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Liv

 

Dieser Tag, der für mich so furchtbar begonnen hat, scheint dann doch noch ein gutes Ende zu nehmen. Nach einem tollen Abendessen gehen wir in die Hotelbar. Dort spielt eine kleine Band und einige Paare tanzen.

»Na, wie wär’s?«, fragt Noah.

»Als wir das letzte Mal getanzt haben, sind wir danach im Bett gelandet. Meinst du, du kannst das Risiko eingehen, dass es wieder passiert? Immerhin hast du einen anstrengenden Skitag hinter dir«, necke ich ihn.

»Wer hier den wirklich anstrengenden Skitag hinter sich hat, wäre wohl noch zu klären.« Dann drückt er mir einen festen Kuss auf die Lippen. »Aber du hast recht, vielleicht sollten wir das Tanzen einfach überspringen und direkt nach oben gehen«, murmelt er an meinem Mund. Wie er es anzustellen vermag, weiß ich nicht, aber ich bekomme eine Gänsehaut. Ich sehe in seine Augen, kann meinen Blick wie immer kaum von ihm lösen.

»Hört sich gut an«, höre ich mich antworten.

 

Ich könnte schnurren wie eine Katze, als ich später mit ihm im Bett liege. Noah streichelt mir über den nackten Rücken, ich schließe die Augen und genieße einfach den Augenblick.

Was habe ich doch für ein Glück! , schießt es mir durch den Kopf.  Es ist so perfekt mit Noah.

»Hey, schläfst du schon?« Seine Hand wandert meine Wirbelsäule hinab und bleibt dann auf meiner Pobacke liegen. »Ich dachte, ich könnte dich vielleicht zu einer zweiten Runde überreden«, raunt er mir zu und haucht zarte Küsse auf meine Haut. Prompt läuft ein Schauer einmal quer über meinen Körper, doch als ich mich gerade zu ihm herumdrehen will, hält er plötzlich meine Hüfte fest.

»Das habe ich ja noch nie gesehen!« Noah lacht auf und schlägt mir mit der flachen Hand auf den Po. »Du bekommst blaue Flecken, mein süßer Skihase!«

»Schön, dass ich dich damit belustigen kann«, maule ich und drehe mich schnell auf den Rücken, um meine Schmach vor ihm zu verbergen.

»Tut es sehr weh?«, fragt er mich, aber ich kann sehen, dass er nicht wirklich besorgt ist. Dafür klingt er viel zu vergnügt.

»Nein, es tut gar nicht weh«, lüge ich. Was ist das auch für eine dämliche Frage. Natürlich spüre ich die Stellen, die mit der Skipiste Bekanntschaft gemacht haben, nur allzu deutlich.

»Lügnerin.« Noah beugt sich zu mir herunter, dann haucht er federleichte Küsse auf mein Gesicht, langsam gleitet er meinen Hals hinab bis zu den Brüsten. »Ich will dich, Liv.« Ich zucke zusammen, als er dabei in eine Brustwarze beißt.

Wieder schafft er es, dass ich nur noch uns beide wahrnehmen kann. Alles andere ist ausgeblendet.

»Komm«, flüstere ich und öffne mich für ihn.

Wir beide stöhnen auf, als er in mich gleitet und mich völlig ausfüllt.

»Ich bin verrückt nach dir«, seufzt er. Er sieht mir dabei direkt in die Augen. Der Ausdruck darin verursacht ein warmes Gefühl in meinem Bauch.

Ich liebe dich, Noah.  Aber das wage ich noch nicht auszusprechen. Dann lasse ich mich treiben und genieße das Gefühl, von ihm völlig in Besitz genommen zu werden.

 

***

 

Ich kann es kaum glauben – wo ist die Zeit geblieben? Die zwei Wochen sind fast rum, nur noch ein Hotel steht auf unserer Liste. Übermorgen geht es dann wieder zurück nach München. Ich weiß nicht, was in Noahs Kopf vor sich geht, während der ganzen Fahrt zu unserem letzten Ziel ist er sehr nachdenklich und ruhig. Ob er sich auch darüber Gedanken macht, wie es mit uns weitergehen wird? Dieses Thema haben wir in der letzten Zeit immer ausgespart. Eigentlich wollte ich das schon längst angesprochen haben, aber irgendwie hat mir dann im entscheidenden Moment der Mut gefehlt. Dabei war alles andere perfekt. Wir haben tolle Hotels besucht, die wir gerne ins Programm aufnehmen möchten. Die Berichte dazu sind auch schon geschrieben und die freie Zeit – nun ja, die haben wir fast ausschließlich im Bett verbracht.

»Und? Schon Pläne, was du dir im letzten Hotel vornehmen möchtest?«, unterbricht er meine Gedanken.

»Ja, allerdings. Ich würde gerne eine Hundeschlittentour ausprobieren«, sage ich sofort.

