23. Kapitel

Einen Monat später …

Lautes Klopfen an der Tür weckt mich. Ich liege ausgestreckt auf meiner Bettdecke, immer noch in den Kleidern, in denen ich Richie gestern nach Feierabend bei der Arbeit in seinem Blumenbeet geholfen habe.

»Maggie?« Mein Vater. »Maggie, Schatz, bist du wach?«

Ich grunze bejahend, und er öffnet die Tür.

»Verdammter Mist«, sagt er, als er das Bild sieht, das sich ihm bietet. »Du solltest dich dringend waschen, Kind. Bob hat mich gerade vom Haupttor aus angefunkt. Da steht jemand, der nach dir fragt. Den Namen hat sie nicht gesagt, aber es ist eine Frau. Bob hat ausdrücklich betont, dass sie sehr hübsch sei.« Schläfrig ziehe ich eine Braue hoch.

Dann fahre ich mir mit der Hand übers Gesicht, und getrockneter Schmutz bleibt daran hängen. Stöhnend erhebe ich mich von meinem Bett und schrubbe mir Hände und Gesicht am Waschbecken, bis sie ganz rot sind.

»Ich kann dich begleiten, wenn du willst? Nur für den Fall, dass sie jemand ist, mit dem du nicht reden möchtest«, schlägt Dad von der anderen Seite der Badezimmertür vor. Einen Moment spiele ich mit dem Gedanken. Für jemanden, der nicht weiß, was für ein sanfter Teddybär mein Dad wirklich ist, sieht er auf den ersten Blick ziemlich einschüchternd aus. Er gäbe einen guten Wachmann ab, aber andererseits, wenn jemand wirklich Ärger machen wollte, würde er das vermutlich nicht ausgerechnet vor dem Ort tun wollen, von dem jeder weiß, wie gut er gesichert ist.

»Danke, aber ich glaube, das schaffe ich allein. Geh du lieber zur Arbeit.« Ich lege ihm meine Hand auf die Schulter und küsse ihn auf die Wange. Dabei fällt mir auf, dass einer der Knöpfe seines Waffenrocks nicht geschlossen ist, und erledige das schnell für ihn.

»Der ärgert mich immer wieder«, sagt er lachend. »Danke, Schatz.«

Als ich einigermaßen präsentabel aussehe, gehen wir gemeinsam aus dem Haus, aber am Salt Tower trennen sich unsere Wege. Im Tower ist schon einiges los, und ich muss mich zwischen Besuchergruppen hindurchschlängeln und endlose Karawanen von kleinen Schulkindern in Signalkleidung an mir vorbeilassen, mit Rucksäcken auf dem Rücken, die größer sind als sie selbst.

Wer am Tor auf mich warten könnte, kann ich mir nicht vorstellen, aber das macht mich nicht einmal nervös. Na ja, vielleicht doch ein bisschen, aber heute steht mir der Sinn nach Kämpfen statt Fliehen. Bob winkt mir zu, als ich zwischen dem Byward und dem Middle Tower hindurchgehe.

»Ich habe sie noch nie im Leben gesehen. Wunderschönes Mädchen, sehr gepflegt und so. Dachte schon, dass uns diese Kate Middleton besucht.« Damit deutet er zu einer gertenschlanken Göttin mit mahagonifarbenen Haaren hinüber, die kerzengerade neben dem Sicherheitshäuschen steht. Mhairi. Wie Bob bereits angedeutet hat, sieht sie wunderschön aus. Sie trägt einen langen engen Rock und eine fließende rosa Bluse. Ihre Haare wirken etwas wilder als bei unserer letzten Begegnung, nicht elegant hochgesteckt, sondern rahmen ihr ovales Gesicht ein, wie ein lockerer Schleier aus goldbraunen Strähnen.

Mir rutscht das Herz in die Kniekehlen, als ich sie erblicke. Der letzte Monat ist vergangen, ohne dass ich auch nur ein Sterbenswörtchen von Freddie gehört hätte. Offenbar hat er auch aufgehört, die Dienstpläne zu beeinflussen, denn die Grenadiere waren zwischenzeitlich nicht ein einziges Mal im Tower. Jeden Tag schlüpfe ich auf dem Weg zur Arbeit in den Byward Tower und werfe einen Blick auf den Dienstplan, bevor der Wachmann von seinem Nickerchen aufwacht. Aber jeden Tag werde ich aufs Neue enttäuscht. Täglich sitze ich auf der Bank vorm White Tower, so regungslos wie die Gardisten, die ich beobachte, bis sie sich abends zurückziehen und ich nur noch die leeren Schilderhäuschen anstarren kann, während die Nacht langsam hereinbricht. Letzte Woche habe ich damit aufgehört. Ich dachte, das würde helfen.

Ich drehe mich um und will gehen, bevor sie mich entdeckt, aber es ist zu spät.

