8. Kapitel

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Margaret

Edinburgh, Mittwoch, 24. Juli 1940

Sir,

bitte entschuldigen Sie diesen unerwarteten Brief. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich dem richtigen Finlay MacDonald schreibe.

Ich habe Grund zu der Annahme, dass Sie mein Onkel sind. Ich bin die Tochter von Elspeth Dunn, die früher auf Skye gewohnt hat. Meine Cousine Emily MacDonald hat mir diese Adresse gegeben, nachdem sie Ihnen einmal in Glasgow begegnet ist. Ich habe keinen meiner beiden Onkel kennengelernt und würde das gerne nachholen.

Darf ich Ihnen schreiben?

Mit freundlichen Grüßen

Margaret Dunn

Glasgow, 25. Juli

Margaret,

hast Du das nicht schon getan?

Finlay MacDonald

27. Juli 1940

Liebe Maisie,

ich fliege wieder! Und keinen Augenblick zu früh. Wir werden hier unten im Süden ständig bombardiert. Ich konnte es am Boden kaum noch aushalten. Wie ist es bei Euch in Edinburgh?

Hast Du Deinem Onkel geschrieben? Und schon Antwort bekommen?

Alles Liebe

Paul

Edinburgh, Montag, 29. Juli 1940

Lieber Paul,

er hat mir geschrieben. Sozusagen. Und da er mir nicht widersprochen oder mich völlig ignoriert hat, nehme ich es als Bestätigung, dass er tatsächlich der fragliche Finlay MacDonald ist. Als ich mich erkundigt habe, ob ich ihm schreiben darf, antwortete er lediglich: »Hast Du das nicht schon getan?« Er muss wirklich mein Onkel sein. Er hat Mutters bissigen Humor.

Ich werde ihm nicht zurückschreiben. Ich würde nur jedes Wort auf die Goldwaage legen, damit er sich nicht darüber lustig macht. Und das ist viel zu viel Arbeit. Weshalb kann ich nicht einen lang verschollenen Onkel haben, der mich zu seiner Alleinerbin macht oder mir seine unschätzbar wertvolle Sammlung von Südsee-Artefakten vermacht, wie es immer in den Büchern steht? Oder der zumindest in einer Irrenanstalt lebt? Ich bin mir sicher, dass ich mal so eine Geschichte gelesen habe. Mit einer Irrenanstalt könnte ich leben. Aber mit einer bissigen Antwort? Wohl kaum.

Margaret

PS Frag bloß nicht nach Edinburgh. Eine 500-Kilo-Bombe aufs Albert Dock, Brandbomben entlang der Bahnlinien und in Granton. Mutter wäre am Boden zerstört, wenn sie das sehen würde. Und jetzt muss ich mir auch noch Sorgen um Dich machen. Sei bitte vorsichtig.

31. Juli 1940

Liebe Maisie,

wo ist denn die Abenteuerlust geblieben, die ich so an Dir liebe? Wo ist die Neugier herauszufinden, was hinter dem nächsten Gipfel liegt; die Bereitschaft, sich kopfüber in ein Unternehmen zu stürzen, das Dir den Atem raubt? Ich sage immer zu den Jungs, wenn meine Verlobte ein Mann wäre, würde sie ihnen in der Luft die Hölle heißmachen.

Du brauchst Dich nicht um mich zu sorgen. Ich habe einen Schnappschuss von Dir in der Tasche, und wenn ich in Deine schönen Augen schaue, habe ich alles Glück, das ich brauche.

Dir ist doch klar, dass seine Zurückhaltung auf eine noch viel bessere Geschichte hoffen lässt. Komm, Watson, komm! Die Jagd beginnt!

Alles Liebe

Paul

Edinburgh, Freitag, 2. August 1940

Lieber Paul,

ich mache es. Für Dich. Aber nur für Dich.

Maisie

Edinburgh, Freitag, 2. August 1940

Sir,

oder sollte ich besser »Onkel Finlay« schreiben?

Ich gebe zu, Ihre Antwort hat mich verwirrt. War es eine Zurückweisung? Entmutigung? Die stumme Erlaubnis, Ihnen noch einmal zu schreiben?

Bitte, ich möchte Ihnen so viele Fragen über meine Mutter stellen, über Dinge, von denen sie mir nie erzählt hat. Sie müssen nicht zum Tee oder zu meiner Hochzeit kommen. Schenken Sie mir nur ein paar Augenblicke Ihrer Zeit, um mir etwas über meine Mutter zu schreiben. Helfen Sie mir, die leeren Stellen aus dem »ersten Band« ihres Lebens zu füllen.

In Dankbarkeit

Margaret Dunn

Glasgow, 3. August

Margaret,

hast Du bedacht, dass Deine Mutter dieses Buch aus gutem Grund geschlossen haben könnte?

Hast Du auch bedacht, dass ein Mann vielleicht einfach in Ruhe gelassen werden möchte?

Ich habe wirklich nichts über Elspeth zu erzählen, das Du gerne hören würdest. Manche Enttäuschungen kann selbst die Zeit nicht vergessen machen.

Finlay MacDonald

Edinburgh, Montag, 5. August 1940

Lieber Onkel Finlay,

ich will keine alten Wunden aufreißen. Wirklich nicht. Ich will mich auch nicht in Deine persönlichen Angelegenheiten mischen. Ich möchte nur meine Mutter besser kennenlernen. Und ich glaube, dass Du ebenso gerne wissen möchtest, was sie jetzt macht, wie ich wissen möchte, was sie damals gemacht hat, sonst hättest Du mir nicht geantwortet. Und das gleich zweimal.

Ich hoffe auf Dein freundliches Entgegenkommen und werde Dir im Gegenzug immer etwas über meine Mutter verraten. Wie Du mir, so ich Dir.

Herzliche Grüße

Margaret Dunn

Glasgow, 6. August

Margaret,

wie Du mir, so ich Dir. In den Schützengräben nannten wir das »leben und leben lassen«. Wenn die Deutschen nicht feuerten, feuerten wir auch nicht. Manchmal ließen wir ihnen ein bisschen Frieden, und sie schenkten uns ein bisschen Frieden zurück. Unsere Befehlshaber waren damit natürlich nicht einverstanden. Wir sollten immer als Erste feuern, um den Feind nervös zu machen. Um ihn davon zu überzeugen, uns in Ruhe zu lassen.

Du bist ein stures Mädchen, das muss ich Dir lassen. Genau wie Elspeth. Sie war so stur wie nur etwas, doch in einem Haus mit drei Jungs musste sie das wohl auch sein.

Wie Du mir, so ich Dir. Ich habe die Ansicht der Befehlshaber nie geteilt.

Finlay MacDonald