Hongr isch dr beschde Koch

Die Gaststätte »Zum goldenen Töpfle« befand sich in unserer Siedlung. Gemeinsam mit den Gärten des Kleingärtnervereins neben der Gaststätte bildete sie die Grenze zum Naturschutzgebiet von Goldthal.

Das Haus befand sich auf einer kleinen Anhöhe, verfügte über eine riesige Terrasse aus Holz und mit Bäumen ringsherum. »Du wirst es hier mögen«, versicherte mir Tom und hielt mir die Eingangstür auf. »Es ist ziemlich traditionell drinnen und das Essen wirklich ein Gedicht. Und wundere dich nicht, wenn du ein paar komische Kauze Karten spielen siehst. Der Herrenstammtisch tagt immer dort.« Neben dem Schankraum ging der Veranstaltungsraum ab, in den wir einbogen.

Tom hatte wirklich nicht übertrieben, es war urig. Schwere Gardinen an den Fenstern, Blumengestecke auf Fensterbänken und Tischen, Landschaftsbilder an den Wänden.

Wir standen in der Eingangstür und sahen uns in aller Ruhe um. Außer uns gab es weitere acht Paare, von denen wir aufs Gründlichste und ohne Scham geprüft wurden. Ich hasste es, im Mittelpunkt zu stehen, ganz im Gegensatz zu meiner Mutter, die diesen Augenblick genossen und eine erstklassige Show hingelegt hätte.

»Wirklich nett hier«, murmelte ich Tom zu und steuerte in Richtung des nächstbesten Tischs, um unsere Sachen ablegen zu können.

»Die hören auch wieder auf, ignorier ihre Blicke einfach.« Tom kannte mich ganz gut und wusste, wie unsicher ich mich mit all der Aufmerksamkeit fühlte. Er gab mir einen Kuss auf die Stirn, und wir nahmen auf den Stühlen Platz.

Kaum saßen wir, als auch schon eine schillernde Erscheinung, anders kann ich es nicht beschreiben, in den Raum glitt.

»Heute ist ein guter Tag zum Tanzen, meine Damen und Herren.« Die Erscheinung hatte sich vor uns aufgestellt, und ich nahm an, dass es unser Tanzlehrer sein musste. Auf den ersten Blick sah er mit seinem feuerroten Haar und dem Vollbart überhaupt nicht wie ein Tänzer aus. Auf den zweiten hingegen konnte man seinen trainierten, drahtigen Körper erkennen. Das schwarze Hemd, das bis zum Bauchnabel aufgeknöpft war, gab den Blick auf künstlich gebräunte Haut frei.

Er klatschte in die Hände und winkte uns näher zu sich heran. »Herzlich willkommen bei ›Tanz mit Tews‹. Mein Name ist Fridolin Tews …«

Er legte eine kurze Kunstpause ein und schien auf eine Reaktion unsererseits zu warten. Zwei Paare aus der hinteren Reihe klatschten verhalten, während wir Restlichen uns Blicke zuwarfen. Ich war Bibliothekarin und sollte über genügend Allgemeinwissen verfügen, jedoch sagte mir der Name rein gar nichts. Ohne Hilfestellung würde ich nichts damit anfangen können. Wir waren näher getreten und sahen ihn weiterhin fragend an.

Tews hatte die Lippen säuerlich verzogen und sah nicht mehr so strahlend aus. Er räusperte sich. »Ich bin ehemaliger professioneller Turniertänzer und Inhaber eines Tanzstudios – Flyer liegen am Ausgang bereit – und Ihr Tanzlehrer.« Er blähte die Nasenflügel auf. »Sie dürfen sich also geehrt fühlen.«

Wieder verhaltenes Klatschen. Hier benötigte jemand aber dringend einen Ego-Push.

Tom und ich sahen uns an, hatten wir doch beide nicht mit so jemandem gerechnet. Ich hatte an einen freundlichen älteren Herrn oder eine Dame gedacht, deren Hobby es war, tanzfreudigen Pärchen etwas unter die Arme zu greifen. Aber das hier war dann doch eine ganz andere Nummer.

