Der Einlauf von Tom hatte sich ordentlich gewaschen. Junge, Junge, war der sauer gewesen. Aber es hatte gutgetan, ihm alles zu erzählen und keine Geheimnisse mehr vor ihm zu haben. Tom hatte sich meine Verdächtigungen und die Spuren, denen ich bisher nachgegangen war, angehört. Ich war mir sicher, dass er mir mehr glaubte, als er zugeben mochte. Natürlich hatte er mir seine Standardpredigt darüber gehalten, wie gefährlich solche Ermittlungen seien und ich das am eigenen Leib erfahren habe.
Zu meiner Überraschung hatte er mir nicht explizit verboten, weiterzuermitteln. Es fühlte sich wie Rückendeckung an, ohne dass er es ausgesprochen hatte. Ich würde mein Versprechen Jonas gegenüber also halten und weiter den Spuren folgen können. Und davon gab es eine Menge. Gartenbücher, die als Aufbewahrungsort von Geld dienten. Ein Kunde, der sie sich auslieh, jedoch keinen Garten hatte und am Ende als eine vergiftete Leiche endete.
Ich stöhnte auf. Das war alles so verwirrend.
Gift als Mordwaffe war knifflig. Es galt als die bevorzugte Waffe einer Frau. Oder der Geheimdienste. Die Methode war raffiniert, kreativ und in manchen Fällen sogar elegant. Ich schrieb weder Nikolaus noch Novak diese Attribute zu. Beide waren eher der Typ Mann, der zuschlug, ohne sich vorher gründlich einen Plan zu erstellen, wie er jemanden umbrachte. Und Schumacher? Ihm traute ich einen Mord zu. Aber reichten seine Kenntnisse für Gifte und ihre Nebenwirkungen aus?
Vielleicht konnte mir eine Expertin behilflich sein. Natürlich war Novak seit gestern auf Platz eins auf meiner Liste, aber eine gute Ermittlerin behält alle verdächtigen Personen auf dem Radar. Es wurde also Zeit, wieder meinen Scheinwerfer auf sie zu richten.
Ich parkte mein Auto direkt vor Förstners Haus. Als ich das Fenster schließen wollte, hielt ich inne. Ich rutschte in meinem Sitz nach unten und versuchte, alles im Blick zu behalten.
Frau Förstner stand vor der Eingangstür, gab Anweisungen, während Schumacher auf dem Vorplatz stand und Fotos knipste. Fotos vom Haus und dem restlichen Anwesen. Was zum Geier ging hier vor sich? Was auch immer es war, die beiden waren so sehr damit beschäftigt, dass sie mich überhaupt nicht zu bemerken schienen.
»Wie lange wird es dauern?«, fragte die Hausherrin. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt.
»Ich werde mich nachher gleich dransetzen, es online stellen und im Eingangsbereich aushängen. Ich kann mir gut vorstellen, dass du sehr bald erste Angebote erhalten wirst. Eine Immobilie in der Lage sollte sicherlich schnell vom Markt gehen.«
Soso, hier plante also jemand, das häusliche Nest zu verkaufen. Das ging ja schnell.
Katharina Förstner rieb sich über den Oberarm. »Und was, glaubst du, kann ich dafür verlangen? Ich kenne mich auf dem Gebiet überhaupt nicht aus.«
Schumacher hatte sein Handy in der Hosentasche verschwinden lassen. Er setzte sein charmantes Lächeln auf, das ich schon kannte. »Lass mich kurz überlegen.« Er schien den Rechner in seinem Gehirn angeschmissen zu haben. »Bei einer Fläche von rund zweihundertdreißig Quadratmetern und mit zehn Zimmern kannst du bis zu vierhundertachtzigtausend Euro verlangen.«
»Oh mein Gott, das wäre ein Traum.« Katharina Förstner wirkte erleichtert. Das wäre ich bei solch einer stolzen Summe auch. Hatte ich nun alle Informationen, die ich brauchte? Der Ehemann war weg und das schreckliche Haus bald verkauft. War von Anfang an das ihr Ziel gewesen? Was hatte der süße Moritz noch bei der Veranstaltung ausgeplaudert? Dass Katharina zu ihrer Mutter gesagt habe, dass bald alles vorbei sein würde. Hatte sie damit den Tod ihres Mannes und den Verkauf des Hauses gemeint?
»Ach, Lars, ich danke dir vielmals, dass du mir so schnell zu Hilfe gekommen bist. Allein hätte ich das nie geschafft.«
»Keine Ursache.« Er tätschelte ihren Arm. »Schließlich hast du mir auch geholfen, das Problem aus dem Weg zu räumen. Das ist das Mindeste, was ich tun kann.«
Das Problem. Meinte er Andreas Förstner?
Die beiden nickten sich wissend zu und schüttelten sich zum Abschied freundschaftlich-geschäftlich die Hände. Wenn die zwei nicht unter einer Decke steckten …
Katharina ging ins Haus zurück, während Lars fröhlich pfeifend das Anwesen verließ, sich auf ein klappriges Fahrrad schwang und davonradelte.
