gekostet, als es der Umfang der Automation dieses Schiffes vermuten ließ.

Ironisch war, dass es gerade diese Automation war, die die Verzögerung mit sich brachte. Sollte ein System versagen, musste die Crew über das Wissen verfügen, entweder die Reparaturroboter neu zu konfigurieren oder die Arbeiten selbst vorzunehmen. Die Mannschaft eines solch weitentwickelten Schiffs musste erst Jahre eines schwierigen technischen Trainings – einschließlich einer vorbereitenden Ausbildung – hinter sich bringen, bevor sie daran denken konnte, die Aufrechterhaltung des Betriebs eines solchen Schiffs zu erlernen. Diese Vorbereitung war nötig, da das Schiff, sobald es mit seiner ausgebildeten Mannschaft auf dem Weg war, sich in eine selbstbestimmte Stadt verwandelte, die unabhängig von jedweder logistischen Unterstützung operierte.

Halsey, die auf dem Sofa ihrer Unterkunft kurz vor dem Einschlafen war, richtete sich bei dem Klingeln eines Besuchers auf.

»Herein«, forderte sie die KI laut auf, die Tür zu öffnen.

Sobald sie Hunt erkannte, lächelte sie ihm entgegen.

»Hallo, Abi. Schön, dich endlich persönlich wiederzusehen.«

Nach einer kurzen Umarmung tauschten sie weitere Höflichkeiten aus.

»Ein beeindruckendes Schiff, Abi. Ich freue mich wirklich für dich.«

»Es ist unglaublich, Miles. Was dieses Schiff alles kann … Es wird das Flaggschiff und das Rückgrat der Republik sein.«

»Ganz deiner Meinung. Auch das ist etwas, was ich mit dir diskutieren möchte«, erwiderte Hunt beinahe geheimnisvoll. Er deutete mit dem Kopf an, dass sie sich setzen und reden sollten.

»Wieso habe ich den Eindruck, dass es hier um etwas Größeres geht?«

Hunt lächelte bei diesem Kommentar. »Ach Abi, es geht ständig um etwas Größeres. Manche Dinge verlangen nur unsere sofortige Aufmerksamkeit, während andere warten können.«

Sie nickte und schwieg in Erwartung einer weiteren Erklärung.

»Du hast von den Terroranschlägen daheim gehört?«

»Das habe ich. Tatsächlich erfuhr ich gerade erst vorgestern von ihnen. Hier draußen erreichen uns die Neuigkeiten von Zuhause weit langsamer.«

»Die Altairianer haben einige ihrer Informationen mit mir geteilt, etwa wie der Geheimdienst der Zodark operiert, und wie die sumarische Geheimpolizei, die Mukhabarat, aller Wahrscheinlichkeit nach von ihren ehemaligen Herren benutzt und befehligt wird.«

Halsey runzelte die Stirn. »Gehst du davon aus, dass die Zodark diese terroristischen Anschläge in Vorbereitung auf erneute Feindseligkeiten inszenieren?«

Leicht schüttelte Hunt den Kopf. »Ja und nein. Zunächst einmal gehe ich nicht davon aus, dass die Zodark in allernächster Zeit eine Invasion planen. Andererseits glauben die Altairianer, dass die Zodark – nachdem Sumara nun eine offizielle Koloniewelt der Republik ist – die neugefundene Reisefreiheit der Sumarer dazu benutzen, Zellen in unserem Territorialbereich und innerhalb der erweiterten Allianz zu etablieren.«

»Verdammt. Ich hatte die Hoffnung, dass der alte Walhoon sich geirrt hat. Ich hielt es für Angstmacherei, zu behaupten, dass die Zodark einen Weg finden würden, über ihre Mukhabarat-Spione die Erde ausfindig zu machen. Ich wette, dass er innerlich vor Schadensfreude platzt, Recht behalten zu haben. Sag mir bitte, dass du einen versteckten Geheimplan aus dem Ärmel ziehen kannst, um mit der Sache fertigzuwerden?«, forschte Halsey.

»Ja, die Reisefreiheit hat uns einigen Kummer bereitet, insbesondere nachdem uns der Senat die Richtlinie 902 aufgebürdet hat«, musste Hunt zugeben. »Die Politiker haben wirklich etwas dagegen, dem Militär die Kontrolle über so viele Einflussbereiche innerhalb der Republik zu überlassen.«

Halsey schnaubte abweisend.

