In diesem Kapitel werden unterschiedliche Trainings- und Interventionsansätze zur Überwindung von Prokrastination vorgestellt. Die Ansätze basieren auf theoretischen Annahmen und Modellen, die teilweise ausführlich im Kapitel 6 beschrieben sind. Einige basieren auf relativ einfachen theoretischen Annahmen, andere hingegen auf komplexen theoretischen Modellen. Die folgende Auswahl von Interventionsansätzen erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, die Ansätze wurden vielmehr nach folgenden Kriterien ausgewählt: a) die Intervention sollte theoretisch fundiert sein, b) die einzelnen Schritte sollten nachvollziehbar beschrieben worden sein und c) die Intervention sollte möglichst wissenschaftlich überprüft worden sein.
Ein gutes Zeitmanagement bezeichnet die Fähigkeit einer Person, die ihr zur Verfügung stehende Zeit bewusst und effizient zu verwenden. Damit ist nicht unbedingt gemeint, dass immer noch mehr Raum geschaffen wird für weitere Aktivitäten, sondern dass die verfügbare Zeit intensiver und bewusster, etwa auch für nicht berufliche Dinge, genutzt werden kann (Seiwert, 2007). Dazu wird in der Regel auf den Einsatz technischer Hilfsmittel wie etwa Terminkalender, die Anwendung von Planungstechniken und Methoden der Ziel- und Prioritätensetzung verwiesen. In entsprechenden Trainings werden diese Möglichkeiten gezielt eingeübt.
Ausgehend von Befunden, die zeigen, dass Personen, die im akademischen Bereich zu chronischem (oder auch situativ) bedingtem Aufschieben neigen, Schwierigkeiten haben, nach einem strukturierten Arbeitsplan zu lernen (Lay & Schouwenburg, 1993), liegt es nahe, das bei vielen Personen offensichtlich unzureichende Zeitmanagement positiv zu verändern.
So kommen auch Schouwenburg und Groenewoud (2001, p. 239) aufgrund ihrer Studie zu der Auffassung, dass dysfunktionale Prokrastination in erster Linie ein Verhaltensproblem und weniger ein motivationales oder intentionales ist, und plädieren deshalb für eine Änderung des unangemessenen Verhaltens.
Van Eerde (2003b) überprüfte den Einfluss eines Zeitmanagementtrainings auf selbst berichtete Prokrastination in einem quasiexperimentellen Design: Treatment/Kontrollgruppe x Pretest/Posttest (2 x 2). An einem 1,5-tägigen Workshop eines kommerziellen Trainingsinstituts nahmen insgesamt 37 Personen (davon 75 Prozent Männer) aus verschiedenen Organisationen teil; sie wurden in Gruppen von acht bis elf Personen geschult. Außerdem gab es eine Kontrollgruppe mit 14 Personen. Die Frauen und Männer wurden angehalten, ihre persönlichen Ziele sowie die Verantwortlichkeit für die Arbeit zu bestimmen und die Wichtigkeit von Aktivitäten festzulegen. Weiter wurden unterstützende Techniken vermittelt. Prokrastination wurde nicht mit einem der oben genannten Prokrastinationsfragebogen erfasst, sondern es wurde ein Fragebogen zum Vermeidungsverhalten in Bezug auf einen konkreten Termin (avoidence reactions to a deadline) vorgegeben und ein Fragebogen zur Besorgnis hinsichtlich der eigenen Arbeit (worrying) eingesetzt (vgl. van Eerde, 2003b, p. 433). Zwischen der ersten Messung (vor dem Training) und der zweiten Messung lagen vier Wochen. Die Ergebnisse zeigen, dass die trainierten Frauen und Männer im Vergleich zur Kontrollgruppe einen größeren Zuwachs an effektivem Zeitmanagement hatten. Außerdem berichteten sie eine Abnahme der Angstkomponente „Besorgnis“ (worrying) bezüglich ihrer eigenen Arbeit und eine Reduzierung ihrer Vermeidungsreaktionen.
Einzelne Elemente des Zeitmanagements werden aber auch in vielen anderen Interventionsansätzen (mit-)eingesetzt; wenn dies der Fall ist, wird von uns an entsprechender Stelle darauf verwiesen.
Bereits in den 1970er Jahren wurde von Ellis und Knaus (1977) ein therapeutischer Ansatz zur Reduzierung von Aufschiebeverhalten auf der Basis der Rational-Emotiven Therapie (RET) veröffentlicht, der dann von Knaus (2002) überarbeitet als Selbsthilfeprogramm zur Überwindung von Prokrastination neu herausgegeben wurde. Einige Grundannahmen dieses therapeutischen Konzeptes – etwa die aktive Bearbeitung zugrunde liegender negativer Denkmuster und Einstellungen von Prokrastinierern – wurden später von Rückert (2011) und auch anderen Autoren in die Trainingskonzepte übernommen.
