Prokrastination ist ein theoretisches Konstrukt, das zum Zweck der Theoriebildung und empirischen Erforschung auf geeignete Art und Weise operationalisiert und gemessen werden muss. Dabei wirken sich Unterschiede in der Begriffsbildung und den zugrunde liegenden, teilweise laien- oder alltagspsychologischen Erklärungsansätzen auf die Operationalisierung und die Wahl der verwendeten Forschungsinstrumente aus. Dieser Aspekt wird noch einmal ausführlicher unter Kapitel 6 (Theoretische Ansätze zur Erklärung des Aufschiebeverhaltens) dargelegt.
Wie bei vielen psychologischen Konstrukten besteht auch bei Prokrastination eine oft genutzte Möglichkeit der Messung darin, Personen zu befragen. Zu diesem Zweck sind inzwischen eine Reihe von Fragebögen konstruiert worden, in denen Personen ihre Neigung zum Aufschieben einschätzen. Studien zeigen, dass eine wichtige Ursache für divergierende Ergebnisse darin liegen kann, mit welcher Methode Prokrastination erfasst wird: ob als Selbstbericht oder als beobachtbares Verhalten (vgl. Steel, Brothen & Wambach, 2001, p. 101).
Prokrastination kann auch experimentell untersucht werden, indem ein bestimmtes Verhalten der Probanden als Aufschiebeverhalten definiert wird. So wird beispielsweise im Experiment von Sigall, Kruglanki und Fyock (2000) die Zeitverzögerung der Probanden, bevor sie mit einer Aufgabe beginnen, als Aufschiebeverhalten festgelegt.
Da sich die Wahl des methodischen Zugangs auf die Ergebnisse auswirken kann, ist es für die theoretische Analyse wichtig, die Erfassungsmethode zu berücksichtigen und methodisch vergleichbare Studien in statistische Analysen einzubeziehen. Besonders Metaanalysen (u.a. van Eerde [2003a] und Steel [2007, 2010]), die eine Vielzahl von Einzelstudien und unterschiedliche methodische Zugänge berücksichtigen, sind unter dem Aspekt der Prüfung bestimmter inhaltlicher Fragestellungen sinnvoll und aussagekräftig. Metaanalysen verwenden zur Strukturierung und Interpretation der Daten einen bestimmten methodisch-theoretischen Zugang, der bei den Autoren unterschiedlich sein kann (vgl. etwa Steel, 2007, der das Modell der Nützlichkeitserwägung konzipiert). Die Entscheidung eines Autors darüber, ob neben quantitativen auch qualitative Studien einbezogen werden, kann sich signifikant auf die Ergebnisse auswirken.
Bedeutung von Metaanalysen
Metaanalysen stellen – neben den früher gebräuchlichen längeren systematischen Übersichtsartikeln – ein statistisch-methodisches Verfahren dar, um die Ergebnisse vieler Einzelstudien zusammenzufassen. Nachteile von Übersichtsartikeln sollen mit Metaanalysen verringert werden: die teilweise subjektive Auswahl und methodische Bewertung der Studien, die überwiegend rein qualitative Integration der Arbeiten und die subjektiven, oftmals nur schwer kritisierbaren, allgemeinen Schlussfolgerungen. In der Metaanalyse können sowohl qualitative als auch quantitative Verfahren genutzt werden, und es wird versucht, einen integrativen Überblick über ein bestimmtes Gebiet bzw. eine bestimmte Fragestellung zu liefern und zugleich die Aussagekraft der Ergebnisse in einem Gebiet zu erhöhen. Während zunächst überwiegend die Vorteile von Metaanalysen hervorgehoben wurden, wurden später auch eine Reihe von Nachteilen dieses statischen Verfahrens bekannt, die heute in der Fachliteratur diskutiert werden. Ein zentraler Kritikpunkt ist die Nichtbeachtung der methodischen Qualität der in die Metaanalyse eingehenden Untersuchungen, was dazu führt, dass „Äpfel und Birnen miteinander verglichen werden“. Das sogenannte „Äpfel-und-Birnen-Argument“ bezieht sich darauf, dass häufig die Homogenität der Untersuchungen „in bezug auf die unabhängige und in bezug auf die abhängige Variable“ nicht genügend berücksichtigt wird (Bortz & Döring, 1995, S. 591).
Der weitaus größte Teil der Prokrastinationsforschung richtet sich auf den akademischen Bereich. Messinstrumente zum akademischen Aufschiebeverhalten sind fast ausschließlich für Studierende und für studentische Stichproben entwickelt worden (vgl. Ferrari et al., 1995, p. 56). Hierbei handelt es sich in der Regel um Fragebögen, in denen die Prokrastinationseinschätzung von den betroffenen Personen in Form einer Selbstbeurteilung vorgenommen wird.
