Es wurde Nacht, und der sternenklare afrikanische Himmel über dem Wald hatte eine Ortsbestimmung ermöglicht. Acht Grad achtundfünfzig Minuten nördlicher Breite. Was den drei weißen Entdeckungsreisenden endgültig die Gewissheit gab, dass die Expedition zur Erforschung des Omo und zur Aufnahme politischer Beziehungen mit den Stämmen im Nordwesten Äthiopiens von Erfolg gekrönt war und sie daher den zweitausend Kilometer langen Rückweg zum Indischen Ozean antreten konnten, von wo aus sie anderthalb Jahre zuvor aufgebrochen waren.
Blieb, bevor sie den Kampf mit dem endlosen Buschwald und mit den sonnenversengten Wüsten wiederaufnahmen, die sie auf ihrem Weg zum Omo durchquert hatten, nur noch die Erschießung von zwei Askaris und drei einheimischen Trägern, die versucht hatten, zu desertieren, eine erhebliche Gefahr für jede Expedition, denn dies bedeutete nicht nur eine Reduzierung der Mannschaft, sondern auch den Diebstahl von Waffen und Tieren aus der Karawane, was deren Schwächung und sogar ihr Scheitern zur Folge haben konnte. Diese Erschießung hatte noch am selben Abend nach dem Essen vor den einheimischen Trägern stattgefunden, die, in großer Zahl von Fieber und Ruhr geplagt, entsetzt zwischen den Beinen der Lasttiere lagen. Man würde also im Morgengrauen des nächsten Tages mit fünf Männern weniger aufbrechen, deren Leichname zum Fraß für die Dschungeltiere und zur Abschreckung gegen weitere Desertionen unbeerdigt zurückbleiben sollten. Die Karawane war auf einhundertvierundzwanzig Mann, sechsundneunzig Esel, einundzwanzig Maultiere, dreißig Pferde, sechzehn Kamele und einiges Schlachtvieh geschrumpft und auf zwölf Kisten Elfenbein von den Elefantenjagden, unternommen, um die Kosten der Expedition wenigstens teilweise zu decken.
Dann, mit der einsetzenden Morgenröte, hatte sich die Karawane zu den Bergen aufgemacht, wo der Rückweg begann. Hohe, felsige Berge, die sich mit nebelverhangenen Tälern am Horizont verloren, eisige Tage unter heftigen Wolkenbrüchen und kranke, erschöpfte Männer, die bei Nacht aneinandergedrängt auf der Erde schliefen und in ihre Umhänge bliesen, um sich zu wärmen.
Soweit die Karawane auf dem Rückweg. Die Kamele, diese zwar auf den heißen Hochebenen unschlagbaren Wanderer, die im Gegensatz zu den kleinen, struppigen Eseln der Karawane aber nicht an Kälte gewöhnt waren, stürzten bei Tag in die Schluchten oder blieben, die Hufe fest in den Boden gerammt, am Rand der Steilwände stehen.
Am Morgen des sechsten Tages waren beim Abstieg aus den Bergen, in denen die Karawane ihr Nachtlager aufgeschlagen hatte, zahlreiche Tiere von Felsblock zu Felsblock abwärts getrudelt, wobei die Kisten mit dem Elfenbein verstreut wurden, so dass die Männer den Abhang wieder hinaufmussten, um sie einzusammeln. Und während dieses mühsamen Einsammelns hatte es den ersten Überfall von Banditen gegeben. Schwarze Krieger stürmten mit hohen Schreien zum Angriff aus dem Felsengebirge, bis die Gewehre mit den Speeren und Pfeilen fertiggeworden waren und die Karawane weiterziehen konnte, die Stille der toten Banditen und die Schreie der Verwundeten in den Felsklüften hinter sich lassend.
Die Dinge wurden auch nach dem Verlassen der Berge nicht besser, als die nun in der Ebene lagernde Karawane von den Führern vor einer großen Bande Schoas ganz in der Nähe gewarnt wurde, so dass sie ihre Zelte abbrechen und das Gebiet schleunigst verlassen musste, um sowohl einer Attacke zu entgehen als auch zu verhindern, dass noch mehr Männer desertieren und zu den Angreifern überlaufen konnten.
In den folgenden Tagen gab es auf dem Weg durch den undurchdringlichen Buschwald und die wenigen baumlosen Ebenen weitere Überfälle auf die Karawane. Tage voller Gefechtslärm und in Brand gesteckte Dörfer der Ureinwohner, denn es galt nur ein Gesetz, wenn man den Indischen Ozean erreichen wollte. Zerstören oder zerstört werden.
Es war also eine Karawane verwundeter und von Krankheiten geschwächter Männer, die es einen Monat nach ihrem Aufbruch schließlich auf den Daga Roba verschlagen hatte. Den Berg, auf dem die drei weißen Forschungsreisenden in der Nähe des großen Schoa-Dorfes Dschinami anhand der Sterne, die durch die Laubkronen riesiger Bäume funkelten, den Standort der Expedition hatten bestimmen können. Sechs Grad, dreiundvierzig Minuten nördlicher Breite bestätigten, dass sie auf dem Weg zum Meer waren und beruhigten zumindest in dieser Hinsicht die Gemüter.
