Dieses Mal stand er auf dem Bahnsteig. Als er sie erkannte, huschte ein Lächeln über sein Gesicht, und er hob halb den Arm, es wirkte weniger wie ein Winken, mehr, als wollte er den Bus anhalten, aber Patricia betrachtete es trotzdem als Fortschritt.
Sie wusste wirklich nicht, wie es kam, dass sie wieder in den Bahnhof von Cork gekommen war, oder warum. Sie hätte es gern auf Rosemarys Enthusiasmus geschoben, aber ihr war klar, dass mehr dahintersteckte. In den wenigen Wochen seit ihrem ersten Treffen war er ihr ans Herz gewachsen. Der Mann, der ihr von Angesicht zu Angesicht kaum in die Augen sehen konnte, war auf dem Papier ernsthaft, direkt und selbstironisch. In den dunklen Tagen, die wenig anderes boten, freute sie sich auf seine Briefe. Irgendwie geschah es, dass sie sich an ihren Besuch in Cork so erinnerte, wie er ihn beschrieb. Durch seine Brille betrachtet, wirkte alles eher niedlich als steif, eher romantisch als verklemmt. Sie hatte das Gefühl, ihm eine zweite Chance geben zu müssen, und der Anblick seines breiten Grinsens, so kurz es auch aufschien, gab ihr die Zuversicht, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatte.
Als sie am Ende des Bahnsteigs neben dem Ausgang bei ihm ankam, streckte Edward ihr die Hand entgegen. Ein Gentleman, dachte sie und reichte ihm den kleinen cremefarbenen Koffer, den sie unter dem Sterbebett ihrer Mutter hervorgezogen hatte. Der Koffer klatschte in Edwards nichtsahnende Handfläche, und sie begriff, dass er ihr die Hand hatte schütteln wollen und nicht ihr Gepäck tragen.
«Entschuldigung.» Sie zog den Koffer zurück.
«Entschuldigung. Nein, lassen Sie mich das machen.» Er grapschte nach dem Griff.
«Nein, ist schon in Ordnung.»
«Nein. Nein, ich sollte das machen», und es gelang ihm, seine Hand durch die Griffschlaufe über ihre zu zwängen. Bei der Berührung seines Fleisches auf ihrem ließ sie augenblicklich los.
«Danke.»
Er führte sie wortlos hinaus auf den Parkplatz, wo der Lärm der Innenstadt ihr Schweigen noch unterstrich. Sie fragte sich, was für einen Wagen er wohl fuhr.
Er ging voraus zu einem dunkelgrünen Kombi, vielleicht eine Art von Ford, der nicht allzu alt aussah, und sie war positiv überrascht. Als sie auf den Beifahrersitz glitt, wurde ihr erster Eindruck jedoch von dem Geruch im Fahrzeug überlagert. Eine Mischung aus saurer Milch und dem, was ihr Vater «gute Landluft» genannt hätte – Gülle, anders ausgedrückt –, umgab sie. Sobald Edward ihre Tür geschlossen hatte, schoss ihre Hand vor, um das Fenster herunterzukurbeln. Sie versuchte, nicht durch die Nase zu atmen, nahm den strengen Geruch aber trotzdem noch wahr. Sie betete darum, dass ihr nicht schlecht würde. Ihre Hände schlossen sich fest um den Lederhandgriff ihrer Handtasche. Die Fahrt würde sich hinziehen.
Edward fuhr tief über das Lenkrad gebeugt und stieß Grunzer und Seufzer aus, während er sich durch den Stadtverkehr schlängelte. Immer wieder spähte er über das Armaturenbrett, um zu sehen, ob er sich in der richtigen Spur befand. Patricia hatte das Gefühl, dass es nicht klug wäre, um nicht zu sagen riskant, ihn mit dem von ihr vorbereiteten Smalltalk abzulenken. Hinter Bishopstown jedoch, als die Häuser in Felder übergingen, schien er sich zu entspannen und lehnte sich in seinem Sitz zurück. Patricia probierte einige ihrer Fragen aus.