»Maggie!«, ruft sie. Ihre Augen leuchten auf, als sie mich erblickt. Sie eilt auf mich zu, umarmt mich wie eine alte Freundin und drückt mir einen Kuss auf die Wange. Ich versteife mich in ihrer Umarmung, völlig verblüfft von ihrer merkwürdigen Vertraulichkeit. »Oh, entschuldige, tut mir leid«, sagt sie, als sie mein Unbehagen bemerkt. »Ich wollte dich schon so lange besuchen, nur um das zu tun.«

Mir schwirrt der Kopf. Was will sie mir damit sagen? Sie würde mich doch sicher am liebsten harpunieren, aber doch nicht umarmen? Vielleicht weiß sie ja immer noch nicht Bescheid. Unsicher lachend, erwidere ich: »Nun, ich fühle mich geehrt. Möchtest du hereinkommen? Ich kann dir alles zeigen.« Natürlich meine ich das nicht ernst. Obwohl ich es ihr anbiete, hoffe ich doch insgeheim, dass sie einfach gehen wird und ich mich in Ruhe wieder meiner Klage um ihren Verlobten widmen kann.

»Oh, das wäre wundervoll! Danke.« Sie hängt sich ihre Tasche über die Schulter, und Seite an Seite betreten wir den Tower. »Wie ist es dir ergangen? Ich habe es nicht geschafft, dich noch mal abzupassen, bevor du die Gala verlassen hast.«

»Ah, ja, tut mir leid … ich wollte mich verabschieden, musste aber früh schon gehen, wegen der abendlichen Sperrstunde an diesem schönen Ort. Wie geht es dir?«, frage ich zurück, ohne wirklich zu antworten.

»Ach, Maggie, ich kann dir gar nicht sagen, wie glücklich ich bin. Ich bin so unglaublich glücklich.« Ich wünschte, es wäre anders, aber sie das sagen zu hören ist in etwa so, als müsste ich zusehen, wie sie sich bei einem reichhaltigen Festmahl den Bauch vollschlägt, während ich verhungere.

»Aber eigentlich wollte ich mit dir über etwas anderes reden …«

Oh, Mist, jetzt kommt es. Die Umarmung sollte mich nur einlullen, dafür sorgen, dass ich in meiner Wachsamkeit nachlasse. Sie ist eine Orchideenmantis, eine Kronenfangschrecke, die ihre Opfer mit dem Versprechen einer wunderschönen Blüte anlockt, bevor sie zuschlägt und mich wie einen ahnungslosen Schmetterling tötet. Ich schlucke hart, als mir klar wird, dass sie am Verrätertor stehen geblieben ist. Catherine Howard hat hier das Gleiche erlebt. Hierhergerufen, um sich für ihren Ehebruch zu verantworten, wurde ihr die Höchststrafe zuteil, und sie bezahlte mit dem Leben für den Verrat am Herzen. Allerdings wurde sie vom König, ihrem Ehegatten, hingerichtet, während meine Hinrichtung durch tiefe Beschämung erfolgen wird, ausgeführt durch diese liebliche Frau, die ich verletzt habe, ohne jemals dem Mann, den ich liebe, auch nur annähernd so nahe gekommen zu sein, wie ich wollte.

Ich schweige, während sich mir die Kehle zuschnürt. Auch Mhairi scheint einen Moment mit sich zu kämpfen. Ihr Mund öffnet und schließt sich ein paarmal, bis er sich schließlich zu einem … Lächeln verzieht? Bevor ich entscheiden kann, ob es das Grinsen einer geistesgestörten Schurkin ist, zieht sie mich erneut so fest in die Arme, dass ich mich nicht aus ihrem Griff befreien könnte, selbst wenn ich wollte.

»Ich kann dir gar nicht genug danken, Maggie, wirklich nicht. Danke, danke, danke.« Ihre Stimme bebt ganz nah an meinem Ohr. Verwirrt runzele ich die Stirn und befreie mich aus ihrem Griff. Tränen strömen Mhairi übers Gesicht, aber sie wirkt immer noch glücklich.

»Danke wofür?«, will ich wissen.

»Hat Freddie es dir nicht gesagt?« Sein Name trifft mich wie ein Faustschlag in die Magengrube, und ich muss gegen den immer größer werdenden Kloß in meiner Kehle schlucken, damit die salzigen Tränen, die sich in meinen Augen sammeln, nicht überlaufen. »Er ist hier, deshalb dachte ich –«

»Nein. Ich habe nichts von ihm gehört.« Um sprechen zu können, muss ich mich räuspern, und Mhairi umfasst meine Hände. Ihr laufen immer noch Tränen übers Gesicht, ohne ihrer Schönheit irgendetwas anhaben zu können.

»Oh, dieser kleine Sturkopf!«, ruft sie kopfschüttelnd. »Maggie, sieh nur«, sagt sie, dreht dabei unsere Hände um, sodass ich ihre Finger deutlich sehen kann. Der Diamantring an ihrem Ringfinger ist fort.

»D-du bist nicht … nicht länger verlobt?«, stottere ich. Sie nickt strahlend. »Aber … wie? Was …?« Ich kann nicht verbergen, wie verblüfft ich bin.