Doch da waren noch die Sorgen wegen der Schoas, die bei der Ankunft der Karawane auf dem Berg aus ihren Hütten gekommen waren, ihn mit Lanze, Pfeil und Bogen bewaffnet umstellt hatten und auf die Entscheidung ihres Dedjas Djote warteten, ob der Befehl des Negus Menelik befolgt werden sollte, der, auf Kriegsfuß mit der italienischen Regierung, angeordnet hatte, dass alle Weißen auf seinem Territorium ihre Gewehre abzugeben hätten.
Ein Befehl, über den die drei Forscher, seit Monaten im Buschwald unterwegs und abgeschnitten vom Rest der Welt, nicht im Bilde waren und der, falls sie ihm Folge leisteten, bedeutet hätte, dass sie ihre Reise durch den endlosen Buschwald und durch die Wüstengebiete, die sie noch vom Meer trennten, unbewaffnet hätten fortsetzen müssen. Und so blieb den drei weißen Forschern nur eine Entscheidung.
Entweder die Gewehre abzugeben oder zu kämpfen.
Dabei hatte am Morgen doch alles so gut angefangen. Denn als die Karawane eine der seltenen Lichtungen im unermesslichen Dickicht des Waldes erreicht hatte, waren zwei Brüder des Dedjas aufgetaucht und hatten, nachdem man ihnen die friedlichen Absichten der Expedition dargelegt hatte — nämlich Rast zu machen und danach den Weg zum Ozean fortzusetzen —, ihre Freundschaft bekundet und die Karawane bis auf den Berg vor dem Dorf geleitet. Erst danach hatten die beiden Brüder des Dedjas die drei weißen Forscher über Meneliks Befehl in Kenntnis gesetzt.
Dieser Befehl hatte Bottego, den Führer der Expedition, veranlasst, sich einen Weg durch die Schoas rings um den Berg zu bahnen, während seine erschöpften Männer die Tiere versorgten, und dem Dedjas im Dorf mit einem Gewehr und einigen Schachteln Patronen als Geschenk einen Besuch abzustatten. Dieses Geschenk hatte der Dedjas, ein zu dicker und zu triefäugiger Schwarzer, um ein Schoa zu sein, in der größten Hütte des Dorfes auf der Erde sitzend angenommen, bevor er der Karawane im Gegenzug Kisten mit Obst und anderen Lebensmitteln zukommen ließ und erst dann Meneliks Befehl hinsichtlich der Gewehre bestätigte.
Also Höflichkeiten, Geschenke und Freundschaftsbekundungen von Seiten des Dedjas, aber auch Fragen nach der Anzahl der Elfenbeinkisten der Karawane. Und alles, was Bottego mit seinen Hinhaltemanövern vor einer Waffenübergabe hatte erreichen können, war die wenig glaubhafte Entsendung eines Briefes an Menelik, dessen Antwort abzuwarten sei.
Daher kehrte Bottego zwar begleitet von Schoas mit Obstkörben und Proviant zurück auf den Berg zu Citerni und Vannutelli, den beiden anderen Weißen in der Expedition, war aber auch stark angespannt, weil er wusste, dass es am folgenden Tag höchstwahrscheinlich zum Gefecht kommen würde.
Dann bei Nacht, im Licht der Feuer, die die Schoas nach Anbruch der Dunkelheit rings um den Berg entzündet hatten, war ein Unterführer der Askaris in das Zelt gestürzt, in dem die drei Weißen ihr weiteres Vorgehen beredeten, und meldete ihnen, vor Aufregung kaum eines Wortes mächtig, dass vier Sudanesen und zwei Abessinier, anstatt die Wachen abzulösen, desertiert seien und zwei Kisten Munition mitgenommen hätten, nachdem sie von den Schoas erfahren hatten, dass es am nächsten Tag zum Kampf kommen würde.
Diese Meldung am folgenden Morgen bestätigte sich, da sich zu den Schoas rings um den Berg Krieger aus anderen Dörfern gesellt hatten, nicht nur mit Lanze, Pfeil und Bogen bewaffnet, sondern auch mit Gewehren. Wie viele mochten es alles in allem sein? Vielleicht tausend Krieger gegen sie drei und die Männer der Karawane, deren Zahl durch die Kämpfe unterwegs auf achtundsiebzig geschrumpft war. Was die drei dazu veranlasste, sich auf drei Stellungen zu verteilen. Vittoria Bottego in der Mitte des Lagers, Lamberto Vannutelli links, Carlo Citerni rechts.
Am späten Morgen der Ausbruch des Gefechts. Mit Schoas, die, trotz des heftigen Gewehrfeuers aus den drei Stellungen, brüllend den Berg hochstürmten. Kriegsgeschrei und von Qualm und Kampfgetümmel außer Rand und Band geratene Tiere an diesem von der afrikanischen Sonne durchglühten Vormittag. Dann mussten sich die drei Stellungen auf die Bergspitze zurückziehen. Askaris, die mit dem Gewehr in der Hand fielen, und Bottego, der auf die Angreifer feuerte und die Munition in den Gewehrlauf schob, die Batula, die bildschöne, ungestüme Äthiopierin und seine Gefährtin auf der Expedition zum Omo, ihm zum Nachladen reichte.
