Zwei ganze Tage waren verstrichen, seit Patricia Edward zuletzt gesehen hatte. Mied er sie? War der Streit, den sie mitgehört hatte, bereits das Ende seiner Bemühungen, sie zu befreien? Ließ er seine Mutter im Glauben, sie hätte beschlossen zu bleiben? Sicher, seit sie sich bereit gezeigt hatte, das Baby zu behalten, behandelte Mrs. Foley sie anders. Sie verfolgte nicht mehr jede von Patricias Bewegungen, gelegentlich blieb sogar ihre Zimmertür unverschlossen. Sie war gekommen und hatte zugesehen, wie Patricia versucht hatte, Elizabeth mit Babynahrung aus dem Gläschen zu füttern, und sie hatte ihr geholfen, den orangefarbenen Karottenglibber aufzuwischen, den die Kleine kurz danach wieder ausgespuckt hatte. Patricia wollte fliehen, sie musste fliehen, aber ihr war auch klar, dass das nun weit komplizierter geworden war. Sie konnte nicht einfach barfuß in die Nacht hineinspazieren, sie hatte keine Ahnung, wie weit sie mit ihrem geschwächten Körper kommen würde, und wieso sollte sie das auch tun, wo sie doch noch immer auf Edwards Unterstützung hoffte? Dann gab es noch das Baby. Konnte sie diesen Ort wirklich verlassen und Elizabeth aufgeben? Sie war nicht ihr eigenes Baby, das rief sie sich ständig in Erinnerung, aber sie gehörte auch niemand

Mrs. Foley rief von unten. Sie brauchte Hilfe. Patricia verdrehte die Augen und malte sich aus, wie sie auf Händen und Füßen einen Kaminrost putzte, in dem sie nie ein Feuer hatte brennen sehen. Sie sah nach Elizabeth in ihrem Kinderbettchen. Gefüttert und gewickelt schlief sie, ihre Hände über der Decke zu Fäusten geballt, mit kleinen Spuckebläschen am Mundwinkel. Patricia lächelte und ging ihren Hausmantel holen. Er hing nicht auf dem Haken neben der Tür, Mrs. Foley musste ihn in die Wäsche getan haben. Ihr fiel ein, dass in dem Schrank noch einer hing. Sie zog ihn an, und da spürte sie etwas in der Manteltasche. Rosemarys Brief! Nach dem Streit hatte sie ihn ganz vergessen. Sie setzte sich auf das Bett und holte ihn heraus, glättete das zerknitterte Papier auf ihrem Schoß. Sie fand den Punkt, an dem sie aufgehört hatte zu lesen.

… dass Kojaks Frisur ihr besser stehen würde … haha!

Der große Skandal hier ist, dass Fiona Dunn Tony sitzengelassen hat! Seine Mutter war bei uns im Salon und hat uns die ganze Geschichte erzählt. Anscheinend sind sie im Urlaub nach Lanzarote gefahren und haben da dieses Paar aus Dublin kennengelernt. Jedenfalls ist sie mit dem Herrn

Ich weiß nicht, ob Du mit Deinem Bruder Kontakt hast, aber falls er es Dir nicht gesagt hat: Vor ein paar Wochen ist Mrs. Cronin gestorben. Ich weiß, dass sie eine Freundin Deiner Mutter war. Sie hatte einen Schlaganfall, und dann war es wohl das Herz. Vermutlich ist es so am besten.

Ich war traurig, als ich das ‹Zu verkaufen›-Schild vor Deinem Haus gesehen habe …

Patricia hielt inne. Sie las den Satz erneut durch. «‹Zu verkaufen›-Schild vor Deinem Haus». Wovon redete sie da?

Ich weiß, dass Du Dir da unten in Cork ein Leben aufgebaut hast, aber das macht es so endgültig.

Nein. Das musste ein Fehler sein.

Ich hoffe, es macht Dir nichts aus, wenn ich das so schreibe, aber ich vermisse Dich wirklich. Ich würde Dich so gerne sehen. Vielleicht könnte ich mir im Sommer ein paar Tage freinehmen und Dich besuchen kommen und den berühmten Edward kennenlernen!

Die Worte auf der Seite tanzten vor ihren Augen. Das konnte nicht wahr sein! Dieses Haus gehörte ihr. Es war

Mit dem Brief in der Hand ging sie zur Tür. Sie war offen. Sie rannte die Treppe hinunter.

«Edward! Wo bist du, Edward?», rief sie.

Mrs. Foley kam aus der Küche und wischte sich die Hände an der Schürze ab.

«Was ist? Geht es dem Baby gut?»