Rückert veröffentlichte 1999 das Buch „Schluss mit dem ewigen Aufschieben: Wie Sie umsetzen, was Sie sich vornehmen“, das 2011 bereits in der siebten Auflage erschienen ist. In diesem Buch will der Autor Personen, die zur Prokrastination neigen, mit Hilfe des BAR-Programms (Bewusstheit, Aktion und Rechenschaft) zur Verhaltensänderung anleiten. Dabei bezieht sich Rückert nicht nur auf akademische, sondern auch auf allgemeine Prokrastination. Er unterscheidet drei Arten des Aufschiebens: allgegenwärtiges oder harmloses Aufschieben, problematisches Aufschieben und hartes Aufschieben (Rückert, 2011, S. 26), und beschäftigt sich mit den beiden letzten Formen, weil diese seiner Ansicht nach zu Leiden führen und mit Angst, Scham, Kontrollverlust und Lähmung einhergehen. Das BAR-Programm ist ein selbst geleitetes Training, das Verhaltensänderung anleitet, die bis zur Aufgabe des Aufschiebeverhaltens führen soll. In dem Programm kommen unter anderem Methoden der Verhaltenstherapie zum Einsatz. Das BAR-Programm beinhaltet drei Etappen: Bewusstheit, Aktion und Rechenschaft.
Bewusstheit
Aufschiebeverhalten dient nach Rückert (2011, S. 174ff.) vor allem der Vermeidung von Selbstwertbedrohung und geht in der Regel mit starken negativen Gefühlen einher. Das Aufschieben stellt somit den Versuch dar, diese unangenehmen Gefühle möglichst zu verhindern, die sich konkret manifestieren können bei einer schlechten Arbeitsorganisation und unklaren Prioritätensetzung, bei unzureichend ausgeprägten Arbeitstechniken, bei einer hoch ausgeprägten Impulsivität, einem Mangel an Sorgfalt und ausgeprägtem Perfektionismus. Stattdessen werden Handlungen ausgeführt, die überwiegend mit angenehmen Gefühlen verbunden sind. Dieses Basiswissen über das Konstrukt „Prokrastination“ und die Korrelationen sind Grundvoraussetzungen für eine Minderung der Prokrastination. Ein Erkennen innerer Konflikte, das Hinterfragen alter Ziele und Denkmuster und der Aufbau neuer Einstellungen sind zielführend in diesem Abschnitt. Erst wenn die Änderung der inneren Einstellung erreicht ist, kann die nächste Stufe des Programms begonnen werden. Rückert verwendet zur Zielerreichung der Einstellungsänderung Methoden der Rational-Emotiven Verhaltenstherapie (RET oder REVT) nach Ellis.
Aktion
In dieser Etappe wird der Aufschiebende zu einer realistischen Zielsetzung, Planung und besseren Selbstorganisation mit einem effektiven Zeitmanagement angeleitet. Nach Rückert sollte eine To-do-Liste erstellt werden, die auch Vergnügen und Freizeit mit einbezieht. Auf 45 Minuten Arbeit sollten 15 Minuten Pause folgen; das wöchentliche gleich verteilte Arbeitspensum von 20 Arbeitsstunden sollte nicht überschritten werden. Die To-do-Liste muss auf Selbstkongruenz überprüft werden und nach den eigenen Prioritäten und Werten des Anwenders gestaltet sein. Wichtig ist die Unterteilung des gesetzten Ziels in kleinere Teilziele, und diese sind, z.B. auf einem Kalender, gut sichtbar zu vermerken. Bei der individuellen Motivation ist bedeutsam, dass beide Verstärkungsarten, die kennzeichnend sind für den behavioristischen Ansatz, eingesetzt werden. Durch positive Verstärkung (Belohnung) und negative Verstärkung (Entfernen des Leidensdrucks) soll das erwünschte Arbeitsverhalten erreicht werden. Daraus resultiert dann ein gesteigertes Selbstwertgefühl beim Betroffenen (Rückert, 2006, S. 28).