Eine halbe Stunde dauerte dieser Kampf. Die Weißen und ihre Männer konnten nicht mehr weiter zurückweichen, da der Berg hinter ihnen so steil abfiel, dass sie gezwungen waren, zwischen den letzten verfügbaren Felsen Zuflucht zu suchen. Da kroch ein Schoa von hinten an Bottego heran, sprang auf, feuerte mit dem Gewehr auf ihn und streckte ihn auf dem steinigen Boden nieder, ihn, den Batula vergeblich schützen wollte, indem sie sich auf ihn warf und dabei ebenfalls getötet wurde.
So fand, Citerni und Vannutelli zufolge, die von den Schoas gefangen genommen und erst Monate später von Menelik freigelassen wurden, Hauptmann Vittorio Bottego sein Ende. Mit siebenunddreißig Jahren, deren letzte fünf er als Entdeckungsreisender in Afrika verbracht hatte. Sein toter Körper wurde, ganz nach dem Willen Meneliks, entkleidet, zerstückelt und den Tieren im Wald zum Fraß vorgeworfen, damit niemand ihn mehr finden konnte.
Für immer verschlungen von seinem geliebten Afrika.
Bottego. Tja, Bottego. Schwierig, nicht an ihn zu denken und an unsere beiden Leben, die fünf Jahre lang entgegengesetzt und parallel verliefen. Von 1892 bis 1897, wie ich mit meinem Zahlenfimmel präzisieren kann, jetzt, da ich mein Amt als Präsident der Geographischen Gesellschaft aus Altersgründen niedergelegt habe und meine Tage eines gut siebzigjährigen Müßiggängers damit verbringe, aus dem Fenster meines Arbeitszimmers in den Garten der kleinen römischen Villa zu schauen, die mir vom Ministerium großzügigerweise überlassen worden ist, und mich zu fragen, was mein Leben eigentlich ausgemacht hat.
Wie man es auch dreht und wendet, es läuft für jede sesshafte Existenz, die zu irgendeiner Form von Macht gelangt ist, immer auf eines hinaus. Jahrelang hat man eine Reihe von Kämpfen bestritten, mit dem Hintern fest im Sessel wie in einer Art Schützengraben, der für mehr oder weniger erkennbare Feinde möglichst wenig angreifbar sein sollte, und auf den Waffenstillstand der Pension gewartet.
Weiter nichts. Mein persönlicher Waffenstillstand — jede Flagge ist schon eingeholt und um den Mast gewickelt — erfolgte nach dem objektiv bedeutenderen des sogenannten Großen Krieges. Der von 1914 bis 1918 weltweit mehr als sechzehn Millionen Tote und zwanzig Millionen Verletzte und Verstümmelte gefordert hat, um dann von einer großen und wohl radikal demokratischen Pandemie abgelöst zu werden, war ihr erstes Opfer doch der König von Spanien, weshalb man sie die Spanische Grippe nannte.
Eine Pandemie, die um die ganze Welt ging und deren Bevölkerung um ein Drittel reduziert hat. Dringt vielleicht deshalb noch heute, mehr als ein Jahrzehnt später, im Jahr 1933 dieses zwanzigsten Jahrhunderts, das Schritt für Schritt jede Vergangenheit unaufhaltsam auslöscht, von jenseits der Gartenmauer eine Stille herüber, die ich nie zuvor gespürt habe?
Warum nicht, gut möglich. Sollte das Alter am Ende stets eine Mauer sein, hinter der es nichts als Stille gibt, könnte es in meinem Fall die Stille sein, die alle untergegangenen Welten hinterlassen. Und die, wie jede Stille, dem leeren Werk der Erinnerung dient. Wollen wir also über Bottego sprechen, müssen wir in die untergegangene Welt zurückkehren, in der er lebte, damals, als wir beide die dreißig erreicht hatten, diesen entscheidenden Wendepunkt im Leben, ich als Sekretär des Marchese Doria, des denkwürdigen Präsidenten der Geographischen Gesellschaft, und er als Forschungsreisender in Afrika.
Mein Amt als Sekretär in der Geographischen Gesellschaft hatte durch meine starke Abneigung gegen alles Reisen zwar etwas Paradoxes, kam aber meiner außergewöhnlichen Fähigkeit entgegen, nur mit Landkarten und dem großen hölzernen Globus neben meinem Schreibtisch die Reisen anderer zu organisieren.
Über unsere beiden fünf Jahre lang entgegengesetzten und parallelen Leben lässt sich sagen: Wenn das Leben ein mehr oder weniger lange leuchtendes Licht in der ewigen Finsternis der Zeit ist, dann ist meines das einer recht brauchbaren Tischlampe gewesen, die eine nicht unerhebliche Anzahl von Jahren hell auf einem Schreibtisch durchgehalten hat, während das von Bottego ein kurzes, gleißendes Bengalfeuer war, in den dunklen Himmel geschossen, um dann mit einer flüchtigen Rauchfahne zu verlöschen.
Bevor sich diese Rauchfahne im Dunkel der Zeit endgültig verliert, will ich ihren Resten nachspüren und — vor allem mir selbst, dem nunmehr Untätigen — von Bottego und seinem kurzen, turbulenten Leben erzählen. In dem ich eine Art blinder Passagier war, wenn man so will.
