Sie schliefen nicht miteinander. Nach ungefähr zehn Minuten leidenschaftlicher Küsse und tastender Hände schob Elizabeth Brian von sich.
«Ich kann nicht.» Sie atmete schwer.
Brian nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände.
«Bist du sicher? Es kommt mir so vor, als würdest du es genießen, und, also», er strich ihr ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht, «du bist wirklich eine gut aussehende Frau.»
Sie sah ihn nicht an. Sie mochte ihn, aber die Küsse hatten in Wirklichkeit nur den Lärm in ihrem Kopf zum Verstummen bringen sollen. Eine Ablenkung von Zachs Neuigkeiten. «Ja. Es ist zu viel. Ich muss nach Hause. Ich muss meinen verdammten, bescheuerten Sohn anrufen.»
Brian machte keine Anstalten, den Motor zu starten, sondern legte den Arm um sie und zog sie in eine Umarmung.
«Worum ging es denn da? Was ist passiert?»
Elizabeth stieß einen langgezogenen Seufzer aus.
«Mein siebzehnjähriger Sohn hat seine Freundin geschwängert, die Mitte dreißig ist.»
«Scheiße», lautete Brians kurze Antwort.
«Scheiße, in der Tat.»
Er gab einen Pfiff von sich und fügte hinzu: «Ich bin so froh, dass ich keine Kinder habe. Was machst du jetzt?»
«Ich weiß nicht. Versuchen, die beiden zur Vernunft zu bringen?» Elizabeth klang äußerst unsicher.
Als sie wieder vor Tante Eileens Haus standen, gab Brian Elizabeth einen letzten langsamen Kuss und sah dann zu, wie sie den Weg hinaufging, bevor er fortfuhr. Sie zog den Schlüssel unter einem metallenen Igel hervor, der gleichzeitig als Schuhabstreifer diente, und schloss auf. Das Haus lag im Dunkeln, aber sie fand den Lichtschalter für das Badezimmer und dann eine Nachttischlampe. Sie setzte sich auf das niedrige, weiche Bett, zog ihr Telefon heraus und starrte den Bildschirm an. Dieser Anruf widerstrebte ihr. Sie beschloss, dass es das Beste wäre, zuerst mit Elliot zu sprechen, und wählte seine Nummer.
«Ja?», bellte Elliots Stimme am anderen Ende. Er klang, als öffnete er einem Zeugen Jehovas die Tür. Das war die Seite an Elliot, die Elizabeth am wenigsten leiden konnte: wenn er in seinen Lehrer-Modus umschaltete.
«Ich bin’s, Elizabeth», antwortete sie.
«Warum flüsterst du?», blaffte er zurück.
«Hier ist es spät, und ich übernachte in einem Bed and Breakfast.»
«Warum bist du nicht im Haus deiner Mutter?»
«Das ist eine lange Geschichte. Ich erzähl’s dir, wenn wir uns sehen. Nichts Schlimmes. Wie geht es Zach?», fragte sie in dem Versuch, die Unterhaltung wieder auf Kurs zu bringen.
«Ist völlig aufgelöst.»
«Natürlich. Es ist ganz schön viel.»
«Deinetwegen. Er ist aufgelöst deinetwegen!» Es klang, als spräche Elliot mit seiner beschränktesten Schülerin.
«Was?», flüsterte Elizabeth entrüstet.
«Er hat dich angerufen, um dir seine Neuigkeiten mitzuteilen, und du wolltest nicht mit ihm sprechen. Natürlich ist er aufgelöst.»
Elizabeth konnte kaum glauben, was sie da hörte.
«Unser siebzehnjähriger Sohn wird Vater, und das ist das Thema, über das wir uns unterhalten? Ehrlich?»
«Wir müssen ihn jetzt unterstützen, Elizabeth. Er ist so jung.»
«Ich weiß, dass er jung ist», zischte sie wütend in die Leitung, «deswegen bin ich ja so aufgebracht! Wie schwanger ist sie? Was haben sie vor?»
