Ehrlich währd am längschda, abbr wer nedd stiehld, kommd zu nix

»Ich hatte bisher noch nicht wirklich was mit ihm zu tun, aber dein Vorgänger hört sich nach einer sehr sympathischen Person an.«

»Wirklich reizend«, erwiderte ich und nahm die Holunderschorle von Jonas entgegen. Herrlich erfrischend und süß, ganz nach meinem Geschmack. Nach dem ersten Treffen mit den Strickdamen und Winters Besuch in meiner Bücherei hatte ich wirklich etwas Süßes zum Aufmuntern gebraucht. Zum Glück verfügte Jonas über die passenden Mittel dafür. Ich hatte mir ein Laugenweckle mit Butter bestellt, auf dem ich eine dicke Schicht Nuss-Nougat-Creme verteilt hatte. »Tom fand es unmöglich, als ich ihm davon am Telefon erzählt habe.«

Jonas nickte. »Männer halt.«

Ein tiefer frustrierter Seufzer schwang darin mit. Vielleicht galt der nicht nur meiner Winter-Geschichte, sondern hatte auch etwas mit Mirko zu tun. Gegen diesen Kummer half nur Schokolade, weshalb ich ihm eine meiner Wecklehälften anbot, die er ablehnte.

»Ich muss nachher noch zum Sport, es sieht aber sehr lecker aus. Lass es dir schmecken.«

»Du machst Sport? Davon hast du noch nie etwas erzählt.«

Jonas fuhr mit einem Glasreiniger und einem Lappen über die Oberfläche der Vitrine. »Ist noch ganz neu. Mirko hat mich bei seinem Fitnessstudio ›Olympia Palace‹ angemeldet, er ist mit dem Besitzer befreundet. Jetzt versuche ich, auf Kohlenhydrate, Zucker und Fett zu verzichten. In meinem Job nicht ganz einfach.«

Ich konnte seinen sehnsüchtigen Blick auf die Nuss-Nougat-Creme sehen und schluckte meinen letzten Bissen hinunter. »Wow, du hast meinen ganzen Respekt, ich könnte das nicht.«

Abstrampeln beim Sport und der Verzicht von Lebensmitteln, ich hoffte nur, dass Mirko diesen ganzen Zirkus auch wert war.

»Omi war heute Morgen übrigens auf der Bank.« Jonas lehnte sich verschwörerisch über den Tresen zu mir herüber. »Sie meint, in der Bank würde seit Förstners Tod ziemliches Chaos herrschen.«

Meine Ohren begannen zu klingeln. Entweder waren das meine natürlichen Antennen für eine interessante Geschichte, oder die Klatschweiber hatten bereits mehr auf mich abgefärbt, als mir lieb war.

»Und wie kommt sie darauf?«

»Geigers Eva hat es ihr heute Morgen erzählt.«

Ich lächelte. Der Flurfunk war halt doch immer noch das beste Kommunikationsmittel.

»Lars Schumacher wurde zu Förstners vorübergehendem Nachfolger bestimmt und ist wohl damit beschäftigt, das Chaos zu bereinigen.«

Lars Schumacher? Bimbam! Ich dachte an meinen Besuch bei Katharina Förstner und wie ich »zufällig« einen Briefwechsel zwischen Andreas Förstner und einem gewissen Lars Schumacher gefunden hatte. Ein paar wirklich unschöne Briefe. Schumacher hatte Förstner vorgeworfen, ihm den Chefposten in der Bank mit unfairen Mitteln weggenommen zu haben, und klargemacht, dass er sich das nicht bieten lasse.

Förstner war jetzt tot, und Schumacher saß auf dem Chefsessel. Zufall? Mord? Für mich hatte diese Geschichte ein ordentliches Gschmäckle. Es wäre das Beste, wenn ich mich einmal direkt vor Ort umsähe, um mir eine eigene Meinung zu bilden.

»Was heckst du schon wieder aus?« Jonas’ anklagender Tonfall erinnerte mich daran, dass ich mich noch bei ihm im Laden befand.

