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Die überzählige Schüssel verspottete sie. Die längliche Neonlampe in der Küche spiegelte sich als glänzendes, zahnloses Lächeln im Boden des Tellers, und Patricia Keane beschloss, ihr Leben als alleinstehende Frau hinter sich zu lassen.

Es war beinahe fünf Monate her, seit ihre hochbetagte Mutter gestorben war, und noch immer geschah es, dass sie den Tisch aus Gewohnheit für zwei deckte oder zwei Tassen neben den Wasserkocher stellte. Ihre Mutter war so lange krank, im Grunde kaum noch da gewesen, und trotzdem war Patricia ihr Tod, als er endlich eingetreten war, wie etwas Plötzliches vorgekommen. Der rasselnde Atem der alten Frau war für sie so etwas wie das Ticken der Wanduhr oder das Rauschen der Blätter vor dem Fenster geworden. Man bemerkte es nicht, bis es aufhörte, aber dann war die Stille mächtig und erschreckend. Natürlich war die Leere schnell durch Leute gefüllt worden, die mit Tellern voller belegter Brote vorbeigekommen waren, oder fremde Frauen, die sie kaum kannte, die sich aber gegenseitig darin übertrumpften, die Küche zu

Die Idee für die Kontaktanzeige war nicht ihre eigene gewesen. Dieser Geistesblitz war ihrer Freundin Rosemary O’Shea gekommen, dem einzigen anderen Mädchen aus ihrer Klasse in der Klosterschule, das noch immer unverheiratet war. Mit zweiunddreißig waren Patricia und Rosemary definitiv alte Jungfern. Alle schienen einen Mann gefunden zu haben. Selbst die schmuddelige Annie und Niamh Rourke mit ihrem unvorteilhaften Äußeren, deren Spitzname «Zinken» lautete, hatten es geschafft, vor den Traualtar geführt zu werden. Rosemary war anders. Sie schien allein vollkommen glücklich zu sein. Sie arbeitete als Friseurin im Schönheitssalon von Buncarragh, wenn auch nicht einmal die Wohlwollendsten behauptet hätten, dass sie für den Salon ein Publikumsmagnet war. Sie hatte ihre Eltern und vier Brüder draußen auf dem Hof zurückgelassen und sich über Deasy’s, der Apotheke, eine kleine Wohnung gemietet. Im letzten Jahr hatte sie sich sogar ihren eigenen gebrauchten Fiat gekauft. Welche Verwendung hatte sie da noch für einen Mann? Patricia wusste nicht recht, warum, aber sie verließ sich auf Rosemarys Einschätzung. Rosemary hatte zwar nicht allzu viel von

Mit achtzehn war ihr Leben völlig neu geschrieben worden. Ein Autounfall tötete ihren Vater, und ihre Mutter war danach nicht mehr in der Lage, allein zurechtzukommen. Und so fand sich Patricia als Vollzeit-Pflegekraft wieder, anstatt auf die Universität zu gehen oder eine schöne, sichere Stelle bei einer Bank anzutreten. Da sie die unverheiratete Tochter war, stand anderes nie zur Debatte, sie musste ihre Vorstellung von einem eigenen Leben begraben und sich eine Schürze umbinden. Die letzten vierzehn Jahre hatte sie damit verbracht, darauf zu warten, dass es ihrer Mutter besserging oder dass sie

Sie saßen zusammen im Coffee Pot, die größte Annäherung an städtische Kultur, die Buncarragh zu bieten hatte. Eileen Moore, die mit Cathal dem Drucker verheiratet war, besaß und führte den Laden. Nach einer vielgepriesenen Reise nach Paris hatte Eileen beschlossen, ihr eigenes Café zu eröffnen. Eine gewaltige, glänzende Kaffeemaschine war zusammen mit einer riesigen marmornen Bar aus Italien importiert worden. Leider war der Bartresen beim Transport in zwei Teile zerbrochen, aber Eileen hatte eine Vitrine mit Würstchen im Schlafrock auf den gekitteten Riss gestellt, und nun sah man die Reparatur nur, wenn man danach suchte. Es wurden sogar Tische und Stühle auf die Straße hinausgestellt. Patricias Mutter hatte das nie gebilligt. Sie verstand nicht, wie es jemand in Ordnung finden konnte, dass Krethi und Plethi im Vorbeifahren sahen, was man auf dem Teller hatte. Sie wäre sich dabei vorgekommen wie eine Kuh auf dem Feld.