Fridolin Tews ging einige Schritte vor uns auf und ab. »Herrschaften, hier ist kein Ort für Albernheiten. Ich erwarte Disziplin, Disziplin und Disziplin. Wir sind hier schließlich bei keinem Kirchenpicknick. Wer Schabernack betreibt, fliegt. Tanzen ist Leben. Also fühlen Sie den Rhythmus, körperliche Krücken haben hier nichts verloren. Heute beginnen wir mit dem Mambo.« Er hatte eine Pose angenommen, die schrecklich unbequem aussah.

Die Eingangstür zum Veranstaltungsraum gab ein leises Quietschen von sich, und ich konnte ein weiteres Paar erkennen, das hereingehuscht kam.

»Sie«, Tews funkelte die beiden böse an, »Gelbe Karte für Ihr Zuspätkommen. Beim nächsten Mal sind Sie raus. So, wo war ich?« Er nahm wieder seine Pose ein.

Als sich von uns keiner vom Fleck bewegt hatte, bedachte Tews uns alle mit einem strengen Blick. »Na, was ist denn, worauf warten Sie denn noch? Witt, witt, aufstellen und Haltung annehmen.« Tews klatschte in die Hände. »Ines, Musik!«

Er richtete seinen ausgestreckten Zeigefinger auf eine junge Frau, die in der Ecke stand und die Musikbeauftragte zu sein schien. Die Arme musste seine Assistentin sein.

»Es tut mir leid, Chef, aber irgendwas stimmt nicht mit der Anlage.« Ihre Stimme hatte eine weinerliche Nuance angenommen.

Tews war darüber nicht begeistert. »Alles muss man hier selbst machen«, schimpfte er und eilte nach hinten.

Ich konnte nicht anders und musste kichern. Das war alles absurd und unrealistisch. »Was für ein seltsamer Kauz«, flüsterte ich Tom zu.

»Das kannst du laut –«

»Ist das etwa der alte Fuchs?« Neben uns war der Mann aufgetaucht, der sich vor wenigen Augenblicken noch mit seiner Partnerin hereingeschlichen hatte, und strahlte uns an.

»Ich werde verrückt«, rief Tom. Die beiden Männer umarmten sich und klopften einander freundschaftlich auf den Rücken. Mit einem breiten Grinsen drehte Tom den Neuankömmling in meine Richtung. »Schatz, darf ich dir meinen alten Freund Theo vorstellen? Theo, das ist meine Frau Dora.«

»Freut mich, dich kennenzulernen.« Ich reichte ihm die Hand.

»Warum so förmlich?« Mit seinen Pranken zog Theo mich an sich und drückte mich fest an seine Brust. Ich wusste nicht, was es war, aber die Goldthaler schienen wirklich auf Körperkontakt zu stehen.

»Mein Gott, wie lange ist unser letztes Treffen schon her?« Theo hatte mich wieder losgelassen und sich an Tom gewandt. »Meine letzte Info war, dass es dich in die Großstadt verschlagen hat.« Fasziniert schüttelte er den Kopf und schien mit dem überraschenden Wiedersehen nicht ganz klarzukommen.

Tom hatte seinen Kopf kurz schief gelegt und schien zu überlegen. »Mindestens zehn Jahre, wenn nicht sogar länger.«

»Viel zu lange.«

»Ihr seid zusammen aufgewachsen?«, erkundigte ich mich.

Theo legte einen Arm um Toms Schulter und nickte. »Tom war mit seinen Geschwistern in den Ferien immer hier bei seinen Verwandten. Und da seine Tante und meine Mutter im selben Verein sind, haben wir uns kennengelernt.«

»Ihr hattet bestimmt eine interessante Zeit.«

Tom lachte. »Und was für eine. Wir haben wirklich ziemlich viel Blödsinn angestellt.«

»Du?« Ich kannte niemanden, der mehr nach den Regeln und Gesetzen lebte als mein Mann. Er tanzte nie aus der Reihe.