»Freddie«, seufzt sie liebevoll, holt ein kleines Taschentuch aus ihrer Handtasche, um sich die Augen abzutupfen, und gewinnt sofort ihre Fassung wieder. Allen Ernstes, man sieht ihr nicht mehr an, dass sie eben noch geweint hat. »Wegen deiner – oder besser für dich«, korrigiert sie sich, »hat er unsere Verlobung rückgängig gemacht.« Ich muss mich am Zaun des Verrätertors festhalten, um sicherzugehen, dass ich nicht das Gleichgewicht verliere und ins trübe Wasser falle. »Er kam zu mir nach Schottland und erzählte mir alles. Dass er nicht weiter diese Lüge leben könne, wohl wissend, dass er sehr viel aufgeben müsste für etwas, das keiner von uns beiden wirklich wollte. Maggie, ich war sofort einverstanden, unsere Verlobung aufzulösen. Ich konnte nicht zulassen, dass er dich verliert für eine Ehe, die nur unsere archaischen Eltern glücklich machen würde. Also sind wir noch am selben Tag zu seinem Vater gegangen und haben ihm gesagt, es werde keine Hochzeit geben. Freddie hat ihm wirklich die Stirn geboten! Er sagte, er sei bereit, seinen Titel aufzugeben und sich mit einem Leben als Gardist abzufinden, in dem er sich hocharbeiten muss wie jeder andere auch, wenn er dafür mit der Person leben kann, die ihn am glücklichsten macht.«

Ich kann Mhairi nicht ansehen, während sie spricht; mein Kopf schwirrt, meine Gedanken überschlagen sich, während ich versuche zu begreifen. »Er meinte dich, Maggie. Du hast ihn erkennen lassen, wer er sein will. Du hast ihm das Gefühl gegeben, tatsächlich etwas wert zu sein, unabhängig vom Namen seiner Familie.« Um ihre Worte zu unterstreichen, schüttelt sie meine Hände, während meine Gedanken rasen.

»Er hätte das nicht tun sollen … seine Familie. Ich habe ihm gesagt, er solle das nicht tun.« Ich rede wirr.

»Ich weiß. Genau deshalb hat er es getan, ohne es dir zu sagen, nehme ich an. Um zu zeigen, dass er genau das wollte, ob er dich damit gewinnen kann oder nicht. Maggie, ich habe noch nie erlebt, dass er seinem Vater so die Stirn geboten hat. Du hättest es sehen sollen! Der alte Mann hatte keine Ahnung, was er tun sollte. Ich denke, er wusste, dass ihm keine andere Wahl blieb, als uns beide gehen zu lassen. Zum ersten Mal hat Freddie selbst über sein Schicksal entschieden, und damit geht es ihm sehr viel besser. Glaube bitte nicht, dass du ihn gezwungen hast, ein Leben der Entfremdung von seiner Familie zu leben, denn das Leben, das er vor sich hatte, wäre fremdbestimmt gewesen. Als du in sein Leben getreten bist, hat sich alles geändert.«

»Aber ich verstehe nicht. Warum bist du so glücklich? Ich habe dein Leben ruiniert …« Sie lacht nur über meine Reaktion.

»Du hast uns beide davor bewahrt, ein Leben im Verborgenen zu führen. Davor, für jeden zu leben außer für uns selbst. Als ich die Erleichterung in seiner Miene sah, als ich hörte, wie er für dich kämpfte, wie er seine Liebe zu dir verteidigte, ohne sich Gedanken darüber zu machen, ob andere einverstanden waren oder nicht, hat mir das den Mut gegeben, den ich brauchte. Ich …« Ihre Stimme verstummt, und sie errötet unter ihren Sommersprossen. »Ich bin seit dem ersten Tag an der Universität in jemand anderen verliebt.« Als sie das sagt, tritt ein verträumter Ausdruck in ihren Blick, und ich erkenne, sie denkt an ihren Liebsten. »Wir führen seit fast zehn Jahren eine heimliche Beziehung, stehlen uns gemeinsame Augenblicke, wenn niemand zusieht, genießen jede Sekunde davon, denn wir wissen nie, wann wir wieder miteinander allein sein können. Sie war – sie ist – das eine, wofür ich jeden Tag lebe. Ich habe mich so sehr bemüht, sie in mein Leben zu integrieren, sie hat mich überallhin begleitet, aber einander so nah zu sein und einander doch nicht berühren zu können war die reinste Folter.«

Ihre Miene verdunkelt sich. »Bis vor wenigen Wochen wusste nur Freddie davon. Er hat sich zu unserer Ehe bereiterklärt, weil er wusste, dass sie mich und sie vor meiner Familie schützen würde. Aber als ich gesehen habe, wie er für dich kämpft, wie er sich weigert, dich zu seinem dunklen kleinen Geheimnis zu machen, wurde mir klar, dass Katie es ebenfalls verdient, eine Partnerin zu haben, die sich ihrer nicht schämt.«

Katie. Die schöne Australierin, sitzen gelassen von ihrem Freund, Trost suchend an der Bar. Ich wusste, dass wir mehr gemeinsam haben als nur unsere Haarfarbe.

»Also … habe ich endlich um ihre Hand angehalten. Sie hat alles erduldet, um auf mich zu warten. Obwohl sie wusste, dass ich eines Tages einen Mann heiraten würde, blieb sie. Ich kannte die Liebe, die Freddie für dich empfindet, weil ich meine eigene ein ganzes Jahrzehnt versteckt hatte.« Leichte Röte zeigt sich auf ihren Wangen; ganz offensichtlich ist sie es nicht gewohnt, über ihre Gefühle zu reden. »Ich hatte keine Angst mehr, ob ich nun akzeptiert würde oder nicht, also haben Katie und ich meine Eltern direkt konfrontiert. Hand in Hand gingen wir in ihr Wohnzimmer, sagten ihnen, dass wir heiraten würden, und warteten nicht einmal ab, ob sie das akzeptieren würden oder nicht. Wir sind einfach gegangen, und jetzt bin ich hier. Wir leben gemeinsam in Brixton!« Sie klatscht in die Hände. »Ach ja, du musst unbedingt zu unserer Hochzeit kommen. Es wird nur eine kleine Feier werden, aber ich würde mich sehr freuen, wenn du kommst.«

Sie glüht vor Begeisterung. Wenn sie vorher hübsch war, dann wirkt sie jetzt geradezu atemberaubend. Jeder Zentimeter von ihr ist lebendig, in jeder Pore steckt Leben, und sie strahlt echtes Glück aus. Man kann sie nicht anschauen, ohne selbst von warmer Zufriedenheit erfüllt zu werden.

