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Noah

 

Draußen wird es langsam hell und das hereinfallende Tageslicht gestattet mir einen Blick auf die schlafende Frau in meinen Armen. Liv liegt ganz dicht an mich geschmiegt, ihr Gesicht hat sie an meinem Hals vergraben und ich kann ihren warmen Atem auf meiner Haut spüren. Vorsichtig löse ich mich etwas von ihr und setze mich im Bett auf. Eine Haarsträhne fällt über Livs Gesicht, behutsam schiebe ich sie weg. Plötzlich stutze ich. Sie hat ja Sommersprossen, die sind mir vorher gar nicht aufgefallen. Scheinbar versteckt sie diese sonst unter Make-up. Ich muss lächeln, denn die kleinen Pigmentflecke passen ganz ausgezeichnet zu ihr. Meine Augen wandern über ihren Körper, die Decke ist jetzt bis zu ihren Hüften hinuntergerutscht und ich kann mich gar nicht sattsehen an ihr. Liv hat wunderschöne Brüste, vor ein paar Stunden konnte ich nicht genug davon kriegen, diese zu küssen und neckend hineinzubeißen. Deutlich habe ich noch ihr lustvolles Seufzen im Ohr, als ich dies getan habe. Beim Gedanken an die letzten Stunden werde ich sofort wieder hart, niemals hätte ich erwartet, dass in der kleinen süßen Liv eine solch temperamentvolle Frau schlummert. Es war einfach perfekt mit ihr. Ich kann der Versuchung nicht widerstehen und mache mit dem Handy ein paar Fotos von ihr.

Dann angele ich nach meinen Shorts und streife sie über. Vorsichtig ziehe ich die Decke über Liv, kleide mich langsam an und entfache das Feuer im Kamin, in der Hütte ist es schon empfindlich kühl geworden.

Als ich aus dem Bad komme, schaue ich nach Liv. Immer noch scheint sie tief und fest zu schlafen. Ich lasse mich aufs Sofa plumpsen und starre an die Decke.

Okay, Noah. Was jetzt?

Ich brauche mir nichts vorzumachen, das alles hier ist eine riesengroße Scheiße. Klar, ich war ebenfalls angetrunken, zwar nicht so stark wie Liv, aber ganz nüchtern war ich nicht mehr. Es wäre bequem, alles auf den Alkohol zu schieben, doch das ist halt einfach nicht die Wahrheit.

Ich hatte die Situation jederzeit unter Kontrolle, und mir war bewusst, was ich da veranstalte, was man von Liv offenbar nicht behaupten kann. Zumindest nicht beim ersten Mal.

Ich wage gar nicht, an Nina zu denken. Das schlechte Gewissen habe ich in den letzten Stunden ganz weit in den hintersten Winkel meines Hirns gedrängt. Sie hatte recht mit ihrer Eifersucht und ihre schlimmsten Befürchtungen haben sich bewahrheitet. So einen Scheißkerl wie mich hat sie auf keinen Fall verdient. Sie nicht – und Liv auch nicht.

Genervt fahre ich mir durch die Haare. Was soll ich jetzt bloß tun? Nina die Episode hier zu beichten, das schließe ich erst mal aus. Warum schlafende Hunde wecken? Sie muss es nicht wissen, und ich hoffe, dass sie es auch niemals rausbekommt.

Und Liv?

Ich schließe die Augen, sofort sind die Bilder von ihr, wie sie sich unter mir windet, wieder da. Dann schaue ich mir die Fotos von ihr an.

Lösch sie, du Arschloch! , tobt es in mir, doch ich bringe es einfach nicht übers Herz. Wenn ich es nüchtern betrachte, so hat die Sache mit Liv keine Chance. Eine Affäre innerhalb der Firma ist kompliziert und sorgt für lästigen Klatsch. Darauf habe ich keinen Bock, und wenn ich Liv richtig verstanden habe, so ist sie davon auch nicht gerade begeistert. Ihre Reaktion hat ja Bände gesprochen. Wir werden wohl gleich mal ein klärendes Gespräch führen müssen.

 

Immer mal wieder werfe ich einen Blick auf Liv, aber diese schläft wie eine Tote. So langsam bekomme ich Hunger, deswegen gehe ich in die Küche und mache einen Kaffee. Offenbar weckt dies die Lebensgeister meiner Begleiterin, denn kurz darauf schlägt sie die Augen auf und streckt sich wohlig.

Mit einer Tasse Kaffee für sie in der Hand trete ich ans Bettende. »Guten Morgen.«

»Oh, guten Morgen.« Liv rafft hastig die Decke über ihre Brüste und sie errötet sogar ein wenig.

»Da ist nichts zu sehen, was ich nicht schon kenne«, necke ich sie. Dann setze ich mich auf die Bettkante und reiche ihr die Tasse.

Liv nickt nur, und als sie den ersten Schluck trinkt, schließt sie genüsslich die Augen. »Danke«, murmelt sie leise.

»Was macht der Kopf?«

»War schon mal besser.« Kurz sieht sie mir in die Augen, dann weicht sie meinem Blick wieder aus.

Okay, raus damit. Klär das jetzt! Sofort! Sonst machst du das alles nur noch schlimmer!

»Liv, also, vielleicht sollten wir etwas klären …«, beginne ich hastig. Verdammt, ich bin nicht in der Lage, ihr in die Augen zu schauen.

Doch dann passiert etwas, was ich so nicht erwartet hätte. Liv stellt ihre Tasse zur Seite, dann greift sie nach meiner Hand. Als sich unsere Blicke treffen, erwischt es mich kalt. Ich kann sie einfach nur anschauen und bekomme keinen Ton mehr heraus.

»Bereust du es?«, fragt sie mich geradeheraus.