«Sind Sie auf dem Hof momentan sehr beschäftigt?»
«Geht so.»
«Leben Sie in der Nähe eines Dorfes?»
«Eigentlich nicht. Muirinish, aber da ist nichts.»
Patricia schloss die Augen und atmete so tief ein, wie sie sich traute. Sie ging den Rest ihrer Fragen in Gedanken durch und gestand sich resigniert ein, dass die Antwort auf jede von ihnen eine Variation von «Nein» sein würde.
«Ist Ihnen auch nicht kalt?»
Edward hatte gesprochen. Vor Schreck hatte sie gar nicht wirklich gehört, was er gesagt hatte.
«Verzeihung?»
«Ihr Fenster. Ist Ihnen nicht kalt?»
«Oh. Na ja, ich könnte es ein Stückchen schließen. Ich mag frische Luft.» Sie kurbelte das Fenster zu zwei Dritteln hoch und war beinahe aufregt, weil tatsächlich eine Art von Gespräch begonnen hatte. «Ist Ihnen denn kalt?»
«Nein.»
Sie fuhren weiter, und nichts als das gleichmäßige Schnurren des Motors füllte die Stille.
Der Stoß eines Schlaglochs weckte sie. Wie lange hatte sie geschlafen? Das helle Winterlicht von vorhin war vergangen, nun wurden die vorbeifliegenden Hecken von einer grauen Düsterkeit verschluckt. Sie setzte sich auf und entdeckte einen langen Spuckefaden, der ihren Mund mit einem dunklen Fleck vorne auf ihrem Mantel verband. Schnell wischte sie ihn weg. Edward blickte zu ihr herüber und lächelte. Es war nicht viel, aber für eine Verhungernde ist ein Krümel ein Festmahl. Patricia lächelte zurück. «Entschuldigung. Ich bin früh aufgestanden. Habe ich lange geschlafen?»
«Eine ganze Weile. Sie haben Bandon und Timoleague verpasst. Jetzt ist es nicht mehr weit.»
«Ach, gut.» Patricia fragte sich, ob sie wohl heimlich ihren Lippenstift nachziehen konnte, bevor sie seine Mutter traf.
«Das da war meine Grundschule.» Er zeigte auf einen Kasten mit Schieferdach und langen Fenstern. Patricia spähte hinaus, als habe ihr Reiseführer sie auf den Arc de Triomphe oder die Spanische Treppe hingewiesen. Sie bemühte sich um eine angemessene Antwort, selbst ein «Nett» schien unaufrichtig, also fragte sie stattdessen, wo er auf die weiterführende Schule gegangen war.
«Clonteer, aber nur ein paar Jahre lang, bis mein Bruder James gestorben ist und ich den Hof voll übernommen habe.»
Tod. Wie war es passiert, dass ihr Smalltalk so schnell zum Thema Tod geführt hatte?
«Oh. Wie schade.» Es war sogar ihr selbst nicht klar, ob sie das vorzeitige Hinscheiden des Bruders meinte oder seine abgebrochene Ausbildung.
«Ach, das war schon in Ordnung. Ich war für die Schule sowieso nicht gemacht.»
Der Wagen fuhr durch eine Ansammlung von Bäumen hindurch einen Hügel hinab und bog dann um die Ecke auf einen schmalen Fahrdamm ein. Zu beiden Seiten der Straße erhoben sich unförmige Hügel voll Gras und Schilf wie riesige Pilze in einem Geflecht schlickiger Rinnsale.
«Es ist Ebbe», bemerkte Edward.
Gerade hatte sich Patricia an den Geruch im Wagen gewöhnt, und jetzt belästigte sie der salzige, schwefeldünstende Nebel draußen.
«Vielleicht schließen Sie besser Ihr Fenster», sagte er, und sie kurbelte es schnell hoch. «Es ist nicht immer so schlimm», fügte er entschuldigend hinzu.