Rechenschaft
Durch die Dokumentierung der erzielten Veränderungen und Fortschritte kommt es zu einer Visualisierung, die die Motivation fördert. Mit den Eintragungen in ein „Veränderungslogbuch“ (Rückert, 2006, S. 210) wird in vier Schritten Rechenschaft gegenüber sich selbst abgelegt: Selbstbeobachtung, Selbstkontrolle, Selbstbewertung und Selbstverstärkung. Für jeden dieser Schritte schlägt Rückert andere Maßnahmen der Protokollierung vor: z.B. für die Selbstbeobachtung eine Tabelle, in der über drei Wochen täglich durchgeführte Handlungen mit den dazugehörigen Gefühlen und Gedanken dokumentiert werden. Bei einem Aufschieber wird eine mangelnde Struktur und daraus folgender Stress zu beobachten sein. Durch die Konkretisierung des Ziels und Strukturierung des Tagesablaufs vermindert sich der Leistungsdruck, und es kommt laut Rückert (2006) zu mehr Effizienz. Über die Möglichkeit, Ablenkungen auszublenden, übt der Betroffene Selbstkontrolle aus. Nach längeren Arbeitsphasen wird in dem Logbuch mit Hilfe der Skalen eine Selbstbewertung vorgenommen, auf die dann eine belohnende Handlung entsprechend einem „Token-System“ folgt.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich das BAR-Programm in die drei Stufen „Bewusstheit“, „Aktion“ und „Rechenschaft“ gliedert. Der Bereich „Bewusstheit“ leitet die aufschiebende Person zur Selbsterkenntnis und Selbstakzeptanz; die Ursachen für die Verhaltensstörung sollen aufgedeckt und mit Hilfe der RET verändert werden. Nach der Ursachenanalyse wird mit der „Aktion“ eine realistische Zielsetzung unter Berücksichtigung der Selbstkongruenz eingeübt. Im Verhaltenslogbuch werden sowohl Erfolge und Fortschritte als auch Fehlschläge dokumentiert und visualisiert; über ein Belohnungsprinzip soll das antrainierte Verhalten manifestiert werden. Voraussetzung für den Erfolg des Trainings ist die Ehrlichkeit zu und die Kenntnis über sich selbst, wobei sich beide Faktoren bei aufschiebenden Personen als problematisch erweisen.
Das Training enthält viele Elemente, die in wissenschaftlichen Studien als bedeutsam herausgearbeitet wurden und auch in anderen Interventionsansätzen verwendet werden. Dazu gehören z.B. das Setzen realistischer Ziele, die Einübung und der Einsatz verhaltenstherapeutischer Techniken wie Selbstbeobachtung und Selbstbelohnung, Selbstkontrolltechniken und die Bewusstmachung begleitender Gedanken und Gefühle nach dem Modell der RET. Kritisch anzumerken ist jedoch, dass Rückert zwar – wie die meisten Selbsthilfeprogramme – eine deutliche Besserung verspricht, jedoch dafür keine systematischen empirischen Belege vorlegt.
Eine gut dokumentierte Intervention zur Reduktion von Prokrastination wurde von einer Forschungsgruppe der Universität Münster entwickelt, durchgeführt und evaluiert (Höcker et al., 2008, 2009). Die Psychotherapie-Ambulanz arbeitet mit Studierenden, die ihr Aufschieben als problematisch und einschränkend empfinden. Prokrastination wird operationalisiert als ein Verhalten, bei dem Studierende unangenehme Aufgaben vor sich herschieben, keine konkreten und strukturierten Planungen und ein unrealistisches Zeitmanagement haben. Laut Höcker et al. (2008, S. 224) stehen Defizite der Selbstregulation bzw. Selbststeuerung im Vordergrund des Vermeidungsverhaltens. Weiter geht die Autorengruppe davon aus, dass „affektive, kognitive und motivationale Faktoren beteiligt sind“. Ein weiterer Grund für Aufschiebeverhalten im akademischen Bereich wird in der Unstrukturiertheit bestimmter Fächer und dem Mangel an festgelegten Abgabeterminen gesehen.
Das von Beißner (2004) und Samberg (2004) entwickelte Trainingskonzept beinhaltet die beiden Module „Pünktliches Beginnen“ und „Realistisches Planen“, wobei die Reihenfolge keine Rolle spielt. Das Training beginnt mit einem Vorgespräch, in dem die Tendenz zur Depression mit „Beck’s Depressions-Inventar“ (Hautzinger, Bailer, Worall & Keller, 1994) getestet wird, und umfasst fünf Sitzungen à 90 Minuten. Die Gruppengröße variiert zwischen sechs bis acht Studierenden. Pro Modul werden zwei Sitzungen benötigt sowie ein Abschlussgespräch (fünfte Sitzung) zum Austausch der gemachten Erfahrungen. Während des Trainings wird an einer wissenschaftlichen Hausarbeit gearbeitet oder für eine Klausur gelernt. Es wird ein Lerntagebuch über fünf Wochen geführt, wobei mit den Eintragungen bereits eine Woche vor dem Training begonnen wird. Das Training beinhaltet bewusst nur zwei zentrale Problematiken der Prokrastination und basiert u.a. auf dem Handlungsphasenmodell (siehe Rubikonmodell, Kapitel 6.4.) von Heckhausen und Gollwitzer (1987), das den Studierenden in der ersten Trainingssitzung vorgestellt wird (vgl. Höcker et al, 2008, S. 224).
