Mein Name ist Fuchs, Dora Fuchs. Tagsüber harmlose Bibliothekarin, bei Nacht gerissene Ermittlerin.
Wenn ich etwas kreativer wäre, hätte ich mir für den heutigen Abend einen Spionagenamen überlegt. Schließlich hatte jeder gute Ermittler einen Spionagenamen als Tarnung, oder? Vielleicht so etwas wie Kamikaze-Dora? Dora für meine Bodenständigkeit und Kamikaze für Gefahr.
Ich stöhnte auf und wechselte den Radiosender. Jetzt saß ich schon seit Stunden in meinem Auto und beobachtete den Eingang zur Bücherei. Demnächst würde ich den Verstand verlieren, wenn der Mörder nicht bald auftauchte. Ich war mir so sicher gewesen, dass er mit Einbruch der Dunkelheit aus seinem Versteck kommen und mir in die Falle gehen würde. Aber nein, man ließ mich warten. Hatte Jonas am Ende doch noch recht gehabt? War ich übergeschnappt und hatte mich in etwas verrannt? War der Mörder doch schlauer, als ich gedacht hatte, und lachte sich über mich ins Fäustchen, weil ich hier im Dunkeln saß und auf jemanden wartete, der nicht kommen würde?
»Unsinn!« Ich schlug mit meinen Händen aufs Lenkrad. Ich war müde, gelangweilt, und die Stimmen in meinem Kopf suchten nach einer Ausrede, um wieder nach Hause fahren zu können, wo ein warmes Bett und eine dreckige Küche auf mich warteten. Aber nicht mit mir. Ich würde hier sitzen bleiben, und wenn es die ganze Nacht dauerte. Vielleicht konnte ich kurz etwas Augenpflege machen und mir für fünf Minuten eine kleine Pause gönnen, um die restliche Nacht durchzuhalten. Ja, das war ein guter Plan. Also schloss ich meine Augen und genoss dieses wohlige dumpfe Gefühl, wenn der Schlaf einen überkam.
Panisch schreckte ich auf und blickte mich verwirrt um. In den ersten Sekunden wusste ich gar nicht, wo ich war und warum ich hier saß, dann dämmerte es mir langsam. Mit einem Blick auf meine Armbanduhr, was sich im Dunkeln als nicht ganz so einfach erwies, musste ich feststellen, dass aus den fünf Minuten vierzig geworden waren. Mist. Ich schickte Jonas eine kurze Nachricht, dass alles in Ordnung sei und er die Kavallerie hoffentlich noch nicht informiert habe.
Ich war die schlechteste Spionin, die man sich nur vorstellen konnte. Der Mörder war sicher fröhlich vor sich hin pfeifend in die Bücherei reingeschlendert. Und das direkt vor meiner Nase.
Aber vielleicht war Themis, die Göttin der Gerechtigkeit, doch noch auf meiner Seite. Hätte ich das Fenster nicht einen Spaltbreit offen gelassen, wäre mir das klirrende Geräusch von brechendem Glas wohl entgangen. Und was tat ein Verbrecher, der um jeden Preis an seinen Schatz wollte? Er verschaffte sich Zugang, und wenn nötig, mit Gewalt. Dem Herrn sei Dank, ich war im richtigen Moment aufgewacht. »Einbruch in die Bücherei. Gehe nachschauen.« Ich schickte die Sprachnachricht los.
So leise wie eine Katze verließ ich mein Auto und schlich zu der großen Glasfront, die wir in den Büchereiräumen hatten. Das musste man dem Einbrecher schon lassen, er hatte sich ein schönes Loch zurechtgeschnitten, durch das er problemlos ein- und aussteigen konnte. Ohne groß darüber nachzudenken, kroch ich durch das Loch hindurch. Um Kamikaze-Dora alle Ehre zu machen, schlich ich so leise wie möglich über den graubraunen Boden aus den siebziger Jahren, der zum Glück meine Schritte verschluckte. Der Lichtkegel einer Taschenlampe schwirrte hektisch durch die Büroräume und wurde von lauten Geräuschen untermalt. Da wurde unser Büro gerade ganz schön auseinandergenommen, ich konnte es kaum erwarten, den ganzen Schaden wieder aufzuräumen.
Was tat ich hier überhaupt? Vielleicht hätte ich doch selbst meinen Mann informieren und auf ihn warten sollen. Doch das Stimmchen in meinem Kopf ermutigte mich dazu, zu handeln. Ich war so weit gekommen!