Ich ließ ein paar Minuten verstreichen, bevor ich mein Auto verließ, um an ein paar Informationen zu gelangen.
Ich klingelte und wartete, bis mir die Tür geöffnet wurde.
»Sie?«
»Guten Tag, Frau Förstner.« Nichts erinnerte mehr an eine trauernde Witwe. Offenes Haar, ein strahlendes Gesicht, dezentes Make-up, sommerliche bunte Kleidung.
»Frau Fuchs! Was kann ich für Sie tun?« Katharina Förstner versperrte die Tür.
»Es tut mir wirklich leid, Sie stören zu müssen, aber ich hätte ein paar Fragen an Sie bezüglich des Mordes an Ihrem Mann.«
Ihr Körper wurde stocksteif und ihr Blick misstrauisch. »Sind Sie nicht Bibliothekarin? Ich wüsste nicht, welche Fragen Sie mir zu dem Mord an meinem Mann stellen könnten. Außerdem habe ich im Moment keine Zeit, Sie entschuldigen mich bitte …« Sie wollte mir die Tür vor der Nase zuschlagen, aber ich stemmte meinen Fuß dagegen.
»Bitte, Frau Förstner, ich habe etwas gefunden. Es ist wichtig, dass ich mit Ihnen darüber spreche.«
Sie schien für ein paar Sekunden ihre Chancen abzuwägen, mich wieder loszuwerden. Am Ende kam sie zu der Erkenntnis, dass ich nicht so schnell aufgeben würde, seufzte und öffnete mir die Tür.
Eine gute Entscheidung.
»Machen Sie es bitte kurz, ich habe noch einiges zu erledigen.«
Das konnte ich sehen. Im Flur standen Umzugskartons. Hier wurde keine Zeit verloren.
Ich nahm auf dem Sofa Platz, während sie sich eine Gießkanne schnappte und damit beschäftigt war, ihre Blumen mit Wasser zu versorgen. Neben ihrer optischen Veränderung schien sie auch tougher geworden zu sein. Dass ich unwillkommen war, hatte sie mir deutlich gezeigt, aber dennoch hätte sie mir ein paar Kekse anbieten können. Tat man das nicht als gute Gastgeberin?
»Also, was kann ich für Sie tun? Sie wollten etwas mit mir besprechen.« Sie nahm gegenüber Platz. Ihre blauen Augen waren wie Pfeile auf mich gerichtet. Diese Frau hatte mit der von vor ein paar Tagen nicht viel gemeinsam. Ich sollte besser auf den Punkt kommen, bevor sie mich vor die Tür setzte. Ich holte zwei der verdächtigen Gartenbücher aus meiner Tasche und legte sie auf den Glastisch.
»Gartenbücher?« Sie sah mich verständnislos an. »Darüber wollen Sie mit mir sprechen? Ist das Ihr Ernst? Für solche Scherze habe ich wirklich keine Zeit.«
»Frau Förstner, bitte. Es ist wichtig. Hören Sie mir erst einmal zu, dann können Sie mich immer noch vor die Tür setzen.«
Ich deutete ihr Schweigen als ein Ja.
»In letzter Zeit habe ich vermehrt Bücher gefunden, in denen Geld versteckt war und einzelne Wörter markiert waren, die für Erpressungen genutzt wurden.«
»Das klingt nicht schön. Und passt schon gar nicht in eine Bücherei. Oder Goldthal. Sie sollten damit zur Polizei gehen und nicht zu mir.«
»Keine Sorge, das mache ich noch.«
»Gut. Und was genau hat das nun mit meinem Mann zu tun?«
»Bei all den Büchern hat sich herausgestellt, dass Ihr Mann der einzige Entleiher war.«
»Andreas? Da müssen Sie sich täuschen. Er hat Gartenarbeit gehasst. Wie Sie selbst sehen, haben wir keinen Garten.«
»Ist es dann nicht merkwürdig, dass Ihr Mann sich Gartenbücher ausgeliehen hat? Und eine große Menge noch dazu?«
Ich konnte den Groschen bei Frau Förstner fallen hören. Entsetzt riss sie die Augen auf und sprang auf. »Wollen Sie damit andeuten, dass mein Mann ein Erpresser war? Wenn ja, sollten Sie sich nun schleunigst wieder auf den Rückweg in Ihre Bücherei machen.«
Wer war denn da so empfindlich? Hatte sie etwa davon gewusst, und ich war ihr nun auf die Schliche gekommen?
»Sie haben mich missverstanden, Frau Förstner. Ich unterstelle Ihrem Mann gar nichts. Ich befürchte eher, dass er wegen dieser Gartenbücher sterben musste.«
Katharina Förstner wurde kreidebleich. »Wie … wie kommen Sie darauf?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Es sind Vermutungen, und es tut mir sehr leid, dass ich Sie damit konfrontiert habe.«
Wenn sie unschuldig sein sollte, tat es mir wirklich leid, aber im Moment sah es eher schlecht für sie aus. Und sie war eine beachtliche Schauspielerin. Ihre Verärgerung, das Entsetzen … wirklich klasse. Es war Zeit, einen Gang höherzuschalten.