Modul A „Pünktlich Beginnen“
Das Modul beginnt mit der Analyse des persönlichen Arbeitsverhaltens und legt dann ein individuelles Vorgehen fest (Selbstvertrag). Weiter wird der Umgang mit Ablenkungen und Störfaktoren besprochen. Resultieren soll daraus, dass der Studierende mit seinen geplanten Arbeitseinheiten „pünktlich beginnt“, um somit gegen die Gewohnheit des Aufschiebens zu arbeiten. Unterstützend werden Belohnungen festgelegt. Die folgende Intentionsbildung oder laut Heckhausen der Schritt von der motivationalen zur volitionalen Phase (Überschreiten des Rubikons) ist ein weiterer Punkt in dieser Phase.
Modul B „Realistisch Planen“
Der gefasste Entschluss wird konkretisiert, indem als Ziel gesetzt wird, den individuellen Arbeitsprozess realistisch und detailliert zu planen. In den sogenannten Veränderungsplänen werden festgesetzte Termine eingetragen, und es wird die inhaltliche Gestaltung der Arbeitsphasen und nicht zuletzt auch der Endzeitpunkt festgelegt (Höcker et al., 2008, S. 224). Wie im Modul A findet jeweils in der zweiten Sitzung ein Erfahrungsaustausch statt, und es werden ggf. Modifikationen vorgenommen.
Das Training wird über die gesamte Zeit hinweg von täglichen Eintragungen in ein elektronisches Lerntagebuch begleitet. Eine Woche vor Beginn des Trainings beginnen die Teilnehmer mit den Eintragungen in das individuelle Lerntagebuch, mit dessen Hilfe ein Ausgangswert für die Prokrastinationstendenz (Erhebung einer Baseline) ermittelt werden kann. Weitere tägliche Angaben über das individuelle Arbeitsverhalten, über vorgeplante und tatsächlich eingehaltene Arbeitszeiten und die bewältigte Stoffmenge werden dokumentiert. Mit Hilfe der Variablen „Aufschieben in Minuten“ und „Prozent geschafft“ soll der Einfluss des absolvierten Trainings objektiv beobachtet werden. Im Modul „Realistisch Planen“ werden auch Angaben zur Konzentration und Zufriedenheit mit der Arbeitseinheit protokolliert.
Wie aus Abbildung 6 hervorgeht, wurden die Messungen zur Prokrastinationstendenz, zur Leistungsmotivation und zu den angewendeten Lernstrategien zu vier unterschiedlichen Zeitpunkten bei den teilnehmenden Studierenden erhoben.
Abb. 6: Untersuchungsdesign
(A1 = 1. Sitzung des Moduls A, A2 = 2. Sitzung des Moduls A, B1 = 1. Sitzung des Moduls B, B2 = 2. Sitzung des Moduls B)
Quelle: In Anlehnung an Höcker et al. (2008, S. 225)
Zur Messung der Prokrastinationstendenz (trait und state) wurden die beiden Fragebögen Procrastination Inventory von Aitken (1982) und Academic Procrastination State Inventory von Schouwenburg (1995) verwendet (siehe Anhang A 06 und A 010). Das Leistungsmotivationsinventar von Schuler und Prochaska (2001) gibt Auskunft über „Beharrlichkeit“, „Leistungsstolz“ und „Schwierigkeitspräferenz“. Zur Erfassung der Lernstrategie wurden aus dem LIST-Inventar von Wild und Schiefele (1994) die Subskalen „Planung“ und „ Zeitmanagement“ verwendet.
Die Autoren berichten folgende Ergebnisse: Die Protokollierungen im Lerntagebuch ergaben, dass allein das Ausfüllen des elektronischen Lerntagebuchs in der Woche vor der ersten Sitzung (Baseline) die State-Prokrastination vermindert.
Ein Vergleich über die Messzeitpunkte zeigt, dass die Werte der beiden Prokrastinationsfragebogen signifikant über die fünf Sitzungen hinweg abnahmen, was für ein Absinken der Prokrastinationstendenz während der Intervention spricht. Dagegen stiegen während der Durchführung des Trainings die Werte auf den Skalen für Leistungsmotivation, Planung und Zeitmanagement merklich an. Die Auswertung der Lerntagebücher ergab eine höhere Übereinstimmung der geplanten mit der tatsächlichen Arbeitszeit, was zu einem Anstieg der Zufriedenheit mit dem Ergebnis führte.
