Liv
»Puh, ich kann nicht mehr.« Merle lacht und stellt unsere Shoppingausbeute neben sich auf die Sitzbank.
Ich stimme ihr zu, denn wir haben mächtig zugeschlagen und uns eine Pause in unserem Lieblingscafé redlich verdient.
»Jetzt kannst du beruhigt nach Kanada fliegen. Rein klamottentechnisch kann dir nichts mehr passieren.«
Ich stimme ihr zu, sie hat absolut recht. Dabei habe ich mein Budget großzügig überschritten, aber das war es mir wert. Immerhin fahre ich mit dem zukünftigen Firmenchef auf Dienstreise, da will ich nicht wie das hinterletzte Mauerblümchen aussehen.
»Was steht denn alles auf dem Programm?«, fragt Merle und leckt genüsslich den Milchschaum von ihrem Löffel.
»Also, Jack hat in einigen Hotels und Lodges, die seiner Meinung nach infrage kommen, reserviert. Unsere Aufgabe ist es, die Unterkünfte auf Sauberkeit, Komfort und Sport beziehungsweise Freizeitangebote abzuklopfen.«
Merle seufzt sehnsüchtig auf. »Klingt nach einem Traumjob.«
»Vor allem klingt es nach Arbeit. Schließlich müssen wir alles bewerten und später auch Angebote einholen. Wir haben ganz schön viel Programm in kürzester Zeit.«
»Na ja, es gibt schlimmere Jobs.«
»Das stimmt. Allerdings liegt mir das Skifahren immer noch im Magen«, jammere ich.
»Kannst du das nicht deinem Kollegen überlassen? Und du kümmerst dich in der Zeit um die Romantikangebote und fährst mit dem Hundeschlitten«, kichert sie.
»Genau das ist meine Hoffnung. Ich kümmere mich um die Huskys und Noah um die Skihäschen. So hat jeder von uns ›tierischen‹ Spaß.«
Wir prusten beide laut los und die Anspannung ist verflogen. Irgendwie so in der Art muss ich das angehen. Und wer weiß? Vielleicht ist Noah ja auch ein begeisterter Skifahrer und übernimmt diesen Programmpunkt nur zu gerne?
»Aber jetzt erzähl doch mal von deinem Begleiter? Diesem Noah. Wie sieht er aus und vor allem: Ist er Single?«
»Er sieht gut aus und keine Ahnung, das weiß ich nicht. Beides ist mir echt egal«, betone ich nachdrücklich.
»Ach komm, als ob.« Merle zwinkert mir verschwörerisch zu. »Wie lange hattest du jetzt keinen Typen mehr im Bett?«
»Zwei Jahre«, knurre ich. Dieses Thema mag ich überhaupt nicht und Merle weiß das eigentlich auch. Aber heute hat sie scheinbar ihren hartnäckigen Tag.
»Eben. Viel zu lange. Und wer weiß, was in Kanada passieren wird.«
»Ich kann dir genau sagen, was passieren wird: diesbezüglich rein gar nichts!«, fauche ich. »Ich bin nämlich professionell genug, um mich ausschließlich auf meine Arbeit zu konzentrieren. Und schon gar nicht würde ich was mit dem zukünftigen Boss anfangen, noch dazu in der Probezeit. Wie dämlich müsste ich denn sein?«
»Ist ja gut, reg dich nicht auf.« Sie tätschelt mir beschwichtigend über die Hand. »Würde es dir halt gönnen, wenn du mal wieder einen netten Kerl abbekommst nach dem Desaster mit Mike.«
Ich stöhne genervt auf. »Können wir bitte das Thema wechseln? Ich habe echt keine Lust, an dieses Arschloch erinnert zu werden.«
Und das ist stark untertrieben. Wenn ich daran denke, dass ich zwei Jahre an diesen Kerl verschwendet habe, könnte ich immer noch ausflippen. Dabei dachten alle, dass wir das perfekte Paar wären. Und ich war so blöd, das auch anzunehmen. Bis ich Mr. Perfect im Bett mit meiner damals besten Freundin Lena erwischt habe. Als ich dann erfahren habe, dass die beiden bereits ein halbes Jahr eine heimliche Affäre hatten, ist für mich eine Welt zusammengebrochen. So was will ich echt nicht mehr erleben, da bleibe ich doch lieber glücklicher Single.