»Nichts natürlich«, erwiderte ich, zog schnell an meinem Strohhalm und leerte mein Glas in wenigen Zügen. Ich schenkte ihm dabei ein unschuldiges Lächeln, das er nur mit einer hochgezogenen Augenbraue quittierte.

»Mittlerweile kenne ich dich schon ganz gut. Irgendwas führst du im Schilde, Frau Fuchs.«

»Das meinst du bloß.« Ich kicherte und warf dabei einen Blick auf meine Armbanduhr. »Jetzt muss ich mich aber entschuldigen. Ich muss mich noch umziehen und sollte zu meinem Termin in der Bank nicht zu spät kommen. Bis später.« Mit einem Tätscheln auf Jonas’ Schulter verabschiedete ich mich und eilte aus dem Geschäft, bevor er mich davon abhalten konnte, meinen Plan umzusetzen.

Ich fuhr mit Erich, meinem alten Twingo, auf den Parkplatz der Bank und achtete beim Aussteigen darauf, meinem Outfit keine weiteren Falten hinzuzufügen. In Ermangelung einer feinen Garderobe hatte ich nur eine Bluse und eine Stoffhose zur Hand gehabt. Vielleicht sollte ich mal darüber nachdenken, ein paar meiner T-Shirts und Jeans gegen Kostüme einzutauschen. Nach einer Millisekunde verwarf ich den Gedanken allerdings wieder. Es gab doch nichts Besseres als ein Shirt, eine bequeme Jeans und Chucks.

Die Bankfiliale befand sich in einem alten Backsteinhaus und machte einen gewaltigen Eindruck. Über der gläsernen Eingangstür hing ein riesiges Banner:

Für jeden Einwohner ein Taler – Goldthaler Bank
Bank des Jahres

Da war aber jemand besonders stolz auf sein Unternehmen. Vielleicht sollte ich mir für die Bücherei auch ein Banner zulegen. Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, was ich daraufschreiben sollte, außer roten Zahlen gab es bei uns wirklich nichts zu bewerben. Doch ich beschloss, den Gedanken trotzdem mal im Hinterkopf zu behalten, man wusste ja schließlich nie.

»Willkommen, was kann ich für Sie tun?« Eine aufgebrezelte junge Dame stand hinter dem Informationsschalter und klimperte aufreizend mit ihren Wimpern. Ob das die gesprächige Geigers Eva war?

Sie hatte meinen suchenden Blick wohl bemerkt und mich direkt beim Eintreten abgefangen. Ihr aufgesetztes Grinsen wirkte wie festgetackert. Dazu das viele Make-up, das feine Kostüm und das ordentlich gebundene Halstuch. Für mich ein beängstigender Anblick.

Jedenfalls musste jetzt schnell ein Plan her. Natürlich war es naiv von mir gewesen, spontan hierherzukommen, um mit Schumacher sprechen zu können. Ich hatte nicht mal ein richtiges Anliegen, aber ich musste es trotzdem versuchen. Eine Ermittlerin ließ sich nie so schnell aus der Ruhe bringen. Es war gewagt, aber ich würde einfach etwas ausprobieren, was ich schon einmal in einem Film gesehen hatte.

»Guten Tag, ich hätte einen Termin bei Herrn Förstner gehabt …«

Die aufgesetzte Fassade von Svenja Voigt, wie ich jetzt ihrem Namensschild entnehmen konnte, bekam ordentliche Risse bei der Erwähnung von Förstners Namen. Ihre Wimpern klimperten immer schneller, und ich erkannte die aufsteigenden Tränen in ihren Augen. Verräterische Tränen, wenn man mich fragte. Ihr hübsches Äußeres und Förstners Ruf … Ich konnte mir gut vorstellen, dass sie für ihren ehemaligen Vorgesetzten mehr gewesen war als nur eine Kollegin.