Die sogenannte Alltagsprokrastination richtet sich (wie oben ausgeführt) auf das Aufschieben und Zögern bei alltäglichen Aufgaben und Entscheidungen. Da bei akademischer Prokrastination anderes Verhalten angesprochen wird als bei alltäglicher Prokrastination, wurden laut Ferrari et al. (1995, p. 36) entsprechende Messinstrumente zur Erfassung alltäglicher Prokrastination konzipiert, damit eine klare Abgrenzung zur akademischen Prokrastination hergestellt werden konnte.
Zurzeit sind vier bzw. fünf Fragebögen gebräuchlich, mit denen alltägliche Prokrastination erfasst wird (s. Übersicht der Messinstrumente). Einen Überblick und Vergleich der statistischen Kennwerte zur Reliabilität und Validität geben Ferrari et al. (1995) in ihrem Buch. Nach ihrer Einschätzung lässt sich hinsichtlich der Häufigkeit ihrer Verwendung folgende Rangreihe der Fragebögen aufstellen: GP bzw. GPS, AIP, DP und am wenigsten gebräuchlich ist der TAP (Ferrari et al., 1995, p. 69).
– General Procrastination Scale (GP oder GPS) von Lay (1986). Der Fragebogen erfasst mit 20 Items konkrete Verhaltensweisen bei verschiedenen alltäglichen Aufgaben und Überzeugungen zu alltäglichen Situationen (z.B.: „A letter may sit for days after I write it before I mail it.“), (vgl. Ferrari et al., 1995, p. 57). Eine deutschsprachige Kurzskala (student version: somit auch geeignet zur Erfassung akademischer Prokrastination) wurde von Klingsieck & Fries (2012) vorgelegt. Anhang A 01 und A 02
– Adult Inventory of Procrastination (AIP) von McCown und Johnson (1989, zitiert nach Ferrari et al., 1995, p. 64). Anhand von 15 Items werden konkrete Verhaltensweisen, aber auch Meinungen und Überzeugungen zu alltäglichen Situationen erfragt (z.B.: „My friends and family think I wait until last minute“). Díaz-Morales, Ferrari, Díaz & Argumendo (2006) führten eine Faktorenanalyse durch und konnten zwei Faktoren nachweisen: fehlende Pünktlichkeit und fehlende Planung. Anhang A 03
– Decisional Procrastination Scale (DP) von Mann (1982; zitiert nach Ferrari et al., 1995, p. 62), siehe Fragebogen leicht geändert in Mann, Burnett, Radford & Ford (1997, p. 12). Der Fragebogen erfasst mit fünf Items Verhaltensweisen in wichtigen Entscheidungssituationen (z.B.: „I delay making decisions until it is too late“). Anhang A 04 und A 05
– Tel-Aviv Procrastination Inventory (TAP) von Sroloff (1983; zitiert nach Ferrari et al., 1995, p. 66ff.) enthält 54 Items, die sich auf die Einhaltung des Zeitrahmens und die einfache Planung und Terminierung bei bestimmten Aufgaben konzentrieren. 38 Items erfassen Prokrastination im Alltag (Rechnungen bezahlen, Zahnarztbesuch, Besuch im Krankenhaus etc.). 16 der 38 Items richten sich auf Arbeitssituationen und Aufgaben im akademischen Bereich (vgl. Milgram et al., 1988, p. 202). Die Autoren verweisen jedoch darauf, dass diese Items nicht konzipiert wurden, um damit akademische Prokrastination zu messen. Da der Originalfragebogen (Sroloff, 1983) nicht zugänglich ist, orientiert sich die taxonomische Zuordnung des Fragebogens in diesem Buch (s. Tabelle 2) an den Angaben in der Literatur (Milgram et al., 1988; Ferrari et al., 1995).
– Active procrastination von Chu und Choi (2005). Die Autoren unterscheiden zwischen einer positiven Prokrastinationsform (active procrastinators) und einer negativen (passive procrastinators). Zur Messung der aktiven Prokrastination konzipieren Chu und Choi (2005, p. 252) eine Skala, die explizit das positive Umgehen mit Zeitdruck erfasst (z.B.: „I tend to work better under pressure“ oder „I feel that putting work off until the last minute does not do me any good“ [reverse coded]). Diese Skala kann auch der akademischen Prokrastination zugeordnet werden (s. Tab. 2).