Ich atmete tief durch und versuchte meine Nervosität runterzuschlucken. Sie rauschte wie flüssige Elektrizität durch meinen Körper.
Um meiner Panik nicht noch mehr Nahrung zu geben, schlich ich weiter zur Bürotür und tastete nach dem Lichtschalter. Das helle Neonlicht begann munter zu flackern und brachte einen Raum der totalen Verwüstung zum Vorschein. Bei den abschließbaren Schränken stand der Einbrecher mit dem Rücken zu mir.
»Na, schau mal an, wen wir hier haben«, flötete ich triumphierend. Der Einbrecher war viel zu schmächtig und untrainiert, um Frank Novak oder Mirko zu sein. Und viel zu groß für Katharina Förstner. Da blieb nur noch der unscheinbare Lars Schumacher übrig. Ich war entsetzt. »Das Spiel ist vorbei. Umdrehen und Hände hoch.« Etwas anderes fiel mir in der Eile nicht ein.
Der Einbrecher nahm die Hände nach oben und begann sich langsam zu mir umzudrehen. Ich hatte mit vielem gerechnet. Aber Bernhard Winter? Er lächelte mich an.
»Überraschung!« Als er bemerkte, dass ich keine Pistole in den Händen trug, ließ er seine Arme wieder sinken. »Frau Fuchs, Frau Fuchs! Ist es nicht viel zu gefährlich für eine junge Frau, noch so spät unterwegs zu sein?«
Er hatte es nicht als Frage formuliert, es hatte etwas von einer Drohung.
Meine Gedanken fuhren Karussell in meinem Kopf und riefen im Chor: »Winter! Winter!«
»Was machen Sie hier?«, fragte ich knapp und fühlte mich bei dem Anblick seines Lächelns, das an einen hungrigen Hai erinnerte, immer unwohler.
»Nun«, Winters Hand griff nach der Brechstange, die auf dem Tisch lag, »ich bin nur hier, um mein Geld abzuholen, bevor Sie es morgen zur Polizei bringen. Mir war natürlich klar, dass es eine Falle sein würde, aber wenn Sie schon einmal da sind, können Sie mir das Versteck gleich verraten. Ich habe bereits das ganze Büro auf den Kopf gestellt.« Er trat einen Schritt näher und ich einen zurück.
»Ihr Geld? Das ist unmöglich.« Ich konnte es nicht glauben. Ein raffgieriger Rentner?
Winter rollte mit den Augen. »Kindchen, Sie sind auch nicht unbedingt die anmutigste Violine im Orchester, nicht wahr?« Er kam noch näher.
»Sie können unmöglich der Mörder …«
»Ach nein? Und das nur, weil ich ein gebrechlicher alter Mann bin?« Er hatte recht, ich hatte immer eine andere Person im Kopf gehabt. Jünger und fitter, aber wie sich jetzt zeigte, war das ein großer Fehler gewesen.
Verblasste Erinnerungen ploppten in meinem Kopf auf. Winter, wie erzürnt er darüber war, dass ich einen Flohmarkt mit den alten Gartenbüchern machte. Winter, wie er permanent in der Bücherei herumlungerte und sich mit den Büchern beschäftigte. Winter, der auf die Hausmauer zeigte, hinter der sich unser Lager befand und wo Förstner gelegen hatte. Nur der Mörder hatte das wissen können. Er war ständig vor meiner Nase gewesen und hatte Katz und Maus mit mir gespielt.
»Sie haben Andreas Förstner umgebracht!« Anklagend richtete ich meinen Zeigefinger auf ihn.
Sein Haifischlächeln wurde breiter. »Bingo, Twingo. Na, das war doch gar nicht so schwer, oder?«
»Warum?«, verlangte ich zu wissen.
Er hatte mit seiner Tat so vielen Menschen Kummer und Sorgen bereitet.
»Dieser verfluchte Förstner kam mir einfach auf die Schliche, ganz einfach.«
»Wie?«
Winter gab ein genervtes Grummeln von sich. »Na, wie schon? Als Chef der Bank hatte Förstner überall seine Finger mit drin, hat sich überall eingemischt. So auch in die Etatübersichten der Bücherei, die ihn nichts angingen. Förstners Vorgänger war deutlich flexibler in dieser Hinsicht – gegen eine kleine milde Gabe. Aber als er in Rente ging, hat Förstner als sein Nachfolger eine Inventur durchgeführt und dabei auch unsere Angelegenheiten geprüft. Er hat rausgefunden, dass ich jahrzehntelang Geld von dem Etat der Bücherei abgezweigt hatte. Er hatte natürlich versucht, mich zu erpressen, wollte dann immer mehr Geld, um seine eigenen Schulden tilgen zu können. Am Ende wollte er mein Geheimnis auffliegen lassen. Da musste ich handeln und habe ihm sein gieriges Maul gestopft, Sie verstehen sicherlich.« Winter rasselte die Geschichte völlig ohne Emotionen runter, als wären es belanglose Tatsachen.
