»Louise hat erzählt, dass du unhöflich zu ihr warst«, sagte Kates Mutter. »Irgendwas mit einem Kuchen.«
Kate verdrehte die Augen. Sie hatte die Lautsprecherfunktion eingeschaltet und das Handy auf einen Stapel aus Mappen im Esszimmer gelegt. Eine SMS hatte sie geweckt, in der stand HAB EWIG NICHTS VON DIR GEHÖRT RUF MICH HEUTE NACHMITTAG AN KEINE AUSREDEN.
Kate hatte ihre Mutter nicht direkt gemieden, aber sie wusste einfach nicht, worüber sie hätten reden sollen. Darcy würde sicher gern über Kates »Zustand« und Medikamente sprechen, woran Kate null Interesse hatte. Und was die Arbeit anging … Kate hätte die Verschwiegenheitsklausel für ihre Mutter gebrochen, die wesentlich besser darin war, Dinge für sich zu behalten, als Louise, aber sie konnte schlecht erzählen, dass sie das Haus durchsucht hatte, ohne dass Darcy sich Sorgen machen würde. Und anlügen wollte Kate sie nicht. Über Theo wollte sie auch nicht sprechen. Nicht, dass sie viel von ihm gesehen hätte in den letzten Tagen. Er behauptete, mitten in einem großen Projekt zu stecken und deshalb auch mittags arbeiten zu müssen, aber es fühlte sich an, als würde er sie meiden.
Kein Theo, keine Miranda, keine psychologische Auswertung: Es gab eine Menge Themen, die ihre Mutter gerade nicht ansprechen sollte. Im verzweifelten Versuch, zumindest irgendwas erzählen zu können, hatte Kate ihre Mittagspause damit verbracht, die Schlagzeilen der Zeitungen und Wetterberichte zu wälzen. Sie hatte sich auf ein Telefonat mit ihrer Mutter vorbereitet. Das war fast so übel wie damals im College, als sie gerade ihre Jungfräulichkeit verloren hatte und davon überzeugt war, dass ihre Mutter das aus fast fünfhundert Kilometern Entfernung ahnen konnte. Sie hatte mehrere Wochen lang behauptet, ihr Handy wäre beim Rodeln kaputtgegangen.
Vielleicht war das Debakel vom Vierten Juli ja gar kein so schlechtes Gesprächsthema.
»Ich finde nicht, dass ich unhöflich war«, sagte Kate. »Louise hat etwas ziemlich Dummes getan, und ich habe sie dafür kritisiert.«
»Was hat sie getan?«
»Es gab eine Feier, und sie hat einen Kuchen für Theo gemacht, meinen Chef. Mit dem Foto seiner Mutter als Glasur. Und dann hat sie ihn Kerzen auspusten lassen, bevor alle Teile von seiner Mutter gegessen haben. Seiner toten Mutter.«
»Na ja, es waren ja keine echten Teile von ihr.«
»Natürlich nicht, Mom. Aber Theo steht nicht gern im Rampenlicht. Ich glaube, die ganze Sache war ziemlich hart für ihn.«
»Schätzungsweise sieht er ja recht oft Fotos von seiner Mutter?«
»Ja, schon klar. Ich — das war einfach nicht sehr einfühlsam von Louise. Mehr nicht.«
Oh, wie schrecklich für ihn, war Louises trockener Kommentar gewesen, als Kate sie auf ihren Fehler aufmerksam gemacht hatte. Man bekommt einen Kuchen. Muss Kerzen auspusten. Dann müssen Geburtstage ja der Weltuntergang sein.
»Sie meint es gut«, sagte Darcy.