Die im Ferrari-Modell (vgl. Steel, 2010) erstmals vorgenommene Dreiteilung in Erregungs-, Vermeidungs- und Entscheidungsprokrastination wurde mit dem Fragebogen von Lay (1986; GP oder GPS, General Procrastination Scale) und dem AIP (Adult Inventory of Procrastination) von McCown und Johnson (1989) untersucht. Ferrari kam aufgrund der extrem niedrigen Korrelationen zwischen beiden Fragebögen zu dem Schluss, dass damit unterschiedliche Formen des Aufschiebens gemessen werden (Ferrari, 1992, p. 102). Ferrari vermutete, dass mit dem GP vor allem Erregungsprokrastination erfasst wird, während der AIP Vermeidungsprokrastination misst, da hier das Aufschieben vor allem dazu dient, das Selbstwertgefühl zu schützen, oder aus Angst vor Misserfolg stattfindet. Zu dieser Schlussfolgerung kommt Ferrari (1992) aufgrund der Ergebnisse der durchgeführten Faktorenanalysen. Die Skalen zum Selbstwertgefühl und zur Vermeidung von Informationen eigener Fähigkeiten luden auf demselben Faktor wie der AIP. Die später von Ferrari und Mitarbeitern einbezogene dritte Prokrastinationsart, die Entscheidungsprokrastination, wurde mit dem DP (Decisional Procrastination Questionnaire) von Mann (1982) gemessen. Während sich die beiden Fragebögen GP und AIP laut Steel (2010, p. 4) auf das Verhalten richten, erfasst der DP das Aufschieben von Entscheidungen.
Steel (2010) versuchte, anhand einer Stichprobe von ca. 4000 Personen, die an verschiedenen Studien teilgenommen hatten, die Differenzierung in drei Formen Erregungs- (arousal), Vermeidungs- (avoidant) und Entscheidungsprokrastination (decisional) zu belegen. Er überprüfte die Hypothese, indem er zunächst eine Metaanalyse und anschließend eine Faktorenanalyse durchführte. Die Metaanalyse umfasste 156 Studien, in denen folgende Prokrastinationsfragebögen verwendet worden waren (siehe Steel, 2010): AIP (mit 15 Items; vgl. McCown & Johnson, 1989), GP (20 Items; vgl. Lay, 1986), DP (5 Items; vgl. Mann, 1982), PASS (12 Items; vgl. Solomon & Rothblum, 1984) und TPS (16 Items; vgl. Tuckman, 1991). Die Fragebögen erfassen sowohl akademische als auch alltägliche Prokrastination und Entscheidungsprokrastination. Die Interkorrelationen der fünf Fragebögen sind unterschiedlich hoch, wie schon in früheren Studien für einige Fragebögen (z.B. Ferrari, 1992) nachgewiesen werden konnte. Auch Steel (2010) geht davon aus, dass die geringen Korrelationen der beiden Skalen AIP (Adult Inventory of Procrastination) und GP (General Procrastination Scale) die Schlussfolgerung nahelegen, dass beide Skalen unterschiedliche Formen der Prokrastination messen. Während der AIP eher die Vermeidungsprokrastination erfasst, indem Furcht vor Misserfolg thematisiert wird, richtet sich der GP eher auf den Wunsch nach Erregung. Für die dritte Art der Prokrastination, die mit dem DP erfasst wird und bei der die (fehlende) Entscheidungsfähigkeit der Person im Vordergrund steht, zweifeln bestimmte Autoren an, ob es sich bei diesem dem Fragebogen zugrunde liegenden Konstrukt tatsächlich um Prokrastination handelt oder ob die Verzögerung von Entscheidungen eher dem Selbstwertschutz der Person dient (vgl. Anderson, 2003).
Die Ergebnisse zeigen laut Steel (2010), dass noch am ehesten die Unterscheidung zwischen Vermeidungs- und Erregungsprokrastination nachweisbar, jedoch die Differenzierung in drei Prokrastinationsarten nicht haltbar sei. Aber auch die Unterteilung in eine negative (avoidant) und positive (arousal) Prokrastination ist nach Steel (2010) letztendlich fraglich, da es sich beim Aufschiebeverhalten um eine irrationale Verzögerung handelt.
In seinen jüngsten Publikationen vertritt Steel (2011) mit Verweis auf neurobiologische und evolutionsbiologische Forschungen sogar die These, dass Prokrastination im Erbgut des Menschen angelegt sei:
„Die wahren Ursachen des Aufschiebens sind zum Teil genetischer Natur und in unserem Gehirn angelegt, weshalb das Phänomen in sämtlichen Kulturen und Epochen bekannt war. Doch auch die Umwelt spielt eine Rolle: Sie ist zwar nicht dafür verantwortlich, dass wir aufschieben, sehr wohl aber dafür, wie gern und wie häufig.“ (Steel, 2011, S. 12)
Konsequenterweise schlägt der Autor deshalb eine neu konzipierte Einheitsskala vor, die sich aus faktorenanalytisch überprüften Items der einzelnen Skalen zusammensetzt. Die angeführten empirischen Studien liefern jedoch nur einen indirekten Beleg für die These von Steel. Die Ausführungen des Autors zeigen aber auch, dass eine völlig andere Sichtweise des Phänomens „Prokrastination“ als die bislang vertretene denkbar und möglich ist.