Die Vorteile dieser speziellen Intervention werden von Höcker et al. (2008, S. 228) darin gesehen, dass sie sich auf zwei Kernaspekte des Aufschiebeverhaltens beschränkt. Die beiden Module leiten dazu an, die geplanten Arbeitseinheiten pünktlich und ohne Ablenkung zu beginnen, und schalten konkurrierende Beschäftigungsmöglichkeiten aus. Das Führen des Lerntagebuches unterstützt die Selbstbeobachtung positiv (Rechenschaft ablegen). Die Wirksamkeit der Trainingseinheiten ist statistisch belegt, allerdings ist die Nachhaltigkeit der Verhaltensänderung bisher unbewiesen.
Eine weitere Intervention von Höcker, Engberding, Haferkamp und Rist (2012), an der 59 Frauen und 57 Männer teilnahmen, beschränkt sich ausschließlich auf die Methode der „Arbeitszeitrestriktion“. Dahinter steht die Idee, dass durch eine künstliche Verknappung während der Intervention die Arbeitszeit kostbarer gemacht wird und sich dadurch das Aufschiebeverhalten verbessert. Außerdem soll dadurch eine bessere Trennung zwischen Arbeitszeit und Freizeit erreicht werden. Das Prinzip der Restriktionsbehandlung wurde bereits bei der Behandlung von Schlafstörungen angewendet. Die Methode der „Arbeitszeitrestriktion“ sieht vor, dass pro Tag nur in einem definierten Zeitfenster (auch Lern- oder Arbeitsfenster genannt) mit festen Anfangs- und Endzeiten gearbeitet werden darf. Minimum sind pro Arbeitstag zwei Arbeitszeitfenster von 20 Minuten. Das Lernfenster richtet sich nach den vorher erhobenen tatsächlich realisierten Arbeitszeiten der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Das Lernfenster konnte nicht beliebig erweitert werden, sondern dies war nur dann erlaubt, wenn die Person entsprechend einer klar definierten Ausnutzung des Arbeitszeitfensters gelernt bzw. gearbeitet hatte. Zur Überprüfung und Begleitung der Vorgaben wurde während der gesamten Zeit parallel zur Intervention täglich ein Online-Arbeitstagebuch geführt. Die Intervention umfasste verteilt auf fünf Sitzungen ca. einen Monat. Es erfolgten vier Messungen: 1) Eine Woche vor dem Training die Erfassung der Baseline, 2) erste Sitzung, 3) fünfte Sitzung und eine 4) Follow-up-Messung drei Monate nach Abschluss der Intervention.
Die Ergebnisse zeigten deutliche Effekte einer Verbesserung des Aufschiebeverhaltens und auch weiterer erfasster Variablen wie z.B. Zeitmanagement und Planung. Bei einem Vergleich der Messwerte vom ersten und dritten Messzeitpunkt reduzierte sich sowohl die State- als auch die Trait-Prokrastination signifikant. Wurden die zweite und dritte Messung miteinander verglichen, ergaben sich ebenfalls positive signifikante Veränderungen, allerdings nicht so deutlich. Auch bei dem Vergleich zwischen Messzeitpunkt 3 (Ende der Intervention) und 4 (Follow-up) ergaben sich signifikante Verbesserungen bei den Prokrastinationswerten und weiteren Fragebögenwerten. Allerdings folgten nur rund 50 Prozent der Einladung zur letzten Messung. Insgesamt kann die Intervention als erfolgreich und wohl auch als stabil betrachtet werden. Eine erweiterte Intervention mit einer Kontrollgruppe, so das Autorenteam, ist in Vorbereitung.
In ihrem Buch „Procrastination and Task Avoidance, Theory, Research, and Treatment“ beschreiben und definieren Ferrari et al. (1995) das Konstrukt „Prokrastination“ und berichten über Forschungsergebnisse und Interventionsmaßnahmen. Die Autoren stellen u.a. auch das von ihnen selbst entwickelte und erprobte Prokrastinationstraining „Doing it now“ vor. Dabei handelt es sich um ein Gruppentraining, das von den Autoren auch als Gruppentherapie bezeichnet wird. Die empfohlenen Trainings- und Behandlungsmaßnahmen gründen auf langjährigen Erfahrungen aus der Zusammenarbeit mit ca. 20 Studentenberatungsstellen (Ferrari et al., 1995).