»Weiß ich doch.«
»Und vergiss nicht, du darfst umsonst bei ihr wohnen. Da kannst du sie nicht permanent kritisieren.«
»Mach ich auch nicht«, sagte Kate und versuchte, nicht die Augen zu verdrehen. »Du hast gefragt, was passiert ist. Das ist passiert. Ich war nicht unhöflich. Vielleicht hat sie das so empfunden, du weißt ja, wie sie manchmal ist.«
»Kate.«
»Mom.« Kate richtete die Aufmerksamkeit wieder auf den Stapel mit Fotografien, den sie gerade durchging. »Wolltest du deshalb telefonieren? Damit du mich anschreien kannst?«
»Ich schreie dich nicht an. Und nein. Ich wollte nur mit dir reden. Du hast dich schon lange nicht mehr gemeldet. Dein Vater und ich machen uns Sorgen um dich. Wir möchten einfach wissen, was los ist.«
»Nicht viel, ehrlich gesagt.« Kate ging die Liste verbotener Themen noch einmal durch, schüttelte dann den Kopf. »Arbeit.«
»Okay, und wie geht es dir mit der Arbeit? Dr. Nesbit hat doch betont, wie wichtig es ist, dabei bewusst …«
»Mir geht es gut«, sagte Kate. Erst als sie es ausgesprochen hatte, wurde ihr klar, dass es stimmte. Sie war so erschöpft gewesen, als sie in Callinas angekommen war, so leer. Schlaff wie ein zu lange gekneteter Teig. Jetzt war da ein Funken Energie in ihr, der langsam wuchs. »Ich glaube, du hattest recht«, fuhr sie fort. »Ich brauchte nur mal wieder ein bisschen Sonne.«
»Ich hab nicht gesagt, dass das alles war, was du brauchst.« Ihr Ton war gereizt, und Kate konnte sich lebhaft vorstellen, wie sie dasaß und sich am Ärmel herumzupfte, was sie für gewöhnlich tat, wenn ihr eine Unterhaltung zu entgleiten drohte.
»Ich weiß«, Kate mühte sich um einen beschwichtigenden Ton. »Ich will dir doch nur sagen, dass es mir gut geht.«
»Okay, aber ich möchte dir trotzdem eben diesen Artikel vorlesen, den ich in Psychologie Heute gelesen habe, warte, wo ist der denn … Ich schau mal eben im Esszimmer, ich meine, dort lag er auf dem Tisch …«
Während Darcy weiter jeden ihrer Schritte kommentierte, plingte Kates Handy. Eine Nachricht von Nikhil.
Hi Kate, obwohl ich damit gegen die SCHWEIGEPFLICHT DER BARKEEPER verstoße, teile ich dir mit, dass Kid gerade das PPs betreten hat. Falls du noch immer mit ihm sprechen willst.
Gott segne Nikhil. Kate war zwar weiter hin und wieder in Esmes Laden gewesen, in der Hoffnung, den missmutigen alten Mann dort anzutreffen, aber ohne Erfolg. Er schien sich in Luft aufgelöst zu haben.
»Auf der Kommode ist er auch nicht«, sagte ihre Mutter gerade.
»Mom, ich muss auflegen«, sagte Kate und griff nach dem Handy, um das Gespräch zu beenden.
Sie warf einen Blick auf die Uhr. Feierabend hatte sie erst in dreieinhalb Stunden, die zu verlieren bei einer Bezahlung nach geleisteter Arbeitszeit ordentlich was ausmachten. Aber sie versuchte schon so lange, Kid aufzuspüren. Wenn sie die Zeit absaß, bis sie tatsächlich gehen durfte, war er sicher längst wieder fort. Sie drehte das Handy in der Hand und dachte nach. Dann seufzte sie und stand auf. Sie schlenderte den Flur hinunter durch das Wohnzimmer bis zur Treppe.
»Theo?«, rief sie.
Sein Stuhl knarzte, als er damit zurückrollte. »Ja?«
»Mir ist irgendwie nicht gut. Ich glaube, ich gehe nach Hause.«
Schweigen, dann Schritte. Kate gab sich Mühe, krank auszusehen, als Theo am oberen Treppenansatz erschien.
»Ist es schlimm?« Theo wirkte beunruhigt. »Soll ich dich nach Hause fahren? Wenn es dir nicht gut geht, solltest du nicht unbedingt durch die Gegend wandern.«
»Vielleicht muss ich mich übergeben«, sagte sie. »Das wäre mir unangenehm.«
»Wenn es sonst nichts ist …« Theo kam die Treppe herunter. »Ich habe zwei Kinder. Die eine zwingt den anderen gern dazu, Wachsmalstifte zu essen. Ich hab schon sehr viel Kotze gesehen.«
»Theo!« Kate riss die Hand hoch. Jetzt wurde ihr wirklich schlecht. »Danke, aber ich möchte wirklich lieber allein nach Hause gehen.«
Theo blieb stehen, die Hand auf dem Geländer. Seine Brauen zogen sich zusammen. »Okay. Aber schick mir bitte eine SMS, wenn du bei deiner Tante und deinem Onkel angekommen bist, ja?«
»Sobald ich da bin«, versprach Kate.