Da akademische Prokrastination rein quantitativ intensiver erforscht worden ist als alltägliche Prokrastination, existieren eine Reihe von Messinstrumenten. Die nachfolgend aufgeführten sechs Fragebögen sind recht gebräuchlich, wobei die meisten Skalen Prokrastination als überdauerndes Persönlichkeitsmerkmal (trait) erfassen. Der APSI von Schouwenburg (1995) erfasst explizit Prokrastination (state), indem schon in der Fragebogeninstruktion der Zeitraum, für den die Items zu beantworten sind, „auf die letzte Woche“ begrenzt wird. Einige Messinstrumente nehmen keine explizite Differenzierung vor.
– Aitken Procrastination Inventory (API) von Aitken (1982, zit. nach Ferrari et al., 1995; dt. Fassung Helmke & Schrader, 2000, s.a. Rustemeyer & Rausch, 2007). 19 Items erfassen Prokrastination (trait) als Persönlichkeitsmerkmal. Erfasst wird die allgemeine Tendenz einer Person, in typischer Art und Weise auf unterschiedliche Situationen im akademischen Kontext zu reagieren. Anhang A 06
– Procrastination Scale (TPS) von Tuckman (1991); deutsche Fassung Stöber (1995). Mit 16 Items wird akademische Prokrastination (trait) im Sinne einer Gewohnheit erfasst. Anhang A 07 und A 08
– Study Problems Questionnaire (SPQ) von Hermans (1977; zitiert nach Schouwenburg, 1995, p. 89). Der Fragebogen erfasst mit 20 Items motivationsbezogene Studienprobleme (procrastination trait). Anhang A 09
– Academic Procrastination State Inventory (APSI) von Schouwenburg (1995), deutsche Übersetzung nach Helmke & Schrader (2000). Der Fragebogen enthält 23 Items, mit denen Prokrastination (state) als situationsspezifisches Merkmal erfasst wird. Anhang A 10
– Procrastination Checklist Study Tasks (PCS) (vgl. Schouwenburg, 1995, p. 86). Der Fragebogen erfasst die Intentions-Verhaltens-Diskrepanz bezogen auf drei Bereiche (Vorbereitung auf das Semester/Studienjahr, Beteiligung an Seminaren und Prüfungsvorbereitung). Nach Schouwenburg (1995, p. 90, Tab. 4.7) liegt hier (zumindest für zwei Bereiche) Trait-Prokrastination vor. Anhang A 11
– Procrastination Assessment Scale – Students (PASS) von Solomon und Rothblum (1984). Der Fragebogen erfasst akademische Prokrastination hinsichtlich kognitiver und verhaltensmäßiger Komponenten (vgl. Ferrari et al., 1995, p. 48).
Zur Messung von Aufschiebeverhalten als habituellem Persönlichkeitsmerkmal (trait) wird häufig das Aitken Procrastination Inventory (API) von Aitken (1982, zit. nach Ferrari et al., 1995, p. 53) verwendet. Der Fragebogen thematisiert Verhaltensgewohnheiten in unterschiedlichen Lern- und Leistungssituationen. Ergebnisse von Faktorenanalysen (vgl. Helmke & Schrader, 2000; Rustemeyer & Rausch, 2007; Rustemeyer & Schirner, 2009; Patzelt, 2004) ergeben entweder drei oder zwei Faktoren, die bezeichnet werden können als:
1. „typische Prokrastinationsmerkmale“ bzw. Prokrastination im engeren Sinne (hinauszögern von Tätigkeiten, leicht ablenken lassen, Schwierigkeiten, den Lernprozess überhaupt zu beginnen),
2. „mangelnde Vorausplanung“ (Zeitreserve einplanen, Sachen bereitlegen, Bücher rechtzeitig zur Bibliothek zurückbringen),