Die Autoren halten eine Unterteilung in drei distinkte Prokrastinationsgruppen für sinnvoll: Studierende, Erwachsene/Nichtstudierende und untypische Aufschieber (Ferrari et al., 1995, p. 190). Je nach Gruppenzuordnung sollten spezielle Interventionsmaßnahmen (u.a. kognitive, behaviorale und therapeutische Maßnahmen) Anwendung finden. Im Folgenden wird schwerpunktmäßig auf das Training für Studierende eingegangen. Bei typischen Aufschiebern ist aus Sicht der Autoren entweder das neurotische Vermeidungsverhalten in Verbindung mit Angst oder der Mangel an Gewissenhaftigkeit und Pflichtgefühl in Verbindung mit Impulsivität und der Suche nach Erregung ursächlich (Ferrari et al., 1995, p. 197). Es können auch beide Aspekte des Aufschiebens bei einer Person vorliegen. Eine Ursachenidentifizierung und -reduzierung ist notwendig, um Prokrastination zu vermindern. Nach Auffassung der Autoren müssen irrationale Einstellungen und Ängste verändert werden, und es muss eine optimale Zeitplanung umgesetzt werden (Ferrari et al., 1995, p. 201ff.).
Vor Beginn des „Doing it now“-Trainings werden alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf psychische Auffälligkeiten getestet; bei zu hohen Werten ist eine Teilnahme nicht möglich. Das zehn Sitzungen (à 80 bis 90 Minuten) umfassende und im wöchentlichen Abstand stattfindende Training beinhaltet auch die Erledigungen von Hausaufgaben und Arbeiten in der Gruppe (Ferrari et al., 1995, p. 204ff).
1. bis 4. Sitzung: Selbstbeobachtung und Entspannungsübungen
In der ersten Sitzung erfolgt eine Messung der Prokrastinationstendenz mit den Fragebögen des Aitken Procrastination Inventory oder des Adult Inventory of Procrastination. Zentraler Punkt der ersten, zweiten und dritten Sitzung ist die Selbstbeobachtung. In Hausaufgaben sollen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Momente aufzeichnen, in denen sie bewusst aufschieben, und eine Liste mit zehn Einstellungen (cognitions), die Prokrastination fördern, anfertigen. In der dritten Sitzung werden Entspannungsübungen erlernt, die täglich angewendet werden sollen. Die persönliche Ängstlichkeit wird eingeschätzt, und angstauslösende Situationen sollen aufgezeichnet und in einer Skala erfasst werden. In der vierten Sitzung erfolgt nochmals die Durchführung der schon erlernten Entspannungsübungen.
5. bis 7. Sitzung: Realistische Zeitplanung und Ablegen irrationaler Einstellungen
Eine realistische Zeitplanung hängt enger mit der Selbstwirksamkeitserwartung der Person als mit ihren irrationalen Einstellungen und Erwartungen zusammen. Unrealistische Erwartungen, die entweder zu niedrig oder unangemessen hoch sein können, haben Auswirkungen auf die Kognitionen, Emotionen und das Verhalten. Sind Erwartungen unrealistisch niedrig, treten Angst und Vermeidungsverhalten auf. Die Folge davon sind noch größere Angst und noch stärkeres Vermeidungsverhalten. Sind Erwartungen jedoch zu hoch, ist die Zeitplanung der Person unrealistisch, da weniger Zeit veranschlagt wird, als für die Aufgabenbewältigung notwendig ist. Auch das führt in der Konsequenz zu Vermeidungsverhalten, wenn deutlich wird, dass die Zeit nicht ausreicht. Als Hausaufgabe erhalten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Aufgabe, die für eine bestimmte Arbeit benötigte Zeit erst zu schätzen und dann die reale Zeit zu protokollieren. Nach erlebter Fehleinschätzung werden sie angeleitet, die veranschlagte Zeit zu verdoppeln. In der siebten Sitzung wird eine aufgeschobene Arbeit in kleinere Teilziele untergliedert und das Zeitbudget geschätzt. Diese Aufgabe soll im Laufe einer Woche erledigt werden.
8. bis 10. Sitzung: Langfristigkeit
In der achten Sitzung erarbeiten die Teilnehmer individuelle Strategien zur Verminderung ihres Aufschiebeverhaltens und erstellen einen Dreimonatsplan für längerfristige Aufgaben. Berücksichtigt werden müssen weiterhin mögliche Schwierigkeiten und der geplante Zeitaufwand (Ferrari et al., 1995, p. 208). Verhaltensänderungen stellen langfristige Prozesse dar und sollen zur Automatisierung des gelernten Verhaltens führen. Die abschließende zehnte Sitzung umfasst Wiederholungen und die Zusammenfassung des Trainings.