Rosemary teilte ihren Schokoladen-Eclair vorsichtig in zwei Teile. «Na ja, hier gibt es keine Kerle. Keinen, den

«Cormac Phelan war so ungefähr der Einzige, der mir gefallen hat, und die nuttige Carol hat ihn abgekriegt.»

«Sie ist eine üble Schlampe», stellte Rosemary fest und schleckte sich Sahne aus den Mundwinkeln.

«Schlimm», stimmte Patricia zu, und sie versanken zusammen in nachdenklichem Schweigen. Woher einen Mann nehmen?

«Kilkenny!»

«Das kann ich nicht.»

«Kannst du doch. Ich fahre uns beide an einem Sonntag hin. Da gibt es diese großen Tanzveranstaltungen im Mayfair. Alle meine Brüder sind dort hingefahren, um Mädchen herumzuschieben.»

«Rosemary, schau mich an. Ich bin zweiunddreißig. Man wird mich für eine Mutter halten, die ihre Kinder abholen kommt. Ich kann auf keine Tanzveranstaltung mehr gehen …»

«Doch, kannst du. Du siehst toll aus.» Aber der Entgegnung fehlte die Überzeugungskraft.

«Ich will nur einen netten Bauern. Er muss nicht besonders jung sein. Es macht mir nicht mal etwas aus, wenn er nicht hier in der Gegend lebt. Bäuerin. Klingt das nicht hübsch?»

«Doch.» Rosemary klang nicht überzeugt.

«Ich glaube einfach, man kommt sich dann nützlich vor. Man wäre ein Gespann.»

«Vermutlich.»

«Wie findet man einen Bauern?»

Diese schwierige Frage ließ sie einmal mehr

«Das Journal

«Was?»

«Das Farmer’s Journal! Darin gibt es Kontaktanzeigen. Habe ich im Salon gelesen.»

«Ihr habt das Farmer’s Journal im Salon?»

«Die Leute lassen es liegen. Aber der Punkt ist der, es gibt darin Anzeigen, eine Kontaktbörse. Sie besteht aus Bauern und Frauen, die Bauern kennenlernen möchten.»

Patricias Gesicht verriet, dass sie noch immer nicht ganz begriff.

«Auf der Suche nach Liebe und so. Einsame Herzen. Das ist das Beste, was du machen kannst, glaub mir.»

«O Gott, Rosemary. Ich weiß nicht.»

«Es ist jedenfalls einen Versuch wert», sagte Rosemary und stopfte sich das letzte Stück Eclair in den Mund.

 

Zwei Wochen später gab eine aufgeregte Rosemary alles, um Convent Hill hinaufzuspurten. Ihr violetter Mantel flatterte hinter ihr, und sie hielt eine Zeitung in der einen Hand, während sie mit der anderen versuchte, einer schwarzen Schultertasche aus Leder Herr zu werden. Sie sah aus wie ein Bischof auf der Flucht vor dem Schauplatz eines nächtlichen Fehltritts. Bei Nummer 62 läutete sie und lehnte sich keuchend an die Säule der Eingangsveranda. Als Patricia die Tür öffnete, blickte sie in das Gesicht ihrer Freundin, das noch roter war als sonst, eingerahmt von ihren unbändigen dunklen Locken, die vor Schweiß glänzten. Rosemary sagte kein Wort – sie schob

Am Küchentisch falteten die beiden die Zeitung auf, dann blätterte Rosemary schnell zu dem Teil ganz hinten. Ihr abgekauter Nagel fuhr die verschiedenen Anzeigen entlang, Junggeselle aus Bantry … Mittelgroßer Bauer aus Fermanagh … Romantische Telepathie … da war sie … Einsame Lady aus Leinster! Die Wortwahl ging auf Rosemarys Kappe. Patricia hätte für etwas Diskreteres plädiert, aber ihr wurde in unmissverständlichen Worten dargelegt, dass Diskretion ihr nicht dabei helfen würde, einen Ehemann zu finden. Rosemary hatte auch dazu geraten, ihr Alter zu senken oder ganz zu verschweigen, aber Patricia war hart geblieben. Sie hatte argumentiert, dass sie eine potenzielle Beziehung nicht mit einer Lüge beginnen wolle. Man hatte sich auf «Anfang dreißig» geeinigt, doch wenn Rosemary vollkommen ehrlich war, fand sie, dass das ihre Freundin wie mindestens vierzig klingen ließ.

