10 Was ich, mit meinen Gedanken ganz bei diesem Abend, vergessen hatte, war, dass der Montag der letzte Tag vor den Weihnachtsfeiertagen war, an dem die Bibliothek geöffnet hatte, ja dass sie bereits, wie das ganze Institut, um zwölf Uhr mittags schloss.

Der Morgen verging mit dem Einordnen von Akten, die sich vor allem auf einem Platz angehäuft hatten. Mrs. Halloran führte einen aussichtslosen Kampf gegen die Stapel von Material, bestand aber darauf, es um sie herum aufgebaut zu lassen wie eine Barrikade. Als ich es ihr wegnahm, griff sie in ihre Tasche und zog eine Flasche Ingwerwein und eine Schachtel Schokoladenkekse heraus. Sie war plötzlich sehr animiert, ergriff unsere Mickymausbecher, goss plätschernd den Wein ein und reichte die Becher reihum. Olivia, man muss es zu ihrer Ehre sagen, trank mit einer Miene stillen Genießens; zu ihren unvermuteten Talenten gehört es, dass sie alles Mögliche essen und trinken kann. Ich war nicht in dieser glücklichen Lage, tat mich aber doch sehr hervor mit Ausrufen des Entzückens nach jedem Schluck. Wahrscheinlich hatte ich dabei etwas übertrieben, denn ich stellte fest, dass Mrs. Halloran mich mit dem Ausdruck äußerster Skepsis musterte. Danach hatte ich nicht mehr den Mut, mich darüber zu beklagen, dass sie einen Kupferstich mit Kekskrümeln verunreinigt hatte, übrigens eine ziemlich abstoßende Darstellung aus Molières Eingebildetem Krankem, auf der ein paar Ärzte mit Schaufelhüten auf dem Kopf eine Spritze von der Größe eines kleineren Kanonenrohrs schwangen.

Das Hauptereignis des Morgens war jedoch das Erscheinen von Dr. Simek mit zwei Anemonensträußen, einem für Olivia und einem für mich. Mrs. Halloran zeigte sich entzückt, ihn zu sehen, und traktierte ihn mit dem übrig gebliebenen Ingwerwein; es war freilich nur ein winziger Rest, den sie in eine kleine Vase goss, in der Miss Morpeth früher ihre Stifte aufbewahrte. Mit einem geflüsterten »Sehr liebenswürdig!« erhob Dr. Simek die Vase in seiner pergamentenen Hand, warf den Kopf zurück und leerte sie in einem Zug. Dann neigte er den Kopf und setzte die Vase auf den Tisch, worauf er auf Mrs. Halloran zutrat und ihr die Hand küsste. Mrs. Halloran, die sich nicht übertreffen lassen wollte, erhob sich ebenfalls, schloss ihn in die Arme und drückte ihm einen Kuss auf beide Wangen. Dann ließ sie sich wieder in ihren Sessel sinken, hielt die leere Flasche schräg gegen das Licht und schleuderte sie, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass sie tatsächlich leer war, in Richtung des metallenen Papierkorbs. Von dem klirrenden Geräusch alarmiert, erschien Dr. Leventhal in der Tür und sagte, mit einem Blick die Situation erfassend: »Ich glaube, es wird Zeit, dass wir uns auf den Weg machen. Wir freuen uns darauf, Sie beide im neuen Jahr wiederzusehen.«

»Alles Schöne und Gute, ihr Mädchen!«, rief uns Mrs. Halloran in einem Ton der Verzweiflung zu. Dr. Leventhals Ankündigung schien ihr allen Lebensmut geraubt zu haben. Ich stellte mir ihr Weihnachten in einem kleinen South Kensington-Hotel vor: den winzigen Weihnachtsbaum, die Papierhüte, die mikrowellenerhitzten Truthahnportionen und den enormen Konsum an der Bar. Ich wechselte einen Blick mit Olivia, und sie nickte mir zu. Ich griff in die Schublade meines Schreibtischs und zog die beiden Kalender vom Metropolitan Museum heraus, die Olivia bestellt und die ich eingewickelt hatte. Ich gab sie nun unseren beiden Besuchern. Keiner von beiden würde, soweit ich sah, die geringste Verwendung für einen Terminkalender haben, aber die Bilder waren hübsch. Dr. Leventhal hatte bereits den teuersten Kalender, den ich auftreiben konnte, von uns bekommen. Er enthielt Reproduktionen der Vogelbilder Audubons, was nach Olivias Meinung kein Fehler sein konnte, wenn auch der vorjährige Kalender mit Vergrößerungen von Landkarten John Speeds nicht gerade ein Erfolg gewesen war. Jeder bekundete Entzücken. Dr. Simek neigte den Kopf. Mrs. Halloran wurde sentimental, was wir befürchtet hatten, wenn auch schwer einzusehen war, wie sie es wegen eines Kalenders werden konnte. »Alle eure Wünsche sollen in Erfüllung gehen, Mädchen!«, verkündete sie mit wiederaufflammender Begeisterung und steckte den Kalender in ihre Basttasche, in der es klirrte. »Alles Gute, Joe!« Als wir ihr in ihr Cape halfen, kam mir die Frage in den Sinn, ob sie soeben Dr. Simek oder Dr. Leventhal gemeint hatte; beide hießen Joseph. Dr. Leventhal löste das Problem, indem er sich in sein Büro zurückzog und es Dr. Simek überließ, mit Mrs. Halloran zusammen das Haus zu verlassen. »Wie wär’s mit einer Fete am ersten Feiertag, Mädchen?«, fragte sie noch von der Tür aus. Dann nahm sie den Arm von Dr. Simek, zwinkerte uns mit gespielter Verworfenheit zu und rauschte mit ihm hinaus.