Frau Voigt schluckte kurz. »Herr Förstner ist … ist nicht mehr bei uns.« Ein kurzer Schluchzer, den ich zu ignorieren versuchte. Sie tat mir wirklich leid, aber im Augenblick hatte ich keine Zeit, mich um sie zu kümmern.

»Ich weiß, und es tut mir schrecklich leid«, versicherte ich ihr. »Es ist wirklich tragisch, aber mein Anliegen ist dringend, kann man da nichts machen?«

Sie klimperte noch einmal mit den Wimpern und schien sich wieder einigermaßen gefasst zu haben. »Dürfte ich fragen, worum es ging?«

»Ich wollte einige Geldangelegenheiten mit ihm besprechen.« Sie nickte, als würde sie verstehen, wie dringlich meine Geldangelegenheiten wären. Und als gute Bankangestellte war es ihr vermutlich wichtig, dass ich mein Geld hier unterbrachte.

»Warten Sie bitte einen kleinen Moment. Ich werde bei unserem neuen Leiter Herrn Schumacher nachfragen, ob er Zeit für Sie hat.« Sie stöckelte ein paar Meter davon, drehte sich dann noch einmal zu mir um. »Wen darf ich ankündigen?«

»Sagen Sie ihm bitte, Frau Fuchs wäre da. Danke.«

»Guten Tag, Frau Fuchs, Lars Schumacher mein Name.«

Ich ergriff die mir dargebotene Hand und musste ehrlich zugeben, ich war etwas enttäuscht von meinem Gegenüber. Nach den Briefen von Schumacher an Förstner hatte ich mit einem selbstbewussten, parfümierten Kerl gerechnet, dessen Haare so fest nach hinten gegelt wären, dass man sie mit Hammer und Meißel hätte bearbeiten können. Nun hatte Lars Schumacher aus meiner Phantasie nichts mit dem in der Realität zu tun. Dieser Lars Schumacher war groß und schlaksig, hatte rotblonde Locken, die wild auf seinem Kopf wuchsen, eine längliche Nase und unreine Haut. Unsicher bot er mir den Stuhl gegenüber von seinem Schreibtisch an, nahm selbst wieder Platz und drohte in dem großen Ledersessel zu verschwinden.

Er zog seinen Krawattenknoten zurecht und hüstelte. Ich befürchtete, dass mir hier noch eine längere Geburt bevorstand. »Entschuldigen Sie bitte die Unannehmlichkeiten«, begann er nun wieder das Wort an mich zu richten, nachdem er seine Kleidung in Ordnung gebracht zu haben schien. »Sie wissen sicherlich, dass wir einen Todesfall in der Filiale zu beklagen haben, weshalb wohl der eine oder andere Termin in Vergessenheit geraten ist. Das muss wohl einer der Gründe sein, warum ich Sie in Herrn Förstners Kalender nicht finden konnte. Aber ich bin mir sicher, wir bekommen das hin. Also, was kann ich für Sie tun?« Er griff in die Schublade, zog ein paar Prospekte hervor und breitete sie fächerförmig vor mir aus. »Altersvorsorge. Kredite. Bausparvertrag. Oder doch eine Kontoeröffnung? Sie sind ja ganz neu in unserem schönen Örtchen, wenn man den Dorfgesprächen trauen darf.« Er gluckste vor sich hin.

Mir wurde ganz schwindelig von seinem Tempo. Wo war der unsichere Typ von gerade eben hin verschwunden? Tarnung oder ging er einfach nur in seiner Arbeit auf und lief dabei zu Hochtouren auf? Menschen, die sich freiwillig mit Geld auseinandersetzten, blieben für mich einfach ein Mysterium.

Erwartungsvoll wurde ich angeglotzt und war nun wohl an der Reihe, zu sprechen.

»Unter solchen Umständen ist es natürlich kein Wunder, dass mein Termin untergegangen ist. Vielen Dank, dass Sie mich dennoch so kurzfristig in ihrem vollen Terminkalender unterbringen konnten.«

Ich wurde mit einem Lächeln von Schumacher bedacht, als wäre ich sein Azubi, der ihm die richtige Antwort gegeben hatte.