Als ich mein Amt als Präsident der Geographischen Gesellschaft aufgab, bat ich, vielleicht in einem Anfall von Nostalgie, wie sie jede Umfassungsmauer bei alten Menschen auslösen kann, sowohl um Bottegos zahlreiche Tagebücher, geschrieben mit der strengen Präzision eines Menschen, der sich der Kürze seines Lebens bewusst ist, als auch um sein gerahmtes Porträt, das mein Büro in der Geographischen Gesellschaft geschmückt hatte und jetzt über dem Bücherschrank in meinem Arbeitszimmer hängt.
Einem handschriftlichen Vermerk auf der Rückseite zufolge, stammt dieses Foto aus dem Jahr 1888, einer Zeit, als ich mit meinen dreißig Jahren Dorias Sekretär war und Bottego ein erfolgreicher Artillerieoffizier an der Kavallerieschule von Pinerolo. Deshalb ist er auf dem Foto in Uniform. Er steht ein wenig breitbeinig da, als wollte er gleich auf sein Pferd Parmigiano steigen, ein großartiges Halbblut, um das ihn die gesamte Kaserne beneidete, und sein Blick ist nicht leer auf den Fotografen gerichtet, sondern düster und energisch auf unbekannte Weiten.
Denn Bottego hatte, als er auf die dreißig zuging, das gleiche Ungestüm wie ein Kolumbus, ein Cortez, ein Lindbergh oder ein Stanley. Und den unaufhaltsamen Egotismus aller Entdecker. Ja, wirklich ein besonderer Menschenschlag, diese Entdecker. Alles Leute, die für Bequemlichkeit nichts übrig haben und von unbekannten Weiten träumen, wo neben dem Vorrecht auf die erkundeten Gebiete Ruhm und Reichtum winken, wenn auch bei Gefahr für das eigene Leben und für das der Männer, deren Schicksal es ist, solche Abenteurer zu begleiten.
Für Entdecker im Allgemeinen mag das gelten, doch nicht für Bottego, den weniger der Wunsch nach Ruhm und Reichtum antrieb als vielmehr etwas, das sich nur als dunkler, zerstörerischer Lebenshunger bezeichnen lässt. Nicht dahinzuvegetieren, sondern so intensiv wie irgend möglich zu leben, war seine Devise. Ein Lebenshunger, der ihm die engen Kasernengrenzen von Pinerolo verleidete und ihn veranlasste, sie mehr als auszureizen, sei es auch nur, indem er die anderen Offiziere zu besonders provokanten Wetten herausforderte, wie etwa zu Pferd auf freiem Gelände dreihundert Kilometer in weniger als vierundzwanzig Stunden zurückzulegen.
So weit eine seiner provokanten Wetten. Ausgetragen zwischen zwei Morgendämmerungen. Zunächst ein ganztägiger Ritt durch die Landschaft des Piemont in der noch heißen, kraftraubenden Septembersonne und, nachdem er, zum Beweis für die gelungene Unternehmung, den Wimpel einer einhundertfünfzig Kilometer entfernten Kaserne erhalten hatte, dann der Rückritt durch die Nacht, bis er im nächsten Morgengrauen auf seinem großartigen Parmigiano wieder auf dem Kasernenhof erschien, wo die anderen Offiziere ihn erwarteten, ihre Uhren in der Hand, um seine Rückkehr zehn Minuten vor der verabredeten Zeit zur Kenntnis zu nehmen. Und da hätte es keinen Grund geben sollen, ihn zu hassen?
Das und seine Entdeckerphantasien machten Bottego zur Zielscheibe der billigen Spötteleien seitens des reichsten und herablassendsten Offiziers der Kaserne, Matteo Grixoni. Diese billigen Spötteleien begannen damit, dass sein Nachname nicht auf der ersten Silbe betont wurde, worauf Bottego großen Wert legte, sondern auf der zweiten, so dass er nicht Bòttego gerufen wurde, sondern Bottègo, was ihn in die Nähe der bottegai, der Krämer, rücken und bei jeder Gelegenheit daran erinnern sollte, dass man, um Entdecker zu werden, die Unterstützung der Regierung brauchte oder steinreich sein musste. Wisse er das denn nicht? Darum könne Bottègo mit seinen Entdeckerphantasien das wilde Afrika wohl nur privat bereisen oder falls er im Lotto gewinnen sollte. Spiele er eigentlich Lotto?
Hochgewachsen, geistlos und wohlsituiert, dieser Grixoni. Mit einem dünkelhaft gestutzten Backenbart und einem wie zu einem Fahrradlenker hochgezwirbelten Schnauzer, der sofort gern zum Angriff herumgerissen wurde, wenn jemand, auch bildlich gesprochen, seinen Weg kreuzte. Grixoni übergoss Bottego mit dem Spott eines Menschen, der zu reich war, um sich damit abzufinden, dass er kein so großartiges Pferd wie Parmigiano besaß, und auch zu reich, um Träume zu brauchen.
Ein Spott mit unvorstellbaren Folgen, wie sich herausstellte. Denn tatsächlich sollte das Schicksal mit seinen geheimnisvollen, unabsehbaren Verkettungen dafür sorgen, dass ihre entgegengesetzten Leben für lange Zeit und nicht nur in Afrika miteinander verquickt waren. Grixonis Leben, lang und parasitär, und Bottegos Leben, so wild wie die Flüsse, die er erforschen sollte. Denn selbst sein kurzes Leben war ein wilder Fluss.