Es ist schon sehr merkwürdig, wie uns jeder für völlig unerfahren hält. Es muss an unserem Aussehen liegen.

Ich ging mit Olivia in ihre Wohnung am Bryanston Square und blieb zum Lunch. Ich hatte ohnehin noch zu viel Zeit zu verbringen, bevor es Abend wurde, und ich hatte keine Lust, viel von dieser Zeit allein zu verbringen. Da niemand von der Familie zu Hause war, aßen wir Bohnen auf Toast und ein paar Äpfel. Den Kaffee tranken wir in dem tabakbraunen Salon, in dem die Fenster stets geschlossen blieben und die Gardinen nach Zigarren rochen; wir setzten uns jede in eine Sofaecke. Wir waren beide Gewohnheitsmenschen, und die Unterbrechung des gewohnten Arbeitsrhythmus war uns keineswegs willkommen. »Wir können tun, was uns Spaß macht«, rief ich Olivia ins Gedächtnis. »Wenn wir wollen, können wir auch das Tagesprogramm im Fernsehen einschalten.« Aber wir wollten nicht. Olivia war müde und sagte, sie wolle sich für eine oder zwei Stunden ins Bett legen und lesen, also entschloss ich mich, nach Hause zu gehen und zu versuchen, dasselbe zu tun. Erinnerungen an die Kindheit, wo wir uns vor einer Gesellschaft immer ausruhen mussten … Ich bat Olivia um ihren Rat, was ich am Abend anziehen sollte, und sie meinte, das Graue mit dem weißen Kragen sei wohl das Rechte. Es ist ein etwas steifes Kleid, aber schmal in der Taille, und der Rock fällt weit, und es steht mir wirklich gut. Olivia erinnerte mich daran, dass ich wie üblich am zweiten Feiertag erwartet wurde, und sie fragte mich, ob mich David mit dem Wagen abholen solle. Mit ihrem gewohnten Takt sprach sie nicht vom ersten Feiertag, da ihr aus einem früheren Gespräch in Erinnerung geblieben war, dass ich für diesen Tag andere Pläne hatte. Ebenso wenig erwähnte sie das Haus in Plaxtol, obwohl sie mich irgendwann doch einmal fragen musste, wann ich davon Gebrauch machen wollte, um der Frau im Dorf, die für sie putzte, Bescheid zu sagen, dass sie mir den zweiten Schlüssel für das Haus gab.

Ich hatte keine große Lust, schon aufzubrechen, und dabei wusste ich, dass sie wirklich schlafen wollte. Widerstrebend ging ich zur Tür und schickte mich an, meinen langen einsamen Nachmittag zu beginnen. In dieser Wohnung war es still, und eine Atmosphäre der Schläfrigkeit schien sich in der zunehmenden Dämmerung auszubreiten. Im Grunde genommen herrschte in dieser Wohnung immer eine schläfrige Atmosphäre, in die nur die explosive Gegenwart von Olivias Mutter Leben brachte, wenn sie mit all ihren Taschen und Mappen voller Protokolle, Agenden und Notizen erschien. Sie war der Typ von Frau, die sich nicht die Mühe macht, ihren Mantel abzulegen, da sie gleich wieder gehen will, und zu ihren Gewohnheiten gehörte, ein Gespräch, das sie mit irgendjemandem gehabt hatte, zu Hause fortzusetzen, als nähme sie an, ihr Mann und ihre Kinder würden den Part des anderen mit den erwarteten Antworten übernehmen. Und sie war aufrichtig überrascht, wenn sie erklärten, sie hätten keine Ahnung, wovon sie rede. Sie liebten sie innig und hatten zugleich nicht die geringste Nachsicht mit ihr. Sie war es gewohnt, von ihnen zu hören, sie solle die Tür hinter sich schließen oder ihre Sachen wegräumen. »Na, komm schon, Ma«, rief David ihr zu, »sei wieder da!« Am Sonntag, dem einzigen Tag, an dem sie zum Mittagessen zu Hause war, blickte sie strahlend in die Runde, nach Beifall heischend, denn sie hatte nicht nur den Mantel abgelegt, sondern auch ihren Schreibtisch aufgeräumt, die Zeitungen vom Sofa gefegt, und sie war bereit, ebenso den andern zuzuhören, wie sie selbst gehört zu werden wünschte. Diese Sonntagnachmittage, die ich zuweilen bei den Benedicts verbrachte, sind für mich eine Offenbarung von Familienglück. Alle sprechen zu gleicher Zeit, was mich immer wieder ein wenig verblüfft, bis sie die Wärme des Kaminfeuers und der nachmittägliche Frieden beruhigen und das Gespräch zu leisem Gemurmel dahinschwindet. Ich habe sie alle mit ihren Büchern sitzen sehen, jeder in eine andere Geschichte versenkt, aber alle in völliger Eintracht miteinander. Später macht dann Olivias Vater den Tee, und Olivias Mutter stößt einen Seufzer des Behagens und des Bedauerns aus und sagt: »Dass ich immer wieder vergesse, wie ich unsere Sonntage genieße. Was für einen wunderbaren Tag haben wir gehabt!« Schon eine halbe Stunde später hören sie ihre Mutter, wie sie am Telefon lange und komplizierte Gespräche mit Kollegen führt. Die neue Woche hat begonnen.