»Ich werde da sein«, versichere ich lächelnd, und sie umarmt mich erneut.

»Und du musst Freddie Guildford mitbringen als deinen Begleiter! Auf ausdrücklichen Befehl der Braut.«

Freddie! Mhairis Happy End hat mich so mitgerissen, dass ich noch gar nicht über mein eigenes nachdenken konnte. Er hat sich über alles und jeden hinweggesetzt … für mich. Aber warum hat er mir all das nicht selbst erzählt?

»Er wusste, du würdest dir die Schuld daran geben, Maggie«, sagt Mhairi, als hätte sie meine Gedanken gelesen. Ihre Miene wirkt weich und mitfühlend, und sie zieht aufmunternd die Brauen hoch.

»Kannst du mich einen Moment entschuldigen?«, stoße ich hervor, als bei mir endlich der Groschen fällt. Sie nickt energisch, und ich renne los, fliege praktisch übers Kopfsteinpflaster, während ich mir einen Weg durch die Menge bahne.

»Entschuldigung. Sorry. Tut mir leid! Ich muss mal vorbei!« So renne ich am Bloody Tower vorbei und die Stufen hinauf, bis zwei Bärenfellmützen mit weißen Federn und blutrote Waffenröcke in Sicht kommen. Sie sind das Einzige, worauf ich mich konzentriere, während mein Blick sich auf sie fokussiert. Mein Herz rast, und ich spüre das in jeder Zelle meines Körpers. Ich sprinte zu ihm hoch, springe über die niedrige Umzäunung und …

»Tiny?«, spreche ich den Teenager vor mir an, der mich aus weit aufgerissenen Augen anstarrt. Er ist derjenige mit dem Gewehr in der Hand, aber er wirkt verängstigt, weil ich ihm so nah bin. »Shit!«, murmele ich und trete hinter die Umzäunung zurück. »Tut mir leid, Tiny.«

Mein Gesicht brennt vor Hitze, und ich stöhne laut. »Hast du zufällig eine Ahnung, wo Freddie sein könnte?«, füge ich leise hinzu.

»King’s House«, presst er aus dem Mundwinkel hervor, sein Gesicht glüht inzwischen fast so rot wie sein Waffenrock. Ich schaue hinüber zum King’s House. Ein einzelner Gardist steht dort Wache, die Schultern gestrafft, die Haltung aufrecht, die Bärenfellmütze ganz leicht in meine Richtung geneigt. Und da sehe ich ihn. Seine Augen sind unter dem Fell der Mütze nicht zu erkennen, aber seine Lippen und das wie gemeißelt wirkende Kinn reichen mir, um diesmal gewiss zu sein.

»Danke, Tiny«, rufe ich über die Schulter zurück, während ich bereits renne. Ich nehme die Abkürzung über den Rasen, sehr zum Leidwesen des nächststehenden Beefeaters. »Das Gras des Königs darf nicht betreten werden!«, donnert er. Aber ich bleibe nicht stehen; jetzt kann mich niemand mehr von meinem Kurs abbringen. Rex und Regina nehmen Reißaus, als ich zwischen ihnen hindurchsause. Und aus dem Augenwinkel sehe ich meinen Dad, der auf seinem Posten am Bloody Tower schweigend lächelt.

Freddie lässt sein Gewehr fallen, um mich abzufangen. Binnen Sekunden pralle ich auf ihn, und er schlingt fest seine Arme um mich. Mein Atem geht schwer; mein Körper pulsiert an seinem. Ich schiebe das Fell von seinen Augen weg, um mich zu vergewissern, dass er es wirklich ist, und tränenverschleiert erwidern sie meinen Blick, diese winzigen Feuerräder aus Türkis und Salbeigrün. Ohne einen Moment zu zögern, küsse ich ihn. Vor Tausenden von Augen und Kameras küsse ich ihn, und er erwidert meinen Kuss.

EPILOG

Zwei Monate später …

»Also, Andy kommt herein, süffisant grinsend, viel zu selbstgefällig. Sie tänzelt heran, um mir ihren Sperrbildschirm zu zeigen, und was sehe ich? Nichts anderes als den nackten Oberkörper meines Ex, mit Uhrzeit- und Datumsangabe quer über seinen Brustwarzen.« Katies Augen weiten sich, während sie versucht, ihr India Pale Ale hinunterzuschlucken, bevor sie es meterweit durch die Gegend prustet. »Ich sage dir, ich habe gelacht! Jesus, ich habe mich gekringelt vor Lachen. Ich weiß nicht, was sie von mir erwartet hat, aber jedenfalls nicht das. Also gab sie allen möglichen Scheiß von sich – von wegen, ich hätte ihn so schrecklich behandelt, und da sei es kein Wunder, dass er mich betrogen habe, und so weiter und so fort. Also stand ich auf –«

»Und hast ihr ins Gesicht geschlagen?«, unterbricht Katie mich trocken. Bei der Vorstellung muss ich lachen. Wir sitzen gemeinsam an der Bar im Keys, und mit ihrem hübschen roten Anzug passt sie perfekt hierher.