Als Kate das Pawpaw’s betrat, war es fast leer. Wie immer scharte sich eine Gruppe kaum volljähriger Surfer um den Tisch in der größten Nische, und natürlich war Nikhil da, der sich halb über die Theke lehnte, um ein Fußballspiel verfolgen zu können, das auf dem einzigen Fernseher der Bar lief. Einen Moment lang dachte Kate, dass Kid schon wieder weg war. Doch dann deutete Nikhil, ohne den Blick vom Bildschirm zu nehmen, in eine Ecke, und sie entdeckte ein dünnes, in einer Cargohose steckendes Bein, das hinter der nicht funktionierenden Jukebox hervorragte. Sie salutierte übertrieben in Nikhils Richtung und fädelte sich zwischen den übrigen Tischen hindurch.
Kid war allein, mit einem Kreuzworträtsel beschäftigt und trank ein dunkles Bier. Er hatte sich chinesisches Essen mitgebracht, und die zähflüssige braune Soße tropfte von der Schale auf die Plastiktüte. Sein Vogelscheuchenkörper passte kaum in die kleine Nische, die er gewählt hatte. Jeder andere hätte lächerlich gewirkt, doch bei ihm sah es fast trotzig aus. Die Knie fast unterm Kinn, der über das graue Papier kratzende Stift.
»Ich kannte mal jemanden, der die geschrieben hat«, sagte Kate.
Kid schaute auf und runzelte die Stirn. Er wirkte nicht überrascht, sie zu sehen.
»Beeindruckend«, sagte er und wandte sich wieder dem Kreuzworträtsel zu.
Sie bemühte sich, nett und harmlos auszusehen. »Darf ich Sie kurz stören? Ich versuche schon eine Weile, Sie zu finden.«
»Ich weiß.« Er füllte ein paar leere Kästchen. »Hat Esme erzählt.«
»Dauert wirklich nicht lang.«
»Ich hab beim letzten Mal schon gesagt, ich möchte nicht über Miranda sprechen.«
»Ich habe auch nicht behauptet, dass es um Miranda geht.«
»Sehe ich so dumm aus?«
»Nein«, log Kate. In Wahrheit fand sie, die Dreadlocks passten nicht so wirklich zu einem Weißen, aber vielleicht kam ein alter Hippie ja mit so was durch. »Gibt es einen Grund dafür, dass Sie nicht über Miranda sprechen wollen?«
»Gibt es einen Grund dafür, dass ich über sie sprechen sollte?«
Okay, die Taktik ging nicht auf. Kate setzte sich auf den Stuhl ihm gegenüber. Der billige Schaumstoff des Polsters seufzte, als ihr Gewicht ihn zusammenpresste.
»Setzen Sie sich doch«, sagte er.
Sie ging über diesen billigen Scherz hinweg. »Sie werden in Mirandas Dokumenten erwähnt«, sagte sie. »Ihr Name taucht immer wieder auf.«
Das überraschte ihn. »In welchem Kontext?«
»Sie beschreibt Treffen mit Ihnen. Dass Sie der erste Freund waren, den sie hier gefunden hat. Allem Anschein nach waren sie vielleicht ihr einziger Freund. Sie haben ihr viel bedeutet.«
Er schnaubte. Seine Gegenwehr schien aber nachzulassen. Er steckte sich den Deckel des Kulis in den Mund und kaute darauf herum, als würde er darauf warten, dass sie fortfuhr.
»Sie hat geschrieben, dass sie einsam war«, sagte Kate also, »dass Sie ihr Lichtblick in Callinas waren.« Okay, das war ein bisschen dick aufgetragen, aber wieso nicht? Wenn man zwischen den Zeilen las, stand das schon irgendwie in ihrem Tagebuch.
»Das klingt nicht nach ihr«, erwiderte er, aber in seinem Ton schwang Unsicherheit mit, und da wusste Kate, dass sie ihn am Haken hatte.