»Aber für mich kommen Ihre Angebote leider nicht in Frage.«

»So?« Ungläubig schaute er mich an, als hätte er sich verhört. »Würden Sie mir dann verraten, was genau Sie mit Herrn Förstner besprechen wollten? Ich weiß sonst leider nicht, wie die Goldthaler Bank oder ich Ihnen behilflich sein könnten.«

Wo waren die guten Ausreden, wenn man sie mal brauchte? Ich würde einfach improvisieren müssen und irgendwas erzählen, was mir gerade so in den Sinn kam. »Ich bin die neue Leitung der Stadtbücherei, wie Sie vermutlich schon mitbekommen haben. Beim Durchschauen der Jahresabschlüsse fiel mir auf, dass die Bücherei in den letzten Jahren finanziell ziemlich auf Sparflamme gefahren ist.«

»Verstehe«, murmelte Schumacher und rieb sich über sein Kinn. »Mir ist bloß nicht klar, was Förstner beziehungsweise die Bank da für Sie tun könnte?«

»Ich hatte mit Förstner am Telefon über diese Problematik gesprochen, und er wollte sich etwas überlegen.«

»Soso, das wollte er? Hat er Ihnen zufällig verraten, was er sich da überlegt hatte?«

Ich verneinte. Wie hätte ich das auch wissen sollen, also war meine Antwort nicht mal gelogen.

»Wenn er Ihnen einen Kredit oder ein anderes Zahlenmodell ermöglichen wollte, also dann …« Schumacher begann einen Monolog darüber zu halten, warum Förstners mögliche Ideen nicht funktionieren konnten, schließlich gehöre die Bücherei der Gemeinde, und die Bank könne ja nicht so einfach …

Es tat mir wirklich leid für Lars Schumacher, aber mein Gehirn hatte sich verabschiedet. Ich wusste das natürlich alles, immerhin hatte ich bereits einige Jahre in einer Bibliothek gearbeitet und den einen oder anderen Moment im Studium gehabt, wo ich dem Dozenten zugehört hatte. Ich musste mich wieder fokussieren, schließlich war ich nicht wegen der schlechten finanziellen Lage der Bücherei hier, sondern um etwas über Förstner in Erfahrung zu bringen. Ich musste Schumacher also loswerden, und wenn nur für ein paar Minuten. Ich brauchte Zeit, um mich in dem Büro genauer umschauen zu können.

Ich wollte mir ungern einen Kredit oder eine Versicherung aufschwatzen lassen, sondern würde die Bank gerne mit zusätzlichen Informationen für meine Ermittlungen verlassen. Also begann ich mir mit der flachen Hand Luft zuzufächeln. »Heute ist wirklich ein ziemlich warmer Tag. Typisch April, finden Sie nicht auch? Hätten Sie vielleicht ein Glas Wasser für mich?«

Völlig aus seinem Konzept gebracht, glotzte er mich an und nickte. »Natürlich. Bitte warten Sie hier kurz.« Er hatte es kaum ausgesprochen, da war er schon aus dem Zimmer verschwunden.

Zum Glück war sein Büro kaum verglast, ich konnte mich also in Ruhe umschauen, ohne von draußen beobachtet zu werden.

Geübt ließ ich meine Augen durch das Büro schweifen, erkannte jedoch keine verdächtigen Plätze, an denen Förstner geheime Informationen versteckt haben könnte. Wenn ich an unsere Kunden in Stuttgart zurückdachte und überlegte, wo die überall die Medien heimlich versteckt hatten, dann war das Büro hier wirklich schlecht ausgestattet. Schnell erhob ich mich aus dem unbequemen Lederstuhl und umrundete den großen Schreibtisch. Es musste hier doch irgendwo ein Kalender oder etwas Ähnliches übrig geblieben sein, das ich mir einmal »ausleihen« konnte. Hektisch lief ich auf den Garderobenschrank in der Ecke zu und öffnete ihn. Eine Kiste mit der Aufschrift »Für die Polizei« stand am Boden. Bingo!