Die Straße stieg leicht zu einer kleinen Brücke an. Dort war der Kanal durch das Marschland breiter.
«An dieser Stelle ist Pat Whelanwent rein. Sturzbetrunken, auf dem Fahrrad auf dem Heimweg vom Pub.» Edward kicherte, und Patricia stimmte freudig mit ein.
«Hat er es gut überstanden?»
«Nein. Wurde nie gefunden. Das Rad haben sie gefunden, als Ebbe war, aber keine Spur von Pat. Der Schlamm verschluckt Dinge einfach. Über die Jahre haben wir einige Kühe verloren.»
«Aha.» Patricia war sich nicht sicher, was sie erwidern sollte, und so starrte sie nur aus dem Fenster auf die weiten Flächen des Marschlands und stellte sich die Schrecken vor, die unter dem glatten dunklen Schimmer des Schlamms verborgen lagen.
Vor ihnen erhoben sich Hecken und Bäume von beruhigend fester Konsistenz. Als sie sie erreichten, sprach Edward erneut.
«Hier beginnt das gute Land. Alles Weideflächen dahinten.» Er zeigte nach rechts, und Patricias Augen folgten seiner Hand pflichtschuldig, obwohl sie in Wirklichkeit keine Ahnung hatte, was sie da ansah. Der Wagen wurde langsamer.
«Wir sind da.»
Sie fuhren zwischen zwei unverputzten Steinpfeilern hindurch einen Feldweg hinauf, in dessen Mitte eine dicke Grasmatte wuchs. Oben auf dem Hügel schnappte Patricia nach Luft. Da war das Meer! Nur ein Feld entfernt erstreckte sich ein langer Sandstrand. Zu beiden Seiten davon schwang sich das Land zu zwei hohen dunklen Klippen auf. Auf den Felsen, die am weitesten von den Klippen entfernt waren, stand ein großes weißes und blaues Bauernhaus, und dahinter war die gezackte Silhouette einer Burgruine zu sehen.
«Es ist schön», sagte sie, und sie meinte es so. Die gesamte Landschaft, die sich vor ihr erstreckte, sah aus wie etwas, das sie auf einem Schulausflug in einer Galerie in Dublin gesehen haben könnte.
«Es ist mein Zuhause», entgegnete Edward nüchtern.
Als der Feldweg sich in Richtung Küste auf das Haus zu absenkte, konnte Patricia die Wellen und das Rauschen des Windes hören. Sie fühlte sich seltsam gestärkt, als hätte sie die richtige Entscheidung getroffen. Diese ganze Reise war immerhin nicht die schlechteste Idee gewesen, die sie jemals gehabt hatte.
Edward hielt direkt vor dem Haus. Patricia sah, dass der Weg weiterführte auf einen Hinterhof, der von den Wirtschaftsgebäuden, der alten Burg und der Rückseite des Hauses U-förmig umschlossen wurde. Ein Schäferhund erhob sich neben der Tür eines der Nebengebäude. Er wedelte mit dem Schwanz, kam aber nicht näher. Als Patricia versuchte, die Tür zu öffnen, wurde sie ihr vom Wind aus der Hand gerissen. Edward eilte um den Wagen herum, um ihr herauszuhelfen.
«Alles in Ordnung?» Er hatte seine Stimme erhoben, um das sandige Getöse der Brandung und des Sturms zu übertönen.
«Ja», rief sie zurück und stieg aus. Der Wind ergriff ihr Haar und ihren Mantel und schleuderte beides erbarmungslos herum. Edward trug ihren Koffer. «Gehen wir schnell rein.» Er bat sie durch ein kleines Gartentor, das im selben Ultramarinblau gestrichen war wie die Fenster des Hauses. Ein schmaler Kiesweg führte am Haus entlang und um die Ecke herum zur Vorderseite, wo eine adrette grauhaarige Frau an der Tür auf sie wartete. Ihre dunklen Augen musterten rasch den Neuankömmling, und einen Moment lang kam sich Patricia vor wie ein Hase, der von einem Fuchs entdeckt wurde. Ihre Gastgeberin bleckte die Zähne zu einem Lächeln und winkte dann mit einer knochigen Hand Edward zu sich heran, wobei sie sich mit der anderen eine zitronengelbe Strickjacke gegen den Sturm zuhielt.