»Nein«, antworte ich sofort. Und das ist die verdammte Wahrheit. Ich sollte es tun, ich sollte mich scheiße fühlen, aber da ist nicht die Spur von Reue.

Liv zieht die Beine an und legt ihren Kopf darauf ab. Dann lächelt sie mir zuckersüß zu. »Warum bist du dann schon angezogen, Noah?«

Sie greift nach dem Kragen meines Pullis und zieht mich zu sich. Und ich – der Held, Mr. Ich-klär-das-jetzt – was mache ich? Ich lasse mich nur zu gerne zurück ins Bett ziehen. Vielleicht hat das Gespräch ja auch noch etwas Zeit.

 

 

Liv

 

Ich genieße es, wie das warme Wasser der Dusche auf mich herabprasselt. Als ich mich mit dem Duschgel einschäume, spüre ich, dass ich zwischen den Beinen ein bisschen wund bin. Doch das nehme ich gerne in Kauf. Der Sex mit Noah war einfach unbeschreiblich. In dieser Form habe ich das noch nie erlebt. Meine Gewissensbisse sind verschwunden, als wir uns das zweite Mal geliebt haben. Ja, ich wollte niemals etwas mit einem Mann anfangen, der in der gleichen Firma arbeitet. Und dieser Kerl hier ist sogar mein Vorgesetzter. Aber hey, ich genieße es einfach zu sehr, mit ihm zusammen zu sein. Und ich bilde mir ein, dass es ihm genauso geht. Sein Blick, wenn er mich ansieht, geht mir durch und durch, und ich spüre ein Prickeln bis in die Haarspitzen, wenn er mich berührt. Im Moment möchte ich einfach, dass es klappen wird. Und vielleicht geht dieser Wunsch ja auch in Erfüllung.

 

Als ich zurück in den Wohnbereich gehe, sitzt Noah vor dem Fernseher.

»Oh, funktioniert er wieder?«, frage ich überrascht und stelle mich neben ihn, um auch einen Blick auf den Wetterbericht zu erhaschen. Sofort greift Noah nach meiner Hand und zieht mich auf seinen Schoß.

»Ja, scheinbar haben sie die Leitungen wieder in Gang gekriegt«, sagt er. Dann vergräbt er sein Gesicht in meinem Pulli. »Du riechst so gut. Ich kann nicht genug davon kriegen.«

»Bist du süchtig nach dem Geruch von Waschpulver?« Lachend wuschele ich durch seine Haare und ernte einen empörten Blick.

»Ich glaube eher, ich bin süchtig nach dir, Liv.« Er sagt dies mit so einem Ernst, dass ich eine Gänsehaut bekomme.

»Klingt gut.«

Wir schauen uns lang in die Augen, dann hauche ich einen Kuss auf seine Lippen. »Hast du Hunger?«

»Und wie.« Verlegen grinst er mich an. »Aber ich hatte gehofft, dass du mir hilfst beim Frühstückmachen.«

»Ich kann es sogar alleine zubereiten. Solange ich den Abwasch nicht machen muss …«

Noah stöhnt laut auf, dann schmeißt er mich aufs Sofa und legt sich mit seinem ganzen Gewicht auf mich. »Ich hatte gehofft, dass meine unglaublichen Verführungskünste mich zukünftig von dieser Sklavenarbeit verschonen würden.«

Ich pruste laut los. »Super, dass du nicht eingebildet bist oder so was in der Art.«

Noah grinst breit und beißt mir dann in die Unterlippe. »Möchtest du etwa was anderes behaupten?«

Bevor ich antworten kann, klopft es laut und wir schrecken beide zusammen.

 

Noah steht auf und reicht mir seine Hand, um mich hochzuziehen. Er lässt sie auch nicht los, als wir die Tür öffnen.

Susan steht davor und klopft sich laut schimpfend den Schnee von ihrer Jacke.

»Guten Morgen. Ich wollte nur fragen, ob Sie etwas brauchen?«, erkundigt sie sich.

»Kommen Sie doch herein. Wir haben noch Kaffee«, bitte ich sie.

»Nein, nein. Ich hatte schon zwei Tassen, mehr gestattet mir mein Arzt nicht.« Dann öffnet sie eine große Tasche, die um ihre Schulter hängt, und reicht mir einen Teller, der mit Alufolie abgedeckt ist. »Ich habe Apfelkuchen gebacken. Was soll man auch sonst machen bei dem Wetter?«

»Oh, toll. Vielen Dank.« Ich schnuppere an dem Teller, es riecht fantastisch.

»Wissen Sie schon etwas darüber, wie es auf den Straßen aussieht?«, fragt Noah sie.

Susan nickt. »Laut Wetterbericht sollte das Schlimmste heute Abend vorbei sein. Dann werden zuerst die Hauptstraßen freigeräumt werden. Wenn alles gut geht, können Sie morgen Nachmittag aufbrechen.«

»Danke, Susan. Das sind gute Nachrichten. Auch wenn es uns hier sehr gut gefällt. Nicht wahr, Liv?« Noah sieht mich mit einem spitzbübischen Lächeln an.

»Ja. Die Hütte ist toll.« Natürlich werde ich rot, wie ärgerlich. Wahrscheinlich sieht Susan mir an der Nasenspitze an, was letzte Nacht passiert ist.

»Ja, das höre ich oft von Paaren.« Susan zwinkert mir zu, dann verabschiedet sie sich wieder.

Sie denkt, wir wären ein Paar. Kurz war ich versucht, dies richtigzustellen. Aber dann fand ich den Gedanken ganz nett. Und Noah hat auch nichts gesagt. Also lassen wir es doch einfach dabei. Zumindest für Susan.