3. Unpünktlichkeit als Resultat übermäßigen Aufschiebens.
Der Fragebogen von Tuckman (1991) thematisiert allgemeine Prokrastination (trait). Dem TPS-D liegt eine eindimensionale Faktorenstruktur zugrunde (Ferrari et al., 1995; Stöber, 1998; Tuckman, 1991). Ob es sich um einen Fragebogen zur Messung akademischer oder allgemeiner Prokrastination handelt, wird unterschiedlich gesehen. Während Ferrari et al. (1995, p. 54) den Fragebogen der akademischen Prokrastination zuordnen, argumentiert Grunschel (2007, S. 117f.) für die Zuordnung zur allgemeinen Prokrastination: „Im APSI ist der Verhaltensaufschub in den akademischen Kontext eingebettet, im Fragebogen TPS-D geht es um das Aufschieben im Allgemeinen.“
Der Study Problems Questionnaire (SPQ) von Hermans (1977; zit. nach Schouwenburg, 1995, p. 89) erfasst mit 20 Items ebenfalls habituelle Prokrastination. Die Faktorenanalyse ergab drei Faktoren:
1. „geringe Arbeitsdisziplin“,
2. „Angst vor Misserfolg“,
3. „Studieninteresse“.
Schouwenburg (1995, p. 87) weist darauf hin, dass die Ergebnisse zu den Faktoren des APSI sehr ähnlich sind. Der Fragebogen erfasst jedoch State-Prokrastination, während der SPQ Trait-Prokrastination misst. Die Ähnlichkeit zeigt sich auch in den hohen Korrelationen der Teilskalen der beiden Fragebögen. In einer Faktorenanalyse, die Schouwenburg (1995, p. 89f.) mit drei Fragebögen (PCS, SPQ und APSI) durchführte, ergab sich eine Vier-Faktoren-Lösung. Der erste Faktor entspricht aus der Big-Five-Perspektive dem Persönlichkeitsmerkmal „Conscientiousness“ (Gewissenhaftigkeit) und der zweite Faktor dem Merkmal „Neuroticism“ (Neurotizismus).
Das Academic Procrastination State Inventory (APSI) von Schouwenburg (1995) erfasst mit 23 Items akademische Prokrastination (state). Es wird erfragt, wie häufig konkrete Verhaltensweisen, Gedanken und Gefühle als Folge von Defiziten in der Handlungsplanung und -steuerung innerhalb eines kurzen Zeitraums von etwa einer Woche aufgetreten sind. Die Faktorenanalyse, die Schouwenburg (1995) durchgeführt hat, ergab drei Faktoren:
1. „Prokrastination im engeren Sinne“,
2. „Furcht vor Misserfolg“,
3. „Motivationsmangel“.
Helmke und Schrader (2000) sowie Rustemeyer und Rausch (2007) konnten diese Faktorenstruktur replizieren. Wie bereits zuvor erwähnt weisen der APSI und der SPQ in den Faktorenanalysen ähnliche Faktoren auf.
Mit der Procrastination Checklist Study Tasks (PCS) von Schouwenburg (1995) wird die Intentions-Verhaltens-Diskrepanz erfasst. Bei diesem Fragebogen erfassen die beiden Fragebogenteile B und C Trait-Prokrastination (vgl Schouwenburg, 1995, p. 90).
Nicht eindeutig als akademische Trait- oder State-Prokrastination zu klassifizieren ist die Procrastination Assessment Scale – Students (PASS) von Solomon und Rothblum (1984). Mit 35 Items werden „Häufigkeit“ und vermutete „Gründe“ für Prokrastination bei Studierenden in sechs verschiedenen Bereichen (z.B. für das Examen studieren, eine Arbeit zu einem Thema verfassen, allgemein akademische Aufgaben erledigen) erfasst und der Wunsch, in jedem dieser Bereiche eine Änderung herbeizuführen. Im zweiten Teil des Fragebogens wird ein bestimmtes Szenario vorgegeben (z.B. eine Arbeit verfassen) und die Personen schätzen auf Skalen ein, inwieweit 13 vorgegebene Gründe (z.B. Angst vor Bewertung, Perfektionismus etc.) für das Aufschieben bei dieser Aufgabe verantwortlich sind (vgl. Ferrari et al., 1995, p. 48). In Bezug auf die Gründe, die die Studierenden für ihr Aufschieben angaben, wurde eine Faktorenanalyse gerechnet, und es zeigte sich, dass zwei Faktoren den Hauptteil der Varianz erklärten (vgl. Solomon & Rothblum, 1984, p. 507, s. a. die Ergebnisse von Clark und Hill, 1994), nämlich:
1. „Angst vor Misserfolg“,
2. „Aufgabenaversivität“.