«Ja, ja», sagte Patricia ungeduldig und drängte sich an ihr vorbei in die Küche. «Wo ist Edward? Ich muss mit ihm sprechen!» Ihre Stimme klang nun lauter. Langsam wurde sie hysterisch. Etwas Schreckliches geschah, und sie musste es stoppen.

«Er ist draußen bei der Arbeit. Er kommt zum Mittagessen nach Hause.» Mrs. Foley hatte mit solchem Verhalten wie ihrem keine Nachsicht. «Du musst dich beruhigen, mein Mädchen», sagte sie streng, aber Patricia hatte Edward durch das Fenster gesehen. Er war auf der anderen Seite des Hinterhofs und ging gerade auf den Melkstand zu. Sie machte einen Satz auf die Hintertür zu. Sie war unverschlossen. Dann stürzte sie nach draußen und rief seinen Namen. «Edward!»

Er drehte sich um, erstaunt, sie draußen zu sehen. Sie lief barfuß über den unebenen Wirtschaftshof.

Mrs. Foley stand in der Tür und fauchte ihr hinterher:

Edward rannte auf Patricia zu, und nun standen sie mitten auf dem Hof. Ein Windstoß blähte ihren leichten Hausmantel.

«Was ist?» Er legte seine Hände auf ihre Schultern, um sie zu beruhigen. Patricias Gesicht war nun tränenüberströmt, und es war nur schwer zu verstehen, was sie sagte.

«Jerry. Mein Bruder Jerry, er versucht, mein Haus zu verkaufen!» Sie schwenkte Rosemarys Brief zum Beweis, aber der Wind packte ihn und trug ihn hoch in den grauen Himmel, ließ ihn um die Burg herum ins Nichts segeln. Patricia sackte auf die Knie, Edward versuchte sie zu stützen.

Jetzt war seine Mutter bei ihnen angekommen. Mit einer Hand hielt sie sich das Haar aus dem Gesicht. «Was ist los? Was stimmt nicht mit ihr?»

«Ich bin nicht sicher. Schlechte Nachrichten.»

Patricia lehnte sich an ihn und bettelte: «Bitte. Ich muss nach Hause. Ich muss!» Sie wandte ihren Kopf zu Mrs. Foley. «Lassen Sie mich das Telefon benutzen. Ich muss jemanden anrufen! Ich muss!» Sie war vor Frustration und Panik völlig hysterisch. «Bitte, Edward! Bitte!»

Sein Gesicht ließ kein Gefühl erkennen. Er griff sie am Arm und hob sie hoch. Seine Mutter hielt ihren anderen Arm fest.

«Wir müssen sie wieder ins Bett bringen.» Es war Mrs. Foley, die das sagte, aber Edward widersprach ihr nicht. Patricia war außer sich. Das konnte er doch nicht machen.

«Edward, du hast gesagt, ich könnte gehen. Du hast

Sie verspürte plötzlich einen scharfen Schmerz auf der linken Gesichtshälfte. Mrs. Foley hatte sie geohrfeigt.

«Du musst dich beruhigen.» Sie trugen sie halb zurück zum Haus, halb schleiften sie sie hinter sich her. Patricia kämpfte gegen sie an, aber es war sinnlos. Sie spürte, wie die Haut an ihren Füßen riss und zerkratzt wurde, als sie sie über den Hof in die Küche brachten. Sie heulte nun, schrie, so laut sie konnte. Ihr fehlten die Worte.

Sie zerrten sie die Treppe hinauf und warfen sie dann aufs Bett.

«Halt sie fest», befahl Mrs. Foley, und Edward, ihr Edward, drückte sie mit beinahe geschlossenen Augen hinunter, als hätte er Schmerzen dabei. Währenddessen durchquerte seine Mutter den Raum und nahm Elizabeth hoch, die mit Patricia zu schreien begonnen hatte.

«Jetzt lass sie los», blaffte die alte Frau, ohne einen Blick zurück zu werfen, und Edward heftete sich an ihre Fersen. Sie schlugen die Tür zu und schlossen sie ab.

Patricia sprang vom Bett und begann gegen die Tür zu hämmern.

«Edward! Bitte! Tu das nicht!» Sie prügelte mit den Fäusten auf das Holz ein, bis sie schmerzten. «Nur ein Anruf! Bitte! Bitte!» Sie sank zu Boden und vergrub den Kopf zwischen den Knien. Sie schluchzte. Erschöpfung übermannte sie. Ihr Haus. Das Einzige, was sie auf dieser Welt besaß. Sie hatte das Gefühl, langsam ausradiert zu werden. Bald würde keine Spur mehr von ihr übrig sein.