»Ach, na ja, Unsinn, den man in der Jugend halt so anstellt. Nichts Besonderes.«

Theo schien in Erinnerungen zu schwelgen. »Erinnerst du dich noch daran, wie wir tagelang im Wald gelebt haben, ohne jemandem Bescheid zu sagen? Den Hausarrest vergesse ich nie. Oder wie wir die Hütte vom alten Fischer aufbrechen wollten, um dort unser Geheimquartier zu errichten. Oder die Maiennacht, in der die alte Gaby mit ihrer Schrotflinte –«

»Danke, das reicht.« Toms Gesicht hatte eine leichte Rotfärbung angenommen.

»Du warst ja ein ganz Schlimmer. Das klingt sehr spannend.« Ich war nun ehrlich überrascht und mehr als neugierig, mehr von Toms wilder Jugend zu erfahren.

»Du hast dir wirklich den Schlimmsten von uns allen ausgesucht, Dora.« Theo strahlte über beide Ohren.

»Theophilus!«, warnte Tom seinen alten Freund.

»Hey, so dürfen mich nur meine Eltern nennen«, knurrte Theo. »Das ist das Blöde, wenn dein Vater der evangelische Pfarrer im Ort ist und man mit den alten biblischen Namen gestraft wird«, erklärte er und hob leidend seine Achseln.

»Amen, Bruder, ich weiß genau, wie es dir geht. Meine Mutter hat immer ausgefallene Namen für ihre Kinder gewollt. Deshalb wurde ich auf Theodora und meine Schwester auf Tabea getauft. Unverantwortlich, wenn du mich fragst.«

»Einen Augenblick noch, meine Herrschaften, die Musik läuft gleich wieder.« Tews meldete sich zu Wort, und mir fiel auf, dass ich ihn komplett vergessen hatte.

»Ich würde ›unentschieden‹ sagen.« Theo klopfte mir kräftig auf die Schultern. »Du gefällst mir – gute Wahl, Tom.«

Ich hielt mir eine Hand vor den Mund, um nicht laut loszulachen. »Dann kannst du mir jetzt verraten, warum ich den Schlimmsten von euch geheiratet habe.«

»Du hast dir den Bandleader geangelt. Die sind immer die Schlimmsten.«

»Ihr hattet eine Band?« Tom hatte noch nie etwas in dieser Richtung erwähnt.

»Natürlich! Tom hatte damals die Idee, um Mädels kennenzulernen. Frauen stehen auf Musiker. Wir waren die ›Four T’s from the Alb‹. Tom, Tobi, Torsten und ich. Alle mit T, da lag der Name praktisch auf der Hand.«

»Und hat es funktioniert? Also die Mädels klarzumachen?«

Die beiden grinsten verschwörerisch, wobei Tom sich mit seiner Freude vor mir zurückzuhalten schien.

Theo hielt sich an den Freundschaftskodex und schwieg zu meinem Verdruss. »Aber jetzt erzählt doch mal, was hat euch hierhergeführt? Stimmt es, dass du jetzt hier wohnst? Ich hielt das für ein Gerücht. Wer flüchtet schon freiwillig von der Großstadt aufs Land?«

»Zu viel Kriminalität in der Großstadt. Dora hat die Möglichkeit erhalten, hier die Bücherei zu leiten, und ich habe bei der Kripo eine Stelle bekommen.«

Theo schüttelte den Kopf. »Da hast du dir ja den richtigen Ort ausgesucht. Wurde der Förstner nicht in deiner Bücherei um die Ecke gebracht?« Er war ein paar Schritte aufgerückt, wodurch wir den Eindruck erweckten, als würden wir ein Komplott schmieden. »Total verrückt. Die eine findet die Leiche, und der andere löst den Fall. War viel Blut im Spiel?«, erkundigte er sich.