Die Tür schloss sich hinter ihnen, und es war, als wäre eine schwere Maschine zum Stillstand gekommen. Die Stille kam plötzlich. Patricia versuchte, sich gleichzeitig das Haar zu richten und den Mantel zu glätten.
«Seien Sie äußerst willkommen. Sie müssen Patricia sein. Ich bin Edwards Mutter. Bitten nennen Sie mich Catherine.»
Patricia sah, wie sich Edwards Gesichtsausdruck veränderte. Sie vermutete, dass nicht viele Menschen Mrs. Foley bei ihrem Vornamen nennen durften. Die Frauen schüttelten einander die Hände, und die Hausherrin führte sie einen dunklen Flur hinunter und nach links in ein Wohnzimmer, das für das Haus zu klein wirkte.
«Ich habe gerade das Feuer angemacht. Ich habe euch noch gar nicht erwartet. Ihr seid gut durchgekommen.»
Edward stand mit dem Koffer in der Hand im Türrahmen und hatte noch immer seinen Mantel an. Er sah nicht weniger wie ein Gast aus als Patricia.
«Die Straßen waren ziemlich leer.»
«Du bist nicht zu schnell gefahren, hoffe ich. Ist er zu schnell gefahren?»
Patricia öffnete den Mund, um ihr zu versichern, das sei nicht der Fall gewesen, aber wie sich herausstellte, war es eine rhetorische Frage gewesen. «Setzen Sie sich», fuhr Mrs. Foley fort und klopfte auf die Lehne eines kleinen, prall gepolsterten Sofas. «Willst du dem armen Mädchen nicht ihren Mantel abnehmen, Teddy? Ich habe Teewasser aufgesetzt.» Die letzten Worte rief sie auf dem Weg aus der Tür über ihre Schulter.
Edward und Patricia standen da und sahen einander an. Er streckte die Hand aus, und Patricia knöpfte ihren Mantel auf und reichte ihn ihm.
«Teddy?»
«Meine Mutter nennt mich so.» Er hielt inne, und zwischen ihnen kam etwas Unausgesprochenes auf. Das Gefühl, dass sie beide im selben Team waren und Mrs. Foley im gegnerischen. «Sie können mich auch Teddy nennen, wenn Sie möchten», bot er ihr an.
«Ich glaube, Edward ist mir lieber.»
Er hielt ihren Mantel hoch, um ihr zu bedeuten, dass er sich darum kümmern würde. «Also, setzen Sie sich.»
«Danke.»
Als sie allein war, blickte sie sich in dem kleinen Zimmer um. Alles war in Schattierungen von Braun und Orange gehalten. Das Tapetenmuster war ein dichtes Gestöber von Herbstblättern, und das Feuer brannte in einem kleinen beige gekachelten Kamin, der deutlich neuer aussah als das Haus. Ein Teppich mit goldenen und haselnussfarbenen Kringeln bedeckte den größten Teil des Fußbodens, umgeben von einem Kranz aus Linoleum in Holzoptik, das in der Lücke zwischen dem Teppich und der Wand hervorschaute. Patricia fiel auf, wie unbewohnt der Raum wirkte. Abgesehen von einem wirklich nicht schönen ovalen Spiegel auf dem Kaminsims waren die Wände ganz kahl. Kleine Holztische standen gegen die Wände geschoben, aber es gab keinen Raumschmuck, Bücher oder Zeitschriften. Die einzige Lichtquelle war die nackte Glühlampe, die von der Decke hing. Es sah aus, als seien die Leute, die hier gewohnt hatten, gerade ausgezogen.