»Einen Mord zu begehen ist schrecklich. Gab es keine andere Lösung, wie Sie aus der Erpressung rausgekommen wären?«
Winter schien für einen Moment ernsthaft darüber nachzudenken und schüttelte den Kopf. »Die gab es nicht. Ich hätte mehr Zeit hier gebraucht, um das Geld in Sicherheit zu bringen. Aber mein Bücherdepot war einfach zu gut, ich wusste am Ende nicht mehr genau, wo ich das Geld versteckt hatte. Es war ein schlaues Versteck, ich muss mich schon selbst loben. Eine unbenutzte Bücherei dafür zu benutzen, Geld zu verstecken, genial.« Er lachte bitter auf. »Wie auch immer, ich hätte auf jeden Fall einiges verpasst, finden Sie nicht auch? Es war so lustig, mit ansehen zu können, wie Sie wie eine Verrückte durch den Ort gesprungen sind, Ihre Nase in alles gesteckt haben und am Ende doch die Falschen verdächtigt haben. Ich hätte das Spiel ja noch gerne länger mit Ihnen gespielt, aber als Sie meine Verstecke geplündert haben, musste ich aktiv werden. Also, wollen Sie mir nun freiwillig verraten, wo das Geld ist, oder muss ich nachhelfen?« Er schlug die Stange in seine behandschuhten Hände.
»Wenn Sie sich jetzt stellen, kann man noch etwas für Sie tun! Denken Sie doch an Ihre Frau! Was soll nur aus ihr werden, wenn Sie Ihr restliches Leben im Gefängnis verbringen?«
Vielleicht konnte ich mit dieser Schiene etwas bei ihm bewirken.
»Ich habe von Anfang an an meine Frau gedacht! Mit dem Geld hätten wir uns ein gutes Leben im Süden aufbauen können, aber jetzt fange ich schon an zu quasseln wie beim Kaffeeklatsch. Wo. Ist. Das. Geld?«
»An einem sicheren Ort, wo Sie es niemals finden werden!« Ich eilte zur Tür, schloss sie hinter mir und zog wie eine Blöde mit meiner ganzen Kraft daran.
Winter zog auf der anderen Seite, und er war stärker als gedacht. Ich musste ihn nur noch etwas hinhalten, dann würde Tom mit seinen Kollegen hier sein und ihn mitnehmen. Das hoffte ich doch. Ich musste nur noch …
Winter riss die Tür auf. Ich taumelte ein paar Schritte nach hinten.
Er sah wütend aus. »Hör mir zu, du Schnepfe, Schluss mit den Spielchen. Her mit dem Geld, oder es wird dir sehr leidtun!«
Ich tat das einzig Sinnvolle in dem Moment. Ich drehte mich um und rannte. Rannte durch die dunklen Büchereiräume und wurde von Winter verfolgt, der wie ein Stier brüllte. Gleich hatte ich den Eingang erreicht und könnte … Bevor ich mir einen Plan zurechtlegen konnte, blieb ich an Annikas Ausstellungstisch hängen und fiel der Länge nach hin.
Ein brennender Schmerz loderte in meinem Knie auf. Ich musste weiter. Als ich aufstehen wollte, gab mein Bein nach, und ich fiel wieder hin.
Ich griff nach meinem Knöchel und biss mir vor Schmerz auf die Lippen.
Winter stand über mir und lachte amüsiert. Aber so schnell würde ich nicht aufgeben. Ich robbte zu einem der nahe liegenden Regale, zog ein Gartenbuch nach dem anderen raus und warf es nach Winter. Leider war ich in Sport schon immer eine Niete gewesen, weshalb die Bücher nicht sonderlich weit flogen oder er ihnen spielerisch ausweichen konnte.
»Genug«, fauchte er und trat mir auf den Knöchel, was mich aufjaulen ließ. Dann saß er rittlings auf meinem Rücken, sodass ich meine Arme nicht wirklich bewegen konnte.
»Gehen Sie runter von mir! Geben Sie auf! Stellen Sie sich!«
»Ich könnte, aber ich will nicht.«
Er zog etwas aus seiner Hosentasche und hielt es mir vor die Nase. Im schwachen Schein des Bürolichtes konnte ich die Spritze mit einer hellen Flüssigkeit erkennen. Panisch versuchte ich, ihn von mir abzuschütteln, er war jedoch zu schwer.