»Nein, kein Blut. Er ist vermutlich erstickt. Ich tippe auf Gift oder das viele Geld, das man ihm in den Rachen gestopft hat«, klärte ich Theo über die Fakten auf.

»Dora!« Mein Mann warf mir einen bösen Blick zu.

»Was denn? Als ob sich das nicht schon längst herumgesprochen hätte.«

Tom legte seine Stirn in Falten. »Du kannst hier nicht so was von dir geben. Man wird noch denken, dass ich dir etwas über die Ermittlungen erzähle, was ich definitiv nicht tue.«

Ich sagte es ja, er hielt sich immer an die Regeln.

Theo beugte sich verschwörerisch vor. »Und es war wirklich Wilfried Nikolaus? Meine Mutter hat mich sofort angerufen, als sie davon erfahren hat, und wollte von mir wissen, ob ich ihn kenne.«

»Alles deutet darauf hin«, gab Tom knapp Antwort, bemüht, sich im Rahmen des Datenschutzes zu bewegen.

»Ich glaube nicht, dass er es war.«

Tom sah mich komisch an. »Was soll das heißen, du glaubst nicht, dass er es war?«

»Na, wie ich sage. Ich halte ihn für unschuldig. Ihr habt den Falschen auf dem Radar.«

»Krass.« Theo schaute zwischen uns hin und her. »Er könnte es also vielleicht doch nicht sein?«

Tom senkte die Stimme. »Bei unseren Ermittlungen hat sich herausgestellt, dass Nikolaus Gelegenheit und – viel wichtiger – ein Motiv dazu hatte, Förstner umzubringen. Als wir Nikolaus besucht haben und er flüchten wollte, hat Saskia ihn allein zur Strecke gebracht.« Seine Stimme war voller Anerkennung für seine Kollegin.

Ich war wirklich froh, dass er auf seinem Revier neue Freunde gefunden hatte. Wirklich. Jedoch sprach er für meinen Geschmack zu oft von dieser Saskia. Ich schnaubte. Ein Ausdruck meiner Missbilligung wegen Nikolaus. Und seiner Saskia.

»Das ist schon ziemlich verdächtig«, stimmte Theo zu und verschränkte seine Arme vor der Brust.

»Nur weil er vor der Polizei weggerannt ist? Würdest du nicht auch Panik bekommen, wenn die plötzlich bei dir daheim auftauchen würden?«

Unschlüssig zog er die Schultern hoch. »Möglich.«

»Eben.« Mehr wollte ich gar nicht hören.

Tom verlagerte sein Gewicht von einem Bein aufs andere. »Nikolaus hat Andreas Förstner vor Publikum gedroht. Am nächsten Morgen ist er verschwunden, und dann war er tot. Noch eindeutiger geht es ja nicht.«

»Wenn du und deine Saskia euch mal in Ruhe hingesetzt hättet, wüsstet ihr, dass Wilfried Nikolaus unschuldig ist.«

Tom verzog das Gesicht, und seine Augenbraue begann zu zucken. »Die Fakten liegen doch auf dem Tisch. Noch dämlicher kann sich ein Mörder nicht anstellen.«

An seiner Stimmlage konnte ich erkennen, dass er langsam verärgert wurde. Ob es daran lag, dass ich seine Ermittlungen kritisierte oder die gute Saskia?

»Aber das war doch viel zu einfach«, brachte ich vor. Ich ließ mich von seinen Augenbrauen nicht einschüchtern.

»Ach ja?«

»Du hast Nikolaus kennengelernt. Er ist eher der ländliche Typ und würde eher seine Muskelkraft statt ausgeklügelte Pläne sprechen lassen. Vermutlich hätte er Förstner zu Zahnstochern verarbeitet, statt ihn zu vergiften.« Das musste doch ein Blinder erkennen. Ich hatte den guten Mann bisher nur einmal kurz zu Gesicht bekommen, aber das hatte gereicht, um mir ein Bild von ihm machen zu können.