Ich liebe sie, weil sie in den vergangenen Tagen einmal, ein einziges Mal, mein Gesicht in ihre Hände nahm und sagte: »Was auch geschehen mag, Frances – und es wird geschehen –, du wirst nie allein sein, solange wir da sind.« Dann streichelte sie mir die Wange, ergriff ihre Aktentasche und war schon auf und davon zu irgendeiner Sitzung. Meine Anwesenheit in ihrer Wohnung betrachtete sie als völlig normal, und sie wünschte wahrscheinlich, genau wie es meine Mutter getan hatte, dass ich David heiratete und auf diese Weise immer bei ihnen bliebe. Aber darüber hatte ich mir nicht viel Gedanken gemacht, nicht weil ich etwas gegen David hätte, der ein stiller Mensch war und seinem Vater glich, sondern weil mir die Sache nicht dringlich erschien. Ich hatte das angenehme Gefühl, dass David so lange warten würde, bis ich meine Entscheidung getroffen hatte. Es würde kein Drängen geben, auch keine offizielle Werbung, sondern nur eine freundliche Frage. Ich hatte ihn in jüngster Zeit vernachlässigt und hatte deshalb ein bisschen ein schlechtes Gewissen. Er war zu vernünftig, als dass er sich von mir beleidigt hätte fühlen können, aber ich hätte der Familie gern zu Weihnachten eine Freude gemacht. Ich war nur zu sehr mit meinen letzten Erlebnissen beschäftigt gewesen, das heißt, mit der traurigen und verwirrenden Entwicklung, die es damit genommen hatte, um diesem Gedanken nachzugehen. Aber schon bei der Erinnerung an James wurde mir mit einem Aufseufzen klar, dass ich den Benedicts diese Freude weder in diesem noch im nächsten Jahr würde machen können. Ich wusste, dass ich unausweichlich immer würde wissen wollen, wie es um James stand, wie es ihm ging, wo er war und was er tat. Wenn das Liebe war, so war sie nicht in Erscheinung getreten, als wir zusammen waren, aber sie hatte sich unzweideutig manifestiert, als wir getrennt waren. Sie hatte meine einstige innere Einheit erschüttert, sie hatte mich dazu gebracht, Pläne zu schmieden, zu intrigieren, zu versuchen, ins Geschehen einzugreifen, und sie hatte mich wieder zu einem Beobachter, einem Außenstehenden gemacht. Und doch fand ich immer wieder für kurze Zeit zu meiner alten Entschlossenheit zurück. Ich nahm noch immer jede Gelegenheit wahr, für mich zu kämpfen; ich lehnte es ab, mich geschlagen zu geben. Nur hätte ich es lieber gesehen, wenn es auf andere Weise geschehen wäre. Ich wünschte mir das alles offener und freimütiger, ohne Heuchelei, ohne Mystifikationen, und ohne jemandem Schaden zuzufügen. Ich hätte gern James’ Mutter kennengelernt, und er, so wünschte ich mir, hätte die Benedicts in ihrem Heim kennenlernen sollen. Ich hätte gern Offenheit, Ungezwungenheit und Zustimmung erfahren. Vor allem Zustimmung und die Glückwünsche meiner Freunde.

An der Tür drehte ich mich nach Olivia um. »Meinst du wirklich«, fragte ich, »dass das graue Kleid nicht zu einfach ist?« Sie antwortete, es stünde mir wunderbar, aber natürlich könne ich mich auch für ein anderes Kleid entscheiden, in dem ich mich wohlfühlte, anstatt den ganzen Nachmittag Kleider zu probieren und wieder auszurangieren. Ich nickte, aber mein Lächeln musste wohl etwas halbherzig gewesen sein, denn jetzt wurde sie sehr entschieden und energisch. »Klettert auf alle Berge, Mädchen«, schmetterte sie, in einer leidlich gelungenen Imitation Mrs. Hallorans, »träumt den unmöglichen Traum!« Wir sahen uns an, und ich sagte: »Ja, das wäre es wohl«, und sie antwortete: »Genau!« Ich ging mit einem Gefühl der Erleichterung.