Viel befand sich jedoch nicht darin. Ein paar persönliche Gegenstände – darunter eine große Auswahl von Parfüms, Ersatzkrawatten, Unterlagen und ein orangenes Sakko, das förmlich nach Förstner schrie. Wenn das kein Glück war. Ich fand ebenfalls ein Päckchen Tempos, nahm mir eines heraus und begann, die Taschen des Sakkos schnell zu durchsuchen. Ich hatte wieder einmal den richtigen Riecher gehabt, als meine Finger das rechteckige Gehäuse eines Telefons zu fassen bekamen. Ich zog ein Blackberry hervor, schloss die Garderobe und ließ die kostbare Ware gerade rechtzeitig in meine Handtasche gleiten, als die Bürotür geöffnet wurde.

»Entschuldigen Sie bitte, dass es so lange gedauert hat.« Schumacher reichte mir das Glas Wasser, aus dem ich gleich zwei große Schlucke trank.

Mein Herz raste wie wild, die Aktion hätte mir ziemlich um die Ohren fliegen können.

»Eine Kollegin hat einen Rat gebraucht … Sie kennen das bestimmt.«

Ich nickte zustimmend. Dieses »Könntest du mal g’schwind kommen, ich brauche deine Hilfe« kannte ich nur zu gut.

Schumacher lächelte wieder, verzog gleich darauf sein Gesicht und kratzte sich am Kinn. »Um noch einmal auf Ihr Anliegen, das Sie bereits mit Förstner besprochen hatten, zurückzukommen. Ich habe es mir noch einmal gründlich durch den Kopf gehen lassen und muss Ihnen leider für Ihre Anfrage ein Nein mit auf den Weg geben.« Es folgte ein mitfühlender Blick, der sicherlich bis zur Perfektion trainiert worden war.

»Da kann man natürlich nichts machen«, gab ich zurück und presste meine Handtasche fest an mich. »Trotzdem vielen Dank für Ihre Zeit.«

Zum Abschied reichte ich ihm die Hand und trat den Rückzug an. Ich wollte mit der heißen Ware in meiner Handtasche nicht länger hier drin sein als nötig.

Bereits an der Tür angekommen, ließ mich Schumachers Stimme innehalten. »Ach, Frau Fuchs, einen Moment noch.«

Eilig kam er um seinen Schreibtisch und stand wenige Sekunden später direkt neben mir. Mein Herz schlug schneller. Was, wenn das Büro videoüberwacht war und ich nun auf frischer Tat ertappt worden war? Mir rutschte mein Herz für einen Augenblick in den Magen und dann mit Lichtgeschwindigkeit zurück an seinen Platz.

»Ja?« Ich brachte ein schiefes Lächeln zustande und drehte mich zu ihm um.

»Ich werde mir zu Ihrem Fall noch einmal Gedanken machen. Vielleicht kann die Bank die Bücherei durch eine Spende oder Kooperation unterstützen. Es wäre doch schade, wenn wir für unsere Jugend und ihren Wissensdurst nichts tun könnten.«

Mit einem verschwörerischen Augenzwinkern öffnete er mir die Tür, und mehr als perplex verließ ich sein Büro. Wenn das mal keine überraschende Wendung war.

»Dora? Was machst du denn hier?« Als wäre der Ausgang dieses Gesprächs nicht schon seltsam genug gewesen, standen Tom und ein Kollege vor mir und schauten mich skeptisch an.

»Tom, du auch hier?«, grüßte ich zurück und versuchte unauffällig, ein paar Meter von Schumachers Bürotür zu weichen.

»Ich bin dienstlich hier, und du?«

»Du wirst lachen, ich ebenfalls.« Gespielt beschäftigt warf ich einen Blick auf meine Armbanduhr. »Ui, ich bin schon wieder spät dran. Annika ist ganz allein in der Bücherei, wir sehen uns daheim.« Ich gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange und rauschte an ihm vorbei.