»Schon gut, Mausi, ich hör ja auf. Wie sieht es eigentlich mit Dessous aus? Hast du noch Lust auf eine Shoppingrunde?«
»Schon überredet.«
***
Überpünktlich stehe ich am Montagmorgen am Flughafenschalter. Unser Flug geht um sieben Uhr, jetzt ist es gerade mal halb fünf. Ich muss mir eingestehen, ziemlich aufgeregt zu sein, deswegen habe ich auch in der letzten Nacht kein Auge zugemacht. Immer wieder habe ich mich gefragt, was uns wohl dort erwarten wird. Überhaupt ist es ein komisches Gefühl, mit jemandem zu verreisen, den man eigentlich ja gar nicht kennt. Und auch wenn es eine Dienstreise ist, zwei Wochen können ganz schön lang werden, sollte die Chemie nicht stimmen.
Ich beschließe, mir einen überteuerten Kaffee zu holen und dann auf Noah zu warten. Anschließend setze ich mich in die Wartehalle, die Eingänge fest im Blick.
Mittlerweile habe ich schon den dritten Kaffee intus, von Noah ist immer noch nichts zu sehen, jetzt ist es bereits Viertel vor sechs. Die Schlange vor dem Check-in-Schalter wird länger, und ich fürchte langsam, dass wir unseren Flug nicht mehr kriegen werden.
»Guten Morgen, Liv. Warten Sie schon lange?«, höre ich plötzlich eine Stimme hinter mir. Hastig drehe ich mich um und sehe Noah Williams direkt vor mir stehen. Wo ist der denn jetzt auf einmal hergekommen?
»Oh, guten Morgen, Herr Williams. Ich habe Sie gar nicht kommen sehen.« Dann strecke ich ihm die Hand entgegen.
»Das habe ich bemerkt«, schmunzelt er. »Wir können direkt los. Meine Assistentin hat für uns bereits eingecheckt und sich um alles gekümmert.«
»Ach so, das wusste ich nicht.« Das erklärt also, warum er sich so Zeit gelassen hat. Hätte er mir das nicht sagen können? Dann wäre ich auch nicht so früh hier erschienen , grummelt es in mir.
Doch es bleibt keine Zeit mehr, um mich in meinen Groll hineinzusteigern. Mit schnellen Schritten geht er zu einem Gepäckautomaten und stellt seinen Koffer hinein. Als ich ihn erreiche, wirft er einen Blick auf meine beiden Trolleys.
»Sie erwarten wohl einen sehr harten Winter in Kanada, oder?« Spöttisch zieht er die Augenbrauen hoch.
»Na ja, ich hab ja auch die Sachen für die Zimmerchecks dabei«, rechtfertige ich mich sofort.
Er lacht laut auf. »Ja, die nehmen echt viel Platz weg, das stimmt.«
Ich atme tief durch und beschließe, mich nicht provozieren zu lassen.
Jetzt ist mein Gepäck an der Reihe. Bevor ich danach greifen kann, kommt er mir zuvor und kümmert sich darum. Als alles erledigt ist, steuert er den Bereich der Businessclass an, ich bin etwas sprachlos, aber der Ärger über ihn ist wie weggeblasen, als wir die noble Wartelounge betreten.
»Sind Sie schon einmal Businessclass geflogen?«, fragt er mich schließlich, als wir auf den Sesseln Platz genommen haben.
»Nein, noch nie.« Ich versuche, nicht vor Begeisterung wie ein Honigkuchenpferd zu strahlen. Das ist ja mal ein super Auftakt für die Dienstreise, und ich bin schon mächtig gespannt, wie die Ausstattung im Flugzeug sein wird.
Noah
Aus den Augenwinkeln kann ich sehen, dass Liv begeistert von der Lounge hier zu sein scheint, denn ihre Augen strahlen förmlich. Nun ja, es ist natürlich recht angenehm hier und, wenn man das erste Mal in den Genuss kommt, auch etwas Besonderes. Ich habe sie in der Wartehalle schon eine Zeit lang beobachtet. Sie schien immer wieder auf die Uhr zu schauen und hatte die Türen fest im Visier. Also habe ich mir einen Spaß gemacht und sie überrumpelt. Ich bin allerdings immer noch angespannt, was die Reise angeht. Das Pensum, das Jack uns auferlegt hat, ist nicht zu verachten. Bin gespannt, wie sie das alles meistern wird. Kurz schreibe ich eine Nachricht an Nina, es war ihr anzusehen, dass es ihr nicht in den Kram passt, dass ich die Reise antrete. Aber auch das gehört zu meinem Job, damit sollte sie sich besser abfinden.
