2. Teilbestand, Persönliche Dokumente
Karton 6, Falkman College, 1974—1978
Mappe: Strafakten
FALKMAN COLLEGE
STUDENTENAMT
INTERNES PROTOKOLL
Abschriften nur auf Antrag an die genannten Personen auszuhändigen:
Miranda Rose Planchart
Richard Cameron Rohber
A. F. Fitzhugh (ermittelnder Lehrkörper)
Joseph Smith (ermittelnder Lehrkörper)
Tina Fry (ermittelnder Lehrkörper)
VORFALL #42
PROTOKOLL DER SCHLICHTUNG
28.04.1977
FITZHUGH: Ich glaube, jetzt funktioniert es. Guten Tag in die Runde, vielen Dank für Ihr Erscheinen. Diese Aufnahme dient nur der Dokumentation und Information. Eine Mitschrift kann auf Anfrage ausgehändigt werden. Ich werde das heutige Gespräch zusammen mit meinen Kollegen Professor Smith und Professorin Fry leiten. Ich spreche in unser aller Namen, wenn ich sage, dass wir mit großem Bedauern von diesem Vorfall erfahren haben. Das heutige Schlichtungsgespräch soll dazu beitragen, eine zufriedenstellende Lösung für alle Beteiligten zu finden. Einverstanden?
ROHBER: Ja.
FITZHUGH: Miss Planchart, bitte antworten Sie laut für die Aufnahme.
PLANCHART: Ja, einverstanden.
FITZHUGH: Wunderbar. Also gut. Zu dem Vorfall kam es während der Ausstellungseröffnung der Kunstgalerie unserer Universität. Mir liegt die Aussage einer anonymen Zeugin vor, die gesehen hat, wie Sie beide sich im Ausstellungsbereich gestritten haben. Miss Planchart, Sie sollen daraufhin aus der Galerie gestürmt und zehn Minuten später mit einem Farbeimer zurückgekehrt sein. Sie sind an Professor Rohbers Fotografie Lesson Repeated getreten und—
ROHBER: Lessons.
FITZHUGH: Verzeihung?
ROHBER: Lessons. Plural. Der Titel ist Lessons Repeated.
FITZHUGH: Okay, Lessons Repeated. Miss Planchart, Sie haben den Eimer gegen die gerahmte Fotografie geworfen, dabei ist das Glas zerbrochen. Außerdem wurden das Foto und mehrere Besucher von Farbe getroffen. Laut Aussage der Zeugin hat eine fliegende Scherbe nur knapp ihr Auge verfehlt.
PLANCHART: Das stimmt nicht, es sind keine Scherben geflogen. Das Foto war gar nicht gerahmt.
FITZHUGH: Wenn Sie noch abwarten könnten mit Ihrer Gegendarstellung, gerade wollte ich erst einmal die Zeugenaussage wiedergeben.
PLANCHART: Ich weise Sie nur darauf hin, dass die Aussage falsch ist. Niemand wurde verletzt. Da war kein Rahmen. Wenn eine Glasscheibe davor gewesen wäre, hätte ich was anderes genommen als Farbe. Vielleicht die Axt beim Feuerlöscher. Darüber hatte ich schon nachgedacht.
FITZHUGH: Miss Planchart … Damit tun Sie sich gerade keinen Gefallen.
FRY: Der Punkt ist: Viele Angestellte und Studenten hatten Angst.
ROHBER: Und die Fotografie ist zerstört. Mehrere Freunde von mir mit sehr guten Verbindungen in die Kunstwelt haben etwas früher am selben Abend ihr Interesse daran bekundet und sie kaufen wollen. Wir sprechen hier also außerdem von einer bedeutenden finanziellen Einbuße.
FITZHUGH: Miss Planchart, würden Sie Ihre Tat erläutern?
PLANCHART: Meine Tat? Wann sprechen wir denn über seine Tat?
FITZHUGH: Professor Rohber hat keine Farbe gegen seine Fotografie geworfen.
PLANCHART: Es war nicht seine Fotografie, sondern meine.
SMITH: Wenn ich kurz etwas einwerfen dürfte … Wir haben bereits nachgewiesen, dass es sich um eine Fotografie von Professor Rohber handelt. Er hat uns das Negativ gezeigt und die Gegenstände, die er genutzt hat, um das Foto zu machen. Außerdem haben wir mit einer anderen Lehrkraft gesprochen, die uns versichern konnte, dass Professor Rohber das Foto aufgenommen hat.
PLANCHART: Ja, diese Aufnahme stammte von ihm. Aber es war nicht seine Idee, sondern meine. Das sollte alles Teil meiner Abschlussarbeit werden. Ich arbeite seit Monaten daran.
SMITH: Sie hatten die Idee, ein Gitter aus sechsunddreißig Fernbedienungen zu legen?
PLANCHART: Ja. Das ist eine von meinen Repeats.
SMITH: Repeats?
PLANCHART: So heißt die Serie, an der ich arbeite. Dazu stelle ich eine Reihe identischer Dinge zusammen. Zum Beispiel Holzspielzeuge, Kupfertöpfe, Puppen … Ich habe die Objekte an unterschiedlichen Orten gesammelt. Auf den ersten Blick sehen sie alle gleich aus, aber sobald man sie nebeneinanderlegt, erkennt man die Unterschiede. Wie sie sich verändert haben, nur weil sie anders gebraucht wurden. Bei den Fernbedienungen sieht man das sehr gut an den Knöpfen. Die sind unterschiedlich abgenutzt, je nachdem, welche Kanäle geschaut werden. Aber die Idee umfasst nicht nur den Inhalt. Die Belichtung, die Anordnung, selbst die Größe und die Entwicklung … Haben Sie sich die Abzüge angeschaut, die ich letzte Woche vorbeigebracht habe? Wenn Sie die nebeneinanderlegen, sieht man, dass es sich um eine Kopie handelt.