»Das ist eine gute Idee.« Noah greift nach meiner Hand und haucht mir einen Kuss auf den Handrücken. »Aber ich habe noch etwas für uns geplant.«

»Ja? Was denn?« Meine Neugier ist natürlich sofort geweckt.

»Lass dich überraschen, meine Pistenkönigin.« Er sieht mich kurz an und grinst übers ganze Gesicht. »Ich denke, das wäre der perfekte Abschluss für unsere Reise.«

 

 

Noah

 

Zuerst fand ich die Idee blöd, aber jetzt muss ich zugeben, dass es einen Heidenspaß macht, mit den Hunden unterwegs zu sein. Nach einer ausführlichen Anweisung wurden die Schlitten zugeteilt, und ich genieße die atemberaubende Landschaft, die an uns vorbeifliegt. Nach dem Schneesturm haben wir nur noch Glück mit dem Wetter gehabt, auch heute ist ein perfekter Wintertag. Der Himmel über uns ist stahlblau, die Äste der Bäume biegen sich nach unten von der Schneelast und alles glitzert um uns herum. Es ist fast schon kitschig schön. Ich schaue mich kurz um, hinter mir ist Liv. Sie trägt wieder diese bekloppte Mütze und strahlt übers ganze Gesicht. Es ist zu schade, dass ich gerade keine Hand frei habe um ein Foto machen zu können, denn ich würde diesen Moment gerne festhalten. Wie so viele andere Augenblicke während dieser Reise, wie ich mir immer wieder eingestehen muss.

Für heute Abend habe ich ein romantisches Dinner geplant, nur für uns beide. Es soll der krönende Abschluss dieser Reise werden, morgen geht es zurück – und daran möchte ich gar nicht denken. Ich werde Liv sagen müssen, dass es nicht mehr weitergehen darf. Die ganze Zeit über habe ich mich davor gedrückt, wie ein elender Feigling. Doch noch ist es nicht so weit. Ein paar Stunden bleiben uns, bevor der tiefe Fall kommen wird.

 

Nach der Tour kugelt sich Liv vergnügt mit den Hunden im Schnee herum. Es ist richtig schwer, sie von den Tieren wegzukriegen.

»Also wenn du lieber auf meine Überraschung verzichten möchtest, komme ich morgen wieder und hole dich hier ab. Kannst ja bei deinen neuen Freunden übernachten«, rufe ich ihr zu.

Glucksend klopft sie sich den Schnee ab, dann kommt sie zu mir und legt die Arme um meinen Hals. »Du wirst ja wohl nicht eifersüchtig sein, oder?«

Ich gebe ihr einen langen Kuss. »Doch, das bin ich. Unbedingt«, raune ich ihr zu.

 

Ein paar Stunden später steht sie hibbelig neben mir vor dem Hotel. »So und jetzt? Wo ist die Überraschung?«, fragt sie aufgeregt.

»Müsste jeden Moment da sein.« Ich schaue mich suchend um, dann kommt ein großer Wagen vorgefahren und hält vor uns an. Der Fahrer springt heraus und begrüßt uns freundlich.

»Sind Sie Mr. Williams?«

»Ja, genau.«

»Bitte steigen Sie ein, es geht sofort los.«

 

Während der Fahrt versucht Liv die ganze Zeit aus mir herauszubekommen, wo es hingeht, doch ich schweige natürlich und genieße es, wie sie immer aufgeregter wird.

Als wir am Ziel ankommen, schaut sie mich mit großen Augen an. »Pferdeschlitten? Wir fahren mit einem Pferdeschlitten?«

»Kann schon sein.« Ich kann mir das Grinsen nicht mehr verkneifen. »Es sei denn, du hast keine Lust.«

Statt einer Antwort springt sie aus dem Auto und läuft bereits auf das Gespann zu.

 

Als wir später in dicke Decken gehüllt und mit einem Punsch in der Hand losfahren, schmiegt sie sich dicht an mich heran. »Danke, Noah. Es ist wundervoll.«

»Ich möchte, dass du diesen Abend niemals vergisst, Liv.« Und das meine ich ernst. Sie soll den schönsten Abschluss bekommen, den ich ihr bieten kann. Alles soll perfekt sein.

»Es ist wie im Märchen«, sagt sie leise. Und ich kann ihr nur beipflichten. Der Weg durch den verschneiten Wald ist mit Fackeln erleuchtet, es ist fast schon unwirklich schön.

Viel zu schnell ist die Fahrt vorbei, doch noch ist der Abend nicht vorbei. Innerlich bete ich, dass alles weiter so reibungslos verlaufen wird.

 

Zurück im Hotel erwartet uns bereits ein Mitarbeiter und führt uns in den Spa-Bereich. Ich kann die Fragezeichen in Livs Augen förmlich sehen, doch ich nehme nur ihre Hand und setze ein Pokerface auf. 

Im Poolbereich ist ein Tisch aufgebaut und überall sind Kerzen aufgestellt. Ich rücke ihr den Stuhl zurecht, dann proste ich ihr mit Champagner zu.