Liv
Ich halte den Atem an, als wir das Flugzeug betreten und in die Businessclass geführt werden. Wenn ich gewusst hätte, dass ich in den Genuss komme, mal so luxuriös zu verreisen, hätte ich jedes Detail vorher gegoogelt. Eine freundliche Stewardess führt uns zu den Sitzplätzen, begeistert mustere ich die komfortable Ausstattung.
»Ich überlasse Ihnen gerne den Fensterplatz«, bietet Noah mir an und das Angebot nehme ich natürlich sofort an.
»Vielen Dank.« Ich nicke begeistert und lasse mich auf dem Sitz nieder.
»Wenn Sie Fragen haben, ich kann Ihnen helfen.«
»Okay.« Staunend betätige ich die verschiedenen Funktionen des Sitzes und probiere alle Möglichkeiten aus. Auch das Entertainmentpaket kann sich sehen lassen, denn darunter sind mindestens zwei Filme, die ich immer schon mal schauen wollte.
»Sind Sie oft Businessclass geflogen?«, frage ich Noah dann, als ich alles genaustens inspiziert habe.
»Nein. Die Kosten übernimmt Jack nur, wenn es um längere Flüge geht. So großzügig ist er dann doch nicht.«
Als das Flugzeug zur Startbahn rollt, werde ich langsam nervös. Ich bin nämlich nicht so der Held, was das Fliegen betrifft, aber das werde ich mir auf gar keinen Fall anmerken lassen. Das würde nur unprofessionell wirken, und das möchte ich mir in Gegenwart von Noah nicht erlauben.
Als wir den Zwischenstopp in Frankfurt hinter uns haben, atme ich innerlich auf. Nun geht es auf direktem Weg nach Vancouver.
»Haben Sie Hunger?«, fragt Noah.
Ich brauche nicht groß zu überlegen, denn außer jeder Menge Kaffee habe ich noch nicht viel zu mir genommen. »Ja, das kann man wohl sagen.«
Wir lassen uns die Karte geben und bestellen das Frühstück. Die Auswahl ist beachtlich und ich kann meine Freude über das ganze Ambiente hier kaum verbergen. Insgeheim beobachte ich die attraktiven Stewardessen, die eifrig um uns herumhuschen.
Wie kriegen die bloß ihre Haare so perfekt frisiert? , frage ich mich neidisch, als ich die akkuraten Knoten betrachte. Ob bei ihnen auch mal eine Haarsträhne herausrutscht, wie das bei mir ständig passiert? Ich werde das im Auge behalten.
Und vielleicht hätte ich nicht so viel Kaffee trinken sollen, denn ich muss dringend auf die Toilette. Hoffentlich geht das jetzt nicht stundenlang so weiter. Als ich zurückkehre, steht bereits das Frühstück an meinem Platz.
»Das schmeckt wirklich gut.« Ich recke meinen Daumen nach oben, als ich den ersten Bissen probiert habe.
»Ja, allerdings. Das ist wirklich kein Vergleich zur Economyclass«, pflichtet er mir bei.
»Sollen wir gleich mal besprechen, wie wir beim ersten Resort vorgehen wollen?«, frage ich ihn, als wir das Frühstück beendet haben.
Er sieht mich mit einem amüsierten Ausdruck in den Augen an. »Was möchten Sie denn genau besprechen?«
»Na, wie wir uns aufteilen wollen bezüglich der Freizeitangebote. Oder ist das nicht üblich? Schließlich ist unsere Zeit knapp bemessen, und da hielt ich es für sinnvoll, eine Aufteilung zu machen.« Ich bin ein bisschen unsicher, macht er sich etwa lustig über mich?
»Unser erstes Ziel bietet diesbezüglich ja einiges. Haben Sie sich etwas ausgeguckt? Vielleicht den Spa-Bereich?«, grinst er.
»Ich habe mir gar nichts ausgeguckt, Herr Williams. Genau deswegen habe ich Sie ja jetzt angesprochen.« Wofür hält er mich eigentlich? Sehe ich so aus wie eine wellnesssüchtige Tussi?
»Schon gut«, schmunzelt er. »Sie können gerne diesen Bereich übernehmen, ich mache mir nichts draus. Und bisher hatte keine Kollegin – und natürlich auch kein Kollege – eine Abneigung dagegen, dies zu testen.«
»Ich überlasse Ihnen gerne den Vortritt«, murmele ich. Natürlich weiß ich um den riesigen Spa-Bereich des ersten Resorts, und ich würde lügen, wenn es mich nicht reizen würde. Aber aufdrängen werde ich mich deswegen bestimmt nicht.