Ich machte mich auf den Weg nach Hause und überlegte mir, womit ich den Nachmittag ausfüllen könnte. Bis zum Fest am Donnerstag waren es noch drei Tage, aber die wenigsten Leute schienen noch zu arbeiten. Mir waren dieser Stillstand der Arbeit und die leeren Straßen, diese ganze weihnachtliche Entvölkerung immer zuwider gewesen. Zuwider war mir in den Supermärkten die Kaufwut der Leute, die gleich ein halbes Dutzend Brote einpackten; zuwider das Nachspiel von Büroweihnachtsfeiern, mit kichernden jungen Frauen auf der Straße, die sich gegenseitig festhielten, um die Riemen ihrer Abendsandaletten hochzuziehen; zuwider die vor den Pubs herumbrüllenden Männer; die Autos, die im Getränkemarkt kistenweise Spirituosen geladen hatten; die Schaufenster, besonders die in der Edgware Road, in denen sich ein extremer Zynismus kundtat durch Mistelzweige im Mieder jener Wachskrankenschwester, die im Übrigen denselben weißen Nylonkittel und dasselbe weiße Häubchen trug wie seit einem halben Jahr; oder dort, wo völlig gleichartige verstaubte Girlanden aus farbigen Glühbirnen blinkend an- und ausgingen, nämlich in dem asiatischen Restaurant mit den Fertiggerichten zum Mitnehmen ebenso wie in dem Laden, in dem Fernsehapparate vermietet wurden. Doch mehr als alles andere war mir die Schnellwäscherei zuwider. Am ersten Weihnachtstag pflegte Nancy ein vollständiges Festmahl zu servieren, das wir im Speisezimmer gemeinsam zu uns nahmen. Nach der Fernsehansprache der Königin wurde es Zeit für Nancy, in ihr Zimmer zu gehen und sich dort bis zum späteren Nachmittag auszuruhen, um dann mit mir zusammen Tee zu trinken und Weihnachtskuchen zu essen. Solange sie ruhte, ging ich aus, um frische Luft zu schöpfen, die mir nottat, denn an diesem besonderen Tag des Jahres empfand ich meine Wohnung als bedrückend. Bei einem dieser Spaziergänge – es war so still, dass ich das Klappern meiner Absätze auf dem Straßenpflaster hörte – war ich an der Schnellwäscherei vorbeigekommen und hatte hinter den dampfbeschlagenen Scheiben drei Männer und eine Frau gesehen, die alle vier gut angezogen waren. Ihnen war nichts anderes übrig geblieben, als diesen Tag hier zu verbringen und zu sehen, was für andere einsame Menschen sie hier zu ihrer Gesellschaft finden würden. Das wollte ich nie wieder sehen.

Nancy und ich waren bisher erst zweimal Weihnachten allein gewesen. Das erste Mal nach dem Tod meiner Mutter; damals ignorierten wir das Fest, zu sehr bedrängte uns der Gedanke an ihr leeres Schlafzimmer, an die für immer geschlossene Tür, an das abgezogene Bett, das nun für immer leer blieb. Im vorigen Jahr hatten wir es ein bisschen besser geschafft. Es war ein friedliches Fest gewesen, bis ich dann meinen Spaziergang machte. Ich sah durch die beleuchteten Fenster lärmende Feiern aller Art und empfand den sehnlichen Wunsch, an ihnen teilzunehmen, aber dann, am Ende meines Weges, sah ich diesen Waschsalon mit den ebenso unglücklich wie ehrbar aussehenden Personen, die sich dort aufhielten. Der Tag war mir verdorben. Ich konnte es nicht erwarten, bis Nancy sich zum Fernsehen zurückzog, und ich ging sogar in das Badezimmer meiner Mutter, um mir aus ihrer Hausapotheke zwei Schlaftabletten zu holen. Ich hatte sie nicht nötig, ich wollte nur, dass der Tag verging. Und dann wollte ich, dass auch der zweite Feiertag und alles, was damit zusammenhing, vorbei und erledigt war, dass ich wieder an meine Arbeit gehen konnte und mir nie wieder über Weihnachten Gedanken machen musste.

Dieses Jahr hatte sich allerdings hoffnungsvoller angelassen. Gegen Ende des Frühjahrs hatte ich mich mit den Frasers angefreundet und so oft mit ihnen zu Abend gegessen, dass ich mich allmählich von dem Zwang befreite, den mir Nancy mit dem, was sie von mir erwartete, auferlegt hatte. Und nach meinem Sommerurlaub in Plaxtol war ich in die Bibliothek und auch zu den Frasers zurückgekehrt. Aber zu der Zeit des Jahres, wo man anfängt, an Weihnachten zu denken, hatte meine Bekanntschaft mit James begonnen. Vielleicht konnte man auch sagen, meine Unkenntnis von ihm.