Der alle mitriss, deren Leben schicksalhaft das seine kreuzten.
Im Januar 1890, zwei Jahre, nachdem das Foto entstanden war, das hier in meinem Arbeitszimmer hängt, hatte ihn das Schicksal nach Afrika geführt. Aber nicht wegen eines Lottogewinns, sondern wegen eines Massakers. Dem von Dogali. Einem Ort im riesigen Hochland von Eritrea, besetzt durch Italien nach den Abkommen, mit denen die Länder Europas auf einer Konferenz fünf Jahre zuvor, 1885, in Berlin einige afrikanische Gebiete unter sich aufgeteilt und sich über die Ausbeutung ihrer immensen Reichtümer verständigt hatten.
An dieser Konferenz hatte Italien als ein wenig geschätztes Aschenbrödel teilgenommen, denn anders als die anderen europäischen Staaten mit ihren durchweg langen historischen Traditionen war das Land erst seit fünfundzwanzig Jahren eine geeinte Nation. Aber Italien hatte nach dem Bau des Suezkanals unverhofft die Bucht von Assab am Roten Meer erwerben können, da es mit dem Sultan von Raheita einen privaten Kaufvertrag über Land für eine Kohleverladestation abgeschlossen hatte, der jedoch eigentlich nur den Beginn der italienischen Kolonialpolitik in Afrika bemänteln sollte. Was durch die dann folgende militärische Besetzung von Massaua und seinem Hafen freilich schnell offensichtlich wurde.
Zwar protestierten Frankreich, Ägypten, die Türkei und Deutschland gegen den Kauf, denn sie brauchten allesamt Flottenstützpunkte am Roten Meer, um die Erzeugnisse aus ihren Protektoraten nach Europa zu schaffen, aber England, das in dem Gebiet bereits gut aufgestellt war, tolerierte ihn und überließ Italien gern die heikle Aufgabe, sich mit dem alten Negus Johannes von Abessinien anzulegen, war der doch fest entschlossen, jedes Eindringen in sein Reich abzuwehren.
So weit der Hintergrund des Massakers von Dogali. Wo Italien im Zuge seiner Expansion ins Innere des riesigen Hochlands von Eritrea ein Fort mit einer Handvoll Soldaten und ein paar alten Kanonen errichtet hatte. Ein Fort, das sich eines Morgens von zehntausend Abessiniern, angeführt von Ras Alula, umzingelt sah, dem grausamsten der Ras unter Negus Johannes und ein unversöhnlicher Gegner der italienischen Besetzung. Diese Belagerung zog die Entsendung einer Militärkolonne von fünfhundert gut bewaffneten Männern aus Massaua nach sich, deren Schicksal gleichwohl besiegelt war, da sie, von den Kriegern des Ras Alula abgefangen, fünfhundert gegen zehntausend waren.
Die von den Zeitungen veröffentlichten Fotos der fünfhundert massakrierten Leichname in ihren weißen Uniformen auf dem äthiopischen Wüstensand waren ausschlaggebend für die dann folgenden Ereignisse. Bilder, die als unannehmbare Schmach nicht nur für Italien, sondern für die gesamte Zivilisation angesehen wurden, dazu gedacht, die Gemüter derart zu erregen, dass sie Befürworter und Gegner des Kolonialismus, die beiden Lager, die die Öffentlichkeit des Landes spalteten, in der Forderung an die Regierung nach einem Rachefeldzug einte.
Was die Regierung unter dem Druck der Öffentlichkeit dazu veranlasste, in einem Kriegsbulletin eine Abessinien-Expedition mit zwanzigtausend Freiwilligen unter dem Kommando von Offizieren der Armee anzukündigen. Dieses Bulletin führte zur Abreise von Oberleutnant Bottego nach Afrika, einem der Ersten, die sich zu dieser Expedition meldeten.
»Ja, geh ruhig. Bei den Wilden kommst du bestimmt gut zurecht«, so der sarkastische, geistlose Kommentar von Grixoni, als Bottego die Kaserne von Pinerolo verließ.
Auf den Piers im Hafen von Neapel tausende jubelnd und zugleich rachsüchtig geschwenkte Taschentücher, die die Schiffe voller Soldaten, Waffen und Trosswagen auf ihrem Weg nach Afrika verabschiedeten. Von den Zeitungen angeheizt, war die Begeisterung für die Expedition auf dem Höhepunkt, denn was hätte zwanzigtausend mit Gewehren und Kanonen bewaffnete Soldaten schließlich aufhalten können, auch wenn sie in afrikanische Gebiete unterwegs waren, die wer weiß wie viel größer waren als Italien?
Die Taschentücher hatte Bottego an Deck des Dampfers Gottardo, auf dem er sich eingeschifft hatte, mit derselben Gleichgültigkeit zur Kenntnis genommen, mit der er auch die Freiwilligen betrachtete, die er befehligen sollte. Durchweg Hungerleider auf der Flucht vor der schweren Wirtschaftskrise im Land, die in der Uniform eine Möglichkeit gefunden hatten, nicht ganz lupenreine Führungszeugnisse aufzupolieren und sich auf Kosten der Armee den Bauch vollzuschlagen.