»Schön wär’s. Nein, ich ging einfach. Sie wird schon merken, was sie davon hat, wenn Bran in seine alten Gewohnheiten zurückverfällt. Ich habe versucht, sie zu warnen, aber sie wollte nichts davon hören.«

Meine neue Freundin verdreht die Augen und nimmt noch einen Schluck von ihrem Ale.

»Aber es wird noch besser. In dem Moment kommt Kevin dazu. Er sagt mir, wir müssten dringend mit der Personalstelle über mein Verhalten reden – ›über Zäune springen, um einen königlichen Gardisten abzuknutschen‹. Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist, aber ich drehte mich um, und sagte ihm, er könne sich seinen Job sonst wohin stecken. Wenn er nicht schon vollständig aus Nikotin und Red Bull bestünde, wäre ihm womöglich das Herz stehen geblieben.«

Katie juchzt triumphierend, und wir stoßen miteinander an, weil ich endlich mal Rückgrat gezeigt habe.

»Und da ich nichts mehr zu verlieren hatte, sagte ich ihm, dass es in Wahrheit die liebe kleine Samantha war, die vor Monaten allen von seiner Affäre erzählt hat, und ging einfach. Seitdem war ich nicht mehr da.«

»Ha, ich wäre bereit, eine Menge Geld dafür hinzublättern, mir die Aufzeichnung der Überwachungskamera aus dem Raum anzuschauen. Und was wirst du jetzt tun?«

»Ich habe eine Reihe von Vorstellungsgesprächen, in Museen und so, aber fürs Erste hat Trixie von nebenan mir vorübergehend eine Stelle in der Veteranenstiftung besorgt. Also beschäftige ich mich im Moment damit, ehemaligen Soldaten wieder auf die Beine zu helfen und so. Das fühlt sich alles irgendwie … richtig an.« Ich denke zurück an die Rabenmeisterin, die ich inzwischen regelmäßig jeden Mittwochabend in ihrem Wohnzimmer besuche, um mit ihr Tee zu trinken. Woche für Woche scheint sie mehr aufzutauen, zu erzählen, sich zu entspannen, und ich lächle in meinen Drink bei diesem Gedanken. »Jetzt aber genug von mir. Ich möchte wissen, wie eure Flitterwochen verlaufen sind – in allen Einzelheiten!«

Mhairi und Katie hatten keine Zeit verloren und schnellstmöglich geheiratet. Nur einen Monat nachdem Mhairi mir die Neuigkeit überbracht hatte, bestiegen ich, Freddie und Katies Eltern den Bus nach Gretna Green, um Zeugen zu werden, wie die beiden endlich ihr Happy End fanden.

Katie erzählt mir mit Vergnügen alles über ihren Aufenthalt in einem Pariser Künstlerviertel und zeigt mir mindestens tausend Fotos auf ihrem Smartphone. Über die Aktzeichnung ihrer frisch Angetrauten huscht sie rasch hinweg und bittet Baz um einen weiteren Drink, um zu überspielen, wie sie rot anläuft.

Der Klingelton meines Telefons erspart ihr weitere Peinlichkeiten. Freddies Name taucht auf dem Display auf, und obwohl er inzwischen einen sehr vertrauten Anblick bietet, freue ich mich jedes Mal wie ein kleines Kind, wenn ich ihn sehe.

»Hallo! Ich, ähm, brauche deine Hilfe«, kommt seine Stimme kleinlaut über den Lautsprecher.

»Bin schon unterwegs«, erwidere ich und lege auf. Ich wende mich meiner Trinkkumpanin zu, die inzwischen in eine Unterhaltung über australische Politik mit Baz verwickelt ist. Als Godders sich der spontanen Fachsimpelei anschließt, entschuldige ich mich und eile meinem Freund zu Hilfe.

Sein Anblick erfüllt mich mit unbändigem Stolz. Freddie und Mo stehen am Fenster der Wachstube und machen sich gemeinsam an einer Fliege zu schaffen, die Ersterer sich um den Hals geschlungen hat. Ich habe lediglich vor, ihm kurz mein Zuhause zu zeigen und uns mit meinem Dad auf einen Drink oder zwei im Keys zu treffen, aber seine ängstliche Nervosität zeigt ganz klar, dass es ihm sehr viel bedeutet, alles richtig zu machen. Einen Augenblick halte ich inne, um ihn von ferne zu beobachten, und bei seinem Anblick wird mir warm ums Herz. Als sie mich schließlich bemerken, stößt Freddie die Hände des Corporals weg, streicht seinen Anzug glatt und verzieht dabei das Gesicht.

»Eine Fliege?« Ich muss lachen, als er beinahe schmollt vor Frust.

»Kannst du mir damit helfen?« Mit zitternder Hand fährt er sich durch die Haare, während er mit der anderen niedergeschlagen an der Fliege herumzupft.