Ich wollte, dass es in diesem Jahr anders würde; es sollte eine Entscheidung bringen. Wie nebelhaft mir auch die Ereignisse der beiden letzten Monate blieben, wie wenig ich sie begriff, so wünschte ich mir doch eine Entscheidung, und zwar eine Entscheidung zu meinen Gunsten. Und ich wollte unsere Freundschaft zurück und mit ihr die Aussicht auf mehr. Es sollte sich alles ordentlich entwickeln. Ich wollte mich in Spiegeln und in Schaufenstern so sehen, wie ich mich auf dem Foto gesehen hatte, das Nick damals auf unserem Ausflug nach Bray aufgenommen hatte. Ich wollte für mich eine Zukunft, die entschieden anders als meine Vergangenheit war, und sie sollte nicht allein James, sondern ebenso Nick und Alix einschließen. Wir sollten wieder zu viert sein, aber unter uns vieren sollten wir beide als Paar gelten. Ich meinte, dies sei keine zu hoch gegriffene Erwartung. Ich hatte niemandem etwas zuleide getan; ich hatte gegen nichts Einspruch erhoben. Ich hatte niemandem Vorwürfe gemacht, ich hatte mich zu nichts hinreißen lassen und irgendetwas gesagt, was nicht wieder gutzumachen wäre. Was geschehen war, sagte ich mir, war nur, dass ich ein wenig müde geworden war, auch überempfindlich gegen kleine Änderungen des Verhaltens, die vielleicht gar nicht beabsichtigt waren. Doch das würde anders werden. Ich brauchte mich nur zusammenzunehmen und taktvoll und unbeschwert aufzutreten (ja, unbeschwert, das war das Wesentliche), und all diese Missverständnisse würden sich auflösen wie der Morgennebel zu Beginn eines wunderschönen Tages.

Gebadet und adrett angezogen in meinem grauen Kleid, trat ich vor den Spiegel, um meine Wirkung zu studieren. Ich sah – ja, ich sah merkwürdig aus. Ziemlich schick, aber auch recht schlicht; nicht ein Haar, das nicht an seinem Platz war (was selten der Fall war), runde, wachsam blickende Augen. Mein Äußeres, wie ich es akzeptiert hatte, nachdem ich zu der Überzeugung gekommen war, dass ich es nur mit Geschmack und Stil schaffen konnte, mein Äußeres gefiel mir nicht mehr. Ich fand, dass ich wie ein kulleräugiges, viktorianisches Kind aussah. Ich ging an den Kleiderschrank, um etwas Interessanteres zu suchen, aber als ich mich umdrehte, bemerkte ich plötzlich einen schmeichelhafteren Ausschnitt meines Spiegelbilds, eine schmale Taille, einen langen Rücken, einen weiten, vorteilhaft fallenden Rock. Und da es spät wurde, holte ich einmal tief Atem und versuchte, interessanter auszusehen, indem ich mein Gesicht zu einem weicheren und nicht mehr so kritischen Ausdruck zwang.

Ich mochte dieses Zimmer nicht mehr, in dem es zu einer so peinlichen Situation gekommen war. Ich nahm eine Nagelfeile zur Hand und feilte einen rauen Nagel glatt, und ich gab mir Mühe, die Dinge in Ruhe zu betrachten, aber ich zitterte, und die Nagelfeile rutschte ab. Ich überlegte mir, dass ich nicht unbedingt in diesem Schlafzimmer bleiben musste, schließlich gab es noch drei weitere. Nancy kam gerade mit sauberer Bettwäsche herein, und einer plötzlichen Regung nachgebend sagte ich: »Sie brauchen das Bett nicht frisch zu beziehen, Nancy. Ich glaube, ich werde in eines der anderen Schlafzimmer übersiedeln. Morgen werde ich mich entscheiden.« Der morgige Tag würde ohnehin ein Tag der Entscheidungen werden. Und bevor Nancy anfangen konnte, sich über meine Worte zu beunruhigen, griff ich nach meinem Mantel, gab ihr einen Gutenachtkuss und verließ die Wohnung.

Auf den Straßen war das Nachspiel zu den Bürofeiern im vollen Gang: Gruppen junger Mädchen, die sich gegenseitig festhielten und vor lauter Ausgelassenheit schier zusammenbrachen; junge zukünftige leitende Angestellte mit erhitzten Gesichtern, die zusammenstanden, um voreinander zu prahlen und einem neuen Ansturm ihrer Sekretärinnen Widerstand zu leisten. Ich schlängelte mich vorsichtig zwischen all diesen Gruppen hindurch, die den ganzen Bürgersteig besetzt hielten, und bald hatte ich die größten Menschenansammlungen hinter mir, war unter dem Marble Arch und endlich im Hyde Park. Wie so oft vor Weihnachten, war es wieder mild geworden. In der Luft war Regen. Es war genau das Wetter, das einem Lust machte zu meilenweiten Spaziergängen, und ich überlegte schon, ob ich später an diesem Abend nicht durch den Park nach Hause gebracht werden würde. Weiter dachte ich nicht, aber tief unter meiner Zurückhaltung und meinem sorgfältig kontrollierten Ausdruck brannte die Hoffnung.