Dann die für ihn unerträglich langsame Überfahrt nach Afrika. Mit endlosen Tagen auf dem Schiffsdeck, an denen er zum Horizont spähte, in seinem Notizbuch die tausenden zurückgelegten Seemeilen vermerkte und seine Ungeduld, ans Ziel zu kommen, im Zaum hielt. Bis sich eines Morgens am Horizont vor dem Schiffsbug Afrika abzeichnete. Ein hellblauer Streifen Land, magisch und verlockend wie alles Land an den Horizonten der Meere.
Zu seiner ersten Berührung mit Afrika kam es in Port Said. Wo der große Schiffskonvoi Halt gemacht hatte, um neue Vorräte zu laden, bevor er seine Fahrt nach Suez und zum Roten Meer fortsetzte. Abstoßend, dieses Port Said. Auf den Landungsbrücken ekelhafte Gerüche, ein Gedränge schmutziger einheimischer Verkäufer von afrikanischem Klimbim und englische Soldaten mit der Reitpeitsche in der Hand, um sie abzuwehren, wenn sie zu aufdringlich wurden.
Anschließend die Weiterfahrt durch den Suezkanal, ein glatter Durchstich von exakt einhundertzweiundsechzig Kilometern Länge, acht Metern Tiefe und fünfzig Metern Breite. Exakt, jawohl. Denn neben meinem altersbedingten Fimmel für Jahreszahlen habe ich auch eine Schwäche für die Abmessungen der Welt, so dass ich für den Fall einer Nachfrage seitens einer strengen Autorität aus dem Jenseits nach meinem Ableben beweisen kann, dass ich dagewesen bin. Durch diesen Kanal also schoben sich die Schiffe in einer Reihe langsam zwischen Felsengebirgen und Sandwüsten mit vorgelagertem Schwemmland vorwärts, von dem bei jedem Tuten der Schiffssirene große Zugvögel aufstiegen, auch sie aus Europa kommend und in Bottego den Impuls weckend, sich ebenfalls in die Luft zu erheben und an irgendeinem Ort zu landen, zu dem dieser Flug ihn tragen mochte.
Dann, nach der Durchquerung des Kanals und eines großen Teils des Roten Meeres, endlich die Landung in Massaua. Einer kleinen arabischen Stadt mit Moscheekuppeln und hohen Minaretten über sonnenrissigen Häusern, dazu in der Ferne die Kette eines ausgetrockneten Felsengebirges, das genauso wie in Port Said den Blick auf Bottegos endlich erreichtes Afrika versperrte.
Wie schon die Überfahrt zog sich auch die Ausschiffung der Waffen und Truppen an den Piers von Massaua für ihn unerträglich in die Länge, was etwas ahnen ließ, das, wie er feststellen sollte, in ganz Afrika herrschte. Die Langsamkeit. Zu viel Sonne, zu viel Hitze, zu viel Licht und zu viel Raum für alles, was man tun musste, selbst wenn es dringend und lebenswichtig war.
Und das war, neben der Gefahr von Angriffen der Abessinier zur Verteidigung ihres Territoriums, auch der Grund, weshalb der Oberbefehlshaber der Expedition, General San Marzano, den Feldzug von Saati so langsam führte. Er also vorsichtshalber sechstausend Mann als Besatzungstruppe in Massaua zurückließ und mit den übrigen vierzehntausend in mehreren Kolonnen zum riesigen Hochland von Eritrea aufbrach, um die italienischen Stellungen wiedereinzurichten, die nach dem Massaker von Dogali aufgegeben worden waren. Ein Feldzug auf einem glühendheißen Boden, der die Stiefelsohlen versengte, unter einer grausamen Sonne, die trotz der Helme das Gehirn verbrannte, und dazu überraschenderweise eine vollkommene Abwesenheit jedes Feindes.
Gerade diese unerklärliche Abwesenheit bremste den Vormarsch und verunsicherte die Truppe. Sie machte die Pläne des alten Negus Johannes und seiner italienfeindlichen Truppen undurchschaubar, auch deshalb, weil der Kundschafterdienst der Expedition, mit dem abessinische Söldner betraut waren, sich von Tag zu Tag als unzuverlässiger erwies. Die Übersetzer aus den Sprachen Abessiniens berichteten tagtäglich Widersprüchliches, angefangen bei der Nachricht, der alte Negus Johannes stehe mit achtzigtausend Mann im Osten, bis zu der Meldung, Ras Alula befinde sich mit seinen zehntausend abessinischen Schlächtern im Norden. Das alles erwies sich regelmäßig als haltlos und hatte genau eines zur Folge. Der Vormarsch verzögerte sich bis zur Unerträglichkeit, und die Fremdheit des glutheißen afrikanischen Bodens, auf dem die Truppen marschierten, wurde mit jedem Tag zermürbender.