FITZHUGH: Ja, ja, die habe ich gesehen. Leider fehlen Anhaltspunkte, die beweisen, dass Sie tatsächlich vor ihm mit der Arbeit angefangen haben.
PLANCHART: Ich habe meine Aufzeichnungen mitgebracht.
FITZHUGH: Die alle nicht datiert sind.
PLANCHART: Und?
FITZHUGH: So belegen sie nicht, ob er Sie kopiert hat oder Sie ihn.
PLANCHART: Moment, Moment. Sie glauben, ich hätte ihn kopiert?
ROHBER: Wenn ich vielleicht etwas hinzufügen dürfte …
FITZHUGH: Bitte.
ROHBER: Das Wort kopieren taucht immer wieder auf. Ich bekomme den Eindruck, dass wir gerade eine sehr interessante Diskussion darüber führen, was eine Idee eigentlich ist und wem sie gehört … Mirandas Argument, dass unsere Arbeit gewisse Ähnlichkeiten aufweist, hallt in der Aussage meiner Fotografie wider, in der es um Reproduzierbarkeit geht, um mechanisches Kopieren …
PLANCHART: Das heißt also, das Foto ist eine Kopie.
ROHBER: Das heißt, wenn es Ähnlichkeiten gibt, ist das ein Statement.
PLANCHART: Willst du mich verarschen?
SMITH: Professor Rohber hat nicht ganz unrecht, Miss Planchart. Das College bietet einen permanenten intellektuellen Austausch. Falls er sich von Ihrer Arbeit hat inspirieren lassen, und dabei liegt die Betonung auf ›falls‹, dann sollten Sie das als Ehre sehen. Das Nachahmen ist das größte Lob, das man sich denken kann.
PLANCHART: Ich soll mich geehrt fühlen, dass er meine Idee geklaut und versucht hat, sie zu verkaufen?
FITZHUGH: Setzen wir doch an anderer Stelle noch mal an. Miss Planchart, selbst wenn wir annähmen, die Idee stamme von Ihnen, ist mir dennoch nicht klar, wann Professor Rohber Gelegenheit gehabt haben soll, sie Ihnen zu stehlen. Im vergangenen Semester, als Sie angeblich an dieser Serie gearbeitet haben, hat er wegen eines Sabbaticals gar nicht unterrichtet. Und Sie hat er seit … [Papierrascheln] … Ihrem dritten Semester nicht mehr unterrichtet. Stimmt das?
PLANCHART: Ja.
FITZHUGH: Wenn Sie also im Herbst an diesen Fotos gearbeitet haben, wie Sie behaupten, wie soll er diese dann gesehen haben?
PLANCHART: Na, weil wir gevögelt haben.
[Aufregung]
FITZHUGH: Entschuldigung — was haben Sie gesagt?
PLANCHART: Wir haben gevögelt. Ziemlich oft. Wir vögeln seit diesem Kurs im dritten Semester. Ich hab ihm im Dunkelzimmer einen geblasen. Er sagte, dass ich meine Karriere so am schnellsten voranbringen könne.
ROHBER: Entschuldigung, ich …
PLANCHART: Sie können gern Lynn fragen. Meine beste Freundin, Lynn Toby-Jarrett. Sie weiß Bescheid.
FITZHUGH: Miss Planchart, das ist eine sehr dramatische Anschuldigung.
PLANCHART: Für mich ist der Diebstahl geistigen Eigentums dramatischer.
FRY: Professor Rohber, ist das wahr? Also, die Sache mit dem Geschlechtsverkehr?
[lange Stille]
ROHBER: So, wie sie das erzählt, klingt es … Hören Sie zu, sie manipuliert Sie. Sie hat mich verführt.
PLANCHART: So ist er an meine Bilder gekommen. Ich habe ihm eine Mappe gegeben, die er seinen Freunden zeigen wollte. Er hat gesagt, er könnte mich in einer Ausstellung in der Stadt unterbringen.
FITZHUGH: Bleiben wir noch einen Moment bei Ihren Anschuldigungen …
PLANCHART: Das ist ja ein großartiges College. Ihnen liegt daran, dass die Körper der Frauen hier sicher sind, aber ihr geistiges Eigentum nicht. Sie stehlen unsere Ideen, und wir bekommen rein gar nichts dafür. Sie kleben Ihre Namen auf unsere Errungenschaften. Und Sie halten sich im Hintergrund und schauen schulterzuckend zu, wie uns die Kreativität ausgelöffelt wird, bevor Sie den Blick abwenden. Aber wehe, jemand nähert sich unseren Geschlechtsteilen. Die Vagina bleibt bitte schön unberührt.
FRY: Miss Planchart!
PLANCHART: Das Foto da an der Wand zu sehen, war eine Million Mal schlimmer, als auch nur ein Stoß von seinem Schwanz.
SMITH: Ich bitte Sie, unterlassen Sie diese unangemessene Ausdrucksweise.
FITZHUGH: Ich bin ganz Professor Smiths Meinung. Wir müssen erst einmal diesen neuen Anschuldigungen nachgehen, insofern schlage ich vor, dieses Treffen an dieser Stelle zu beenden. Wir führen es fort, wenn wir mehr Informationen haben. Ich schalte die Aufnahme nun ab. Professor Rohber, wenn ich Sie noch kurz sprechen könn…