Während ich den Weg ging, der mir so vertraut war, klärten sich meine Gedanken, und meine Stimmung hellte sich auf. Ich war entschlossen, mich, einerlei, was geschehen war – und ich wusste oder verstand noch immer nicht, was eigentlich geschehen war –, so zu benehmen, als ob es bei uns in jeder Hinsicht normal, korrekt, offen und ehrlich zuginge. Ich tröstete mich ein wenig mit der Überlegung, dass ich mit keiner Gebärde verraten hatte, ich sei beleidigt, dass ich niemandem Vorwürfe gemacht und vor niemandem Geständnisse abgelegt hatte. Ich konnte nur verzweifelt hoffen, dass diese so wichtige Affäre gefeit sein würde gegen all die seltsamen Ereignisse, die sie scheinbar in ihrem Verlauf störten. Ich fasste alle nur möglichen vernünftigen Entschlüsse, zum Beispiel fröhlich, gutherzig und freimütig zu sein, und falls ich irgendwann einmal den Argwohn haben sollte, man sage etwas Boshaftes, dann wollte ich einfach fragen und um eine Erklärung bitten. Ich meinte, ich sei immer zu schwierig gewesen, weil ich versucht hatte, allein mit dieser Geschichte fertigzuwerden, ohne auch bei den andern nach der Wahrheit zu suchen. Ich hatte meinen Stolz darein gesetzt, mich so zu benehmen, als sei alles in Ordnung. Wahrscheinlich war ich unerträglich selbstgefällig gewesen; kein Wunder dann, dass meine Freunde mich langweilig und enttäuschend fanden. Ich beschloss, das alles zu ändern. Und als ich zu den Lichtern von Knightsbridge gekommen war, lächelte ich schon wieder, ganz erfüllt von meinen neuen Vorsätzen.

Ich wusste, dass ich heiter und unbeschwert zu sein hatte, also ließ ich mein Lächeln noch heller strahlen, sogar bevor ich an der Tür der Frasers geläutet hatte. Aber die Tür war schon geöffnet. »Hierher«, rief Alix aus dem Innern der Wohnung. »Ins Schlafzimmer. Lächelnd betrat ich das Schlafzimmer, in dem ich Nick und James fand, die nebeneinander hinter Alix standen; alle drei blickten in den Spiegel über der Frisierkommode. »Meine Meinung ist eindeutig: aufgesteckt«, erklärte James, womit er sich auf das ewige Problem ihrer Frisur bezog. Da ich ihr zu Weihnachten einige antike Schildpattkämme schenken wollte, stimmte ich James zu. Sie drehte den Kopf von einer Seite zur anderen, strich glättend über die Strähnen im Nacken, zog die Schultern hoch und sagte: »Hm. Was meinst du, Nick?« Ich bemerkte, dass sie ein sehr enges schwarzes Jerseykleid trug, das tief ausgeschnitten war. »Mein Gott, wie schick du bist«, sagte ich. Aber sie drehte nur immer wieder den Kopf von einer Seite zur anderen, wobei sie ihn kritisch musterte, und es war offensichtlich unmöglich, bei irgendjemandem Beachtung zu finden, bis diese Musterung ihr natürliches Ende erreicht hatte. James und Nick waren so ernst, als ob sie einen schwierigen Fall diskutierten, und die starre Haltung der drei, die in den Spiegel blickten, verurteilte mich, die ich hinter ihnen stand und mühsam zwischen ihnen hervorlugte, dazu, mich sozusagen an ihre Rücken zu wenden. »Du weißt doch, wie ich darüber denke«, brummte Nick, und nach einer Minute des Zögerns zog sie plötzlich die Haarnadeln heraus und ließ ihr Haar fallen. »Du hast recht«, sagte sie. »Es steht mir nicht.« Worauf James und ich im Chor beteuerten: »Aber doch, es hat dir gut gestanden.« »Nein, nein«, sagte sie und bürstete wütend ihr Haar. »Mein Mann hat immer recht.« Dabei lächelte sie ihm von unten her zu und ließ ihr raues Kichern hören. Sie schien damit auf weite Bezirke ihrer Intimsphäre anzuspielen und zugleich die Ausschließlichkeit der Bindung an ihren Mann zu bekräftigen.

Ich hatte immer gewusst, dass Alix über ungewöhnliche Talente verfügte, aber bis zu diesem Augenblick hatte ich noch nicht miterlebt, wie sie sie einsetzte. Mit einer einzigen kleinen Konzession in einer unbedeutenden Angelegenheit hatte sie erreicht, uns jeden Gedanken an einen Verrat zu nehmen und das Bild von Nick und ihr als dem idealen Ehepaar wiederherzustellen. Und doch erkannte ich an der Art, wie James ihr mit den Augen folgte, dass er trotz dieser kleinen Vorstellung von ihr, oder gerade deswegen, ihren Beifall suchte. Sie sah in ihrem engen schwarzen Kleid älter und gebieterischer aus. Die Kurven ihres Körpers schienen üppiger als sonst und verminderten mein ohnehin schwindendes Selbstvertrauen noch mehr. Untadelig, bewusst bescheiden in meinem grauen Kleid, konnte ich keinen Blick auf mich ziehen. Seht mich doch an, drängte ich stumm. Seht mich an!