«Die Möglichkeiten sind begrenzt. Sie ist hochschwanger, ich kann nicht glauben, dass dir das nicht aufgefallen ist, ich meine, wann hast du sie zuletzt gesehen?»
Elizabeth versuchte sich daran zu erinnern.
«Ich weiß nicht. Vor Weihnachten, aber das war New York im Winter. Sie war in Mäntel und Schals gehüllt. Also haben sie vor, dieses Baby zu bekommen?»
Sie kam sich so nutzlos und losgelöst vor. Tränen der Enttäuschung sammelten sich in ihr.
Es war ihr eigener kleiner Junge, über den sie da redeten. Sie traute ihm kaum zu, bei D’Agostino’s Lebensmittel einzukaufen. Wie sollte er da für ein anderes Lebewesen Verantwortung übernehmen?
«Weißt du, vielleicht ist es gar nicht so schlimm.» Elliot versuchte nun, ruhig und vernünftig zu klingen, was in seiner Exfrau die exakt gegenteiligen Regungen weckte.
«Wovon redest du? Gar nicht so schlimm? Es ist ein verdammtes Baby, Elliot!»
«Ich weiß. Das weiß ich, aber sie ist ja kein Teenager. Sie will Zach nicht heiraten.»
«Er ist siebzehn!», konnte sich Elizabeth nicht verkneifen einzuwerfen.
«Aber das ist genau der Punkt. Sie ist Mitte dreißig. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie das nicht geplant hat, aber jetzt, wo es passiert ist, denkt sie bestimmt, dass sie das Baby besser behält, weil sie sonst vielleicht nie eines bekommt. Ich glaube nicht, dass Zach Teil ihres Plans ist.»
Elizabeth musste zugeben, dass das Sinn ergab, was einerseits eine Erleichterung war, aber andererseits brach es ihr das Herz für ihren Sohn. Sie stellte sich vor, wie er sich fühlen musste. Neben all seiner Furcht platzte er, das wusste sie, vor männlichem Stolz. Aber falls sich Michelle Giardino einfach mit dem Baby davonmachen wollte, würde er darüber hinwegkommen, und es würde zu einem besseren Zeitpunkt weitere Enkelkinder geben. Sie fragte sich, ob sie eine herzlose Schlange war, weil sie so dachte, versicherte sich aber schnell, dass sie einfach nur im Blick hatte, was für ihren Sohn das Beste war.
«Okay. Also, ich spreche mit Zach, und dann können wir uns alle überlegen, was als Nächstes passiert. Bleibt sie in Kalifornien?», fragte sie hoffnungsvoll.
«Nein. Sie fliegt, ein oder zwei Tage bevor sie sie nicht mehr fliegen lassen, zurück nach New York.»
Elizabeth rutschte das Herz in die Hose. Sie würde zuständig sein.
«Großartig. Wir sprechen. Gute Nacht.»
«Tschüs.»
Elizabeth wälzte sich in die Mitte des Bettes, damit sie nicht in der Nacht das Gefälle der Matratze hinunter auf den Boden rutschte. Sie schlüpfte unter die leichte Decke und knipste die Lampe aus. Das Licht von ihrem Telefon erleuchtete das Zimmer, und sie tippte auf Zachs Namen, um ihn anzurufen. Es klingelte. Sie wartete. Niemand nahm ab, und schließlich landete sie auf der Mailbox. Sie seufzte und legte auf. Sie stellte sich Zach zusammen mit Michelle vor, wie sie zusammen auf das «Mom» blickten, das auf dem Display aufleuchtete, und wie er ihr Horrorgeschichten über sie erzählte. In ihrem Kopf überschlug sie die Anzahl der Monate, die Michelle Giardino, die Mathe-Nachhilfe, zu ihnen in die Wohnung gekommen war. Mit den siebzig Dollar die Woche, die sie sich nicht leisten konnte, hatte dieses Baby sie bereits einige tausend Dollar gekostet. In ihrem Kopf wirbelten all die Dinge herum, die sie Zach und Michelle Giardino gern gesagt hätte. Wie sollte sie jemals einschlafen?