»Ich denke, ich kann die Altairianer davon überzeugen, uns zu helfen«, fuhr Hunt fort. »Sie haben die Überwachung jeder Person intensiviert, die Sumara verlässt oder die in letzter Zeit von Sumara aus eine ihrer eigenen Welten bereist hat. Aber das wollte ich nicht mit dir besprechen. Ich möchte, dass wir beide uns auf das größere strategische Bild konzentrieren, das sich um uns herum abzeichnet. Nach deiner Abreise in einigen Tagen möchte ich, dass du darüber nachdenkst, wie wir die Victory in einem zukünftigen Kampf gegen die Zodark am besten bewahren und einsetzen können. Die neuen Fregatten und Raketenboote, die sie während der Sirius-Kampagne vorstellten, haben uns damals vollkommen überrascht. Wie müssen die optimale Zusammensetzung unserer Flotte zur effektiven Verteidigung der Victory bestimmen, die uns gleichzeitig den vollen Gebrauch der gesamten Bandbreite ihrer Bewaffnung erlaubt.«

Halsey nickte. »Du hast Recht, Miles. Admiral Bailey ist hierin ganz deiner Meinung. Dieses Thema hat Vorrang. Nach meiner Rückkehr in den republikanischen Raum werde ich Vorschläge zur Konzipierung neuer Kampfgruppen vorlegen. Die Schiffswerften stoßen endlich einen verlässlichen Strom von Kriegsschiffen aus.«

Als Leiterin der Flottenoperationen war Halsey dafür verantwortlich, die republikanische Navy umfassend auf den nächsten Krieg vorzubereiten. Des Weiteren musste sie sicherstellen, dass die Flotte im gesamten Einflussbereich der Republik in strategisch sinnvollen Positionen stationiert war, um auf jeden feindlichen Einfall reagieren zu können. Es war eine erdrückende Aufgabe – eine, die sie nach knapp einem Jahr auf Sumara jetzt tatsächlich in vollen Zügen genoss.

»Miles, hast du nach meiner Rückkehr mit der Victory in unser System einen Heimathafen für sie im Sinn? Nach unserer Heimkehr zur Erde muss ich das Kommando über sie natürlich aufgeben. Vorher kann ich sie aber dort stationieren, wo sie deiner Meinung nach am meisten gebraucht wird.«

»Hm … Ok, lass uns einen Blick auf einige der Sternentorkarten werfen.«

Mehrere Stunden lang verglichen die beiden die Sternentore, die vom republikanischen Raum aus an den Bereich der Zodark angrenzten, mit den nahegelegenen alliierten Sternentoren, über die Kontakt zum angrenzenden Bereich der Zodark hergestellt werden konnte. Die Republik war generell dadurch begünstigt, dass die meisten ihrer Kolonien in Systemen lagen, die keinen direkten Sternentorzugang hatten. Trotzdem war es ein zweischneidiges Schwert. Zum einen bot es ihnen einen besseren Schutz gegen die Zodark und eine frühere Warnung über eintreffende feindliche Flotten. Andererseits kostete es die Republik mehr Zeit, ihre Schiffe und Soldaten dorthin zu transportieren, wo sie gebraucht wurden. Sie mussten in weit größerem Umfang den normalen Weltraum durchqueren als viele andere alliierte Welten und die der Zodark, denen der direkte Sprung von Sternentor zu Sternentor möglich war. 

Zu guter Letzt entschieden sie sich, die MOS, die orbitale Marsstation, zum Heimathafen der Victory zu erklären. Zweieinhalb Jahre nach der zweiten Schlacht um Sirius war Rear Admiral Fran McKees Kampfgruppe George Washington in einer der Schiffswerften der Primord auf Kita beinahe vollständig wiederhergestellt. Ein auf 100 Jahre abgeschlossener Stationierungsvertrag mit den Primord erlaubte der Republik, diese Kampfgruppe auf Kita zu unterhalten. Sollte eine erneute Invasion auf Alfheim stattfinden, stand die Kampfgruppe um die GW herum nur wenige Tage entfernt in Bereitschaft. Falls sie sich demgegenüber allein auf ihre Kräfte aus Sol oder Centaurus verlassen mussten, würde es zwei bis drei Monate dauern, bis die Verstärkung eintraf. Alfheim lag am Rand des Hoheitsgebiets der Primord – ein weiter Weg von Hilfe entfernt, falls sie gebraucht wurde.