Tom zögerte für einen Moment, fing sich dann aber wieder. »Die Tatsachen sprechen gegen ihn. Außerdem würde niemand Unschuldiges vor der Polizei flüchten.« Damit war für ihn alles gesagt.

Ich konnte einen frustrierten Seufzer nicht länger unterdrücken. Wie konnte man so blind sein?

»Ich kann mir das wirklich nicht mit ansehen.«

»Was meinst du damit?« Seine Stimme klang nach einem Raubtier, das sich auf der Jagd befand.

»Na, wie man einen Unschuldigen verdächtigen kann und den wahren Mörder da draußen noch frei herumlaufen lässt.« Ich musste aufpassen und durfte meine Pläne nicht schon jetzt verraten. Schon gar nicht an den Feind.

Toms Augen wurden zu Schlitzen, und sein Gehirn schien zu arbeiten. »Deshalb warst du heute bei Bärbel Nikolaus zu Hause. Was führst du im Schilde?«

Tom war wirklich gut und nicht ganz unfähig im Ermitteln von Tatsachen. Jedenfalls dieses eine Mal nicht.

»Nichts«, sagte ich so unschuldig wie möglich.

»Lenk nicht ab, ich kenne dich schon zu lange, um nicht zu wissen, dass du was ausheckst.«

»Hört doch mal, die Musik geht wieder.« Theo deutete auf die Musikanlage, an der ein genervt aussehender Fridolin stand und der armen Ines den Einlauf des Jahres zu verpassen schien. »Ich geh dann mal zu meiner Frau, bevor wir noch einen weiteren Anschiss kassieren. Dora, hat mich gefreut. Tom, wir sehen uns?«

Er verabschiedete sich von uns beiden und ging zu seiner Frau zurück, die sich mit einem anderen Pärchen angeregt zu unterhalten schien.

Zwischen Tom und mir herrschte Stille. Die Stimmung war auf dem Tiefpunkt angekommen, eine wunderbare Voraussetzung für den Abend.

Kubanische Klänge hallten durch den Raum, und Tews bezog vor uns allen wieder Position.

»Nehmen Sie nun Ihre Figuren ein.«

So schnell konnte mein Gehirn gar nicht mitdenken, wie Meister Fridolin uns Anweisungen zubellte, wie wir uns aufzustellen hätten. Ich stand verkrampft auf den Zehenspitzen und hatte die Arme geöffnet. Tom stand nicht minder verkrampft vor mir. Ich konnte an seinen Gesichtszügen erkennen, dass es in ihm brodelte. Wir ergriffen unsere Hände und versuchten, im Takt der Musik zu Mambo zu tanzen.

»Schön im Wiegeschritt vor und zurück, zur Seite und wieder zurück in die Ausgangsstellung.«

»Musste das sein? Ausgerechnet vor meinem Freund«, platzte es nun aus Tom raus.

»Ich weiß leider nicht, was du meinst.« Wollte er mir jetzt wirklich den Schwarzen Peter zuspielen?

»Können wir zukünftig solche Themen zu Hause und ohne Publikum besprechen?«

»Eine schreckliche Körperhaltung«, tadelte Meister Fridolin uns. Er war durch die Reihen gegangen, um uns zu korrigieren, und klopfte Tom auf die Schulter. »Haltung annehmen, wir sind hier doch nicht auf dem Jahrmarkt.«

Als der Tanzlehrer sich abgewandt hatte, gab ich meinen Senf dazu. »Natürlich, können wir gerne tun. Ich wusste nur nicht, dass es verboten ist, meine Meinung zu diesem Fall offen kundzutun.«

»Nicht reden, sondern tanzen!«, blaffte Tews. »Gelbe Karte für Sie beide.« Mit anklagendem Finger deutete er auf uns.