Die Tür flog auf, und Mrs. Foley erschien mit einem Tablett voller Tassen und Untertassen und einer fetten braunen Teekanne. Sie zögerte, als könnte sie sich nicht entscheiden, wo sie es abstellen sollte, und entschied sich dann für den niedrigen Tisch rechts vom Kamin.
«Wo ist Teddy? Hängt er Ihren Mantel auf? Sie müssen nach der Fahrt ja ganz ausgedörrt sein. Ich koche zum Abendessen einen Schinken. Ich hoffe, das ist Ihnen recht. Es ist Teddys Lieblingsessen. Nehmen Sie Zucker?» Eine Pause, um Luft zu holen. Patricia schüttelte den Kopf und nahm die Tasse mit milchigem Tee entgegen, die man ihr hinhielt.
«Danke», sagte sie leise, denn sie wollte Mrs. Foleys Redefluss nicht unterbrechen.
«Sie sind ja ein tapferes Mädchen, dass Sie eine solche Reise ganz allein unternehmen. Außerhalb von Kilkenny leben Sie, nicht wahr? Teddy hat es mir gesagt. Ich bin selbst nie da gewesen. Der Landfrauenverein hat mal einen Ausflug dorthin gemacht, um sich das Schloss anzusehen, und sie haben auch eine Führung durch die Brauerei angeboten, aber wirklich, wieso sollte ich das sehen wollen, also bin ich nicht mitgefahren. Aber den Mädels hat es gefallen. Meinten, es sei eine sehr gefällige Stadt. Enge Sträßchen. Aber ich vermute, Sie sind dort wohl selbst nicht so oft. Sie haben sich um Ihre Mutter gekümmert, nicht wahr? Teddy hat es erwähnt. Es tut mir leid, von Ihrem Verlust zu hören. Es ist bestimmt schwer für Sie, ganz allein zu leben. Sie haben einen Bruder, hat Teddy wohl gesagt. Stehen Sie einander nah?»
Der Raum versank plötzlich in Schweigen, und Patricia begriff, dass sie zum Sprechen aufgefordert worden war. Ihr wurde gerade klar, warum Edward ein Mann so weniger Worte geworden war.
«Nicht besonders, nein.»
Edward trat verlegen wieder ins Zimmer. Er bekam eine Tasse Tee gereicht und wurde von einer kissenklopfenden Hand dazu aufgefordert, sich neben Patricia auf das Sofa zu setzen. Dies alles geschah, während seine Mutter ihren Monolog fortsetzte.
«Natürlich unterscheiden sich Jungen und Mädchen sehr. Ich hätte so gern ein kleines Mädchen gehabt, aber es sollte nicht sein. Jetzt habe ich nur noch Teddy, und es ist lange her, seit ihn jemand einen Jungen genannt hat. Er arbeitet hart, nicht wahr, Teddy? Eine Milchwirtschaft zu betreiben ist nicht leicht, aber es ist das Leben, das wir kennen, und wir kommen zurecht, nicht wahr, Teddy?» Edward blickte nicht einmal auf. Offenbar war ihm klar, dass er den Plaudertsunami einfach über sich hinwegfegen lassen musste, und das tat er. Patricia nippte an ihrem Tee und nickte oder lächelte gelegentlich, wenn sie es für angebracht hielt. Irgendwie hatte Mrs. Foley es fertiggebracht, ihren Tee wie eine Bauchrednerin zu trinken, ohne sich auch nur einmal zu unterbrechen. Sie stellte ihre Tasse auf das Tablett zurück und schloss: «Seht nur auf die Uhr! Du solltest mit dem Melken beginnen. Ich mache Abendessen. Möchte Mary mit dir mitkommen?»
Edward erstarrte und stierte seine Mutter an, die ihren Fehler zuerst nicht zu bemerken schien, doch dann huschte Entsetzen über ihr Gesicht.
«Patricia! Patricia! Wo habe ich nur meinen Kopf!»