»Vielleicht solltest du sie so zusammenlegen und dann so eine Schlaufe bilden?« Ich stehe vor ihm und versuche ebenso ungeschickt, die Fliege zu binden. Er seufzt verärgert, die Stirn so heftig gerunzelt, dass sich die Falten wie Blitze über sein Gesicht ziehen.

»Hey! Schau mich an.« Ich umfasse sein Gesicht mit den Händen und streiche mit einem Daumen über sein Kiefergelenk, bis er sich entspannt. »Es ist in Ordnung, das verspreche ich dir.«

Etwas ruhiger atmet er aus und neigt seinen Kopf leicht in meine linke Hand. »Ich darf das einfach nicht vermasseln.«

»Und das wirst du auch nicht. Meine Mum hätte niemals auf einer dummen Fliege bestanden. Vermutlich hätte sie gelacht und dir gesagt, du sähst damit aus wie ein Zauberer. Dad übrigens auch.« Ich stelle mich auf die Zehenspitzen, hauche ihm einen Kuss zwischen die Augenbrauen und lasse sein frisch rasiertes Gesicht los. Dann wende ich mich seiner Tasche zu, deren Inhalt auf seinem Bett verstreut liegt, und greife nach der blau-rot-blauen Household-Division-Krawatte.

»Wie wäre es stattdessen hiermit?«, frage ich und halte sie hoch.

»Perfekt.«

Natürlich ist ausgeschlossen, dass er nicht weiß, wie man eine Krawatte bindet, aber ich gehe trotzdem zu ihm, um das selbst zu übernehmen. Unter meinen Händen löst sich die Anspannung in seinem Körper, der in einem tadellosen Anzug steckt, mit der Wappennadel seines Regiments am Revers. Ich komme mit dem Knoten nicht zurecht und muss einen Moment innehalten und mir in Erinnerung rufen, was mein Dad mir als Kind beigebracht hat. Freddie nimmt meine Pause als Einladung, mich sanft zu küssen. Seine Lippen streifen ganz leicht die meinen, und instinktiv dränge ich mich fester an ihn. Als er sich wieder von mir löst, lasse ich lächelnd die Krawatte fallen und versetze ihm einen leichten Stoß gegen die Schulter.

»Ich muss mich konzentrieren, du Mistkerl.« Er lacht, als ich den rot-blau gestreiften Stoff wieder an mich nehme und es noch einmal versuche, diesmal erfolgreich. Als ich fertig bin, küsst er mich erneut. Sanft und intim diesmal; es gibt keine Grenzen zwischen uns, wenn er mich so küsst; wir werden dann eins.

»Besorgt ihr beiden euch bitte ein eigenes Zimmer, es sei denn, Maggie küsst mich genauso, wenn sie mit dir fertig ist!«, ruft jemand durch den Schlafraum. Freddie hält gerade lange genug inne, um Walker, der von seinem Bett in ein paar Meter Entfernung so tut, als müsste er sich gleich übergeben, ein Paar zusammengeknäuelter Socken an den Kopf zu werfen. Ich habe nicht einmal Zeit, verlegen zu werden, bevor Freddie mich noch einmal küsst.

»Wir sollten gehen«, murmelt er. Meine Miene verrät eindeutig meine Enttäuschung, denn er gibt mir noch einen letzten flüchtigen Kuss, bevor er mich sanft an den Hüften zur Tür zieht.

»Viel Spaß! Und versuche, den Kopf noch auf den Schultern zu haben, wenn du zurückkommst!«, ruft Riley.

»Ich schätze, er muss eher auf seinen Schwanz aufpassen.« Mo lacht aus voller Kehle von seinem Bett neben der Tür – wo er gerade eben nah genug ist, dass Freddie ausholen und ihm einen Klaps auf den Hinterkopf geben kann.

»Jungs, alles wird gut.« Ich grinse, als alle die Brauen hochziehen.

»Viel Glück«, raunt Walker Freddie leise zu, und Chaplin klopft ihm lächelnd auf die Schulter.

Auf Freddies Wunsch sind wir beide gekleidet, als wollten wir zur Oscarverleihung und nicht einfach meine Eltern treffen. Er ist sogar so weit gegangen, mir ein nagelneues rotes Kleid zu kaufen.

»Ich will das so machen, wie es sich gehört«, sagte er vor einem Monat zu mir, als ich im St. James’s Park auf seinem Schoß herumlungerte. »Es muss einfach perfekt sein.« Ich widerstand dem Drang, ihn daran zu erinnern, dass mein Dad wie viele Hundert andere zugesehen hat, als ich in seine Arme sprang und ihm meine Zunge in den Hals steckte. Aber es ist lieb von ihm, dass er einen guten Eindruck machen will. Hand in Hand wandern wir vom Waterloo Block durch den geheimen Gang und an den Kasematten entlang zu mir nach Hause. Lucie, Merlin und Edward fliegen herbei, unmittelbar bevor wir die Haustür erreichen, und Freddie holt eine Packung Kekse aus dem Leinenbeutel, den er auf dem Weg nach draußen an sich genommen hat, lässt meine Hand los, beugt sich zu den gierigen Vögeln hinunter und füttert sie. Ich tue es ihm gleich und kauere mich neben sie, als Lucie auf mich zuhüpft und ihren Schnabel in die Falten meines Kleides steckt.

»Die hast du extra mitgebracht?«, frage ich Freddie, als die drei sich den Kropf vollgeschlagen haben und fröhlich davonhüpfen.