Nach der anfänglichen Aufregung, die Anzeige tatsächlich gedruckt zu sehen, und nachdem sie einander versichert hatten, wie gut sie aussah und im Vergleich zu den anderen Anzeigen formuliert war, fühlten sich die Frauen eigenartig ernüchtert. Nun blieb nichts zu tun, als zu warten.

Tage, dann eine Woche, dann zwei Wochen vergingen, und immer noch keine Antwort. Jeden Morgen ertappte Patricia sich dabei, wie sie auf den Postboten wartete. An manchen Tagen gar nichts, an anderen Tag das vertraute Klackern des Briefkastens, gefolgt von dem leisen Aufprall eines Briefs auf der Türmatte, aber jeden Tag

Es war der Tag, an dem seit dem Abschicken ihrer Anzeige samt Postüberweisung genau drei Wochen vergangen waren, als der leise Aufprall auf der Fußmatte ein kleines bisschen bedeutender klang. Patricia stand erstarrt in der Küche. Sie wollte hinrennen und nachsehen, verabscheute sich aber selbst dafür, sich so leicht demütigen zu lassen. Sie zwang sich zu einem weiteren Schluck Tee, stellte den Becher auf dem Tisch ab und ging gemessenen Schrittes zur Küchentür. Sie lehnte sich an den Türrahmen und reckte langsam den Hals, damit sie um die Ecke in den Eingangsbereich blicken konnte. Ein großer brauner Umschlag. Zu groß für eine Rechnung.

Darin befanden sich vier weitere Umschläge. Im ersten befand sich eine Postkarte mit den Ruinen von Ennis Friary vor einem chemisch blauen Himmel. Eine eigenartige Wahl, dachte Patricia. Sie drehte sie um und las: «Du klingst nach einem guten Ritt.» Erschrocken ließ sie die Karte auf den Tisch fallen. Warum in Gottes Namen schrieb jemand so etwas? Warum schickte das Journal es ihr? Sie schob die Postkarte zur Seite und öffnete vorsichtig den zweiten Umschlag. Es war immerhin ein Brief. Er war mit anscheinend zittriger Hand auf liniertes Papier geschrieben worden. Unter Schwierigkeiten entzifferte Patricia, dass er von einem Mann stammte, der in Tullamore lebte. Nicht allzu weit entfernt, dachte sie. Er war schon zweimal verheiratet gewesen. Das gefiel ihr nicht. Als hätte er ihre Gedanken gelesen, beruhigte er sie, seine vergangenen Beziehungen bedeuteten doch bloß, dass er wisse, was er tue. Patricia bezweifelte, dass dies der Richtige für sie war. Er war Bauer gewesen, lebte nun aber in einem Altersheim. Ach du liebe Güte. Besaß sie ein eigenes Haus oder nicht? Sie zerknüllte das Blatt. Der dritte Umschlag enthielt eine Karte mit der Zeichnung einer Blaumeise auf einem Zweig auf der Vorderseite. Sie stammte von einem Mann in Carlow, der es vollkommen angemessen fand, sie um ein Foto von ihr in Slip und BH zu bitten. Sie war hin- und hergerissen zwischen ihrer Wut auf Rosemary und der Ungeduld, ihr diese

Der vierte Brief sah anders aus. Er war mit schwarzer Tinte auf dasselbe blaue Briefpapier von Basildon Bond geschrieben, das auch ihre Mutter benutzt hatte. Die Handschrift war sauber und, was wichtiger war, sah nicht verrückt aus. Ein kleines Schwarzweißfoto fiel heraus und landete auf dem Tisch. Ein Mann mittleren Alters, vierzig?, stand neben einer altmodischen Dampflok. Seine Hand lag auf dem großen Radkranz aus Metall unterhalb des Fahrersitzes. Er blickte direkt in die Kamera, und seltsamerweise lächelte er nicht, noch sah er allzu ernst oder traurig aus. Patricia entschied, dass ihn das Wort «gutartig» am besten beschrieb. Sein dunkles Haar wurde an beiden Seiten seiner Stirn bereits schütter und ließ Geheimratsecken erkennen, und seine großen Augen blickten freundlich. Sie sah es sich genauer an. Ja, definitiv freundlich. Er trug ein einfaches weißes Hemd, das am Kragen aufgeknöpft und bis zu den Ellenbogen aufgekrempelt war, und der Gürtel seiner dunklen Hose betonte seine schlanke Taille. Er ließ Patricias Herz nicht höherschlagen, aber sie war auch nicht abgestoßen, und unter den Umständen kam ihr das vor wie ein Hauptgewinn im Lotto. Sie las seinen Brief.