»Du bewegst dich hier auf gefährlichem Terrain. Das Aufklären von Mordfällen ist Polizeiarbeit. Davon verstehst du nichts. Ich möchte, dass du deine Nase aus dieser Angelegenheit raushältst. Verstanden?«

Tom, der sich sonst immer an die Regeln hielt, schien die Gelbe Karte von Herrn Tews zu ignorieren. Wenn er seine Stimme des Gesetzes anschlug, fühlte ich mich immer wie eine Schwerverbrecherin, die gegen Justitia und ihre Regeln verstoßen hatte. Die Ansage hatte mir den Abend gründlich versalzen.

Die Mamboklänge aus der Musikanlage verzogen sich und endeten mit einem lauten Knirschen. Die Anlage schien ihren Dienst für Tews erneut zu versagen.

»Himmel, Arsch und Zwirn! Ines!«

Ich nutzte die Unterbrechung. »Du entschuldigst mich kurz, oder verstößt es gegen das Protokoll, wenn ich zur Toilette gehe?« Ohne seinen Kommentar abzuwarten, löste ich mich aus seinem Griff und begab mich auf die Suche.

Jetzt hatten wir uns wirklich in die Haare bekommen. Wegen eines Mords! Phantastisch. Vor Ärger blähte ich die Wangen auf und trocknete mir die nassen Hände an den Papiertüchern ab.

Ich hasste es zu streiten. Das würde mir wieder ewig nachhängen. Schwungvoll öffnete ich die Tür der Damentoilette und trat auf den Flur hinaus. Die rhythmischen Klänge aus dem Veranstaltungsraum klangen dumpf herüber. Die Anlage lief also wieder. Gut für Ines.

Direkt vor den Toiletten hatten die Besitzer des »Zum goldenen Töpfle« ein riesiges Schwarzes Brett angebracht. Sehr schlau, somit blieben die meisten Besucher stehen und überflogen die Flyer und Plakate. Und davon gab es einige. Sie informierten über anstehende Veranstaltungen, die im Ort oder im Saal der Gaststätte stattfinden würden. Und neben dem Tanzen wurde hier eine Menge angeboten.

Eine Kooperation wäre wirklich genial. Wenn die Gaststätte und ich zusammenarbeiten würden, könnte ich höchstwahrscheinlich neue Leute für die Bücherei gewinnen. Das war die Idee!

Für einen kurzen Moment war mein Ehekummer vergessen. In ein paar Augenblicken würde ich mich um diese Baustelle kümmern, aber zuerst musste der Inhaber herhalten. Ich eilte in den Gastraum. In der Ecke befand sich ein runder Tisch, an dem eine Handvoll älterer Herren mit Karten saß und sich lautstark unterhielt. Vor dem Tresen blieb ich stehen und strahlte den Mann gegenüber von mir an.

»Entschuldigung, sind Sie hier der Inhaber?«

Der groß gebaute Mann mit dem Vollbart und dem Flanellhemd, der mit dem Spülen der Gläser beschäftigt war, gab ein kurzes Grunzen von sich. Wie charmant.

»Ich deute das als ein Ja. Mein Name ist Theodora Fuchs, und ich bin die Leitung der Bücherei. Ich bin auf Ihre Veranstaltungswand vor den Toiletten gestoßen und hätte ein paar Veranstaltungsideen. Was halten Sie davon, wenn wir uns zusammentun und ein paar tolle Dinge auf die Beine stellen?« Ich setzte mein gewinnendstes Geschäftslächeln auf.

Der Inhaber starrte mich für ein paar Augenblicke schweigend an, dann drehte er sich um und öffnete eine Tür hinter dem Tresen. »Catrin!« Er kam zu seinem Spülbecken zurück und begann seine Arbeit wiederaufzunehmen. Nun war ich wirklich etwas verwirrt. War er kein Schwabe und hatte Schwierigkeiten, unsere Sprache zu verstehen? Oder war es ein typisches Männerproblem, und er wollte einfach nicht sprechen?

»Was ist denn?« Eine Frau in meinem Alter – Catrin? – kam durch die Tür und blieb neben dem Mann stehen. Er deutete mit einer Kopfbewegung in meine Richtung, ohne seine Arbeit zu unterbrechen. Verwirrt sah sie mich an. Sie war ziemlich hübsch. Sportliche Figur, dunkles Haar, braune Augen und Grübchen in den Wangen.