»Ich hatte schon so eine Ahnung, dass der Abend mit dir so enden würde. Ich habe mich gut vorbereitet. Was man von dir natürlich nicht sagen kann.« Er kam mit seinem Gesicht näher zu mir herunter, und ich konnte seinen Atem spüren. »Und falls es dich interessieren sollte, du wirst nun den gleichen schmerzhaften Tod erleiden wie unser Freund Förstner. Ist das nicht wundervoll?«
»Ach ja? Was für eine Art Gift könnten Sie schon zusammenbrauen?« Ich brauchte Zeit und musste ihn beschäftigen. Tom, wo bleibst du nur?
»Du scheinst wirklich nichts zu verstehen.« Er seufzte und nahm die Stimme eines Erklärbärs an. »Erinnerst du dich noch an diese rosafarbenen Christrosen in meinem Garten, die du so bewundert hast? Die sind nicht nur ausnehmend hübsch, sondern auch hochgradig giftig. Ich habe das Gift der Christrosen verfeinert, et voilà, hier sitzen wir nun. Jeder bekommt, was er verdient hat.«
»Das glaube ich auch«, sagte ich, drehte den Kopf zur Seite und biss Winter in den Oberschenkel.
Winter schrie auf und verpasste mir eine Ohrfeige, dass ich alle Englein singen hören konnte. Mein Biss war wohl nicht fest genug gewesen, er hatte sich schnell wieder gefasst, und jetzt konnte ich die Spritze an meiner Halsschlagader spüren.
»Du Miststück, jetzt ist es endgültig Feierabend. Verabschiede dich –«
»Waffe weg und Hände hoch!« Die Stimme kannte ich doch.
»Tom!«, schrie ich vor lauter Erleichterung. Ich hatte gar nicht mitbekommen, wie die Eingangstür aufgegangen und die so dringend erwartete Unterstützung hereingekommen war.
Jemand riss Winter von mir herunter, und ich wurde kurz darauf an den Armen nach oben gehoben und in eine feste Umarmung gezogen. Als ich mit meinem kaputten Fuß auftrat, zischte ich kurz vor Schmerz. Das Licht im Büchereiraum wurde angeschaltet und brannte in meinen Augen. Winter wurden Handschellen angelegt, seine Rechte vorgebetet, und er wurde durch eine Polizei-Eskorte nach draußen geleitet. Tom tastete mich vorsichtig ab. Seine Gesichtszüge waren voller Panik. »Hat er dir wehgetan?«
Ich verneinte und lehnte mich an seine Schulter, damit er meine Tränen der Erleichterung nicht sehen konnte.
»Nein. Jetzt ist alles gut, jetzt bist du ja hier.«
»Das ist ein Desaster. Ich will Antworten, und das sofort!«
Kriminalhauptkommissar Neumüller hatte die Hände in die Hüfte gestemmt und ließ seinen wirren Blick über seine Kollegen wandern. Man hatte ihn aus dem Bett geklingelt und herbeordert. Er trug wieder seinen Trenchcoat, der seine wahllos ausgesuchte Kleidung verstecken sollte. Er schien über die aktuelle Lage alles andere als begeistert zu sein und wirkte noch mürrischer als sonst.
Tom erklärte seinem Vorgesetzten in kurzen Sätzen, was vorgefallen war.
Ich saß auf einem Stuhl in sicherem Abstand und bekam nur Bruchstücke mit. Neumüller ließ Tom ziemlich rund laufen. Wie es sein könne, dass sein Team den Fall nicht gelöst bekommen hatte, sondern eine Amateurschnüfflerin ihnen zuvorgekommen sei. Und dass das Ganze noch Folgen haben würde.
Auweia. Das versprach jede Menge Ärger für Tom und seine Kollegen. Und für mich.
»Herr Neumüller, das alles …« Ich wollte nicht, dass Tom meinetwegen noch Probleme bekam.
Mein Mann bedeutete mir mit einer schnellen Kopfbewegung, die Klappe zu halten.
»Chef, wir haben hier noch jemanden gefunden. Er lag bewusstlos im Gebüsch vor der Bücherei und kam gerade wieder zu sich.« Die schöne Saskia führte einen lädiert aussehenden Mirko rein. Man hatte ihm wohl ordentlich eine übergebraten, so wie sein Kopf aussah.
»Also doch«, japste ich bei seinem Anblick.