In den zehn Sitzungen dieses Trainings werden sowohl kognitive als auch behaviorale Therapieaspekte mit der Zeitmanagementkomponente zusammen verwendet. Gruppenarbeit und Hausaufgaben unterstützen den Erfahrungsaustausch. Unmittelbar nach dem Training konnte eine deutliche Verbesserung der Werte auf der Aitken Procrastination Scale festgestellt werden (Ferrari et al., 1995, p. 204). Messungen nach drei, sechs und zwölf Monaten zeigten als Ergebnis die Abnahme der Prokrastinationstendenz. Erfolge hängen nach Auffassung der Autoren mit dem Rückhalt in der Gruppe und der erlernten Selbstbeobachtung zusammen. Leider sind die Ergebnisse des Trainings nur relativ knapp dargestellt.
In der Literatur existieren verschiedene Trainings- und Interventionsansätze, die unterschiedliche Schwerpunktsetzungen hinsichtlich des Phänomens „Aufschieben“ vertreten. Einige sind teils wissenschaftlich, teils alltagspsychologisch begründet, und eine Evaluation wurde bzw. wird nicht angestrebt, sodass kein statistisch nachweisbarer Effekt der Wirksamkeit vorliegt. Dies betrifft vor allem die verschiedenen Selbsthilfeprogramme, wie beispielsweise von Basco (2010), Knaus (2002), Rückert (2006) und Seiwert (2007). Die einzelnen Ansätze enthalten jedoch auch viele Übereinstimmungen.
Die Interventionsmaßnahmen reichen von Selbsthilfeprogrammen über quasiexperimentelle Interventionen (van Eerde, 2003b) bis hin zu evaluierten Trainings mit mehreren Messzeitpunkten, die u.a. von universitären Beratungsstellen durchgeführt wurden (Ferrari et al., 1995; Höcker et al., 2008; Höcker et al., 2012; Horebeek et al., 2004; Rist et al., 2006).
Die Interventionen zielen auf die konkrete Veränderung des Aufschiebeverhaltens und die Einübung der geänderten Verhaltensweisen, die durch Selbstkontrollmaßnahmen (wie Selbstbeobachtung, Protokollierung der benötigten Zeit, Erstellung und Überwachung von Veränderungsplänen) unterstützt werden. Die meisten der hier vorgestellten Interventionen setzen unmittelbar an dem Problem des inadäquaten Zeitmanagements der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an.
Bei Maßnahmen, die als Gruppentraining durchgeführt werden, wird der Gruppeneinfluss quasi als Methode (Rückhalt in der Gruppe, sozialer Vergleich mit Gruppenmitgliedern) unterstützend bei der Überwindung von Prokrastination eingesetzt. Der Erfahrungsaustausch zwischen den Gruppenmitgliedern, aber auch die Beobachtung anderer Teilnehmer, die eine Aufgabe erfolgreich erledigt haben, wirken zusätzlich verstärkend. Dies Vorgehen ist bei den alters- und ausbildungsmäßig relativ homogenen studentischen Gruppen gut geeignet, weil Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieser Altersgruppe für soziale Unterstützung und soziale Rückmeldungen besonders empfänglich sind (vgl. Schouwenburg, 2004).
Bei den Interventionen kommen kognitiv-verhaltenstherapeutische Strategien und Techniken zum Einsatz. Zuerst findet eine Phase der mehr oder weniger intensiven Analyse des aktuellen Zustandes statt, in der die Teilnehmerinnen und Teilnehmer für ihr problematisches Arbeitsverhalten sensibilisiert werden und die Motivation zur Veränderung angeregt wird. Danach werden Veränderungsmöglichkeiten (Zielsetzungen, Veränderungspläne etc.) aufgezeigt und in der Gruppe eingeübt, und die Wirksamkeit wird reflektiert. Dass die Spezifizierung und Konkretisierung von Zielen und Plänen ein zentraler Inhalt von Prokrastinationstrainings ist, wird auch von Schouwenburg (2004) betont, der verschiedene Interventionsprogramme miteinander vergleicht. Nach Auffassung des Autors handelt es sich um eine sehr effektive Komponente der Interventionsprogramme, weil damit der zentrale Kern der „Verhaltensprokrastination“ angegangen wird.