»Ich habe sie aus der Wachstube mitgehen lassen. Ich dachte, es kann nicht schaden, mich bei deinen Freunden einzuschmeicheln, damit sie keine Lügen über mich verbreiten.« Dabei zwinkert er mir zu, und ich ziehe ihn an mich.

Als wir schließlich meine Haustür erreichen, zögert Freddie und fährt sich wieder mit zitternder Hand durch die Locken. Ich greife nach der Hand, drücke sie leicht und stoße die Tür auf. Drinnen ist es still. Dad ist zweifellos schon in der Bar und bereitet sich auf das Treffen vor. Freddie lässt mich nicht los, als ich mit ihm zur geschlossenen Tür des Zimmers meiner Mum gehe und sie öffne.

Mitten auf dem Tisch lehnt ein Zettel an einer kleinen Schachtel Zitronenkekse und einer Packung Doppelkekse mit Vanillefüllung. Von Hand geschrieben steht darauf:

»Ich dachte, ich lasse euch ein wenig Zeit mit Mum allein. Ich habe dir deine und meine Lieblingskekse als Nachspeise gekauft. Bis bald. Hab dich lieb, Dad. PS Lass mir einen Keks übrig!«

Der Anblick der zuckrigen Leckereien erfüllt mich mit Freude, und das nicht nur, weil ich eine Naschkatze bin. Ich hätte es einfach nicht vollkommener planen können. Freddie hat mir die Arme um die Taille geschlungen, während er den Zettel über meine Schulter hinweg liest. Ich spüre, wie seine Wange sich an meinen Hals schmiegt, als er lächelt.

»Guten Tag, Ma’am. Ich bin Freddie. Ich fühle mich geehrt, hier zu sein.« Er lässt mich los, um sich meiner Mutter vorzustellen, und wendet sich an die Wand voller Fotos. Anschließend legt er seinen Leinenbeutel auf den Tisch und holt vier verschiedene Tupperdosen heraus. Als er sie öffnet, steigt vom Inhalt Dampf auf.

»Du hast gekocht?« Plötzlich drohen mir die Tränen zu kommen, aber ich halte sie zurück … gerade so eben.

»Natürlich. Ich dachte, wir könnten mit deiner Mum zu Abend essen. Ich, ähm, habe gestern mit deinem Dad telefoniert, um ihn um Erlaubnis zu bitten, deshalb …« Er deutet auf Dads Geschenk zum Nachtisch und schaut mich ein wenig verlegen an. »Ich habe ihn gebeten, sich dazuzugesellen, aber er sagte: ›Ich bin sicher, dass wir häufig in dem Zimmer gemeinsam zu Abend essen werden, Junge. Geh du ruhig und lerne erst meine Hilary kennen.‹ Ich hoffe, das geht für dich in Ordnung?« Die eben noch zurückgehaltenen Tränen laufen mir jetzt doch übers Gesicht. Ich wische sie mir grinsend weg und nicke.

»Die Küche, die zur Wachstube gehört, ist nicht besonders gut ausgestattet, aber ich habe mein Bestes gegeben, einen Lammbraten zustande zu bringen.« Er stellt Kartoffeln, Gemüse und Fleisch auf den Tisch, bevor er einen Topf mit Soße hervorholt.

»Danke.« Mehr kann ich nicht sagen, recke mich zu ihm hoch und küsse ihn auf die Wange. Auch beim Essen bringe ich kaum ein Wort heraus, während Freddie, in Schale geschmissen, den Wänden von sich erzählt, von uns beiden und von allem, was ich ihm von Mum erzählt habe. Meine stummen Tränen fallen auf meinen leeren Teller.

Als wir fertig sind, bringe ich die Teller hoch in die Küche, um sie rasch abzuspülen. Auf dem Rückweg nach unten höre ich ihn immer noch plaudern, etwas leiser jetzt, aber immer noch so laut, dass ich ihn hören kann.

»Falls Sie sich fragen, welche Absichten ich mit Ihrer Tochter habe … ich möchte einfach nur, dass sie glücklich ist. Wenn sie glücklich ist, dann bin ich glücklich. Ich glaube nicht, dass ich jemals echtes Glück erlebt habe, bevor ich Maggie begegnet bin. Sie hat dafür gesorgt, dass ich einiges über mich selbst erkannt habe, darüber, wer ich war und wer ich sein wollte … Sie hat mir das Leben gerettet. Ich könnte nicht behaupten, dass ich für sie die Welt aufgeben würde, denn sie ist die Welt für mich. Und ich werde ihr Mond sein, immer in ihrer Umlaufbahn. Wann immer Dunkelheit hereinbricht, werde ich da sein, so viel Licht in diese Dunkelheit bringen, wie ich kann, damit sie nicht blind durch die Nacht laufen muss. Was ich für sie will, ist, alles für sie zu sein, was sie für mich ist.«

Kennt ihr das Gefühl, wenn man an einem Wintermorgen nach draußen geht und zum ersten Mal einatmet? Der eisige Hauch der frischen Luft breitet sich bei jedem Atemzug im Körper aus und weckt jede einzelne Zelle. Das ist Freddie für mich; er gibt mir bei jedem Atemzug das Gefühl, ganz neu zu sein. Er ist der Wind oben auf einem schottischen Berg, in dem ich mich verliere, wenn er mich einhüllt und meine Wangen rötet.