Er war tatsächlich gekommen, damit ich nicht zur Polizei ging. Oder er hatte mich zum Schweigen bringen wollen.
»Was geht hier vor? Keine Alleingänge mehr, Frau Fuchs! Also?« Neumüller zog fragend die Augenbrauen hoch.
»Am besten fragen Sie das diesen Verbrecher persönlich.« Ich würde ihm das Geständnis nicht abnehmen.
Saskia packte Mirko fest an der Schulter. Ich war von ihrer Kraft beeindruckt. Sie schob ihn auf einen Stuhl und stand wie ein Wachhund an seiner Seite, während sie ihn über seine Rechte und Pflichten aufklärte.
»Reden Sie schon!«, bellte Neumüller.
Mirko sah aus, als würde er gleich zu heulen anfangen, weshalb er mir fast ein bisschen leidtat. Aber auch nur fast.
»So ein Verrückter hat mir eine drübergezogen, und weg war ich.« Er hielt sich den Kopf und stöhnte auf.
»Schön und gut, aber was wollten Sie hier um diese Uhrzeit?«
»Das ist alles ihre Schuld!« Anklagend richtete Mirko seinen Finger auf mich.
Ich hatte mich wohl verhört. »Geht’s noch? Du solltest der Polizei erzählen, was du angestellt hast. Sie werden es eh in Erfahrung bringen. Vielleicht bekommst du mildernde Umstände wegen guter Zusammenarbeit.«
»Frau Fuchs«, mahnte Neumüller, und ich zuckte mit den Schultern. Ich konnte nicht aus meiner Haut.
Mirko hielt sich den Kopf. »Sehen Sie nicht, dass ich schwer verletzt bin? Ich brauche dringend medizinische Versorgung.«
Neumüller winkte ab. »Jaja, wer sind Sie überhaupt?«
»Mirko Volkmann«, sagte Saskia und las die Angaben des Personalausweises vor.
»Gut, Herr Volkmann. Was haben Sie zu berichten? Also?«
Mirko schien einzusehen, dass er ohne Geständnis weder versorgt werden noch die Bücherei verlassen würde. Er erzählte davon, dass er mir den Drohbrief geschrieben habe und auch hinter dem Anschlag auf mich stecke.
»Aber warum?«, verlangte ich, von ihm zu wissen.
»Weil du deine Nase in Angelegenheiten gesteckt hast, die dich nichts angehen. Du hast alles ruiniert«, zischte er.
»Und Jonas …?«
»Das hatte doch nichts mit ihm zu tun. Himmel noch mal.«
»Aber warum dann?« Ich brauchte Antworten, um es verstehen zu können.
»Ohne meinen Anwalt sage ich nichts mehr.« Er verschränkte trotzig die Arme vor der Brust.
»Natürlich.« Neumüller rieb sich über seine Schläfen. »Können die nicht ein Mal auf Anhieb kooperieren?« Er gab Saskia den Befehl, Mirko in den Wagen zu befördern.
»Und jetzt zu Ihnen!« Neumüller wandte sich mir zu. »Was fällt Ihnen ein, sich in laufende Ermittlungen einzumischen und herumzuspionieren? Wissen Sie denn nicht, wie gefährlich so etwas ist?«
Ich wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als Neumüller mit seiner Hand vor meiner Nase herumwedelte.
»Sparen Sie sich Ihre lahmen Ausreden, davon habe ich in meinem Leben schon genug gehört. Ich muss schon sagen, so etwas ist mir noch nicht untergekommen.« Neumüller lief auf und ab. »Ist sie schwer verletzt?«
Der Sanitäter, der zur Sicherheit alarmiert worden war, hatte sich meines Beins angenommen und es versorgt. »Aufgeschürfte Haut und ein verstauchter Knöchel, das wird wieder.«
»Gut, dann sind Sie ja vernehmungsfähig.«
»Bevor Sie mich nun weiter anbrüllen«, begann ich. Neumüller funkelte mich an. »Was ist mit Wilfried Nikolaus? Der arme Mann sitzt in seinem Haus und ist unschuldig. Sein Ruf muss wiederhergestellt werden.«
»Das lassen Sie mal meine Sorge sein.« Er drehte sich auf dem Absatz um. »Ach, noch was, Frau Fuchs.«
»Ja?«
»Gute Arbeit. Zukünftig überlassen Sie das Ermitteln von Mordfällen aber wieder den Profis.« Er nickte in die Runde. »Abführen, und zwar alle beide! Und bringt mir einen Liter Kaffee, das wird eine lange Nacht.«