»Guten Abend, was kann ich für Sie tun?« Sie sprach ohne schwäbischen Dialekt und war damit eine Reingeschmeckte, wenn auch auf eine andere Art als ich. Es gab hier im Ort also noch mehr von uns, ich hatte schon die Befürchtung gehabt, die Einzige zu sein.

Der Mann grunzte und ließ uns dann allein. Wir schauten ihm beide hinterher. Und da hieß es immer, Frauen seien kompliziert.

Catrin lächelte. »Ich muss mich für meinen Mann entschuldigen. Geschäftsgespräche sind nicht so sein Ding.«

»Das kann ich gut verstehen.« Ich nannte ihr meinen Namen und mein Anliegen. Und hoffte, nun die richtige Ansprechpartnerin gefunden zu haben.

»Wenn ich es richtig aufgefasst habe, dann wollen Sie in unserem Saal Lesungen, Diskussionsrunden und Ähnliches veranstalten?«

»Genau. Wir könnten von der Zusammenarbeit profitieren. Man könnte sich auch überlegen, größere Kinderveranstaltungen anzubieten.«

Auf dem Gebiet hatte ich zwar keine Erfahrung, aber das brauchte ich ja nicht gleich offenzulegen.

Mein Gegenüber strahlte und gab ein Quieken von sich. »Ich bin hier Erzieherin im Kindergarten und wünsche mir schon seit Langem eine Zusammenarbeit mit der Bücherei, leider konnte ich Ihren Vorgänger nie dafür erwärmen.«

Da schien ich wohl einen Nerv getroffen zu haben. »Das tut mir leid zu hören, aber ich bin mir sicher, dass wir zukünftig eine Kooperation zustande bringen können. Es ist wirklich ein Glücksfall, dass ich an die richtige Person geraten bin, Frau …?«

»Catrin Dietrich, aber Catrin reicht vollkommen aus.«

»Dora, freut mich, Catrin. Wenn du also Ideen haben solltest, nur raus damit.«

»Die habe ich tatsächlich. Was hältst du von einer gruseligen Lesenacht? Draußen und mit Lagerfeuer. Die Kinder würden das lieben.«

»Klingt genial, das hätte mir als Kind bestimmt auch gefallen. Da bin ich dabei. Ich habe im Moment leider meinen Kalender nicht mit, sonst hätten wir einen Termin ausmachen können.«

»Wie wäre es Sonntagabend, nach dem Maibaumfest? Zu spontan?«

Ich schluckte und machte große Augen. Die liebe Catrin ließ nichts anbrennen. »Nein, ich hätte nur nicht mit solch einer Rückmeldung gerechnet. Ich wollte nur mal vorsichtig nachfragen, und zack, habe ich schon die erste Veranstaltung im Sack.«

Catrin lachte und rieb sich verlegen über den Hinterkopf. »Tut mir wirklich leid. Wenn ich von einer Idee angefixt bin, kann ich mich nur schwer bremsen.«

»Das kenne ich zu gut. Meinst du, wir bekommen bis Sonntag genug Werbung dafür gemacht, damit genügend Kinder kommen?«

Catrin winkte ab. »Lass das mal meine Sorge sein. Ich kenne da ein paar Eltern mit ihren Kindern, die auf jeden Fall Lust auf solch ein Event hätten. Du müsstest dich einfach nur um die Bücher und ein bisschen Deko kümmern. Was meinst du?«

Bis Sonntag war nicht mehr viel Zeit, um großartig viel zu organisieren. Vor allem, wenn meine erste Veranstaltung hier kein Flop werden sollte. Und dann waren da noch meine beiden Kolleginnen, die ich von dem spontanen Plan noch überzeugen musste. Na, würde schon schiefgehen.

Ich reichte Catrin die Hand. »Das bekommen wir hin. Auf einen gruseligen Abend!«