Als sie sieben Stunden später aufwachte, hielt sie noch immer ihr Telefon umklammert. Aus der Küche kamen Geräusche, und da war eindeutig der Duft von gebratenem Speck. Elizabeth rieb sich das Gesicht und gähnte. Hoffentlich war das Frühstück besser als die Mahlzeit, die ihre Gastgeberin am Vorabend zubereitet hatte. Sie war am Verhungern.
Als Elizabeth hereinkam, stand Tante Eileen mitten in der Küche und hatte sich ein Küchentuch über den Arm gehängt. Es sah so aus, als hätte sie gewartet. Das künstliche grelle Licht des Aquariums passte eher zu einem Autopsiesaal als zu einem Frühstückszimmer.
«Guten Morgen! Möchten Sie Tee oder Kaffee?»
Normalerweise bevorzugte Elizabeth Kaffee, hielt aber Tee für die sicherere Wahl. Der Tisch war für eine Person gedeckt, und sie nahm Platz. Ein kleines Glas Orangensaft stand neben einem Gestell mit Toasts, die Elizabeths Vermutung zufolge kalt sein mussten. Das waren sie auch. Was in starkem Kontrast zu dem Teller stand, den ihre Gastgeberin aus dem Ofen zog und vor ihr abstellte. Der einzige Hinweis darauf, wie lange der Teller im Ofen gewesen war, war der schrumpelige, vertrocknete Zustand der beiden Würstchen und der Speckstreifen. Sie sahen eher aus wie etwas, das man in einem neolithischen Grab vermuten würde, nicht auf einer Speisekarte. Sie seufzte und griff nach ihrem Tee. Völlig in Ordnung. Na gut, ein flüssiges Frühstück war besser als gar keines.
«Wie haben Sie geschlafen?», erkundigte sich die alte Dame.
«Gut, danke.»
Tante Eileen stand neben dem Tisch und beugte sich nach vorn. Es war eindeutig, dass sie Einzelheiten erwartete.
«Es ist ein sehr netter Pub.»
«Ja, ja.» Ein heftiges, zustimmendes Nicken. «Mehr Tee?»
«O ja, bitte.» Elizabeth drückte mit ihrer Gabel auf ein unnachgiebiges Würstchen. «Ich wollte versuchen, die Dame zu treffen, von der Sie gestern Abend gesprochen haben. Die vom Supermarkt. Es tut mir leid, ich habe ihren Namen vergessen.»
«Cathy Crowley», half ihr Tante Eileen auf die Sprünge und schenkte Tee nach. «Aber mir ist inzwischen noch etwas Besseres eingefallen. Ihre Mutter, die alte Mrs. Lynch, die ist zwar betagt, weiß aber immer noch alles. Hellwach. Was immer sie über Castle House oder die Foleys wissen wollen, sie ist die richtige Ansprechpartnerin.»
Das klang ermutigend. Vielleicht bekam Elizabeth hier doch mehr Antworten, als sie erwartet hatte. «Ich danke Ihnen sehr. Ich spreche mit ihr.»
Tante Eileen steckte ihren Finger gedankenverloren in den Mund, tupfte dann damit ein paar Krümel vom Tisch und aß sie.
«Ich habe über das Haus nachgedacht.»
«Castle House?»
«Ja. Ich habe mich gefragt, ob Sie wohl wiederkommen.»
«Wiederkommen?» Elizabeth war etwas entgeistert. Warum sollte sie wieder hierherkommen?
«Na ja, ich meine, vielleicht wollen Sie es als Ferienhaus nutzen.»
Elizabeth kam sich so dumm vor. Einen Augenblick lang hatte sie beinahe vergessen, dass sie in Muirinish Hauseigentümerin war.
«Ich hatte bloß daran gedacht, es zu verkaufen.» Doch noch als sie die Worte aussprach, fragte sie sich, ob es das war, was sie wirklich wollte.