Lächelnd lehne ich mich an den Türrahmen. Er steht in Habachtstellung da, betrachtet ein Foto von Mum am Tag meiner Geburt. Irgendwo in dem Bündel Decken bin ich, von der Geburt noch ein wenig zerknautscht. Mum wirkt strahlend, ihre wilden Locken kringeln sich noch wilder als sonst, während sie ihre Wangen streicheln, und ihre Haut leuchtet im Blitzlicht der Kamera.

»Du hast ihr Lächeln«, sagt Freddie, der meine Anwesenheit gespürt hat.

»Findest du?«

»Auf jeden Fall.«

»Du hättest sie mit dieser Ansprache zum Weinen gebracht.«

»Vor Freude?«

Ich nicke. »Wir sollten besser gehen, bevor Dad eifersüchtig wird, weil Mum mehr Zeit mit dir verbracht hat als er.« Ein letzter Salut für meine Mutter, dann greift er sich seine Jacke, und wir treten den kurzen Weg zum Keys an.

Mhairi hat sich inzwischen zu Katie gesellt – und auch sämtliche dreißig Mitglieder der Beefeater-Mannschaft einschließlich der Rabenmeisterin, die sich nur äußerst selten in der Öffentlichkeit zeigt. Mein Dad sitzt auf einem Hocker ganz hinten im Raum, und zwar so kerzengerade, dass ich fast damit rechne, dass er sich einen Muskel im Nacken zerrt. Die Hände auf die Knie gelegt, ist auch er so gekleidet, als habe er eine Audienz beim König, und seinen Blazer zieren seine vielen Orden.

Er dreht sich kurz um und fummelt am Lichtschalter der Vitrine hinter ihm herum. Im Glaskasten geht das Licht an und beleuchtet eine mächtige Axt, gekreuzt mit einer Beefeater-Partisane. Er wirkt zufrieden mit sich, glaubt vermutlich, dass er aussieht wie ein tyrannischer König aus Game of Thrones oder so.

»Was ist denn hier los?« Lachend verdrehe ich die Augen.

Freddie schluckt, sichtlich eingeschüchtert von den Beefeaters, die sich hier versammelt haben, um ihn zu begrüßen.

»Wir sind gekommen, um deinen neuen Typen im Keys willkommen zu heißen«, meldet Richie sich zu Wort. Ich mustere ihn misstrauisch.

»Und ihm zu zeigen, wie viele Leute er am Hals haben wird, wenn er dir das Herz bricht«, fügt Charlie hinzu.

»Ich bin absolut damit einverstanden, dass ihr mich im Festungsgraben verscharrt, wenn ich das jemals tue, denn das würde bedeuten, dass ich den Verstand verloren habe«, wendet Freddie sich an alle und lächelt mich an.

Mein Dad erhebt sich von seinem Platz und kommt langsam auf Freddie zu, der stocksteif stehen bleibt und seine Disziplin beweist. Ich glaube, wenn ich es darauf anlegte, würde ich vermutlich Freddies Herzschlag noch aus einem Kilometer Entfernung vernehmen können.

»Guter Junge. Und jetzt, mein Sohn, spendierst du diesem alten Mann ein Bier!« Dad lacht und zieht meinen Freund in eine grobe, einarmige Umarmung. Freddie entspannt sich deutlich, während wir beide zeitgleich den Atem entweichen lassen.

»Natürlich, natürlich.« Rasch wischt mein Freund sich den Schweiß von der Stirn. »Bier für alle?«, schlägt er vor, und noch nie habe ich sie alle sich so schnell bewegen sehen. Baz springt über die Theke, um mit dem Ausschank zu beginnen, während Freddie seine Geldbörse aus der Tasche zieht. Ihm wird ziemlich oft auf den Rücken geklopft, und ich muss praktisch gegen Godders und Lunchbox ankämpfen, um zu ihm zu gelangen.

Als ich mich neben ihn setze, reicht Freddie ein paar Geldscheine über den Tresen.

»Nun, ich glaube, das hätte kaum besser laufen können«, stellt Mhairi fest. Ihre Hand ruht stolz auf Katies Oberschenkel, und sie schauen einander verliebt an. Freddie legt mir seinen Arm um die Schultern und drückt mich an sich.

»Ich glaube, an diesem Ort ist jedes Ergebnis, bei dem man den Kopf auf den Schultern behält, ein gutes Ergebnis«, setzt Katie hinzu und bringt uns alle zum Schmunzeln. Sie und Riley würden sich hervorragend verstehen.

In Freddies Arm geborgen, schaue ich den Beefeaters zu, die sich um die Bar drängen. Freddies Puls hat sich endlich beruhigt, und sein Herzschlag ist sanft an meinem Körper zu spüren. Mein Dad fängt meinen Blick von seinem Stammplatz zwischen Godders und Charlie aus ein, und er erhebt sein Glas auf uns beide.

Ich dachte immer, das Glück käme perfekt verpackt. Eine Topfigur, eine Kleinfamilie, blonde Haare, ein sechsstelliges Jahresgehalt, alles gekrönt von einem märchenhaften Happy End und mit einer schönen Schleife versehen. Aber jetzt stellt sich heraus, wahres Glück besteht nur in einer Bar voller Beefeaters und dem Wissen, dass jemand mich so liebt, wie ich bin.