«Das macht doch nichts.» Patricia war sich nicht sicher, was soeben geschehen war, aber sie wusste, dass sie sich davon nicht angegriffen fühlte. Edward wandte ihr und seiner Mutter den Rücken zu.
«Wohin hast du Patricias Mantel gehängt?» Mrs. Foley war bereits wieder voll in Fahrt. Die beiden jungen Menschen wurden in den Flur und in den hinteren Teil des Hauses gescheucht. Patricias Mantel wurde von einer schwer beladenen Garderobenstange geholt, und Edward schlüpfte in bereitstehende Gummistiefel. Er öffnete die Hintertür, und der Wind draußen war eine willkommene Erleichterung von dem unablässigen Geplapper der letzten Minuten.
Mit gesenktem Kopf blickte Edward Patricia von der Seite an.
«Sie redet gern.»
«Das stimmt.»
Sie wechselten einen Blick, und wieder hatte sie das Gefühl, dass sie irgendwie auf derselben Seite standen.
Edward deutete hinter sich auf die Stelle, wo der Wagen parkte. «Das ist der Obstgarten.» Patricia blickte auf mehrere Dutzend verkrüppelter Bäume, die sich zusammengekauert im rechten Winkel gegen den unermüdlichen Wind stemmten. Er ging auf die Ruinen der Burg zu, und sie folgte ihm. Als sie den Hügel erklommen, der ihrer Einschätzung nach die Treppe zum Haupteingang gewesen war, nahm sie seinen angebotenen Arm und ließ sich stützen. Unter dem rauen Material seiner Jacke fühlte er sich fest und männlich an.
Drinnen boten die rohen Steinwände etwas Schutz vor dem Sturm.
«Ist es hier immer so windig?»
«Nicht die ganze Zeit, aber eine Brise vom Meer her haben wir beinahe immer.»
Durch etwas, das einmal ein Fenster oder eine Tür gewesen sein mochte, konnte Patricia sehen, wie die Wellen unten gegen die Klippe krachten. Edward beugte sich zu ihr herüber, weiter, als nötig gewesen wäre. Er roch nach Seife, nicht süßlich nach Camay oder nach Imperial Leather, es war der frische Duft dieses harten buttergelben Klumpens, mit dem ihre Mutter früher von Hand ihre Schlüpfer ausgewaschen hatte. Sie mochte es.
«Das da unten ist der Strand, aber wenn man da herum weiter nach hinten läuft, geht er in Marschland über.»
Patricia reckte den Hals, um zu sehen, worauf er zeigte.
«Wir sind durchgefahren», fügte er erklärend hinzu. «Man sagt, die Foleys hätten die Burg gebaut. Sie waren durch das Marschland dahinter geschützt. Alle Schiffe, die vom Meer her kamen, hätten aus Furcht abgedreht.»
Sie nickte, um anzuzeigen, dass sie verstand. Seine Stimme beruhigte sie. Sie war nicht so tief, wie sein einsilbiges Grunzen sie hatte glauben lassen, und die träge Melodie seines West-Cork-Dialekts löste in ihr einen eigenartigen Gleichmut aus. Ihre Blicke trafen sich, und keiner von ihnen blickte zur Seite. Inmitten dieser kalten, feuchten Höhle zwischen zerfallenen Wänden konnte sie die Hitze seines Körpers spüren. Sie fragte sich, ob er wohl versuchen würde, sie noch einmal zu küssen, doch dann streckte er ohne Vorwarnung einfach die Hand aus und drückte sanft ihre Brust. Es kam so unerwartet, dass sie nicht einmal blinzelte. Sie blickte hinab auf das gesprenkelte Rosa seiner Hand und dann wieder auf in sein ausdrucksloses Gesicht. Er zog die Hand zurück und sagte: «Ich mache mich besser ans Melken.» Edward drehte sich um und ging fort und ließ Patricia mit der Frage allein, ob ihre schmächtige Brust ihn dazu gebracht hatte, die schweren Euter im Melkstand aufzusuchen.