»Sagt Ihnen der Name Frank Novak etwas?«
Beim Klang seines Namens zuckte sie zusammen. »Frank? Natürlich, er hat ein Fitnessstudio in der Nähe. Er und Andreas waren gute Freunde.«
Dass wir sie mit ihm erwischt hatten, ließ sie unter den Tisch fallen. Aber ich konnte ihr ansehen, dass sie wusste, dass ich bestens im Bilde war.
»Gute Freunde, soso. Meinen Quellen zufolge waren sich Ihr Mann und Herr Novak in letzter Zeit nicht sonderlich grün. Hatten wohl sogar des Öfteren Streit wegen Geld. Wussten Sie etwas davon?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, davon wusste ich nichts. Vermuten Sie, dass Frank etwas mit der Sache zu tun haben könnte?«
»Nun, Herr Novak hätte ein Motiv gehabt und die nötige Kraft, um jemanden umzubringen.«
»Frank?« Sie begann ihre Hände zu kneten. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass er freiwillig eine Bücherei – nichts für ungut – aufsuchen würde. Er ist nicht unbedingt die hellste Kerze auf der Torte. Solche Geheimcodes klingen eher nach jemandem mit mehr Grips in der Birne.« Das war ein Argument, gegen das ich natürlich nichts sagen konnte.
»Bingo. Vielleicht hat Novak ja nicht allein gearbeitet, vielleicht war er ja nur das ausführende Werkzeug?«
»Halten Sie das für wahrscheinlich?«
Natürlich. Hätte sie nicht allen Grund dazu gehabt, ihren Mann umzubringen? Und genügend Intelligenz für solche Geheimcodes traute ich ihr zu. Sie konnte als Apothekenhelferin Gift besorgen. Und Novak hätte ihren Mann ermordet. Ganz einfach.
»Was genau wollte Frank Novak von Ihnen?«
Sie gab ein kurzes Wiehern von sich. »Ich wüsste nicht, was Sie das angehen würde, Frau Fuchs.«
»Die Szene vor Ihrem Haus sah nicht so gut für Sie beide aus, fast schon verdächtig …«
»Er wollte Geld von mir, wie alle anderen auch. Sonst noch was?«
Und das sollte ich ihr etwa glauben? »Hatte Ihr Mann vielleicht Feinde, die ihn bedroht haben und Geld von ihm forderten, so wie Novak? Oder jemand anders, der Ihrem Mann Leid zufügen wollte?«
Sie schien zu überlegen und wandte den Kopf zur Seite. »Andreas hat mit mir nie viel über seine Arbeit gesprochen, er war immer der Meinung, ich würde davon nichts verstehen.«
»Das war bestimmt nicht einfach für Sie.«
»Nein, in der letzten Zeit war nichts einfach für mich. Aber ich muss jetzt nach vorne schauen und das Beste daraus machen.«
»Sicherlich, das versteht jeder. Flüchten Sie deshalb?« Ich deutete auf die Umzugskartons um uns herum.
»Das Leben geht weiter. Vermutlich halten Sie mich für kalt und denken am Ende noch, ich wäre die Mörderin meines Mannes.«
Das lag ja auf der Hand.
»Mein Mann und ich hatten eine schwierige Beziehung. Es ist kein Geheimnis. Dennoch ist sein Tod ein großer Verlust für meine Kinder und mich. Aber er bedeutet auch Freiheit. Ich weiß nicht, ob Sie sich das vorstellen können. Andreas wollte nicht, dass ich arbeiten ging, obwohl ich meinen Beruf über alles liebte. Ich war in diesem Haus gefangen wie ein Vogel im Käfig. Unsere Kinder wurden schrecklich verwöhnt und hatten nie die Gelegenheit, normal zu sein. Ich kann zurück in meinen Beruf und meinen Kindern ein bodenständigeres Leben bieten, ohne diesen ganzen Schnickschnack hier.« Sie zeigte auf die Luxusartikel im Haus. »Ihre Lesung am Sonntag hat den beiden unheimlich viel Spaß bereitet. Und es hat sie für kurze Zeit von ihrem Kummer abgelenkt. Es ist schön, dass die Bücherei so etwas nun anbietet. Aber wir werden umziehen und ein komplett neues Leben beginnen, wo man uns und unsere Familiengeschichte nicht kennt.«
Ich konnte sie fast ein bisschen verstehen.
»Eine Frage hätte ich da noch an Sie, Sie kennen sich damit schließlich besser aus als ich. Wie leicht ist es für jemanden, an Gift heranzukommen?«
»Es gibt immer Mittel und Wege. Man holt sich ein Grundgerüst aus der Apotheke, mischt es mit irgendwelchem gestreckten Zeug aus dem Ausland oder bedient sich auf dem Schwarzmarkt. Selbst ein gewisses Interesse an solchen Gartenbüchern reicht dazu aus, dass ein völliger Dummkopf die nötigen Informationen zusammensucht und dann herumexperimentiert.«
Na, wenn das mal kein indirektes Geständnis war.