»Ich kann mir gut vorstellen, dass es nicht leicht ist, über sie zu sprechen«, sagte Kate. »Und ich möchte wirklich nicht, dass Sie meinetwegen irgendwelche schlimmen Erinnerungen hochholen. Aber ich arbeite mich durch all diese Kisten mit ihren Sachen, durch alles, was sie geschrieben hat … Ich möchte einfach mal mit jemandem sprechen, der sie kannte. Und soweit ich das überblicken kann, sind Sie der einzige Freund, den sie hatte.« Weil sie sofort an Victors Zögern denken musste, fügte sie hinzu. »Alles streng vertraulich, selbstverständlich. Ich werde nicht mal mit Theo darüber reden.«
Kid legte die Stirn in Falten, seine buschigen Augenbrauen trafen sich fast. Er schien über ihr Angebot nachzudenken, also wandte Kate den Blick ab. Ein alter Trick, den eine ehemalige Kollegin ihr mal erklärt hatte: wenn das Gegenüber so wirkt, als wäre es kurz davor, sich zu öffnen, dann gib ihm Raum, gaukle ihm Eigenverantwortung vor und lass es selbst zum Entschluss kommen. Bei Kate hatte es ungefähr genauso oft funktioniert, wie es in die Hose gegangen war. Trotzdem betrachtete sie intensiv die Jukebox hinter Kid, deren Liedübersichten hinter verkratztem Glas gesichert waren.
Als sie wieder zu Kid schaute, seufzte dieser. »Ich wüsste nicht mal, wo ich anfangen sollte.«
Sie versuchte, nicht zu lächeln. »Was haben Sie denn zusammen gemacht? Wo haben Sie sich getroffen?«
»Meistens in meinem Wohnwagen. Manchmal hat sie Theo mitgebracht, der hat dann aus Ästen kleine Häuser gebaut. Wir haben Bier getrunken und gequatscht.«
»Worüber?«
»Keine Ahnung, alles Mögliche. Ich war damals Buddhist, und Miranda hatte davor ziemlichen Respekt, obwohl sie selbst Atheistin war. Sie hat gern über die großen Fragen philosophiert. Freien Willen und all das. Oder sie hat mir erzählt, woran sie gerade arbeitet, von ihren Ideen.«
Während er sprach, wurden seine Gesichtszüge ganz weich. Er musste in Miranda verliebt gewesen sein, da war sich Kate sicher. Aber falls Miranda die Gefühle nicht erwidert hatte, konnte Kate ihr das nicht übelnehmen. Er war ziemlich anstrengend.
»Manchmal hat sie mir erzählt, wohin sie gern reisen würde«, fuhr er fort, ganz in Gedanken versunken. »Wussten Sie, dass sie das Land nie verlassen hat? Ihre Bilder waren überall, aber Miranda hat sie nicht begleitet. Sie hat mal Vorlesungen und so was in der Nähe gehalten, aber damit hatte sie schon aufgehört, als ich sie kennenlernte. Angeblich zu großer Zeitfresser, der sie von der Arbeit abgehalten hat. Und von Theo und Jake.«
Irgendwas an der Art, wie er Jakes Namen aussprach — halb verschluckt, als wollte er ihn hinter sich bringen —, machte Kate neugierig. »Waren Sie und Miranda irgendwann mal mehr als nur Freunde?«
»Wie bitte? Nein. Nein.« Kid spuckte den Deckel in die Hand. Er war fast platt gekaut, darauf deutliche Zahnspuren. »Wer hat das behauptet?«
»Niemand, ich hab mich das nur gefragt.«
»Dann hören Sie auf damit. Wir waren nur befreundet. Das ist möglich, wissen Sie. Dass ein Mann und eine Frau einfach Freunde sein können.«
Weil sie ihn so unsanft aus den Erinnerungen in die Wirklichkeit zurückgeholt hatte, ließ die Wärme in seinem Blick nach.
»Und Jake hatte kein Problem mit Ihrer Freundschaft?«, fragte sie.
»Wenn er eins hatte, hat er das mir gegenüber nie angesprochen. Aber ich kannte ihn auch nicht gut.«
»Obwohl Sie so viel Zeit mit seiner Frau verbracht haben?«
»Wie gut kennen Sie denn die Ehemänner ihrer Freundinnen?«
Sie dachte an Natashas Freund, Liam. Kate hatte Stunden mit ihm verbracht, wusste aber gerade mal, dass er Celtics-Fan war und Videospiele entwarf. Oder vertrieb? »Nicht so gut«, gab sie zu.
»Sehen Sie.«
»Okay, aber selbst wenn Sie ihn nicht persönlich kannten, dann ist Callinas ja doch eher klein. Da müssen Sie ihm doch mal begegnet sein? Oft genug, um zu wissen, ob Sie ihn mögen oder nicht.«
»Mir ist nicht klar, was das für eine Rolle spielen soll«, sagte Kid. »Ich mag die wenigsten Leute. Und es war nicht gerade so, als wäre ich bei ihr zu Hause ein und aus gegangen. Miranda war sehr verschlossen. Sie hat ihre beiden Welten sehr gut voneinander getrennt.«
Ihre Tasche vibrierte. Fuck. Ihr Handy. Sie hatte vergessen, Theo zu schreiben, dass sie zu Hause war.