In laborexperimentellen Untersuchungen wird Prokrastination u.a. anhand von Verhaltensbeobachtungen gemessen. Sigall et al. (2000) untersuchten in ihrem Laborexperiment den Zusammenhang zwischen Wunschdenken (unrealistischem Denken, gemessen mit der Wishful Thinking Scale [WTS] von Sigall, Kruglanski, Stangor & Fyock, 1997) und Prokrastination. Die Autoren operationalisieren Prokrastination als die Zeit, die Teilnehmer benötigen, um vom Warteraum zum Experimentalraum zu gehen. Eine Hälfte der Gruppe erwartet eine angenehme, attraktive Aufgabe (einen interessanten Text lesen, zu dem detaillierte Fragen beantwortet werden sollen), die andere Hälfte der Gruppe eine unangenehme Aufgabe (einen langweiligen technischen Bericht lesen). Beide Gruppen erhalten vorher Anweisungen, die eine erfolgreiche Aufgabenlösung ermöglichen. Teilnehmer mit ausgeprägtem Wunschdenken beginnen später mit der Aufgabenbearbeitung, d.h., sie benötigen längere Zeit, bevor sie im Experimentalraum ankommen. Die Verzögerung tritt jedoch nur bei einer unangenehmen Aufgabe auf. Wunschdenker sind offensichtlich der Meinung, dass sie die Aufgabe auch dann noch erfolgreich lösen können, wenn sie später anfangen, und sie schieben stärker auf als Personen ohne Wunschdenken.
Auch in dem Laborexperiment von Ferrari und Tice (2000) wird Prokrastination gemessen als Zeitverzögerung, die vor Beginn einer Aufgabe und/oder vor Abschluss einer Aufgabe auftritt. Zunächst beurteilen sich alle Personen auf einer Selbsteinschätzungsskala chronischer Prokrastination (General Procrastination Scale, GPS, Lay, 1986). Dann wird ihnen mitgeteilt, dass ihre Leistung in einem Mathematiktest gemessen werden soll. Es wird ihnen jedoch freigestellt, entweder den Test zu machen oder sich mit anderen, angenehmeren Dingen (Puzzle lösen, Videospiel spielen) zu beschäftigen. In der ersten Studie widmen sich die prokrastinierenden Personen ca. neun bis fünfzehn Minuten (60 Prozent der Zeit) den angenehmen Dingen. In der zweiten Studie wird der gleiche Mathematiktest als lustiges Spiel eingeführt. Hier zeigen sich keine Unterschiede mehr zwischen prokrastinierenden und nicht prokrastinierenden Personen, obwohl in beiden Studien der besagte Mathematiktest zuvor als ein wichtiger Test zur Evaluation kognitiver Fähigkeiten bezeichnet wurde. Durch die zwanglose Einführung des Mathematiktests als eine Art Freizeitbeschäftigung wird offenbar den prokrastinierenden Personen die Angst vor einem Misserfolg genommen.
Die Kritik an solchen laborexperimentellen Studien besteht vor allem in der fehlenden ökologischen Validität der Ergebnisse. Die Befunde sind schon deshalb nicht ohne Weiteres verallgemeinerbar, weil unterschiedliche Tests zur Messung von Prokrastination verwendet werden, die Operationalisierungen unterschiedlich sind und häufig nur zeitlich sehr kurzfristige Effekte gemessen werden.
Prokrastination wird gelegentlich in quasi-experimentellen Settings durch Fremdeinschätzung – etwa von Lehrpersonen, Dozenten oder Kursleitern – erfasst, indem diese ihre Schülerinnen und Schüler auf einer Skala einschätzen. In der Untersuchung von Owens und Newbegin (2000) beurteilen Kursleiter für Mathematik und Englisch am Ende des Semesters die Ausprägung der Prokrastination ihrer Studentinnen und Studenten. Diese Einschätzung kann mit einer Selbsteinschätzungsskala (z.B. PASS von Solomon & Rothblum, 1984) zu einem gemeinsamen Wert kombiniert werden. Solch eine kombinierte Erfassung von Fremd- und Selbsteinschätzung bietet gegenüber der reinen Fremdeinschätzung eine validere Erfassung des Konstrukts „Prokrastination“, denn die Einschätzungen von Kursleitern können durch persönliche Voreingenommenheit verzerrt sein, ebenso wie die Selbsteinschätzungen durch soziale Erwünschtheit in ihrer Aussage stark beeinträchtigt sein können.
Es scheint alltagspsychologisch plausibel, dass das Aufschieben von Aufgaben auch damit zu tun hat, dass Personen unnötige Anstrengungen vermeiden und lieber einfache Aufgaben bearbeiten möchten. Einen empirischen Hinweis darauf liefert die Studie von Wolters (2003), in der das Aufschiebeverhalten und weitere motivationale Variablen bei Studierenden anhand verschiedener Fragebögen erfasst wurden. Mit einer dieser Variablen wurde die Arbeitsvermeidungsorientierung (work-avoidance orientation) erfasst, indem Studierende angaben, wie hoch ihr Wunsch sei, Aufgaben zu bearbeiten, die entweder einfach oder ohne große Anstrengung zu bearbeiten seien. In einer hierarchischen Regressionsanalyse erwies sich die Variable „work-avoidance“ als deutlichster individueller Prädiktor für Prokrastination.