»Auch das Ski-Angebot kann sich sehen lassen«, fährt Noah fort und bei mir schrillen sofort sämtliche Alarmglocken.
O Gott! Bloß nicht das!
»Auch da überlasse ich Ihnen gerne den Vortritt«, sage ich und hoffe, dass meine Stimme möglichst cool klingt.
»Wirklich? Okay. Zumindest bei unserer ersten Unterkunft würde ich das sogar ganz gerne testen. Das Skigebiet soll riesig sein.« Er scheint zufrieden und ich atme ein wenig durch.
»Ja, natürlich.«
»Dafür haben Sie einen Wunsch frei.«
»Na, da bleibt für mich wohl nur der Spa-Bereich übrig. So ein Pech«, seufze ich theatralisch und kann mir ein Grinsen nicht verkneifen.
»Ich weiß es sehr zu schätzen, dass Sie dieses große Opfer für die Firma bringen.« Es entgeht mir nicht, dass es dabei in seinen braunen Augen frech aufblitzt.
Noah
Meine Begleiterin sitzt schon seit einer halben Stunde an ihrem Notebook und betrachtet eingehend die Fotos des ersten Hotels, das wir ansteuern werden. Ich frage mich, ob sie alles auswendig lernen möchte, und so langsam verstehe ich, warum Jack so angetan von ihr ist. Sie scheint wirklich eifrig bei der Sache zu sein, ich bin echt mal gespannt, ob sie den gleichen Elan an den Tag legt, wenn die Probezeit vorbei ist.
Als sie die Seite mit dem Skigebiet aufruft, wird auch mein Interesse geweckt, und ich beuge mich zu ihr hinüber, um besser sehen zu können.
»Sieht auf jeden Fall fantastisch aus, oder?«, frage ich sie und nehme dabei einen zarten Duft wahr. Sie hat nicht so ein schweres Parfüm wie Nina, dieses hier riecht angenehm frisch. Es passt zu ihr.
»Ja, die Bilder sind echt toll«, pflichtet sie mir bei und startet ein Werbevideo, das spektakuläre Ski-Stunts zeigt.
»Und? Ziehen Sie immer noch das Spa vor?«, necke ich sie.
»Wie schon gesagt, ich überlasse Ihnen gerne den Vortritt.« Sie schaut mich aus diesen verdammt blauen Augen an. Wahnsinn, für den Blick bräuchte sie auf jeden Fall einen Waffenschein, und ich frage mich, wie viele Kerle sie mit einem Augenaufschlag schon zum Dahinschmelzen gebracht hat. Man kennt ja schließlich die Tricks der Ladys.
»Glück für mich. Ich hätte auch sowieso nicht mehr getauscht«, antworte ich lachend.
»So habe ich Sie auch eingeschätzt, Herr Williams.«
»Noah. Wir nennen uns alle beim Vornamen. Ist das okay für Sie?«
»Auf jeden Fall. Sehr gerne.« Sie nickt und vertieft sich wieder in die Internetseite des Hotels. »Die Hauptkritikpunkte drehen sich fast ausschließlich um die Küche«, fährt sie fort. »Alle anderen Bereiche werden von den Hotelgästen sehr gut bewertet.«
»Gut, dann hoffe ich, dass Sie einen stabilen Magen haben, denn wir werden uns durch das Buffet futtern müssen.« Prüfend schaue ich sie an, doch statt verschreckt zu sein wegen der möglichen Kalorienbomben, die auf sie lauern könnten, lacht sie fröhlich auf.
»Na, das ist nun wirklich kein Opfer für mich. Ich esse für mein Leben gern.«
»Das freut mich zu hören.« Doch so ganz glaube ich ihr nicht. Was Frauen unter »viel essen« verstehen, kann recht gegensätzlich zu meiner Definition davon sein. Zumindest ist das bei Nina so. Nach gefühlt zwei Löffeln Nudeln behauptet sie bereits, pappsatt zu sein. Und diese Dame hier sieht ebenfalls nicht so aus, als würde sie Unmengen von Futter in sich hineinstopfen, denn sie ist schlank mit recht appetitlichen Rundungen an den entscheidenden Stellen. Jedenfalls soweit ich das beurteilen kann.