TB: Gut angekommen?
KA: Ja, sorry. Sie zögerte, tippte dann schnell: Musste mich übergeben, hab vergessen, mich zu melden.
TB: Brauchst du was? Ich kann vorbeikommen, bevor ich die Kinder hole.
Fuck, fuck, fuck.
KA: Ich wollte mich gerade hinlegen.
KA: Aber danke, ich weiß das zu schätzen.
KA: Bis morgen.
TB: Hat ja keine Eile, werd erst mal gesund.
Kate grummelte das Handy an. Das hörte sich fast so an, als wäre ihm klar, dass sie log, und jetzt versuchte er, ihr die größtmöglichen Schuldgefühle zu machen.
Kid hatte sie beobachtet, und als sie das Handy wegsteckte, sagte er plötzlich: »Wissen Sie, wen ich nicht mag?«
»Mich?«, fragte sie halb im Scherz.
»Abgesehen von Ihnen. Ihren Kunsthändler. Diesen Hal. Der war vor ein paar Jahren hier, hat sich wegen irgendeinem Buch abgefeiert, das er geschrieben hat. So ein Wichtigtuer. Miranda hat sich immer über ihn beklagt. Er war super raffgierig. Ungeduldig. Hat sie ständig gedrängt, fertig zu werden. Sie hat ihn als Vampir bezeichnet.«
»Wenn sie ihn gehasst hat, wieso hat sie sich keinen anderen gesucht?«
»Weil sie immer alles vor sich hergeschoben hat. Was ich eigentlich sagen wollte: Sie hat den Kerl verabscheut, aber er ist durch sie steinreich geworden. Wenn Sie also unbedingt Leute mit Ihren Fragen belästigen müssen, wenden Sie sich doch an so ein Arschloch wie Hal, statt normale Menschen zu belästigen, die einfach ihre Ruhe haben wollen.« Er nahm den Stift wieder auf und starrte sie an. »Würden Sie dann jetzt gehen?«
Kate machte gerade Abendessen mit Louise — füllte Hühnerhack in selbst gemachte Ravioli —, als ihr Handy klingelte. Theo. Sie wischte die mehligen Hände an einem Geschirrtuch ab und trat ein Stück von der Arbeitsfläche weg, um den Anruf anzunehmen.
»Hallo, was gibt’s?«, fragte sie.
»Na, du klingst ja gut. Geht’s dir besser?«, fragte Theo zurück.
Sie hatte ganz vergessen, dass sie ja krank sein müsste. »Viel besser«, sagte sie. »Schlafen hat geholfen. Ich schätze, ich kann morgen wieder zur Arbeit kommen.«
Da schaute Louise auf, die ebenfalls gerade Ravioli befüllte. Kate runzelte die Stirn, senkte die Stimme und verschwand aus der Küche.
»Bei dir alles okay?«, fragte sie.
»Ja, danke.«
Es entstand eine unangenehme Pause.
»Hör zu«, sagte er. »Ich wollte dich fragen, ob du am Wochenende mit uns zum Finley Lake fahren möchtest. Der ist etwa eine halbe Stunde entfernt, wir wollen nur für den Nachmittag hin. Bisschen spazieren gehen, schwimmen. Vielleicht einen Burger essen. Ich weiß, es ist dein Wochenende, aber die Kinder würden sich freuen, wenn du mitkämst.«
»Klar, das klingt nach einem schönen Ausflug.« Sie lächelte. »Aber deshalb hättest du nicht extra anrufen müssen. Ich habe hier nicht unbedingt mit einem übervollen Kalender zu kämpfen.«
Theo zögerte, sagte dann: »Ich wollte dich nach Feierabend fragen. Ist schließlich … privat.«
Sie brauchte einen Moment, bis sie begriff, was er damit ausdrücken wollte. Sofort hatte sie einen Knoten im Bauch.
»Oh.« Klang ihre Stimme plötzlich höher? »Ja. Klar. Danke.«
Als sie zurückkam in die Küche, schaute Louise sie neugierig an. Kate ging zur Spüle und drehte das Wasser auf, so weit es ging, wusch sich die Hände und mied den Blick ihrer Tante.