Das Konstrukt „Anstrengungsvermeidung“ scheint deutliche Überschneidungen mit dem Aufschiebeverhalten zu haben. Rollett entwickelte einen Test zur „Anstrengungsvermeidung“ (AV); sie definiert Anstrengungsvermeidung als ein Motiv, „dessen Ziel es ist, Aktivitäten in einem definierten Bereich aktiv zu meiden“ (Rollett, 1983, S. 78). Anders formuliert ist damit die Neigung einer Person gemeint, „sich den mit einer Leistung in einem bestimmten Tätigkeitsfeld verbundenen Anstrengungen durch den aktiven Einsatz geeigneter Strategien zu entziehen“ (Rollett, 2006, S. 14). Es handelt sich somit um ein volitionales Konzept, d.h., die Person entscheidet willentlich darüber, ob sie sich anstrengen will oder nicht. Laut Rollett (2006, S. 15) gibt es auch eine „intelligente Form“ der Anstrengungsvermeidung, die sich dadurch auszeichnet, dass die Person unnötigen Aufwand reduziert und dadurch eine Steigerung ihrer Effizienz erreicht. Stehen jedoch negative Gefühle im Vordergrund, die bei der Beschäftigung mit leistungsbezogenen Aufgaben auftreten, und es rückt zunehmend „die Reduzierung der unangenehmen Anstrengung in den Vordergrund“, handelt es sich bei dieser Form der Anstrengungsvermeidung „um einen Schutzmechanismus des Organismus vor Überlastung“ (Rollett, ebd.). Der Fragebogen zur Anstrengungsvermeidung wurde von Rollett und Bartram (1977) für Kinder und Jugendliche vom 5. bis zum 9. Schuljahr konzipiert. Dazu wurden die „häufigsten ‚Ausreden‘ arbeitsunwilliger Schüler gesammelt“ (Rollett, 2006, S. 14). Der AV-Test wurde konzipiert, um den „Ausprägungsgrad des schulbezogenen Anstrengungsvermeidungsmotivs zu erfassen“. Rollett grenzt das Konstrukt AV von einem Merkmal im eigenschaftstheoretischen Sinn insofern ab, als sich die Anstrengungsvermeidungstendenz immer auf definierte Aktionsfelder des Individuums bezieht. Mit Aktionsfeldern ist die schulische bzw. häusliche Arbeit gemeint. Der Zusammenhang zwischen Anstrengungsvermeidung und dem Lernverhalten und der Leistung bei Schülerinnen und Schülern konnte in mehreren Studien bestätigt werden (Rollett, 1983, 2006).
Eine auf dem Anstrengungsvermeidungstest von Rollett und Bartram (1977/1998) basierende angepasste Version für Erwachsene befindet sich im Anhang (A 14). In eigenen Untersuchungen (Callies, 2012) ermittelten wir für diesen Fragebogen in zwei Stichproben eine gute interne Konsistenz (Cronbachs Alpha = .86 und .87).
Da das Konstrukt der Anstrengungsvermeidung in der Nachfolgezeit wenig weiter ausdifferenziert wurde und nur eine begrenzte Anzahl empirischer Studien vorliegt, bei denen mit dem AV-Test gearbeitet wurde, soll im Folgenden ergänzend auf die Theorie der Anstrengungskalkulation von Meyer (1984) eingegangen werden, da diese Hinweise darauf liefern kann, aus welchem Grund Individuen bei der Ausübung bestimmter Aufgaben bzw. Tätigkeiten eigene Anstrengungen vermeiden. Das Modell macht deutlich, warum Anstrengungsvermeidung keineswegs nur auf Bequemlichkeit oder Desinteresse reduziert werden kann. Meyer geht von einer rationalen Nützlichkeitsabwägung der Person aus, die besagt, dass die Anstrengung, die in eine Aufgabe oder Tätigkeit investiert wird, davon abhängt, wie hoch die eigene Fähigkeit eingeschätzt und wie hoch die Aufgabenschwierigkeit wahrgenommen wird. Je höher die Einschätzung der eigenen Fähigkeit für bestimmte Aufgaben bzw. Tätigkeiten und je geringer die Schwierigkeit der Aufgabe ist, umso höher ist die Anstrengung, die eine Person zu investieren bereit ist. Nach dem Konzept der Anstrengungskalkulation passt die Person somit ihre Anstrengung der Schwierigkeit der Aufgabe und ihren vermeintlichen Fähigkeiten für diese Aufgabe an. Bei steigender Aufgabenschwierigkeit wird zunächst eine höhere Anstrengung investiert; wird die Aufgabe jedoch als zu schwierig angesehen und es werden trotz erhöhter Anstrengung die eigenen Fähigkeiten als zu gering eingeschätzt, werden weitere Anstrengungen als sinnlos angesehen und nicht mehr ausgeführt, da für die Person die Erfolgschancen gegen null gehen.