»Bevor ich gehe, Abi, wollte ich dir eine Frage über die älteren Schiffe der Rook-Klasse stellen.«

»Die Rooks? Die sind ungefähr so alt wie die Voyager . Was möchtest du wissen?«

»Ich weiß, dass es alte Schiffe sind, denke aber, dass sie eine Lücke in unserer Kampfgruppenzusammensetzung füllen könnten, die sich während der Flottenaktion in Sirius offenbart hat«, erklärte Hunt. »In diesem Kampf begegnete uns wirklich zum ersten Mal der massive Einsatz von Angriffsjägern und Bombern gegen unsere Flotte. Meine Analyse nach der Schlacht ergab, dass wir dieses Thema unbedingt ansprechen müssen. Die Träger der Zodark und Orbot überwältigten unsere Nahverteidigungssysteme mit ihrem starken Beschuss – was uns davon abhielt, uns gegen ihre Raketen und Torpedos zu schützen. Ohne die Freedom mit ihren gallentinischen Jägern und den nachgerüsteten Rook-Flakschiffen ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass wir den Kampf verloren hätten. Ich bin mir nicht sicher, was du mit den wenigen verbliebenen Rooks vorhast. Mein Vorschlag wäre, sie in Flakschiffe umzufunktionieren, um sie anschließend in die verschiedenen Kampfgruppen zu integrieren. Ich denke, dass sich das Konzept, ein Schiff mit Nahverteidigungswaffen zu verteidigen, während es gleichzeitig nach Kriegsschiffen, Kreuzern und Truppenangriffsschiffen Ausschau hält, während der Schlacht bewiesen hat. Wie stehst du dazu?«

Halsey hob einen Augenblick zum Zeichen des Abwartens die Hand, bevor sie sich erhob und an ihren Schreibtisch trat. Sie reichte Hunt das Tablet, das sie dort an sich genommen hatte.

»Ich bin dir ein gutes Stück voraus, Miles. Nach der Fertigstellung unserer neuen Schiffe mustern wir die Rooks aus und bringen sie in einer Reserveflotte unter. Direkt nach Kriegsende bat ich Blue Origin bereits um eine schnellere, besser ausgestattete Version des gleichen Schiffs, das nicht ein Jahrzehnt der Planung und des Baus verlangte und sich überwiegend auf Automation anstelle einer großen bemannten Crew verlassen sollte.«

Hunt war beim Durchsehen der Baupläne von dem, was er sah, äußerst beeindruckt. »Das ist unglaublich, Abi. Wenn ich es richtig verstehe, schlagen sie vor, die Fregatten vom Typ 003 in Flakschiffe zu verwandeln?«

Halsey nickte und erklärte: »So ist es. Zuerst war ich mir nicht sicher – insbesondere aufgrund der limitierten Bewaffnung der neuen Version. Dank dem Größenunterschied zwischen den 003ern und den Rook, wird dieses neue Schiff etwa die Hälfte der Nahverteidigungswaffen der Rook mit sich führen. Um diesen Unterschied wettzumachen, integrieren sie zehn doppelläufige Turbolasertürme und vier Raketenwerfer. Die Lasertürme erlauben den Flakschiffen, es weit schneller mit feindlichen Jägern und Raketen über eine größere Entfernung hinweg aufzunehmen – weit besser, als es unsere jetzigen PDG können. Um den zusätzlichen Energiebedarf der Lasertürme zu decken, streichen sie die normalerweise eingeplanten Truppenunterkünfte der Sondereinsatzkräfte. Das verdoppelt die Größe des Maschinenraums und erlaubt den Einbau eines stärkeren Reaktors. Der Lagerraum für die Raketenwerfer wird ebenfalls neu konzipiert werden.«

Hunt studierte den Rest der Pläne, nahm sie in sich auf und sah hoch. »Das wird fantastisch werden. Ausgezeichnete Arbeit, vorauszudenken, Abi. Ich habe das Gefühl, dass wir in der Zukunft von diesen Maschinen Gebrauch machen werden.«