Die Stunden krochen vorüber. Gelegentlich konnte sie Elizabeth in einem anderen Teil des Hauses weinen

Patricia versuchte zu schlafen, aber ihre Fußsohlen pulsierten vor Schmerz. Sie fragte sich, ob sie sich entzünden würden und sie dann allein in diesem Zimmer sterben müsste. Erneut begann sie zu weinen.

Viel später (hatte sie geschlafen?) hörte sie, wie ein Schlüssel ins Schloss gesteckt wurde. Patricia drehte sich mit dem Gesicht zur Wand.

«Patricia?» Es war Edwards Stimme. Er sprach flüsternd.

Sie wandte sich um und sah seinen Umriss vor dem erleuchteten Flur. Er hielt das Baby. Sie streckte die Arme aus, und er legte Elizabeth hinein. Patricia hielt das Baby ganz fest, drückte ihre Wange gegen das Gesicht des Kindes und atmete tief ein.

Noch immer drang Licht ins Zimmer, und Edward hatte sich nicht gerührt.

«Es tut mir leid.»

Patricia funkelte ihn an und zischte über den Kopf des Babys hinweg: «Es tut dir leid? Du behauptest, mein Freund zu sein, du sagst, du wolltest mir helfen, aber du bist genauso bösartig wie sie!»

«Nein. Ich … bitte, Patricia. Ich will wirklich helfen. Ich werde helfen. Das verspreche ich.»

«Ich glaube dir nicht, und wieso sollte ich dir auch glauben?» Sie schloss die Augen und hoffte, dass er aus dem Zimmer gehen würde.

«Ich habe dir heißes Wasser hochgebracht.»

«Was?» Sie begriff nicht.

«Für deine Füße. Sie müssen gewaschen werden.»

«Edward, bitte sag mir, dass du es verstehst.»

«Dass ich was verstehe?» Er trug eine dampfende Schüssel aus dem Flur herein.

«Dass du verstehst, dass ich gehen muss. Ihr könnt mich nicht hierbehalten. Lass mich das Telefon benutzen. Bitte, Edward.» Sie setzte sich nun auf und versuchte, seinen Gesichtsausdruck zu entschlüsseln.

«Es gibt kein Telefon.»

«Doch. Ich habe es klingeln hören.»

«Mammy hat es aus der Wand gerissen. Schon vor Wochen.»

Patricia war entgeistert.

«Und du hast sie das einfach tun lassen?»

«Sie hat mir nicht gesagt, dass sie es tun würde.» Er klang so vernünftig, als unterhielten sie sich darüber, dass seine Mutter eine alte Zeitung weggeworfen hatte.

«Hast du nicht daran gedacht, es reparieren zu lassen?»

Er sah sie einen Augenblick lang ausdruckslos an und blinzelte lediglich.

«Das würde ihr nicht gefallen.»

Patricia stieß einen langen Seufzer aus. Es war sinnlos.

Edward kniete nun auf dem Boden und seifte im heißen Wasser in der Schüssel einen Waschlappen ein. Sanft nahm er Patricias rechten Knöchel und begann behutsam die zerrissene Haut einzuweichen.

«Ist das zu heiß?»

Sie schloss die Augen, und der warme Lappen strich erst über einen Fuß und dann über den anderen. Unter dem Fußbogen hindurch, zwischen die Zehen, über den Ballen, die Ferse hinauf. Patricia stellte sich Edward auf den Knien vor, wie er einem kranken Kalb half oder ein neugeborenes Lamm abtrocknete. In diesem Mann steckte solche Zartheit, und doch schien er den Schmerz nicht erfassen zu können, den er ihr verursachte.

Als er mit dem Waschen ihrer Füße fertig war, schlug er sie in ein altes Handtuch ein und tupfte sie sehr sanft trocken.

«Gut. So ist es besser.»

Er schenkte ihr ein breites Lächeln, und bevor sie sich davon abhalten konnte, hatte sie dankbar zurückgelächelt.

Edward faltete das Handtuch zusammen und stand auf. Er sah traurig aus. Trauriger, als sie ihn jemals zuvor gesehen hatte. Hatte er vielleicht Mary die Füße gewaschen?, fragte sie sich. Er stellte die Schüssel vor die Tür und sah dann erneut Patricia an.

«Also, gute Nacht.»

«Gute Nacht.»

«Patricia?»

«Ja?»

Das Licht war hinter ihm, daher konnte sie sein Gesicht nicht sehen, aber seine Stimme klang gepresst, sie brach beinahe vor zu viel Gefühl.

«Ich werde dir helfen.»