Den ganzen Tag hat sie ununterbrochen geplappert, jetzt ist sie plötzlich ganz still. »Ist alles klar? Gefällt es dir nicht?« Ich muss zugeben, dass mich ihre Reaktion ein wenig verunsichert.

»Danke, Noah«, sagt sie dann mit brüchiger Stimme. »Danke für den schönen Tag. Das … das hat noch niemand für mich gemacht.«

Schnell greife ich nach ihrer Hand. »Hey, Maus. Nichts zu danken. Ich wollte uns einen schönen letzten Tag hier bereiten.«

»Das … das ist dir gelungen.« Sie schaut mich aus diesen faszinierenden Augen an, und ich sehe, dass es darin verdächtig glitzert.

»Nicht weinen, Liv«, bitte ich sie eindringlich.

Zum Glück fängt sie sich wieder, eine weinende Liv könnte ich jetzt nicht ertragen. 

Das Essen wird serviert, im Hintergrund läuft leise Musik. Plötzlich grinst sie mich frech an. »Ist dies hier das Romantikpaket, das wir testen, oder hast du dir das alleine ausgedacht?«

»Also bitte, jetzt verletzt du aber meinen Stolz. Ob du es glaubst oder nicht: Ich habe das hier arrangieren lassen. Die Mitarbeiter des Hotels sind sehr hilfsbereit, was solche Spezialwünsche angeht. Natürlich steht es dir frei, darüber eine Bewertung zu schreiben.«

»Vielleicht mache ich das ja sogar.« Sie prostet mir vergnügt zu. »Tanzt du mit mir?«

Langsam wiegen wir uns zur Musik. Wie bei unserem ersten Tanz schmiegt sie ihre Stirn an meinen Hals. Im Hintergrund läuft »At last« von Etta James, und ich versuche, mir den Augenblick fest einzuprägen sowie die vielen anderen Momente mit Liv.

 

Sie ist aufgekratzt, als wir am nächsten Morgen beim Frühstück zusammensitzen. Ich habe es aufs Zimmer kommen lassen, weil ich noch so viel Zeit mit ihr allein verbringen möchte wie möglich.

»Ich habe in zwei Wochen Geburtstag«, sagt sie plötzlich und schaut mir direkt in die Augen. »Und ich habe vor, ein paar Freunde einzuladen. Also nichts Besonderes, nur eine kleine Feier in Barrys Bar , das ist eine Billardkneipe. Ich würde mich freuen, wenn du kommen könntest.« Dann sieht sie mich gespannt an, und mir wird schlagartig klar, dass jetzt der Moment gekommen ist, den ich so gefürchtet habe.

Ich widerstehe dem Impuls, nach ihrer Hand zu greifen.

»Nein, Liv. Ich werde nicht kommen.« Ich wage es nicht, ihr in die Augen zu sehen.

»Ja, okay. War nur eine Idee. Verständlich, du kennst ja auch keinen meiner Freunde und vielleicht würdest du dich auch unwohl …«

»Ich bin vergeben. Seit … seit einem halben Jahr habe ich eine feste Beziehung. Das ist der Grund.« Ich atme tief durch, jetzt ist es also raus. Dann schaue ich ihr in die Augen, zunächst scheint es so, als ob sie mich nicht verstanden hätte, aber mit jedem weiteren Augenblick sickert die Wahrheit zu ihr durch. Es ist grausam, dabei zusehen zu müssen, wie sie das alles begreift.

»Verstehe.« Sie schluckt heftig und sieht dann verbissen auf den Teller vor sich. »Dann … dann war das alles hier eine … eine kleine Abwechslung für dich? Ein netter Fick für zwischendurch?«

»Ich habe es nicht darauf angelegt, falls du das meinst. Mich hat es ebenso überrascht wie dich.«

Liv nickt, dann steht sie auf und tritt ans Fenster. Sie schaut nur hinaus und sagt kein Wort mehr.

 

Ich gehe zu ihr und bleibe hinter ihr stehen. Wie gerne würde ich sie jetzt in die Arme nehmen und sie küssen, aber es ist vorbei. Auch ich muss mir das immer wieder in den Kopf hämmern.

»Sag doch was«, bitte ich sie. »Liv … ich … Es tut mir so leid.«

Ruckartig dreht sie sich zu mir herum. »Ich soll was sagen? Okay!« Der Ausdruck in ihren Augen geht mir durch und durch. »Du bist das Allerletzte, Noah! Wie kann man nur so ein widerwärtiges Arschloch sein!«

 

Dann schubst sie mich weg und geht hastig zu ihrem Gepäck. Wie versteinert sehe ich ihr dabei zu, wie sie sich die Jacke überzieht und schließlich mit ihren Koffern das Zimmer verlässt.

Das war’s also.  Ich hoffe, du bist stolz auf dich, Noah.