Jonas’ kleine Dachwohnung gefiel mir ausgesprochen gut. Sie lag direkt über seinen Geschäftsräumen und reichte für ihn und seine Mitbewohnerin, Schildkrötendame Inge. Und Jonas verfügte über Geschmack, denn die Wohnung war wirklich schick eingerichtet, dazu viele Bücher, eine große Film- und Musiksammlung. Hier konnte man es definitiv aushalten.

Ich war nach der Arbeit nicht sofort nach Hause gefahren. Das Diebesgut in meiner Handtasche musste weg, und außerdem musste ich Jonas alles in Ruhe erzählen. So kam es also, dass ich nun auf seiner Couch lag, er für uns etwas in der offenen Küche zum Essen vorbereitete und im Hintergrund koreanische Popmusik lief. Er war ein Fan dieser Musikrichtung, wie er mir bei meinen doch etwas verwirrten Fragen verriet.

»Willst du mir nun von deinem Mirko erzählen?«

Jonas blickte von seinem dampfenden Kochtopf auf und schaute mich irritiert an. »Ich weiß nicht, was du meinst, aber das Essen ist gleich fertig.«

Ich griff nach meinem Glas und gesellte mich zu ihm in die Küche. Ich nahm einen Schluck von meinem Rotwein – den hatte ich wirklich nötig.

»Mein Herz, ich mag zwar vieles sein, aber blind bin ich zum Glück noch nicht. Du und dieser Mirko, ihr seid doch ein Paar. Und das ist doch etwas Schönes.«

Jonas war plötzlich steif geworden, und mir war klar, in welches Wespennest ich mit meiner großen Klappe gestochen hatte.

»Und ich dachte, wir hätten es so unauffällig gemacht.« Es war nur ein Flüstern, aber ich hatte ihn genau verstanden.

Ich umarmte ihn und drückte ihn für ein paar Sekunden ganz fest an mich. »Hast du doch auch. Aber du vergisst, dass du es mit einer Bibliothekarin zu tun hast, ich habe ein geschultes Auge. Du hast es verdient, glücklich zu werden, das braucht man in diesem Dörfchen dringend. Genieße die Liebe und lass dir von niemandem etwas anderes einreden oder ein schlechtes Gefühl deshalb vermitteln. Es ist dein Leben. Also, ich will nun alles über Mirko und dich wissen.« Ich ließ ihn wieder los, da mich meine Kraft in den Armen verließ.

Ich konnte ein zaghaftes Lächeln auf seinen Lippen erkennen. »Danke, außer Omi und dir weiß davon sonst niemand. Ich wäre nicht sehr traurig, wenn das erst einmal so bleiben könnte. Keine Ahnung, wie man darauf reagieren würde.«

Ich griff mir eine von den Karotten, die für den Salat vorgesehen waren, und biss hinein. »Manchmal reagieren die Menschen dann doch positiver als gedacht. Ich weiß, wovon ich spreche. Du wirst schon den passenden Augenblick finden, wann du es offiziell machen willst.«

Als ich nach dem nächsten Karottenstreifen greifen wollte, bekam ich einen Klaps auf die Finger. »Die sind für den Salat … Wirklich viel kann ich dir nicht sagen. Mirko ist Krankenpfleger und trainiert seit Monaten für den Mr.-Bodybuilder-Wettkampf im Herbst. Wir haben uns vor ein paar Wochen im Internet kennengelernt, und ich weiß bis heute nicht, wie das mit uns funktioniert hat. Ich bin ja eher von der Sorte Lauch und er das komplette Gegenteil.« Er zuckte kurz mit den Schultern.

Ich verlagerte mein Gewicht von einem Bein auf das andere. »Versprich mir bitte nur, dass du dich immer gut von ihm behandeln lässt. Die Nummer neulich im Café war Banane.«

»Er ist nur gestresst, das ist alles.«

Ich funkelte ihn böse an.

»Ja, ich verspreche es. Aber jetzt genug von mir, lass uns essen, und du erzählst mir von deinem Bankraub.«

Kopfschüttelnd betrachtete Jonas das gestohlene Blackberry, das ich ihm über den Tisch zugeschoben hatte.