Insbesondere Personen, die aufgrund eines niedrigen Fähigkeitskonzepts Anstrengung meiden, können Vermeidungstechniken im Sinne überdauerender Gewohnheiten (sich mit aufgabenirrelevanten Tätigkeiten beschäftigen, häufig Pausen einlegen etc.) entwickeln und langfristig stabilisieren. Prokrastination wäre in diesem Kontext eine Vermeidungstechnik, die Personen mit einem niedrigen Fähigkeitskonzept anwenden. Das Konzept geringer eigener Fähigkeit steht danach im engen Zusammenhang mit der mangelnden Anstrengungsbereitschaft und ist somit eine wichtige Erklärung des Vermeidungsverhaltens, wenn auch nicht die einzige (s. das Modell von Eccles und Wigfield).
Prokrastination ist ein Konstrukt, das auf geeignete Art und Weise operationalisiert werden muss. Die am häufigsten genutzte Möglichkeit der Messung von Prokrastination ist die Befragung der Probanden; dafür wurden Fragebögen konstruiert, die die Selbsteinschätzung der Befragten erheben. Die Messinstrumente erfassen unterschiedliche Ausprägungen wie beispielsweise dispositionelle (trait) oder situationsspezifische (state) Prokrastination. Diese Unterteilung entspricht einer differenzialpsychologischen Sichtweise und stellt das Persönlichkeitsmerkmal „Prokrastination“ einem situativen Ansatz gegenüber. Weiter wird das Auftreten von Prokrastination nach unterschiedlichen Domänen differenziert. Während sich die allgemeine Prokrastination auf Entscheidungen und Verhaltensweisen im Alltag richtet, hat die akademische Prokrastination vorrangig Lern- und Leistungssituationen in den Kontexten „Schule“ und „Universität“ zum Gegenstand. Die Prokrastinations-Taxonomie (vgl. Tab. 1) gibt einen Überblick über verschiedene Arten von Prokrastination und weiter werden in Tabelle 2 die gängigen Messinstrumente zur Prokrastination den jeweiligen Arten zugeordnet.
Inzwischen liegen viele korrelative Befunde vor, die das Phänomen „Prokrastination“ im Zusammenspiel mit weiteren wichtigen Merkmalen beschreiben, aber nicht im Sinne von „Wenn-dann-Beziehungen“ erklären können. Dazu eignen sich vor allem experimentelle Settings wie beispielsweise das von Sigall et al. (2000), bei dem die Autoren die Zeitverzögerung der Probanden bis zum Beginn einer zu bearbeitenden Aufgabe als Verhaltensprokrastination definieren und überprüfen, welche experimentellen Bedingungen Prokrastination fördern. Quasiexperimentelle Settings verwenden häufig zur Messung von Prokrastination Fremdeinschätzungen, die von Mentoren, Trainern etc. abgegeben werden. Wenn die Fremdeinschätzungen mit der Selbsteinschätzung zu einem gemeinsamen Wert kombiniert werden, können aufgrund der unterschiedlichen Perspektive besonders zuverlässige Prokrastinationsmessungen vorgenommen werden. Die Wahl des methodischen Zugangs kann Auswirkungen auf die Ergebnisse haben.
Inzwischen liegen auch Metaanalysen (van Eerde, 2003a, 2004; Steel, 2007, 2010) vor, wie oben bereits ausgeführt wurde. Mit dem statistischen Verfahren können viele Einzelstudien zusammengefasst und unter bestimmten Fragestellungen ausgewertet werden. So bezieht Steel (2007) Korrelationsstudien, experimentelle Untersuchungen und qualitative Studien in seine Metaanalyse mit ein.
Das Konstrukt „Prokrastination“ hat eine große Ähnlichkeit mit dem Konzept der „Anstrengungsvermeidung“ (vgl. Rollett, 1983, 2006). Kinder und Jugendliche können eine Neigung zeigen, sich willentlich bestimmten Anstrengungen im Kontext „Schule“ durch geeignete Strategien zu entziehen, vor allem dann, wenn sie langweilige oder unangenehme Aufgaben oder Tätigkeiten ausführen sollen. Anstrengungsvermeidung kann als eine Selbstbehinderungsstrategie (self-handicapping) – neben vielen anderen bekannten – angesehen werden.