Während sich die Intervention der Forschergruppe aus Münster (Höcker et al., 2008, 2009) gezielt nur auf zwei grundlegende Merkmale des Aufschiebeverhaltens, nämlich „Unpünktlichkeit“ und „unzureichende, unrealistische Planung“ konzentriert, ist das Gruppentraining von Ferrari et al. (1995) zeitlich und inhaltlich umfassender und insgesamt über einen längeren Zeitraum konzipiert. In dem Gruppentraining wird zunächst eine Analysephase der verursachenden Faktoren des Aufschiebeverhaltens durchgeführt. Irrationale Einstellungen und Erwartungen, Angst und mangelndes Pflichtbewusstsein sollen erkannt und möglichst abgebaut werden. Erst dann werden die Interventionselemente „realistische und optimale Zeitplanung“ eingesetzt. Somit werden bei Ferrari et al. (1995) die Bewusstmachung und gezielte Veränderung irrationaler Einstellungen und Erwartungen bereits zu Beginn der Intervention eingesetzt, während diese Phase bei der Forschergruppe aus Münster fehlt. Auch wenn nicht auszuschließen ist, dass bei den Teilnehmern indirekt eine Aufarbeitung und Veränderung irrationaler Einstellungen und Erwartungen erfolgt, konzentriert sich die Intervention primär auf eine reine Verhaltensänderung. Die Konzentration auf nur zwei Module (vgl. Höcker et al., 2008) oder lediglich auf die Variable „Arbeitszeitrestriktion“ (vgl. Höcker et al., 2012) sieht das Autorenteam durchaus als Vorteil ihrer beiden Interventionsprogramme. Die Ergebnisse von Höcker et al. (2008, 2009, 2012) belegen, dass es sinnvoll sein kann, an den konkreten Problemen des Aufschiebeverhaltens zu arbeiten, weil der dadurch erfahrene Erfolg ja tatsächlich zu einer Veränderung des Aufschiebeverhaltens führt. Ob die erzielten Veränderungen tatsächlich einen langfristigen Effekt haben, also zeitlich stabil bleiben, ist jedoch noch nicht zweifelsfrei nachgewiesen.
Rückert (2006) setzt im BAR-Programm explizit Methoden der Rational-Emotiven Therapie ein, weil für ihn unangenehme Emotionen und die damit eng verbundenen inadäquaten Kognitionen ausschlaggebend sind für das Aufschiebeverhalten. So müssen nach Rückert erst die Einstellungen des Betroffenen geändert werden, bevor eine Verhaltensänderung erfolgen kann.
In allen vorliegenden Trainings und Interventionen wird in irgendeiner Form die Idee des „Rechenschaft ablegen“ vertreten und realisiert. Das kann etwa in Form eines Lerntagebuchs oder Logbuchs geschehen, das die Teilnehmer und Teilnehmerinnen führen. So entsteht einerseits den Gruppenmitgliedern und andererseits den Durchführenden gegenüber ein Verpflichtungsgefühl und es werden, wenn auch nur indirekt anhand des Lerntagebuchs, die Fortschritte kontrolliert.
Problematisch bei Selbsthilfetrainings wie die von Basco (2010), Knaus (2002), Rückert (2006) oder Seiwert (2005, 2007) ist die grundlegende „optimistische“ Annahme, dass die Intervention durch Selbstreflexion, Selbstbeobachtung und -kontrolle der Person gelingt. Dabei werden gerade diejenigen Fähigkeiten gefordert, die ein Problem für Prokrastinierer darstellen, wie etwa die Wahrnehmung eigener Fähigkeiten oder die Einschätzung der Zeit, die benötigt wird, eine Aufgabe zu bearbeiten. So ist auch die fehlende Selbstregulation und gering ausgeprägte Gewissenhaftigkeit sowie die Neigung zur Impulsivität, die häufig bei Aufschiebern zu finden sind, beim Einsatz von Selbsthilfetrainings problematisch. Die Person muss sich selbst gegenüber ehrlich sein und über genügend Selbstkontrolle verfügen, um die Trainingsangaben konsequent zu befolgen. Dennoch können Selbsthilferatgeber motivieren, sich mit dem Aufschiebeverhalten auseinanderzusetzen, und somit den Einstieg in eine professionelle Intervention erleichtern.
Alle Trainings gehen von einer zumindest kurzfristigen Wirksamkeit bzw. Verringerung des Aufschiebeverhaltens aus bzw. postulieren diese Wirksamkeit wie etwa das Selbsthilfetraining von Rückert (2006). Für einen dauerhaften Erfolg scheinen jedoch längerfristige Maßnahmen und Interventionen, die sich nicht nur primär auf das problematische Verhalten der aufschiebenden Personen richten (vgl. Höcker et al., 2008, 2009, 2012; Rist et al., 2006), geeigneter und erfolgversprechender zu sein. Gleichzeitig mit dem Verhaltensänderungsprogramm sollte auch explizit die kognitive Komponente berücksichtigt werden, indem an unangemessenen Erwartungen und irrationalen Überzeugungen gearbeitet wird. Allerdings liegen im deutschsprachigen Raum so gut wie keine überprüften Interventionsmaßnahmen vor, sodass die Maßnahmen von Callies (2012), Höcker et al. (2008, 2009, 2012) sowie Rist et al. (2006) die Ausnahmen bilden.