»Ich habe nicht die leiseste Ahnung, was ich noch sagen soll. Du überraschst mich immer wieder. Einbruch bei Förstner daheim! Lässt Beweismittel mitgehen! Ich will mir gar nicht ausmalen, was dein Mann dazu sagen wird, wenn er erfährt, dass du eine Kriminelle bist. Um kein Geld der Welt möchte ich dann in deiner Haut stecken.«

»Ich bin keine Kriminelle. Förstners Blackberry lag einfach so in seinem Sakko, und ich habe es mir ausgeliehen. Das würde jeder verstehen, denke ich. Aber Tom braucht davon erst mal nichts zu wissen, ich brauche erst mehr Hinweise, um den armen Nikolaus entlasten zu können. Also, mein Lieber, kannst du das Blackberry knacken und Mama ein paar brauchbare Informationen liefern?« Oh Gott, ich sprach schon wie eine Gangsterbraut aus einem schlecht gemachten Hollywoodfilm. »Ich würde es ja selbst versuchen, aber von Technik verstehe ich noch weniger als vom Stricken und Kochen. Also gar nichts.«

»Du willst mich also weiter in deine dunklen Machenschaften hineinziehen?«

Für einen Moment bekam ich wirklich ein schlechtes Gewissen. Mit seiner Frage hatte er natürlich recht, ich hatte mir nie Gedanken darüber gemacht, in welche Schwierigkeiten ich ihn mit meinen Aktionen bringen würde. Als ich mich schon bei ihm entschuldigen wollte, konnte ich sein unterdrücktes Lächeln sehen.

»Hast du mich gerade auf den Arm genommen?«

»Sorry, konnte ich mir nicht verkneifen.« Jonas grinste, griff nach dem Blackberry und ließ es fachmännisch durch seine Finger gleiten. »Das wird etwas dauern, bis ich es geknackt habe. Oder aber es wird ganz schnell gehen. Wenn du magst, kannst du schon mal mit dem Spülen beginnen.«

Nun, das hatte ich wohl verdient. Während Jonas sich mit dem Blackberry aufs Sofa zurückzog, begann ich das Geschirr zu spülen und die Küche auf Vordermann zu bringen.

»Ich bin fast ein bisschen enttäuscht.«

»Weil …?«

»Weil Förstner nicht so schlau war, dieses Ding richtig zu sichern.«

»Du hast es echt knacken können?« Quietschend ließ ich das restliche dreckige Geschirr dreckig sein und sprang zu ihm auf die Couch. »Welche schmutzigen Geheimnisse hast du gefunden?«

»Ich bin mir nicht ganz sicher, am besten schaust du selbst mal nach, du weißt ja am ehesten, nach was du suchst. Ich habe einige E-Mails durchgeklickt, die nicht sonderlich nett klingen.«

»Tatsächlich?« Flüchtig überflog ich ein paar seiner privaten Nachrichten und war echt erstaunt. Wenn ich die Drohbriefe von Schumacher an Förstner schon heftig gefunden hatte, so waren diese Nachrichten um einiges härter. Ein gewisser Frank Novak, der Absender, verlangte von Förstner sein Geld zurück und schien wirklich sauer zu sein. Er drohte, ihn ansonsten fertigzumachen.

»Na also«, schnurrte ich zufrieden. »Wenn das mal keine heiße Spur ist, weiß ich auch nicht.« Ich wollte mich ja nicht selbst loben, aber war ich gut oder war ich gut?

»Hast du die Signatur von diesem Frank bemerkt? Ihm gehört das Sportstudio, in dem ich mit Mirko zusammen trainiere.«

»Dann werde ich wohl bald in meine alten Sportklamotten schlüpfen müssen und dich und Mirko zum Sport begleiten.« Die Vorstellung, Sport treiben zu müssen, gefiel mir ganz und gar nicht, aber was tat man nicht alles für die Gerechtigkeit.