Tatsächlich war es so, als seien nur die drei anwesend, und als ich ihnen die Treppe hinunter folgte, fühlte ich mich merkwürdig deklassiert. Zwar lächelte ich noch immer strahlend, aber nur für mich; die drei bewegten sich wie eine Einheit, alle drei groß, schön und physisch miteinander verbunden. Ich erlaubte mir kein Urteil, aber ich fühlte Zorn und Angst in mir wachsen, und ich musste mir Mühe geben, meine Gefühle in Schach zu halten. Das machte mich sehr still, aber da niemand eine Frage oder überhaupt eine Bemerkung an mich richtete, fiel mein Schweigen nicht weiter auf. Aber vielleicht bestand zwischen ihnen auch eine Vereinbarung, von mir keine Notiz zu nehmen. So setzte ich mich denn, noch immer lächelnd, doch wachsam und auf der Hut wie ein Tier, mit ihnen an ihren gewohnten Tisch.

Maria war schon da, auch sie herausgeputzt in Atlashosen und einer gerüschten weißen Bluse. Sie schlenderte, fast stolzierte sie durch das überfüllte Restaurant und schlug Alix auf den Rücken. »Du Schlampe!«, begrüßte sie sie laut. »Hattest du nicht versprochen, mich heute Nachmittag anzurufen?« Und schon waren sie in heftigem Streit darüber begriffen, wer was gesagt hatte. Maria hatte mich immer in eine gewisse Verlegenheit versetzt. Ihre tiefe, heisere Stimme und ihre stolze Erscheinung hatten mir auf eine unbestimmte Weise Unbehagen bereitet. Aber sie war immer sehr freundlich zu mir gewesen, und wenn ich auch in ihrem beständigen Wortgeplänkel mit Alix so etwas wie schlechte Manieren sah, erkannte ich doch bei beiden die Kühnheit an, eine Kühnheit, der ich einfach nicht gewachsen war. Meine Wirkung, so hatte ich selbstgefällig in der Zeit meines Glücks geglaubt, bestünde gerade darin, dass ich nie Grenzen überschritt, nie eine gesellschaftliche Verlegenheit verursachte. Und das meinte ich sogar jetzt noch.

Während des Essens versuchte ich, Bemerkungen einzuwerfen, was mir jedoch misslang, sodass ich mich auf Ausrufe beschränkt sah wie »Nein, wirklich?!« oder »Oh, davon bin ich überzeugt!«. Aber selbst diese Zwischenrufe verfehlten ihr Ziel. So zum Beispiel auch im Zusammenhang mit einem Kommentar von James, wobei ich dem Gedankengang des Gesprächs nicht ganz hatte folgen können. Es schien da um einen halb ernsthaft, halb scherzhaft geführten Streit zwischen Alix und Maria zu gehen, dem die beiden Männer wie gebannt folgten. Er bezog sich auf etwas, was irgendwann passiert war, als ich nicht dabei gewesen war, und so konnte ich mich weder an dem Gespräch beteiligen noch begreifen, worum es überhaupt ging, und meine mit einem Lächeln begleiteten Ausrufe kamen sogar mir selbst lächerlich vor. Ich verstummte daraufhin ganz. Ich sah James an und bemerkte, dass er sich gut amüsierte. Er hatte ein hochrotes Gesicht, und obwohl er neben mir saß, hatte er sich doch halb von mir weggewendet, wie um Maria besser anschauen zu können. Der Gedanke, dass er es nicht einmal ertrug, mich anzusehen, war mir so schrecklich, dass es mir gar nicht in den Sinn kam, wie unhöflich er sich benahm. Aber was für ein einfältiger und altmodischer Begriff war doch Unhöflichkeit bei diesen von Begierden besessenen Menschen, deren Augen vor Spott und Vergnügen glänzten, und deren absonderliche Unterhaltung inzwischen so gespickt von Anspielungen war, dass ich an einen Albtraum dachte, als könne sich etwas Derartiges nur in einem bösen Traum ereignen.

Maria schlug Nick auf die Schulter und sagte, vielmehr schrie: »Wie wirst du mit diesem Luder fertig?«

»Sei lieb zu mir«, entgegnete Alix. »Heute Abend muss jeder nett zu mir sein.«

»Warum?«, fragte ich, eigentlich nur, um etwas zu sagen.

Sie stieß einen Bühnenseufzer aus und legte den Kopf auf die Seite. Dann flüsterte sie betrübt: »Weil ich, die ich einst bessere Tage gesehen habe, so heruntergekommen bin.«

Alle bogen sich vor Lachen, und James und Nick riefen im Chor: »Heruntergekommen ist sie!«, und sie beugten sich beide über sie und küssten sie. Nick hatte den Arm um sie gelegt, und sie sah mit leuchtenden Augen zu ihm auf. »Halt!«, sagte Maria. »Weihnachten hat angefangen. Aber bitte nicht hier!« Sie fuhr mit dem Arm dazwischen. »Ihr bringt Fanny in Verlegenheit.« Wieder lachten sie alle, und ich lächelte natürlich.