Auch die »Nacht der Feuer« machte die Dinge nicht besser. Benannt nach den hunderten von Lagerfeuern, die rings um die Feldlager auf den Bergen entzündet worden waren, noch angefacht vom Wind, der den düsteren Klang abessinischer Trommeln bis an die Zelte herantrug, so dass sich der Gedanke aufdrängte, der Negus oder Ras Alula würden unverzüglich angreifen. Folglich gab es in den Zelten der Befehlshaber zur Vorbereitung der Verteidigung erregte Besprechungen, die für die vierzehntausend Soldaten in dem Befehl mündeten, ihre Gewehre auf das Dunkel der mondlosen Nacht rings um sie her gerichtet zu halten. Ein Befehl, der erst im Morgengrauen aufgehoben wurde, als auch nach Sonnenaufgang nichts weiter passiert war, als dass die Lagerfeuer erloschen waren, Abessinier mit erhobenen Händen aus den Bergen heruntergekommen waren, um Essen und Wasser gebeten und den Truppen gestattet hatten, ihren Weg fortzusetzen.
Afrika also nicht mehr hinter den Bergen verborgen wie in Port Said und Massaua. Sondern unverständlich, unkontrollierbar und gefährlich schwer zu fassen.
Der langsame, strapaziöse und unbehelligte Feldzug San Marzanos zur Wiederherstellung der alten italienischen Stellungen hatte statt der drei geplanten Monate etwa sechs gedauert. Zunächst Saati, die wichtigste Garnison, dann Dogali, Arafali, Ua-a und andere Siedlungen im glutheißen Wüstensand oder an felsigen Berghängen, die hoch genug waren, um den Blick bis zum Meer oder bis zum Horizont schweifen zu lassen, so dass genug Zeit blieb, um sich auf feindliche Angriffe einzustellen.
San Marzanos Feldzug endete schließlich mit der Abfahrt der Freiwilligenschiffe zurück nach Italien, der Bottego auf dem Pier in Massaua mit der finsteren Entschlossenheit zusah, Afrika nicht zu verlassen, obwohl sein Garnisonsleben auf dem Hochland von Asmara sich nicht von dem in Pinerolo unterschied. Sparsame Beziehungen zu den anderen Offizieren und Tage quälender Monotonie, aus der er mit einsamen Jagdausflügen ins hohe Felsengebirge rings um Asmara auszubrechen versuchte, von denen er oft mit einer Antilope über der Schulter zurückkehrte. Bis er eines Tages gereizt und wütend eine seiner provokanten Wetten anbot. Zu Pferd in dreieinhalb Stunden die siebzig Kilometer zurückzulegen, die die beiden höchsten Gipfel in der Umgebung von Asmara trennten, und es dabei mit einem Höhenunterschied von zweitausendfünfhundert Metern aufzunehmen.
Eine gewonnene Wette, na gut. Aber war das etwa schon der ganze Krieg, das ganze Abenteuer, das ganze Afrika? Sein düsterer, überwältigender Lebenshunger wollte das nicht hinnehmen und trieb ihn dazu, nachts allein in seinem Zelt mit einer Lampe die Karte des unermesslichen äthiopischen Hochlands zu studieren, auf der es große weiße Flecke gab, die Namen einiger Dörfer und die ungenauen Skizzen zweier Flussläufe, des Juba und des Omo.
Durch welche Gebiete führten die beiden Flüsse? Gab es dort womöglich Bodenschätze, Plantagen oder andere Quellen von Reichtum, die eine Expedition rechtfertigen könnten?
Kein Mensch wusste das. Im Unterschied zu den von Stanley und Livingstone erforschten Gebieten Afrikas war Äthiopien nicht nur ein den Weißen unbekanntes, wildes Land, sondern auch ein koptisch-christliches Reich, das jahrhundertelang dem muselmanischen Druck widerstanden hatte und nun von einem schlauen Herrscher wie Menelik regiert wurde, der seit dem Tod des alten Negus Johannes Kaiser von Äthiopien war und durch seine europäischen Ratgeber wusste, wie er seine diplomatischen Karten auf Augenhöhe mit den Kolonialmächten ausspielen konnte.
Was er mit dem Vertrag von Uccialli bewiesen hatte. Einem Ort, an dem Menelik nach zahlreichen Gefechten zwischen italienischen Soldaten und abessinischen Kriegern und nach geschickten Hinhaltemanövern eingewilligt hatte, einen Vertrag zu unterzeichnen, der Eritrea als italienisches Protektorat auswies. Doch wie würde Menelik, von dem errungenen Frieden einmal abgesehen, auf eine italienische Expedition in seinen Gebieten reagieren?
In Rom hatte es anlässlich der Vertragsunterzeichnung im weitläufigen Saal des Quirinalspalastes mit seinen riesigen Gemälden und Spiegeln einen großen Empfang gegeben. An dem hatte, neben vielen Politikern und Diplomaten, auch ich teilgenommen, als Sekretär von Doria, der wegen einer geographischen Tagung in London war, und so konnte ich genauestens verfolgen, was im Saal vor sich ging. Wo die Hauptattraktion Meneliks Cousin war, den der äthiopische Herrscher als seinen Vertreter entsandt hatte, da er es nicht für nötig befunden hatte, selbst zu erscheinen.
Der fragliche Cousin war ein junger Abessinier, der, im Mittelpunkt der allgemeinen Neugier, mit einem pittoresken Gefolge herausgeputzter schwarzer Krieger durch die Menge schlenderte, ohne sich um die ihm entgegengebrachten diplomatischen Katzbuckeleien zu kümmern, und stattdessen lieber vor den großen Spiegeln stehenblieb, um sich erfreut zu betrachten.
So weit Meneliks Vertreter auf dem Empfang. Die allgemeine Neugier, die er hervorrief, erfüllte auch Premierminister Crispi und Königin Margherita, zwei glühende Verfechter des Kolonialismus, die in der Unterzeichnung des Vertrags von Uccialli trotz der schnöden Abwesenheit Meneliks einen bedeutenden Prestigegewinn für das italienische Königreich gegenüber den ältesten etablierten Mächten Europas sahen.
»Schon bald können wir diesen widerlichen Engländern und Franzosen das Wasser reichen«, sagte die Königin zu Crispi.
»Ganz ohne Zweifel«, antwortete Crispi, auch er überzeugt von dem großen Ansehen, das der Vertrag Italien bringen würde.
Ich stand in der Nähe der beiden und schaute mit einem Glas in der Hand in die Runde, um mich wichtig zu machen. Daher hatte ich die Königin und Crispi klar und deutlich hören können. Hochzufrieden betrachteten sie die zahlreichen geladenen Gäste. Der Einzige, der die Begeisterung und die allgemeine Neugier im Saal nicht teilte, war König Umberto. Er war vornehm pikiert, weil er auf dem Vertrag die Unterschrift Savoyens, einer seit Jahrhunderten glorreichen Dynastie, neben die Meneliks hatte setzen müssen, den er bei Hof frei heraus als Afrikanischen Affen bezeichnete. Allerdings beunruhigte es niemanden, weder Crispi noch die Königin und auch König Umberto nicht, dass Menelik für das italienische Protektorat über Eritrea im Gegenzug vier Millionen Lire, zahlbar in Gewehren, verlangt und auch bekommen hatte. In diesem Punkt gab es seitens der anderen in Afrika vertretenen Nationen eine klare Vorsichtsmaßnahme. Niemals Waffen an Länder zu liefern, die zu den eigenen Schutzgebieten gehörten, da ebendiese Waffen über kurz oder lang auf diejenigen schießen konnten, die sie geliefert hatten. Aber niemand auf dem Empfang schien das in Betracht zu ziehen. Für den Moment war nur wichtig, zusammen mit den anderen Nationen in Afrika offiziell präsent zu sein, »dann würde man schon sehen«.
Tja, das tat man dann auch.
Was nun Bottego in seinem Armeezelt in der Garnison von Asmara anging, verbrachte er die Nächte zwischen Tisch und Feldbett mit den Gedanken an eine mögliche Expedition.
An manchen Abenden warf seine Lampe nicht nur einen Schatten auf die Zeltwand, sondern zwei. Seinen und den von General Gandolfi, dem alten Garnisonskommandanten mit einem Faible für Forschungsreisen, und beide Männer beschäftigte die gleiche Frage. In Afrika waren die Flüsse, wie überall auf der Welt, wichtige Lebensadern, sorgten für fruchtbares Land und waren Transportwege, auf denen man große Reichtümer zum Meer befördern konnte. Galt das auch für den Juba?
Geographisch und kommerziell seit vielen Jahren hochinteressant, dieser Juba. Fünfundzwanzig Jahre zuvor hatte der Deutsche Carl Claus von der Decken diesen Fluss mit einem Raddampfer bis zur Quelle hinauffahren wollen. Das dumpfe Rumoren der Schaufelräder hatte die jahrhundertealte Stille der Wälder gestört und wütende und verängstigte Stämme an die Ufer gelockt, dann stoppten Stromschnellen den Dampfer und zwangen die Expedition, flussaufwärts auf dem Landweg weiterzuziehen. Mit nur einem Ergebnis. Von der Decken und seine Männer wurden von den Pfeilen der Ureinwohner getötet, außer einem Überlebenden, der zu Fuß flussabwärts bis an die Küste gelangte und die katastrophale Nachricht überbrachte.
Später versuchten noch andere nach Ruhm und Reichtum hungernde Entdecker auf dem Landweg flussaufwärts zu ziehen, wurden aber stets von den Pfeilen der Ureinwohner abgewehrt. Also allesamt entmutigende Versuche für jeden, außer für Bottego, dessen dunkler, leidenschaftlicher Lebenshunger ihn dazu trieb, ein für ihn mögliches Anderswo zu suchen. Daher auch sein fieberhaftes Drängen, damit General Gandolfi ihm am Ende eines seiner Afrikaeinsätze ein Empfehlungsschreiben gab, mit dem er in Rom ankommen und versuchen konnte, die Geographische Gesellschaft davon zu überzeugen, eine erneute Erforschung des Flusses in Erwägung zu ziehen. Ein Schreiben, das der alte General ihm am Tag vor seiner Abreise nach Italien gab, als Bottegos Dienstzeit in Afrika abgelaufen war.
Am Morgen schaute der General ihm vom Fenster seiner Garnisonskommandatur aus nach. Bottego war, gefolgt von zwei Askaris, die den großen Koffer für seine Reisen zwischen Italien und Afrika trugen, aus dem Zelt gekommen und verließ nun den Garnisonshof in Richtung Massaua, um sich dort einzuschiffen.
Der alte General, der ihn aufbrechen sah, konnte nicht sagen, ob es ihm mehr um diesen guten Offizier leidtat, der einem möglichen Entdeckerleben entgegenging, oder um sich selbst, der zurückblieb.