An den anderen Tischen drehte man sich nach uns um, grinsend, die Köpfe schüttelnd und doch mit amüsierter Nachsicht beim Anblick dieser Possen. Es war sehr heiß, und es herrschte eine Atmosphäre nervöser Erregung. Alix zündete sich eine Zigarette an. »Noch nicht, nicht jetzt!«, rief Maria. »Nicht vor dem Dessert!« Gerade näherte sich ein Kellner unserem Tisch mit einer gewaltigen hochaufragenden Komposition, an der, soviel ich erkennen konnte, in reichem Maße Schlagsahne ihren Anteil hatte. Laute Ausrufe des Entzückens erklangen, und Maria ergriff einen Löffel, um große Portionen auf unsere Teller zu häufen. Der Anblick der weiß-gelben Masse verursachte mir eine plötzliche Übelkeit, aber die anderen bekundeten ihr Vergnügen und fielen rasch über diese süße, schnell schmelzende Mischung her. »Mehr, mehr!«, rief Maria mir zu und häufte, ohne meinen Protest zu beachten, weitere Berge auf meinen Teller. »Mehr, mehr«, und sie beugte sich zu James, der lachte, und sagte: »Mehr, Liebster. Ich will dich stark und leistungsfähig heute Nacht. Mehr!«

Ich starrte auf die gelbe Eiercreme auf meinem Teller und zwang mich, meinen Schock nicht zu zeigen. Als ich den Kopf wieder hob, war ich imstande, Alix und Nick ein ruhiges und sogar lächelndes Gesicht zu zeigen. Sie hatten mich natürlich beobachtet. Ich sagte: »Es war köstlich, aber ich könnte wirklich nicht mehr davon essen.« Ich wandte den Kopf und sah Maria an; sie hatte ein erhitztes, lachendes Gesicht. Und als ich mich wieder gefasst hatte, sah ich James an. Seine Augen hingen an Maria, und sein Gesicht war töricht vor Begierde.

»Hm«, machte Alix, die sich anscheinend ein wenig betrogen fühlte um die »interessante« Situation, die sie vorhergesehen, wenn nicht gar selbst geplant hatte; aber ich würde es nie erfahren. Niemals würde ich darauf zurückkommen. Ich war mir bewusst, dass die anderen sich möglicherweise für mich erwärmt und mir Sympathie bezeigt hätten, wenn ich so etwas wie eine Szene gemacht hätte. Das Problem mit den guten Manieren ist, dass die anderen überzeugt sind, es sei alles in Ordnung, man bedürfe keines Schutzes, sondern sei durchaus imstande, selbst für sich zu sorgen. Und manche Leute sehen in unserer Gelassenheit sogar eine beabsichtigte Beleidigung, wie es anscheinend Alix gerade tat. Und doch lächelte ich.

Die Gesichter vor mir waren gerötet, wie gezeichnet von lässlichen Sünden, von Verderbtheit und von zu gutem Essen und Trinken. Gesichter, denen die Gefährdung anzusehen war. Der Rauch ringelte sich durch die warme Luft nach oben, und niemand gab acht, wenn die Asche auf die Teller fiel. Alix drückte ihre Zigarette in den Überresten ihrer gelben Eiercreme aus und strich Rouge auf ihre breiten Lippen. Nick hatte den Arm um sie gelegt. Ich wagte nicht, zu James hinzusehen. Es war sehr heiß, und ich wusste, dass ich bald hier herauskommen musste, aber meine Eile nicht verraten durfte.

»Hm«, kam es wieder von Alix. »Ich glaube, wir sollten jetzt lieber aufbrechen.« Ich zog mein Portemonnaie und bestand lächelnd darauf, die Rechnung zu bezahlen. Es war in jedem Fall die letzte Mahlzeit, die ich hier eingenommen hatte. »Ich meine, wir lassen die beiden hier allein«, sagte Alix. Ich lächelte.

»Was hast du Weihnachten vor, Fanny?«, fragte sie.

Sehr ruhig, weil ich mich bereits in einem derartigen Zustand befand, dass ich meinte, schlimmer könne es nicht mehr werden, sagte ich: »Ich werde wohl bei Olivia sein.«

»Besser du als ich«, sagte sie.

»Das verstehe ich nicht«, sagte ich und wandte ihr höflich das Gesicht zu.

»Nun … besonders lustig ist das doch wohl nicht, oder?«

»Warum?«, fragte ich,

»Nun … weil sie verkrüppelt ist.«

»Nur physisch«, sagte ich. Und ich musste wohl ziemlich laut gesprochen haben, denn es folgte ein kurzes allgemeines Schweigen.

Danach war es offenkundig, dass der Abend vorüber war. Sie standen auf und zogen sich ihre Mäntel an, und obwohl ich vor ihnen auf die Tür zuging, war es für mich eine Frage des Stolzes, mich so zu benehmen, als befände ich mich noch in ihrer Gesellschaft. Ich sah nicht zurück. Ich trat einfach auf die Straße hinaus, noch immer lächelnd, winkte kurz und ging rasch davon.